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Der Hexer GK 583

Robert Craven (Wolfgang Hohlbein)
Der Hexer
Im Schatten der Bestie

Horror, Grusel, Heftroman, Bastei, Bergisch-Gladbach, 13. November 1984, 64 Seiten, 1,60 DM, Titelbild: Les Edwards
Erschienen als Gespenster-Krimi Nr. 583

Wie oft nach einem schweren Sturm lag das Meer ruhig und schon fast unnatürlich glatt da. Es war still, und selbst das Geräusch des Windes, der die ganze Nacht lang um die Kanten und Grate der turmhohen Steilküste geheult und die Wellen in weißer Gischt an ihrem Fuß hatte zerbersten lassen, war verstummt, als die Sonne aufgegangen war. Der einzige Laut, der die Stille durchbrach, waren die Schritte der drei Männer, die sich vorsichtig an dem Rand der grauweiß marmorierten Wand näherten und in die Tiefe blickten. Das gigantisch graue Etwas, das sich lautlos der Küste genähert hatte und lauernd zwischen den Riffen lag, bemerkte keiner von ihnen …

Leseprobe

Bensens Hände waren blutig und schmerzten, als er den Strand erreichte. Der Abstieg war nicht sehr gefährlich gewesen; Bensen war an der Steilküste aufgewachsen und schon als Kind in den Wänden herumgeklettert, und der Fels fiel an dieser Stelle nicht so glatt und lotrecht in die Tiefe wie andernorts, sodass selbst ein weniger geübter Kletterer die fünfzig oder sechzig Fuß leicht hätte bewältigen können. Aber die scharfen Kanten und Grate der Kreidefelsen hatten seine Haut aufgerissen, und das Salz, das der Sturm wie einen glitzernden Panzer auf dem Felsen zurückgelassen hatte, brannte höllisch in den Wunden. Bensen klaubte sein Taschentuch hervor und wischte sich das Blut von den Fingern, während er darauf wartete, dass die beiden anderen ihm folgten. Norris kletterte geschickt und zügig über ihm den Felsen herab, während Mahoney noch immer Grimassen schneidend – und vor Angst zitternd – auf einem schmalen Felsvorsprung stand und sich offensichtlich nicht entscheiden konnte, ob er sich nun vor Angst in die Hosen machen oder einfach umkehren sollte. Das letzte Stück der Wand war das Schwierigste.

»Worauf wartest du, Floyd?«, rief Bensen. »Der Fels wird sich kaum in eine Treppe verwandeln, deinetwegen. Komm schon!«

»Ich … verdammt, ich kann das nicht!«, rief Mahoney zurück. »Ich bin nicht schwindelfrei, das weißt du doch. Ich kann da nicht runtersteigen.«

»Dann spring von mir aus!«, brüllte Bensen. »Ist doch nicht hoch. Und unten ist weicher Sand!«

»Springen?« Mahoney keuchte, und Bensen konnte selbst über die große Entfernung hinweg sehen, wie er noch blasser wurde, als er ohnehin schon war. »Bist du verrückt geworden? Das sind zwanzig Fuß!«

Bensen grinste, trat einen Schritt von der Wand zurück, um Norris Platz zu machen, und drehte sich achselzuckend um. Wäre es nach ihm gegangen, dann wäre Mahoney gar nicht erst mitgekommen. Aber Norris hatte darauf bestanden, ihn mitzunehmen, und vermutlich hatte er recht. Floyd Mahoney war vielleicht der größte Feigling, den es im Umkreis von hundert Meilen gab – aber er war auch der beste Taucher in Durness; sie brauchten ihn.

Vielleicht.

Norris landete mit einem federnden Satz neben ihm im Sand, richtete sich auf und betrachtete einen Moment lang stirnrunzelnd seine Hände, die genauso zerschunden und blutig waren wie die Bensens. Dann drehte er sich um und blickte auf das Meer hinaus. Die Windstille hielt weiter an, und die Ebbe hatte den Wasserspiegel sinken lassen, so dass der Strand jetzt breiter war, dreißig, vielleicht vierzig Fuß feuchtglänzender weißer Sand, wo während der Nacht weiße Gischt gekocht hatte. Zwischen Norris’ Brauen entstand eine tiefe Falte, die ihn älter und ernster aussehen ließ, als er war. »Nichts zu sehen«, murmelte er.

