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Der Detektiv – Die leuchtende Fratze – Teil 3

Walter Kabel
Der Detektiv
Kriminalerzählungen, Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1920
Die leuchtende Fratze
Lizabet Doogstons Opfer

Teil 3

Harst warf den eisernen Haken geschickt so über die Mauer, dass er sich oben in dem schrägen Eisengitter verfing.

Er kletterte dann als Erster auf die Mauerkrone, rief mir nach wenigen Minuten leise zu: »Es ist alles in Ordnung. Los denn!«

Er half mir, und ich langte glücklich neben ihm an.

Das Tau wurde nun hochgezogen und auf der Innenseite der Mauer hinabgelassen. Wieder rutschte Harst als Erster hinab. Unten holte er sofort seinen Revolver hervor, lauschte eine Weile und winkte mir dann.

Als ich nun neben Harst stand, sagte er ernst: »Wir wollen in jedem Fall vorsichtig sein. Der Gaekwar lässt die Tiger absichtlich schlecht füttern, damit sie stets angriffslustig sind. Ich hoffe ja, dass die beiden Hammel ihre Schuldigkeit tun werden. Aber man kann nie wissen, was geschieht. Ich möchte – nein ich muss Schüsse nach Möglichkeit vermeiden. Durch zwei, drei Revolverknalle könnte hier alles verdorben werden. Warte also ab, was ich tue.«

Er reichte mir den Spaten. »Bleibe dicht hinter mir. An der südlichen Ecke des zweiten Gewächshauses ist die Stelle …«

Wir schlichen lautlos die Zypressenallee entlang. Nach 60 Schritt gab es in dem Marmorgeländer einen Durchlass. Harst bog hier ab. Wir hatten nun einen schmalen Streifen Gebüsch vor uns. Dahinter musste das Gewächshaus liegen.

Unangefochten kamen wir auch an die Südecke. Harst zeigte auf den Boden dicht vor einem riesigen Blumenkübel aus Ton.

»Los, grabe, aber vorsichtig, sobald du einen Fuß tief etwa bist …«

Ich konnte doch nicht die etwas scheue Frage unterdrücken: »Hier liegt die Leiche?«

»So fang doch an!«, meinte Harst ungeduldig.

Ich grub bald mit aller Behutsamkeit. Dann spürte ich etwas Hartes, kratzte die Erde davon ab und bückte mich. Ich hatte zunächst nur ein Loch von ungefähr einem halben Quadratmeter ausgehoben. Und gerade in der Mitte dieses Loches erkannte ich nun in dem freigelegten Gegenstand den Leib einer fast armdicken Schlange.

»Weiter – weiter!«, meinte Harst erregt. »Wir sind ja an der richtigen Stelle. Der Kopf muss auch zu finden sein.«

Ich sagte nichts. Aber ich war innerlich empört, dass Harst mich bisher bei dem Glauben belassen hatte, es handele sich um einen menschlichen Kopf.

Ich arbeitete emsiger als zuvor. Nun hatte ich keine Scheu mehr vor dieser Leiche.

Dann stieß ich auf den vom Rumpf abgetrennten Schlangenkopf. Es war der einer Kobra, einer Brillenschlange. Ich hatte ihn mit dem Spaten herausgehoben und hielt ihn Harst hin.

»Da!«, sagte ich kurz.

Ich blickte gleichzeitig auf. Und ich sah, dass Harst unverwandt nach rechts hinüberschaute, wo in dem Buschstreifen neben der Allee eine Lücke war.

In dieser Lücke, vom Mond klar beschienen, stand regungslos ein Tiger. Regungslos bis auf den katzenartig hin und her pendelnden, langen Schweif.

Alles Blut drängte mir plötzlich zum Herzen. Funken sprühten mir vor den Augen.

Die Bestie war keine zehn Schritt entfernt.

Auch ich war zur Bildsäule geworden; waagerecht hielt ich den Spaten mit dem darauf liegenden Giftschlangenkopf.

Harst bückte sich plötzlich, griff in das Erdloch, in dem der fast drei Meter lange Leib des toten Reptils offen da lag.

Dann schwang er diesen eklen Rumpf der Kobra wie ein Lasso um den Kopf.

Ich hatte mich unwillkürlich gebückt.

