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Der Welt-Detektiv Band 6

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Die Plauderstube – Der Fächer Kapitel 1

Der Fächer
Eine Kriminalgeschichte

I.

Vor etwa siebzig Jahren stand unter der Kaufmannschaft von Havre de Grace kein Name in höherem Ansehen, wie der Name Duravel. Der Gründer dieses Hauses war zu der Zeit, wo wir unsere Geschichte anheben, soeben gestorben. Die Firma Claude Duravel & Söhne« hatte sich demgemäß geändert in Gebrüder Duravel, allein trotzdem war der Kredit dieses Hauses nicht einmal durch hämische Vermutungen erschüttert worden. Claude, der ältere der beiden Söhne, hatte nämlich schon seit einigen Jahren das Geschäft geleitet. Nichts konnte die Behutsamkeit, Umsicht und den Unternehmungsgeist in den Geschäften übertreffen, welche das Haus unter seiner Leitung machte, als das glänzende und solid fundierte Vermögen, welches die Mittel zu diesen Geschäften lieferte. Kurzum, die Duravel waren sprichwörtlich geworden wegen ihres gediegenen Charakters, ihrer freigebigen Wohltätigkeit und ihres seltenen Glückes. Man hätte glauben können, sie haben in dieser Hinsicht einen Talisman. Alles was sie angriffen, gelang ihnen. Wurden ihre Fahrzeuge von englischen Kaperschiffen verfolgt, so kam ihnen gewiss irgendein gelegener Nebel oder ein befreundeter Engel zu Hilfe, um sie zu befreien. Litten ihre Fahrzeuge Schiffbruch, so geschah es gewiss auf der Ausfahrt, und Wegen der bedeutenden Assekuranz, welche sie daraus genommen hatten, waren es dann nur die Versicherer, welche den größten Verlust erlitten. Alle Handelskrisen gingen an den Duravel spurlos vorüber. Keine treulosen Kommis bestahlen sie, und jeder Bankrott schien von den Häusern fern zu bleiben, denen sie kreditierten.

Obwohl das Lebensschiff beider Brüder unter solch günstigen Auspizien vom Stapel gelaufen schien und die Beobachter keine wesentliche Veränderung wahrnahmen, so war doch in dem Kontor nicht mehr alles so, wie es vordem gewesen war. Die beiden Bruder Claude und Jerome waren nicht nur an Jahren, sondern auch an Charakter sehr voneinander verschieden, obwohl die hervorstehenden und bezeichnenden Eigenschaften des jüngeren Bruders zu seines Vaters Lebzeiten nicht so sehr hervorgetreten und zur Erscheinung gekommen waren. Claude seinerseits schien niemals jung gewesen zu sein. Der aufmerksamste Beobachter konnte sich keiner Jugendstreiche und Jugendtorheiten erinnern, welche Claude Duravel je begangen hätte. Sein Austoben hatte seinen ernsten und regelmäßigen Fortschritt durch eine Reihe von untergeordneten Posten bis zu der Stelle eines Chefs des Hauses unterbrochen. Auch von Person war er das getreue Ebenbild seines Vaters, dessen Porträt mit seinen schmalen Lippen, dem scharfen Profil, der vorspringenden Stirn und dem eisgrauen Haar ebenso gut für ein Konterfei seines Sohnes und Namensbruders hätte gelten können. Jerome, der jüngere Sohn, welcher ganz von seinem Vater und Bruder erzogen worden war, hatte einige Familienähnlichkeit mit beiden, zeigte jedoch ab und zu auch Spuren eines leidenschaftlichen feurigen Temperaments, welches sich hauptsächlich in heftigen Ausbrüchen von Eigensinn kundgab. Inkonsequent, unschlüssig und wankelmütig, wie er war, gab er jedoch meist aus freien Stücken dasjenige wieder auf, für was er sich kurze Zeit vorher begierig gestritten hatte. Außerdem strafte Jeromes Gesicht den Charakter eines tüchtigen Geschäftsmannes lügen. Er hatte zwar dieselben scharfen und eckigen Züge der beiden Claudes, aber sein Mund war voll und sinnlich, seine Augenbrauen stießen über der Nase zusammen, was – wie schon Goethe bemerkte – das unzweideutige Merkmal eines sinnlichen, ausschweifenden Temperaments sein soll.