Bensen kramte eine Zigarette aus der Tasche und riss mit klammen Fingern ein Streichholz an, ehe er antwortete. »War es deine Idee oder meine, hierher zu kommen?«

Die Falte zwischen Norris’ Brauen vertiefte sich. »Verdammt, ich weiß schließlich, was ich gesehen habe«, sagte er unwillig. »Es ist hier.«

Bensen nahm einen tiefen Zug, hustete ein paarmal und schnippte die Zigarette mit einem Fluch in die Brandung. Der Rauch schmeckte bitter, und sein Atem ging noch immer keuchend und mühsam. Die kurze Kletterpartie hatte ihn doch mehr angestrengt, als er bisher gemerkt hatte. Norris verfolgte sein Tun mit gerunzelter Stirn, hütete sich aber, etwas zu sagen. Schweigend warteten sie, bis Mahoney mühsam und umständlich zu ihnen heruntergeklettert kam und sich zu ihnen gesellte. Sein Gesicht war bleich, und trotz der Kälte glitzerte feiner Schweiß auf seiner Stirn.

»Hat einer von euch eine Idee, wie wir wieder raufkommen?«, fragte er leise.

Bensen grinste. »So, wie wir runtergekommen sind, Floyd. Klettern.«

Mahoney wurde noch blasser, verbiss sich aber vorsichtshalber jede Antwort und blickte an Bensen und Norris vorbei auf die See hinaus. Die Wellen waren flach und kraftlos geworden, und selbst das Geräusch der Brandung war nur noch ein leises Murmeln, als hätte der Ozean seine ganze Kraft verbraucht.

»Ich sehe kein Schiff«, sagte er nach einer Weile.

»Es ist aber da«, antwortete Norris. Seine Stimme klang beinahe trotzig. »Ich hab’s ganz deutlich gesehen. Muss ein Drei- oder Viermaster gewesen sein. Er war in der Mitte durchgebrochen, aber man konnte …«

Bensen verdrehte die Augen und unterbrach ihn mit einer unwilligen Handbewegung. »Ist ja schon gut, Kleiner«, sagte er. »Wir glauben es dir. Außerdem«, fügte er nach sekundenlangem Überlegen und mit veränderter Stimme hinzu, »ist es ziemlich genau die Stelle, die mir dieser Verrückte beschrieben hat.« Er seufzte. »Fangen wir an.«

Norris löste schweigend die Schnallen seines Rucksackes und half Bensen, auch seine Last abzusetzen. Nur Mahoney rührte sich nicht.

»Was ist?«, knurrte Bensen unwillig. »Keine Lust?«

»Nicht die geringste«, antwortete Mahoney kopfschüttelnd. »Die Sache gefällt mir nicht, Lennard.« Er schürzte die Lippen, streifte nun doch den Rucksack von seinem Rücken und deutete mit einer Kopfbewegung auf das Meer hinaus. »Die See ist zu ruhig. Und es ist verdammt kalt.«

»Das soll im November ab und zu vorkommen«, erwiderte Bensen spitz. »Was ist los mit dir? Hast du Angst vor einem Schnupfen?« Er lachte. »Phillips zahlt jedem von uns fünfzig Pfund, Junge. Dafür kann man sich auch mal nasse Füße holen, oder?«

»Darum geht es nicht«, murmelte Mahoney. »Ich …« Er brach ab, seufzte hörbar und schüttelte noch einmal

den Kopf. »Mir gefällt die ganze Sache einfach nicht, das ist alles.«

Norris wollte etwas sagen, aber Bensen hielt ihn mit einem raschen, warnenden Blick zurück. Er wusste besser, wie er Mahoney zu behandeln hatte. »Mir auch nicht«, sagte er, so sanft, dass Mahoney überrascht aufsah. »Mir wäre auch wohler, wenn wir ein Boot und eine vernünftige Ausrüstung hätten, aber dafür bleibt uns keine Zeit. Dieser Phillips wird Himmel und Hölle in Bewegung setzen, wenn er erst einmal weiß, dass das Schiff noch hier liegt, und ich will das Wrack untersuchen, ehe er es kann.«

Mahoney nickte, aber die Bewegung war kaum wahrnehmbar, und Bensen spürte, dass er noch lange nicht überzeugt war. Sie hatten mehr als nur einmal darüber gesprochen. Eigentlich hatte es kaum ein anderes Thema gegeben, seit dieser sonderbare Mister Phillips und seine beiden noch sonderbareren Begleiter in die Stadt gekommen waren und angefangen hatten, Leute anzuheuern. Sie suchten ein Schiff. Ein Schiff, das vor einem guten viertel Jahr hier vor der Küste gesunken sein sollte. Und nach dem Aufwand, den sie trieben – und der Unmenge von Geld, die sie unter die Leute streuten – musste es an Bord dieses Schiffes etwas ziemlich Wertvolles geben. Norris, Mahoney und er waren nicht die einzigen, die auf eigene Faust nach dem Wrack suchten. Aber Norris war der Einzige, der das Glück gehabt hatte, im richtigen Moment am richtigen Ort zu sein und zu sehen, wie das vom Sturm aufgepeitschte Meer einen Teil des Wracks freigegeben hatte.