Der Schlangenleib flog davon, flog dem Tiger mit dem einen Ende gegen den Kopf.

Indien ist das Land der Tiger und der Giftschlangen. Jeder Tiger fürchtet die Kobra. Diese Furcht liegt ihm im Blut, ist eine ererbte Eigenschaft, ist instinktiv. Der Tiger weiß, dass er wohl imstande ist, das Reptil durch einen Tatzenhieb zu töten, weiß aber auch, dass er an dem Biss der Schlange verenden muss.

Mit dieser Furcht hatte Harst offenbar gerechnet. Und er hatte sich nicht verrechnet.

Der Tiger hatte kaum die Witterung seiner gefährlichsten Feindin in die Nase bekommen – und das geschah, als ihm der Kadaver an den Kopf flog, als er auch schon einen Satz zurück tat und dann mit einem zweiten jenseits der Allee in den Büschen verschwand.

Harst hatte ein Taschentuch hervorgeholt, wickelte den Schlangenkopf darin ein und sagte ganz ruhig: »Die Geschichte hätte unangenehm werden können. Es war der sechste Tiger, der auf meine Hammel nicht reagiert hat. Gehen wir, sobald du das Loch oberflächlich zugeschüttet hast. Erst muss aber noch der Kobrarumpf hinein.«

Ich beeilte mich nach Kräften. Dieser so scharf bewachte Park war kein Aufenthalt nach meinem Geschmack.

Als das Loch wieder ausgefüllt war, stampfte Harst die Erde fest und meinte dabei: »Ich hatte wenig Hoffnung, dass wir den Schlangenkopf hier noch finden würden. Eigentlich spricht die Tatsache, dass wir ihn gefunden haben, sehr gegen meine Annahme. Na, wir werden ja gleich nachher die Drüsen untersuchen.«

Wir gelangten unangefochten wieder über die Mauer und schlugen den Rückweg zur Stadt ein.

Ich hatte so viel zu fragen, dass ich wirklich nicht wusste, womit ich beginnen sollte. Harst sagte jedoch plötzlich: »Ich ahne, dass du nun am liebsten über mich herfallen und deinen Fragekasten ausräumen möchtest. Du kannst dir das sparen. Shesney, der Detektivinspektor und nun mein freundlicher Logiswirt, erwartet mich mit einem Eiskaffee und einer tadellosen Zigarette, die beinahe so gut wie meine Mirakulum schmeckt. Mein Vorrat meiner Spezialmarke ist leider zu Ende. Es wird Zeit, dass wir wieder nach Berlin kommen. Ich sehne mich nach Berliner Luft. Also, Shesney erwartet uns, auch dich. Sein Heim liegt im neuen Stadtteil am Bahnhof. Wir sind sehr bald angelangt. Übrigens: Hast du das Päckchen geöffnet, das der spionierende Kellner, der natürlich von Palperlon bestochen war, dir auf dem Theseus überreichte?«

»Nein. Wie durfte ich das! Der Hotelwirt hat es an dich adressiert.«

»So, so. Na, dann lass es vorläufig liegen, wo es liegt. Hast du es in deine Händlerballen mit eingepackt? Ja? Nun, rühre es nicht an. Man kann nie wissen, was drin ist. Ich möchte es selbst öffnen. Jedenfalls ist es plumper Schwindel, dass in unserem Zimmer etwas liegen geblieben sein soll. Ich kenne dich doch. Du packst sorgfältiger als ich. So, da wären wir.«

Er betrat einen Garten, in dem ein hellgestrichener Bungalow lag. Zwei Fenster waren erleuchtet. Diese gehörten zu Shesneys Arbeitszimmer.

Ich lernte nun den Detektivinspektor von Baroda kennen. Richard Shesney war ganz der Typ des feingebildeten, etwas reservierten Engländers, trotzdem aber von einer Liebenswürdigkeit, die gerade durch ihre feine Abtönung so sehr bestach.

Harst ließ uns beide sofort allein und verschwand in seinem Fremdenzimmer, das rechts neben dem Arbeitszimmer des Inspektors lag. Da Harst von dem Kobrakopf Shesney gegenüber nichts erwähnt hatte, erklärte ich nun auf dessen Bemerkung. Harst neige stark zu übertriebener Geheimniskrämerei.