Die beiden Brüder wohnten in demselben Haus, einem großen, stattlichen Hotel, das inmitten eines schönen, mit Bildsäulen, Badehäusern, Fontänen, Lusthäusern, Laubengängen usw.. reich geschmückten Gartens in italienischem Stil lag und allgemein als das Hotel Duravel bekannt war. Vier Jahre lang nach des Vaters Tod blieben beide unvermählt und schienen so einmütig miteinander zu leben, dass man selbst im Kontor nicht von dem geringsten Wortwechsel zwischen beiden wusste. Allein die Sachen sollten nicht immer auf solch ruhige und gemütliche Weise verlaufen. Eines Abends, auf einem Ball zu Ehren des glänzendsten Sieges, den der erste Konsul erfochten hatte, machte Jerome die Bekanntschaft einer gewissen Madame Corisande de Corbillac, welche erst seit Kurzem in den glänzenden Kreisen von Havre erschienen war. Das Gerücht wusste gar seltsame Dinge über den Lebenswandel dieser Dame und ihre Vergangenheit in der Hauptstadt zu berichten. Wie viel davon wahr, sei dahingestellt; so viel war jedoch gewiss, dass sie sich prächtig kleidete, erbarmungslos kokettierte, über die Maßen spielte und sonach die letzte Person war, mit welcher ein vorsichtiger Geschäftsmann eine Verbindung angeknüpft hätte. Nicht weniger zuverlässig war jedoch die Tatsache, dass kaum sechs Wochen nach dem Ball zu Ehren der Schlacht von Marengo diese zweideutige Dame, mit Einwilligung und Billigung Claudes die Gattin von Jerome Duravel wurde. Diese Einwilligung und Zustimmung des älteren Bruders war jedoch nichts so Befremdendes; er gab dem jüngeren Bruder nur nach, weil er nicht anders konnte, denn seit Jerome die Bekanntschaft der alles bezaubernden Corisande gemacht hatte, begann er ungemein hoch zu spielen. Der Kreis, in welchen er eingeführt wurde, bestand aus lauter leichtsinnigen Strudelköpfen, welche nur dem Vergnügen nachjagten. Die Schmeicheleien, womit man ihn überhäufte, berauschten ihn und brachten ihn in Versuchung, enorme Summen auf das Rollen des Kügelchens im Roulette oder auf das Glück der Karten im Landsknecht zu setzen. Anfangs war das Ergebnis in beiden dasselbe: Corisandes Freunde verloren stets und der Kaufmann gewann immer. Nach einiger Zeit schlug jedoch das launische Glück um und wandte sich so sehr gegen den Kaufmann, dass er ganz in Verzweiflung geriet. Hierauf kam ihm die genannte Tante zu Hilfe und unternahm es, für ihn zu spielen. Wie durch Zauberschlag gingen die Goldrollen und die Haufen Banknoten auf die Seite des Tisches über. Kurzum, es war der alte Streit zwischen List und Tücke einer- und Unwissenheit und Kurzsichtigkeit andrerseits, und die Ersteren gewannen wie gewöhnlich das Spiel. Obwohl Corisande anfangs es unternommen hatte, für Jerome zu spielen, so wurde er durch die Gewinne seiner reichen Partnerin nicht reicher. So oft er lächelnd um Ausfolge seines Gewinnanteils bat, wurde dies gewandt ins Scherzhafte hinübergespielt und lachend abgelehnt. Das Verlangen der Pariserin an kostbaren Geschenken war unersättlich, und Jerome, der sich hoffnungslos in die Netze dieser Frau verwickelt fühlte, musste nach einiger Zeit nichts Besseres zu tun, als seinem Bruder Claude die ganze Wahrheit einzustehen. Gerade in diesem Augenblick befand sich das Haus zum ersten Mal seit dreißig Jahren in einer kritischen Lange. Bares Geld war von der größten Wichtigkeit, und nur ein einziger Plan schien ausführbar. Die verlorenen Summen konnten durch eine Verbindung mit der Gewinnerin derselben wieder erlangt werden. Und so heiratete denn Jerome Madame Corisande mit Claudes Zustimmung und Einwilligung.