»Wenn es wirklich da unten liegt, kommen wir sowieso nicht ran«, murmelte Mahoney. »Das Wasser ist hier ziemlich tief, und die Strömung …«

»Versuch es wenigstens, Floyd«, unterbrach ihn Bensen. »Selbst wenn du nicht rankommst, können wir wenigstens die Prämie kassieren, oder?«

Mahoney nickte widerstrebend. Phillips hatte eine Belohnung von hundertfünfzig Pfund allein für den ausgesetzt, der das Schiff fand. Das Jahreseinkommen eines Arbeiters, dachte Bensen, nur für eine Information. Das Wrack musste mehr als nur einen Schatz bergen …

»Na gut«, sagte er schließlich. »Ich probier’s. Aber bildet euch bloß nicht ein, dass ich da runtergehe. Ich schwimme raus und sehe mich um, und das ist alles. Ich bin vielleicht ein bisschen blöd, aber nicht lebensmüde.«

»Das verlangt ja auch keiner«, sagte Norris rasch. »Wenn wir die genaue Lage wissen, besorgen wir uns ein Boot und eine anständige Ausrüstung. Dann sehen wir weiter.«

Mahoney bedachte ihn mit einem undeutbaren Blick, zog eine Grimasse und begann sich umständlich auszuziehen. Auch Bensen und Norris streiften rasch ihre Kleider ab und verstauten alles in den wasserdichten Rucksäcken, die sie mitgebracht hatten. Wenig später standen sie alle drei – nackt und in der Novemberkälte erbärmlich frierend – nebeneinander an der Flutlinie. Ein eisiger Hauch wehte ihnen von der Wasseroberfläche aus entgegen. Bensen schauderte. Plötzlich war er gar nicht so sicher, dass es wirklich eine gute Idee gewesen war, auf eigene Faust nach dem Wrack zu suchen.

»Viel Zeit haben wir nicht«, sagte Norris plötzlich. Bensen sah verärgert auf, schwieg aber, als er in die Richtung blickte, in die Norris’ Hand deutete. Über dem Horizont ballten sich schon wieder schwarze, drohende Gewitterwolken zusammen. Nichts Besonderes im November, dachte Bensen, und vielleicht harmlos. Aber es konnte genauso gut eine Fortsetzung des Sturmes bedeuten. Schaudernd dachte er an das Unwetter, das die ganze Nacht hindurch über der Küste getobt hatte. Wenn es wieder losging und sie dann noch im Wasser oder auch nur hier unten am Stand waren …

Er vertrieb den Gedanken, drehte sich zu Mahoney um und half ihm, das Seil um die Hüften zu schlingen und sicher zu verknoten.

Das Wasser war eisig. Bensen hatte das Gefühl, dass seine Beine entlang einer dünnen, rasch höher steigenden Linie absterben würden, als sie tiefer ins Wasser hineingingen. Durchscheinender grauer Dunst kräuselte sich von der Wasseroberfläche empor, und wie um es ihnen besonders schwer zu machen, lebte nun plötzlich der Wind auch wieder auf und schleuderte ihnen Kälte und brennendes Salzwasser in die Gesichter.

Norris und er blieben stehen, als sie bis zu den Hüften im Wasser standen, während Mahoney, rasch und ohne sich auch nur noch einmal umzublicken, weiterging. Bensen umklammerte mit steifen Fingern das Seil und sah zu, wie Mahoney weiterging, erst bis zur Brust, dann bis zu den Schultern und dann bis zum Hals im Wasser verschwand. Schließlich blieb auch er stehen und drehte sich, jetzt bereits Wasser tretend, noch einmal zu ihnen um.

»Haltet bloß das Seil fest«, sagte er. »Wenn ich euch ein Zeichen gebe, dann zieht ihr mich raus, klar?«

»Klar!«, schrie Bensen zurück. Instinktiv zog er das Seil straffer, bis er Widerstand fühlte. Die Strömungen an diesem Teil der Küste waren berüchtigt. Selbst ein so guter Schwimmer wie Mahoney konnte es nicht riskieren, ungesichert ins Wasser zu gehen.