»Ganz recht, Master Shesney. Ich bin doch sein Privatsekretär und Freund. Und trotzdem weiß ich noch nicht, was er hier in Baroda vorhat.«

»Nicht möglich«, meinte der Inspektor. »Dann können wir uns ja gegenseitig trösten. Nur etwas ist mir bekannt, was auch Sie noch nicht wissen dürften, dass mein Kollege, der Polizeiinspektor Orkney, jede Nacht um halb 12 der von Harst in dem unbewohnten Häuschen untergebrachten Dame ein paar Worte oder Sätze vom Dach der Polizeiwache des Eingeborenenviertels signalisieren muss.«

Er hatte einer Dame gesagt! Also kannte er deren Namen wohl kaum.

»Wer ist diese Frau eigentlich, Master Schraut?«, fuhr er fort. »Harst tut mit ihr so geheimnisvoll und ist um sie so besorgt, dass …«

 

***

 

»… es vielleicht gar seine Gattin ist!«, vollendete Harst von der Tür her mit leisem Auflachen, trat dann näher und setzte sich zu uns an den Tisch, auf dem eine wundervolle alte Bronzelampe brannte, die für elektrisches Licht umgearbeitet war.

Harst hatte nun Bart und Perücke abgelegt und zeigte uns sein glatt rasiertes, kluges und doch so energisches Gesicht, in dem die Augen nun lebhafter glänzten, als ich dies an ihm gewohnt bin.

Er langte nach einer Zigarette. Nach den ersten Rauchwölkchen sagte er dann: »Lieber Shesney, die Stunde ist da, wo ich Ihnen und meinem Freund Schraut einen Überblick über das geben will, was ich hier jetzt als neuen Fall bearbeite. Ich bemerke jedoch im Voraus: Viel ist es nicht, was ich an Tatsachen vor Ihnen ausbreiten kann. Ich betone: an Tatsachen! Denn auf Kombinationen geben Sie ja nichts. Diese Art Berufsarbeit halten Sie für zwecklose Gehirngymnastik.«

»Stimmt. Ich rechne nur mit dem, was ich sehe.«

»So, so. Dann haben Sie gerade die besseren Augen bisher nicht benutzt, nämlich die geistigen. Bekehren Sie sich, Shesney! Glauben Sie mir: Unsere Augen sind verdammt unzuverlässig, wenn man sie nicht ständig mit dem Verstand kontrolliert. Zunächst nur eine Frage: Als Master Marconnay Ihnen aus Lahore das chiffrierte Telegramm in meinem Auftrag schickte, worin ich Sie bat, sehr sorgfältig in nächster Zeit auf alles zu achten, was sich hier in Baroda nur irgendwie Auffälliges ereignen sollte, und als Sie mir dann Ihren Kollegen nach Bombay mit der Mitteilung sandten, dass man den alten, in Nazar Bagh-Palast seit vielen Jahren wohnenden Pförtner morgens tot im Park des Palastes neben einer ausgewachsenen Kobra gefunden hätte, die ihn mehrfach in das Bein gebissen und der er dann den Kopf mit einem eisernen Spaten abgeschlagen hatte. Ist Ihnen da an diesem neuen Todesfall durch Giftschlangen so gar nichts aufgefallen?«

Shesney zuckte die Achseln. »Ich bitte Sie, in Indien sterben jährlich Hunderttausende durch das eklige Gewürm. Niemand regt sich hier über einen solchen Unglücksfall auf. Es ist nicht anders, als wenn bei Ihnen in Europa jemand vom Blitz erschlagen wird. Man kann die Giftschlangen hier ebenso wenig ausrotten, wie in Europa die Gewitter verscheuchen. Mein Vergleich mag etwas gewaltsam sein. Aber ich finde keinen besseren.«

»Hm, in Europa oder doch jedenfalls in Deutschland würde man aber eine aufgefundene Leiche sehr genau daraufhin untersuchen, ob auch wirklich ein Blitz die Todesursache war, denn Todesursachen lassen sich vortäuschen!«

»Was – was heißt das«, fuhr der Inspektor auf. »Glauben Sie etwa, dass der alte Schan Bera nicht durch die Bisse der Kobra. Aber das ist ja Unsinn, bester Harst! Das Bein war blauschwarz und dick geschwollen. Ich habe doch bereits einige vierzig Leute gesehen, die durch Schlangenbisse …«

