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Der Welt-Detektiv Band 6

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Die Plauderstube – Der Fächer Kapitel 4

Der Fächer
Eine Kriminalgeschichte

4.

Am anderen Morgen beschäftigte sich ganz Paris mit verschiedenen Erklärungen und Darstellungen des Vorfalls, welcher am vorigen Abend die Beherrscherin der Mode in der großen Oper betroffen hatte. Wie zwanzig Jahre zuvor, so machten sich auch jetzt wieder Erfindung Neid, Missgunst, Bosheit und Übertreibung mit dem Namen Duravel zu schaffen. Die einen behaupteten, die alte Kokette sei ob dem Anblick eines früheren Liebhabers in Ohnmacht gefallen. Andere hielten sich an die erste Annahme von einer geheimnisvollen Vergiftung und sahen in dem ganzen Vorfall schon eine Geschichte à la Brinvilliers oder Borgia. Ein Dritter wollte wissen, die berühmte Spekulantin und Spielerin sei wegen betrügerischen Spieles verhaftet worden. Diese und ähnliche Erdichtungen und Vermutungen machten am anderen Tag die Runde in den Salons; aber schon am Abend wurde der wahre Zusammenhang bekannt und man erfuhr, dass der fremde Herr mit der barschen, tiefen Stimme, welcher Madame Duravel den Fächer angeboten hatte, ein mit besonderen Instruktionen versehener Polizeibeamter gewesen sei, und dass Madame Corisande, welche inzwischen wieder teilweise zur Besinnung gekommen war, sich in Untersuchungshaft befinde, beschuldigt eines vor Jahren begangenen Mordes an Verwandten, und dass der Chef der Kriminalpolizei bereits in seinem Büro ein Verhör mit ihr geführt habe.

Der weitere Verlauf dieser Untersuchung ist in wenigen Worten zusammenzufassen. Am Tag vor jenem Auftritt in der großen Oper war ein armer Mann in sehr dürftigen Aufzug und mit den unverkennbaren Spuren großer Ermüdung von einer langen Fußreise in einer armseligen Kneipe des Faubourg Saint-Antoine angekommen und hatte sich für einige Sou ein Bett genommen. In der darauffolgenden Nacht erkrankte er schnell sehr gefährlich und tobte in seinem Delirium auf solch wilde und unzusammenhängende Weise, dass die anderen Schlafgänger in jenem Zimmer verlangten, man solle ihn fortlassen. Die Wirtin der Herberge dachte jedoch menschlicher und schickte nach einem Priester. Es dauerte aber lange, bis ein solcher herbeigeschafft werden konnte. Mittlerweile erschien ein Polizeibeamter in der Herberge, um nach einem gefährlichen Individuum zu fahnden, welches hier logieren sollte. Der Bursche, welchen der Polizeiagent aufsuchte, schlief in demselben Zimmer mit dem delirierenden Fremden und wurde von dem Polizeiagenten auch wirklich aufgefunden und verhaftet. Während der Polizeimann wartete, bis sein Arrestant sich angekleidet hatte hörte er die verworrenen Äußerungen, welche der Fieberkranke ausstieß; insbesondere aber fielen ihm einige Namen und Worte auf, welche der Kranke immer wiederholte, und besonders der Umstand, dass er eines Fächers erwähnte, welchen er Madame Duravel überreichen wollte. Der Name dieser Dame genügte, um die Aufmerksamkeit des Polizeiagenten noch mehr zu fesseln, denn sie war schon in manche verdächtige Geschichte in der politischen als auch sozialen Sphäre verwickelt gewesen und stand, ohne es zu wissen, unter genauer polizeilicher Aufsicht. So unzusammenhängend, leidenschaftlich und widersprechend die Äußerungen des delirierenden Greises auch waren, so entnahm der Scharfblick des Polizeiagenten daraus doch so viel, dass es der sehnlichste Wunsch des Kranken gewesen war, den Fächer, welchen er in einem kleinen zerrissenen Ranzen bei sich führte, der berühmten Königin der Mode zu überreichen. Der Agent berichtete das, was er gesehen und gehört hatte, seinem Chef, nahm dann auf dessen Weisung den Fächer zu sich und ließ den Kranken zu einem der großen Spitäler bringen, wo er gut verpflegt und von einem Polizeibeamten bewacht wurde. Am darauffolgenden Abend aber warf sich der Polizeiagent in einen eleganten Gesellschaftsanzug, verschaffte sich einen Platz in der Loge, welche an diejenige der Madame Duravel stieß, und führte in der oben geschilderten Weise den Lieblingswunsch des Kranken aus. Die Entdeckung, zu welcher jene Szene führte, war jedoch von ganz anderer Art, als man erwartet hatte. Die Polizei hatte irgendeine halb politische, halb merkantile Intrige zu entdecken gehofft und in der Überreichung des Fächers ein Signal für irgendein Experiment mit den Fonds vermutet. In Wirklichkeit aber war der Fächer nur der Schlüssel zur Entschleierung eines entsetzlichen Geheimnisses, das Zauberwort, welches ein schon längst verstummtes und verhärtetes Gewissen zum Reden bringen sollte. Es war die Absicht der Polizeibehörde gewesen, den fieberkranken Fremdling mit Madame Corisande zu konfrontieren; allein er war gestorben, ehe die Untersuchung so weit gediehen war. Dagegen hatte man bei ihm ein Taschenbuch gefunden, auf dessen erstem Blatt der Name Claude Duravel stand und das ein ziemlich vollständiges, teils in fortlaufender gewöhnlicher Schrift, teils in Chiffren geschriebenes Tagebuch enthielt. Einige wenige klare und ganz verständliche Sätze desselben setzen den Chef der Kriminalpolizei in den Stand, an Madame Duravel solche Fragen zu stellen, dass sie glauben musste, er wisse um die ganze Wahrheit, und dass er ihr das volle Bekenntnis ihrer Schuld abrang.