Mahoney drehte sich wieder um, machte ein paar kräftige Züge und tauchte. Bensen ließ das Tau vorsichtig durch die Finger gleiten, während Mahoney unter Wasser weiter auf die Riffbarriere zu schwamm, die ein paar hundert Fuß vor der eigentlichen Küste unter der trügerisch glatten Oberfläche des Meeres lauerte. Es dauerte endlos, bis sein Kopf wieder durch den grauen Spiegel brach und er Luft holte, um erneut zu tauchen.

Bensen sah besorgt zum Himmel. Die Gewitterfront war nicht näher gekommen, aber er wusste, wie unberechenbar das Wetter gerade in diesem Teil der schottischen Küstenlandschaft war – was jetzt noch wie ein weit entferntes Herbstgewitter aussah, konnte in einer halben Stunde als tobender Orkan hier sein und das Meer in einen kochenden Hexenkessel verwandeln.

Das Seil in seinen Händen zuckte. Bensen schrak aus seinen Gedanken hoch, tauschte einen raschen, alarmierten Blick mit Norris und zog das Tau straff.

Mahoney tauchte wieder auf, winkte mit beiden Armen und atmete ein paarmal tief durch. Seine Lippen waren blau vor Kälte. »Es ist hier«, rief er. »Fast genau unter mir.«

»Bist du sicher?«, rief Bensen zurück.

»Ja!« Es war nicht nur die Kälte, die Mahoneys Stimme zittern ließ. »Ich kann es ganz genau sehen – es liegt auf der Seite. Die Reling ist keine zwei Meter unter Wasser. Gebt ein bisschen mehr Leine – ich gehe nochmal runter!« Ehe Bensen und Norris noch etwas sagen konnten, war er erneut getaucht.

Diesmal blieb er lange unter Wasser, länger als zwei Minuten, schätzte Bensen. Das Seil zuckte in seinen Händen, und ein paarmal glaubte er einen Schatten unter der Wasseroberfläche zu sehen, war sich aber nicht sicher.

Schließlich, als Bensen schon begann, sich Sorgen zu machen, tauchte Mahoney wieder auf. »Es ist hier«, rief er noch einmal. »Aber da ist noch etwas, Lennard. Ich …«

Eine grauweiße Fontäne schoss hinter ihm aus dem Meer. Mahoneys erschrockener Schrei ging im Toben und Gischten des Wassers unter. Ein mörderischer Ruck ging durch das Seil in Bensens Händen. Mahoney versank; so schnell, als würde er von irgendetwas unter Wasser gezogen.

Eine Sekunde später tauchte er keuchend wieder auf, warf sich auf den Rücken und begann aus Leibeskräften zu schreien. »Holt mich raus!«, brüllte er. »Um Himmels willen, zieht mich raus!« Sein Gesicht war verzerrt. Bensen sah, wie sich sein Mund zu einem lautlosen Schrei öffnete, dann zerrte irgendetwas mit furchtbarer Kraft an dem Seil und riss ihn nach vorne; gleichzeitig verschwand Mahoney wieder. Weiße Gischt und Luftblasen markierten die Stelle, an der er versunken war.

Bensen stemmte sich mit aller Gewalt gegen das Seil, während Norris am anderen Ende des Taus zerrte, mit dem Mahoney gesichert war.

Trotzdem wurden sie weiter und weiter ins Meer hineingezogen. Bensen spreizte die Beine, warf sich zurück und spannte die Muskeln, aber seine Füße fanden auf dem lockeren Sand des Meeresgrundes keinen Halt; er stolperte, fiel halbwegs nach vorne und taumelte Schritt für Schritt tiefer ins Wasser hinein. Neben ihm schrie Norris vor Schrecken und Angst, aber das hörte er kaum.

Dort, wo Mahoney versunken war, schien das Meer zu kochen. Weißer Schaum brach sprudelnd an die Oberfläche, dann erschien Mahoneys Hand, zu einer Kralle verkrampft, als suche er verzweifelt nach Halt. Etwas Grünes, Formloses griff plötzlich nach ihr, ringelte sich wie eine Peitschenschnur um sein Handgelenk und zerrte den Arm mit einem brutalen Ruck wieder unter die Wasseroberfläche.

Der Anblick gab Bensen neue Kraft. Mit einer verzweifelten Anstrengung warf er sich zurück und zerrte und zog mit aller Gewalt am Seil. »Zieh, Fred!«, keuchte er. »Verdammt, zieh ihn raus! Das muss ein Oktopus sein oder sonst was!«

Es war ein bizarrer, unwirklicher Kampf. Bensen wusste hinterher nicht mehr, wie lange er gedauert hatte

– Sekunden, Minuten, vielleicht auch Stunden. Das Meer kochte und schäumte dicht vor ihnen, und ein paarmal tauchte Mahoneys Kopf aus dem Wasser auf, umschlungen von etwas Grünem und Großem, das mit schleimigen Tentakeln nach seinen Augen und seinem Mund tastete. Bensen spürte, wie seine Hände erneut aufrissen und wieder zu bluten begannen, aber er missachtete den Schmerz und stemmte sich weiter gegen den mörderischen Druck, der auf dem Seil lastete.