»… ja, und gerade der 41. ist nur scheinbar ein Opfer einer Brillenschlange geworden!«, unterbrach Harst ihn. »Ich kann Ihnen dies jetzt beweisen. Schraut und ich haben vorhin den Kopf der Kobra ausgegraben, und ich habe soeben dessen Giftdrüsen untersucht, die bekanntlich nur prall gefüllt sind, wenn das Reptil längere Zeit die Giftzähne nicht benutzt hat. Und diese Giftdrüsen sind bei der hier in Frage kommenden Kobra wie ich feststellte, wirklich prall gefüllt. Mithin kann diese Kobra niemals den alten Schan Bera viermal ins Bein gebissen und seinen Tod verschuldet haben. Die Bissstellen sind vielmehr künstlich hervorgerufen, das heißt, man hat den Greis überfallen, am Schreien gehindert und ihn mit vergifteten Nadeln in das Bein gestochen, hat ihn auch so lange festgehalten, bis das Gift gewirkt hatte. Die Kobra wurde nur zum Schein neben den Toten gelegt. Aber der oder die Mörder begingen den Fehler, eine Kobra zu benutzen, die, wie erwähnt, prall gefüllte Giftdrüsen hatte. So muss der Mord verübt worden sein. Wie ich Verdacht geschöpft habe, dass ein solcher vorliegen könnte? Sehr einfach, bester Shesney, weil das Gift einer Kobra nicht so schnell wirkt, dass es Schan Bera nicht mehr möglich gewesen wäre, bis vor den Palast zu eilen und Leute herbeizurufen, die ihm geholfen hätten, das Bein abzubinden und die Bissstellen auszubrennen. Ja, gerade dieser Umstand, dass er tot neben der geköpften Kobra lag, erregte sofort meinen Argwohn. Hier haben Sie also so einen Fall, lieber Shesney, bei dem das Sehen mit den geistigen Augen etwas mehr ans Tageslicht förderte als das, was lediglich der Augenschein lehrte.«

Der Inspektor nickte nachdenklich. Ich aber fragte voller Interesse: »Die Leiche wurde morgens im Park gefunden? Wer sperrte denn die Tiger nach Tagesanbruch wieder ein? Etwa dieser Schan Bera?«

Shesney bejahte. »Die Bestien sind nämlich daran gewöhnt, nach Sonnenaufgang in ihrem Käfig ihre Mahlzeit vorzufinden. Das Raubtierhaus liegt an der Rückseite des Palastes, von dem eine Holzbrücke zum Dach des Käfigs führt. Der Pförtner konnte also ohne jede Gefahr für sich nachsehen, ob die Tiger im Käfig waren, brauchte dann nur die Falltür wieder herabzulassen und hatte dann die Bestien eingesperrt. So wird es jetzt auch Schan Beras Nachfolger machen.«

Harst hatte soeben eine neue Zigarette angezündet und sagte nun: »Hören Sie jetzt das Weitere. Ich werde mich mit Depeschenstil begnügen. Die Sachlage in Lahore war die: Warbatty-Doogston und Palperlon waren uns entwischt. Ob ich sie absichtlich entschlüpfen ließ, bleibe unerörtert. Wir, Warbattys Gegner, wussten bereits, dass er Arzt ist, mit richtigem Namen Doktor Reginald Doogston heißt, in Margate in England beheimatet ist und dass ein gewisser James Palperlon aus Eifersucht ihn durch Hypnose zu einem nichtsahnenden, blind gefügigen Verbrecher gemacht hatte. Nicht Warbatty ist also der Schuldige, sondern Palperlon. Dies erwähne ich für Sie, lieber Shesney.«

»Unglaublich!«, rief der Inspektor. »Wenn mir nicht Harald Harst dies erzählen würde, müsste ich den auslachen, der mir …«