Madame Duravel und ihr Gatte Jerome hatten bald nach ihrer Verheiratung, wie wir bereits wissen, sich in sehr gewagte Spekulationen eingelassen, bei welchen das Glück allmählich so von ihnen gewichen war, dass sie in höchst peinliche Verlegenheit und in sehr tiefe Verbindlichkeiten bei Bankiers, Wechselagenten usw. gerieten. Einige Zeit hindurch gelang es Jerome, durch verschiedene Manöver bei Wucherern den gegen ihn heraufziehenden Sturm zu beschwören. Allein hierdurch wuchsen seine Verbindlichkeiten nur noch höher an und es kam endlich eine Zeit, wo er gar keine andere Rettung mehr für sich sah, als sich die Kasse des Handlungshauses anzueignen. Dies konnte jedoch begreiflicherweise nicht ohne Claudes Zustimmung geschehen. Der von jeher feige Jerome fürchtete sich nun mehr als je, seinem Bruder die Wahrheit zu gestehen Die Gläubiger drangen von Tag zu Tag ungestümer auf ihr Geld. Da kam die Abenteurerin Corisande auf einen teuflischen Einfall, dem sie die Verwirklichung sogleich auf dem Fuß folgen ließ. Corisande und ihr Gatte verließen einen Tages Havre, um einen benachbarten Badeort zu besuchen, kehrten aber auf halben Wege um und heimlich nach Hause zurück. Sie kannten Claudes Gewohnheiten ganz genau und richteten ihre Rückkehr so ein, dass sie ihn an einem abgelegenem Ort im dichtesten Teil des Luftgehölzes seines Gartens überraschten. Jerome schlug hier seinen Bruder mit einer eisernen Stange nieder, dann schleppten beide Gatten den Betäubten nach einem längst nicht mehr benutzten Badehaus in der Nähe der Orangerie, wo sie Claude vollends erdrosselten und seine Leiche dann in dem Heizgewölbe unterhalb des Badezimmers versteckten.