Und dann war es vorbei. Bensen spürte, wie sich das Seil noch einmal in seinen Händen spannte, ihn mit mörderischer Kraft ins Meer hineinzuzerren versuchte – und riss!

Sein erschrockener Schrei erstickte, als er das Gleichgewicht verlor und nach hinten fiel. Er tauchte unter, schluckte Wasser und schlug einen Moment in blinder Panik um sich, ehe es ihm gelang, den Kopf über die Wasseroberfläche zu bekommen und Luft zu holen. Er keuchte, fand wieder festen Grund unter den Füßen und spie Wasser und bittere Galle aus. Für einen Moment begannen sich das Meer, die Küste und der Himmel um ihn zu drehen und einen irren Veitstanz aufzuführen. Die Kälte kroch weiter in seinen Körper

herein und lähmte ihn, und …

und dann berührte etwas seinen rechten Fuß!

Bensen schrie gellend auf. Die Berührung war schleimig und weich, aber trotzdem von ungeheurer Kraft, und es war das Ding, das Mahoney umgebracht hatte!

Mit einer verzweifelten Bewegung riss Bensen seinen Fuß von dem schleimigen weichen Etwas weg, warf sich nach vorne und schwamm los, so schnell er konnte. Wieder schluckte er Wasser und hustete, aber er schwamm trotzdem weiter, kraulte, so schnell wie noch nie zuvor in seinem Leben. Die letzten zehn, fünfzehn Yards legte er auf Händen und Knien kriechend zurück.

Norris und er erreichten das Ufer nahezu gleichzeitig. Minutenlang blieben sie beide liegen, keuchend und bis zum Zusammenbruch erschöpft, unfähig, auch nur noch einen Schritt zu tun oder sich zu rühren. In Bensens Ohren rauschte das Blut. Er zitterte vor Kälte, und sein Herz hämmerte, als wolle es jeden Moment zerspringen.

Norris wälzte sich mühsam auf den Rücken, stemmte sich ächzend in eine halb sitzende Position hoch und zog die Knie an den Körper. Er zitterte. Seine Zähne schlugen vor Kälte klappernd aufeinander. »Mein Gott, Lennard«, stammelte er. »Er … er ist tot. Mahoney ist tot. Er ist … er ist ertrunken.«

Auch Bensen richtete sich wieder auf. Die Kälte war qualvoll, und der Wind schnitt wie mit unsichtbaren Messern in seine Haut, aber schlimmer als die äußere Kälte war das eisige Gefühl, das sich langsam in seinem Inneren auszubreiten begann. Mühsam hob er die Hand, rieb sich das Salzwasser aus den Augen und atmete rasselnd ein.

»Nein«, sagte er, ganz leise, aber sehr entschieden. »Er ist nicht ertrunken, Fred.«

Norris sah ihn verstört an, schluckte ein paarmal und sah wieder auf das Meer hinaus. Das Wasser hatte aufgehört, zu brodeln. Der Ozean lag trügerisch ruhig da, wie ein großes, glattes Grab.

»Er ist nicht ertrunken, Fred«, sagte Bensen noch einmal. Wieder schwieg er einen Moment, ballte die Faust und blickte dahin, wo Mahoney versunken war. »Irgendetwas hat ihn umgebracht«, sagte er und ballte die Faust. »Und ich schwöre dir, dass ich herausfinden werde, was.«

Norris’ Blick flackerte. Sein Gesicht war so weiß wie der Strand, auf dem sie hockten, und sein Atem ging noch immer schnell und unregelmäßig. »Und … wie?«, fragte er.

»Phillips«, knurrte Bensen. »Dieser Phillips wird es wissen.« Er stand auf, stutzte einen Moment und bückte sich wieder. Ein dünner, grauer Faden, wie ein Stück schon halb verfaulter Seetang ringelte sich um seinen rechten Fußknöchel, genau da, wo er die Berührung gespürt hatte. Bensen schauderte, als der Anblick noch einmal die Erinnerung an das schleimig-weiche Gefühl in ihm erweckte. Hastig bückte er sich, streifte das Ding ab und rieb sich angeekelt die Finger im Sand sauber. Dann richtete er sich auf.

»Komm«, sagte er. »Gehen wir, ehe der Sturm losbricht. Ich habe ein paar Fragen an diesen Mister Phillips.«

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