»Schon gut, Shesney. Sie werden noch weit Unglaublicheres hören. Frau Lizabet Doogston, des Arztes Gattin, ist ihrem unglücklichen Mann nun nach Indien gefolgt. Ich hatte versprochen, ihr beizustehen, damit der Doktor dem Satan von Palperlon entzogen und in einem Sanatorium untergebracht würde. Wir waren außer Verbindung in Labore. So depeschierte ich denn ihrem Bruder, dem Ingenieur Albström in Amritsar, er solle seine Schwester sofort nach Bombay schicken, wo ich mit ihr alles Weitere vereinbaren würde. In Bombay merkte ich gleich am ersten Tag, dass unser Zimmerkellner ein Spion war. Er verriet sich dadurch, dass er meine Brieftasche, die ich im Zimmer auf dem Tisch hatte liegen lassen, durchschnüffelte, während wir auf dem Balkon frühstückten. Ich hatte die Tasche nachher innen leicht mit Grafit bestreut, den ich von einem Bleistift abgeschabt hatte. So fand ich bald an meinen Papieren schwärzliche Fingerabdrücke, die besonders stark auf einem Blatt ausgeprägt waren, an dem ich mir Lizabet Doogstons Lebensgeschichte kurz notiert hatte. Eine unauffällige Nachfrage beim Hotelwirt brachte weiter an den Tag, dass unser Kellner erst nach unserer Ankunft für einen plötzlich erkrankten Kollegen eingesprungen war.«

»Weshalb bestellten Sie Frau Doogston gerade nach Bombay?«, fragte Shesney nun.

»Weil Baroda nicht weit entfernt ist und weil eine so große Hafenstadt wie Bombay meine Arbeit mir erleichtert. Die Hauptsache: Ich wusste, dass Warbatty in Baroda wieder einen großen Coup unternehmen sollte. Meine Ausflüge in die Umgebung Bombays und meine Fotografiewut – dies sei für dich gesagt, lieber Schraut – hatten ihre guten Gründe. Ich hatte von der Bombayer Polizei einen kleinen Rennkraftwagen zur Verfügung gestellt bekommen, der mich in vier Stunden nach Baroda brachte. Ich konnte also, als ich erst festgestellt hatte, dass Warbatty und Palperlon bereits in Baroda waren, gleichzeitig an zwei Orten tätig sein. Nun zu einigen Einzelheiten. Außer dem Kellner hatten Schraut und ich noch drei andere Aufpasser um uns. Wenigstens versuchten diese drei es, mich nicht aus den Augen zu verlieren. Sie abzuschütteln, war nicht schwer. Hier in Baroda bat ich Sie, bester Shesney, sofort um Ihre freundliche Unterstützung. Sie empfahlen mir Laki Sing Dau, den Turbanmacher, als verschwiegenen, zuverlässigen Junggesellen. Inzwischen war Frau Doogston in Bombay angekommen. Ich merkte sofort, dass auch sie von Palperlons Kreaturen überwacht wurde. Ich durfte sie in ihrem Hotel nicht aufsuchen. Niemand sollte ahnen, dass noch eine Verbindung zwischen uns bestand. So kam ich auf den Gedanken der Vexierfotos.« Er erklärte Shesney diese Art von geheimer Nachrichtenübermittlung und der Inspektor war ganz begeistert davon.

»Frau Doogston, der ich die Bilder ins Hotel als gewöhnlichen Brief geschickt hatte«, fuhr Harst fort, »war gewitzt genug, den wahren Zweck der Aufnahmen zu erraten und die Buchstaben und Worte herauszufinden. Sie gehorchte und begab sich unter den größten Vorsichtsmaßregeln nach Baroda. Die Dame in des Turbanmachers unbewohntem Häuschen, lieber Shesney, ist also niemand anders als Warbattys Gattin. Jetzt zu der Hauptsache, nämlich der Frage: Was für einen verbrecherischen Anschlag auf das Eigentum seiner Mitmenschen gedenkt Palperlon hier durch sein Werkzeug Doogston-Warbatty ausführen zu lassen? Ich kann diese Frage nicht mit Sicherheit beantworten; ich kann nur darauf hinweisen, dass, als der alte Hausmeister Schan Bera ermordet wurde, Palperlon und Doktor Doogston bereits hier in Baroda waren, dass Schan Bera die Schlüssel zu den Türen des Nazar-Bagh-Palastes neben sich liegen hatte, als man ihn tot auffand, will weiter nur bemerken, dass sein Nachfolger ein alter Engländer namens Singkins geworden ist, und dass in den Gewölben des Palastes die Familienkleinodien der Fürsten von Baroda in einer modern gebauten Stahlkammer lagern, zu der der Gaekwar selbst den Schlüssel besitzt – nur er! Hinweisen möchte ich noch auf die Tatsache, dass der alte Kanal, der die Eingeborenenstadt durchfließt, sich auch am Ostabhang der Anhöhe entlangzieht, auf der der Palast und weiterhin die große Arena liegt. Zugeben muss ich, dass ich in der verflossenen Nacht – besser am verflossenen Abend – einem verdächtigen Nachen nicht zum ersten Mal aufgelauert habe, und dass ich weiß, wo er herkommt und wo er verschwindet. Sein Besitzer ist ein Hindu, der schon mehrfach im Gefängnis gesessen hat und dessen zwei Söhne genau so übel berüchtigt sind. Der Mann wohnt neben Laki Sing Dau. Die mit Pfählen verkleidete Kanalböschung hat gerade vor Laki Sings Hause eine gut verborgene Pforte, die den Zugang zu einem engen, überdeckten Graben bildet, der unter des Nachenbesitzers Grundstück hinweggeht und sich weiter sich in den sogenannten Heiligen Teich hineinerstreckt.«