Die beiden Gatten hatten jedoch wenig Genuss von diesem Verbrechen, und beide führten ein höchst elendes Leben, denn diese entmenschte Frau, die Charakterschwäche ihres Gatten kennend, war in beständiger Furcht, Jerome könnte durch Gewissensbisse zu einem plötzlichen Geständnis gedrungen werden. Aus diesem Grund hatte sie ihn vermocht, sein Geschäft aufzugeben, Havre zu verlassen und nach Italien zu gehen, wo sie in den Bädern von Lucca ein Spielhaus etablierte. Aber auch hier wurde der schwache feige Mann ihr bald zur Last. Ein Anschlag auf sein Leben durch eine Tasse vergifteter Schokolade scheiterte an seinem Argwohn, führte jedoch eine Trennung herbei. Jerome ging nach Rom mit der erhaltenen Versicherung, dass Corisande ihm, der inzwischen gänzlich verarmt war, sein Schweigen durch Ausbezahlung eines sehr freigebigen Jahresgehaltes abkaufen wolle, wobei er insbesondere noch die Bedingung zu erfüllen hatte, nie wieder nach Frankreich zurückzukehren. Im Laufe der Zeit aber hatte Jerome eine abergläubische Scheu und Furcht angewandelt, das Blutgeld noch länger zu beziehen. Er hatte sich bemüht, seinen Unterhalt selbst zu erschwingen. Vermöge seines Talents zur Malerei gelang es ihm auch am Ende, sich schlicht und recht, wenn auch kümmerlich zu ernähren, indem er als Porträtmaler von Stadt zu Stadt zog und gelegentlich auch Fächer und Ähnliches malte. Als freiwillige, sich selbst auferlegte Buße hatte er unter anderem auch auf einen solchen Fächer die Einsicht jenes Badehauses im Garten des Hotel Duravel zu Havre gemalt, dessen Bild seinem Gedächtnis mit unauslöschlichen Zügen eingeprägt war und seine schlaflosen Nächte, wie seine unruhigen Träume erfüllte. Es war sein Plan gewesen, diesen Fächer gelegentlich einmal ganz unversehens seiner verhärteten Mitschuldigen vor Augen zu halten und sie dadurch zu heilsamer Reue und Buße zu erschüttern, denn er hatte in Venedig zufällig erfahren, dass sie in Paris umgeben von allen Genüssen des Luxus und befriedigter Eitelkeit auf das Üppigste lebe, während er häufig mit bitterem Mangel rang. Endlich fühlte Jerome rasch seine Kräfte schwinden. Von Heimweh wie von einem gewissen Rachedurst getrieben, machte er sich auf den Heimweg nach Frankreich, ohne jedoch, wie wir gesehen haben, sein Vorhaben ganz ausführen zu können. Sein Pass und die Aufzeichnungen in dem Taschenbuch, das er einst seinem erschlagenen Bruder abgenommen hatte, setzten die Polizei in den Stand, seinen Zweck zu vollführen und es dahin zu bringen, dass diese moderne Klytämnestra nicht mit der religiösen Buße davonkommen sollte. Sie wurde vor die Geschworenen gestellt und überführt, an der Ermordung ihres Schwagers teilgenommen zu haben, obwohl sie die anfänglichen Geständnisse ihrer Schuld später wieder zurückgenommen hatte. Ihr Urteil lautete auf Todesstrafe durch das Fallbeil. Allein selbst dieser Richterspruch genügte nicht, das erbitterte Volk zu beschwichtigen, welches diese einst so bewunderte und beneidete Frau auf dem Rückweg vom Gerichtssaal zum Kriminalgefängnis zerrissen oder gesteinigt haben würde, wenn sie nicht ein zahlreiches Detachement Gendarmen geschützt hätte.

Die oberste richterliche Instanz oder der König oder irgend sonst jemand zögerte noch, das Todesurteil zu bestätigen, weil die Tatsache, dass die Verurteilte, obwohl intellektuelle Urheberin jenes Mordes, auch an demselben aktiven Anteil genommen habe, noch nicht genau erwiesen war. Nach den Aufzeichnungen ihres Gatten, deren Chiffren längst enträtselt waren, sollte Corisande dem Ermordeten selber die Schnur ihres Mantels um den Hals gelegt und ihn damit erdrosselt haben — eine rotseidene, mit Goldfäden reich durchwirkte Schnur. Es wurde daher nach Havre der Befehl erteilt, hierüber Näheres zu ermitteln und die Leiche auszugraben. Endlich kam die gewünschte Auskunft mit der vollen Bestätigung der Aufzeichnungen Jeromes. Beim Aufbrechen des Steinbodens in jenem Badehaus im Garten des Hotels Duravel fand man das flachgesprengte Heizgewölbe von Backsteinen darunter teilweise eingestürzt und unter dem Schutt und den Trümmern das modernde Gerippe eines Mannes, das noch die verhängnisvolle Mantelschnur um den Hals trug und an einem Ring an der Knochenhand und verschiedenen Resten von Stoffen der Kleidung als die Leiche von Claude Duravel identifiziert wurde.

Zwei Tage nach Eingang dieser Nachrichten wurde Corisande Duravel durch das Fallbeil enthauptet. Der Mord will immer an den Tag.

Ende

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