Allein der Geschäftsteilhaber, welcher einmal den Rausch des Hasardspiels gekostet hatte, war nicht wieder an das langsame Werk des ehrlichen Handels und Wandels zurückzubringen. Der ältere Bruder hatte ihm ein Versprechen abgenommen, dass er nie wieder ein Spielhaus betreten oder mehr als eine bedungene Summe von Franc auf ein Kartenspiel wagen wolle. Allein all diese Vorsichtsmaßegeln waren vergeblich. Die schlaue Madame Duravel war sogleich mit diesen Anordnungen einverstanden und riet dem älteren Bruder sogar noch, er solle sich ein möglichst sicherstellendes Pfand für die Erfüllung seiner Zusage von Jerome geben lassen, aber hierdurch wurde eigentlich nur das Mittel oder die Art und Weise ihrer Operation gewechselt. An die Stelle der Karten traten nun die Staatspapiere: Jerome und seine Frau spielten nicht mehr – sie spekulierten.

Für das kalte berechnende Temperament dieser Frau hatten die ungeheuerlichen Wagnisse kaum etwas Aufregendes. Die Qualen der Erwartung aber und die Rückschläge wilder Hoffnung und tiefer Verzweiflung entflammten das ungestüme Temperament Jeromes wie feuriger Wein. Unter falschen Namen und durch verschiedene Agenten kauften und verkauften sie alle möglichen Staatspapiere. Eine Zeit lang schien Corisandes Glück im Steigen; allein nach kurzer Frist war jene schmale und kaum bemerkbare Schranke überschritten, welche den Unternehmungsgeist von der Tollkühnheit scheidet. Unbesonnen und rastlos wagten sie immer mehr, ein Unternehmen um das andere schlug fehl. Die Tagespolitik war voll unvorhergesehener Umstände und Überraschungen. Eine abergläubische Zuversicht auf den Glücksstern Napoleons war beinahe der einzige leitende Grundsatz in Corisandes Glauben gewesen, und sie hing noch lange, nachdem er sich als treulos bewährt hatte, demselben an. Mittlerweile halte Claude Duravel, ohne jegliche Ahnung von den Ereignissen, die sich unter seinen Augen zutrugen, fortwährend, sich emsig und regelmäßig seinen Kontorgeschäften gewidmet und den Pflichten Genüge geleistet, welche ihm die Leitung des Handelshauses übertrug. Mit der Beobachtung des Standes der großen Warenmärkte und des Geldmarktes sowie mit der Überwachung der auswärtigen Korrespondenz und der Treue des Personals war er so vollauf beschäftigt, dass er sich nicht um das Treiben seiner Schwägerin bekümmern konnte. Ohnehin lebten die Brüder seit Jeromes plötzlicher Verheiratung beinahe ganz getrennt. Das junge Ehepaar bewohnte noch immer eine Reihe von Gemächern im Hotel Duravel, aber kam nur selten und nur bei besonderen Anlässen in gesellige Berührung mit dem Chef des Hauses. Corisande hatte es sich aus Politik sehr angelegen sein lassen, mit Claude in gutem Einvernehmen zu bleiben und sich seine gute Meinung zu erhalten. In Berücksichtigung der stärksten Vorurteile seiner Natur, die sie dabei zu überwinden hatte, gelang ihr dies auch ausnehmend gut. Er hatte diese Verbindung anfangs mit Schauder betrachtet und sich erst etwas freundlicher stimmen lassen, als sich dadurch der Firma ein solch bedeutendes Vermögenszuwachs darzubieten schien. Er lebte zu einsam und abgeschlossen, als dass ihm die vielerlei Gerüchte die über seine Schwägerin im Umlauf waren, zugekommen wären. Er hegte eine absolute Verachtung gegen Spieler, aber Spieler waren in seinen Augen nur diejenigen, welche verloren. Ein solch glänzendes und augenfälliges Glück, wie dasjenige Corisandes, flößte ihm unwillkürlich etwas wie Achtung ein. Unter so bewandten Umständen nahm die Feindseligkeit zwischen beiden die artige Form einer schlauen behutsamen Neutralität an. Und diese ging allmählich in artige, wenn auch nicht herzliche Beziehung über. Madame Corisande wusste ja auf jedermann ihren Zauber zu üben. Wie ist da zu verwundern, dass ihr der Versuch erst recht gelingen musste, wenn sie es speziell darauf abgesehen hatte, jemand für sich einzunehmen?

So schlichen die Dinge fünf Jahre lang hin, äußerlich anscheinend ruhig und sicher; aber niemand vermöchte in Worte zu fassen, welche seltsame und urplötzliche Wechselfälle von Todesangst und milder Freude in dieser Frist durch Jeromes Seele zogen!

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