»Ganz recht!«, bestätigte der Inspektor eifrig. »Dieser Graben stammt noch aus der Zeit, als die Fürsten von Baroda über die ganze Provinz Gudscharat herrschten.« Dann sprang er von seinem Sessel auf und stellte sich vor Harst hin. »Bester Harst«, sagte er leise, aber sichtlich sehr erregt. »Sie meinen dieser Palperlon beabsichtigt einen Anschlag auf die Familienschätze des Gaekwar. Ist es nicht so?«

»Ich weiß es nicht bestimmt, Shesney. Wir werden aber wohl bald Gewissheit haben.« Er gähnte recht ungeniert. »Ich bin müde, Shesney. Auch Schraut wird der Schlaf nötig sein. Morgen Abend treffen wir uns wieder vor dem Mauerwinkel, aber bereits um drei viertel zehn, und zwar oben zwischen den Felsen.«

Gleich darauf führte der Inspektor mich durch den Garten zu einer engen Seitengasse. Ich gelangte dann unangefochten bis zu dem Haus des Turbanmachers, läutete und musste eine geraume Weile warten, bevor Frau Doogston mir öffnete. Sie brachte mich nun im Nebenhäuschen in einem Erdgeschosszimmer unter, dessen Tür der ihren gegenüberlag. Sie fragte mich nach allem Möglichen aus, war dann aber recht enttäuscht, als ich ihr erklärte, Harst wisse selbst noch nicht, wie dieses Abenteuer hier enden werde. Den Mord an dem alten Hausmeister verschwieg ich absichtlich. Konnte man wissen, ob nicht ihr unglücklicher Gatte ihn wieder begangen hatte – auf Palperlons Befehl? Frau Doogston wünschte mir sehr niedergeschlagen eine gesegnete Nachtruhe. Mein Bett war nur ein mit Decken belegtes Holzgestell. Ich lag noch sehr lange wach. Ich prüfte nochmals in Gedanken all das, was Harst dem Inspektor und mir mitgeteilt hatte. Und ich gewann so die Überzeugung, dass er uns gut die Hälfte von dem verschwiegen hatte, was er über die Zusammenhänge zwischen dem Mord und dem Nachen wusste. Ich fand folgende Fragen heraus, die Harst doch zweifellos mit Absicht offen gelassen hatte:

1. In welcher Verkleidung halten Palperlon und Doogston sich hier auf, und wo ist ihr Schlupfwinkel?

2. Gehörten der Nachenbesitzer und dessen Söhne zu Palperlons Helfershelfern?

3. Weshalb erwähnte Harst, dass die Schlüssel des Palastes Nazar Bagh neben dem toten Pförtner lagen?

Aus diesen drei Fragen ließen sich viele andere ableiten. Und je mehr ich nun in diese Sache eindrang, deren Mittelpunkt mir der Mord an Schan Bera zu sein schien, desto klarer wurde mir, dass es hier ohne Zweifel um die Millionenwerte der fürstlichen Familienschätze ging.

Schließlich erbarmte sich meiner doch schließlich der das logische Denken ausschaltende Bruder des Todes, der Schlaf. Desto verworrener waren meine Träume.

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