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Neue Gespenster – 19. Erzählung

Samuel Christoph Wagener
Neue Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit
Erster Teil

Neunzehnte Erzählung

Der spukende Bär in Friedrichshall

Als Carl der Zwölfte, Schwedens unsterblicher König, im Winter des Jahres 1718 die norwegische Stadt Friedrichshall belagerte, ließ sich einst des Nachts zwischen zwölf und ein Uhr in der belagerten Stadt nicht weit vom Pulverturm ein großer Bär sehen. Seine fürchterliche Stimme und seine Annäherung vertrieb gewaltsam jede Schildwache von ihrem Posten und die heftig erschrockenen Krieger rannten atemlos der Wache zu, mit der Meldung, der Teufel treibe beim Pulverturm sein Unwesen in Bärengestalt.

Die Pflichtvergessenen wurden sogleich in Ketten gelegt und ein Unteroffizier musste sogleich die neue Ablösung dahin führen. Aber auch dieses Kommando samt seinem Anführer nahm die Flucht und wollte noch obendrein bemerkt haben, dass das Ungeheuer gerade auf sie zugekommen sei und Feuer aus dem entsetzlichen Rachen gespien habe.

Nun sollte ein Offizier mit hinlänglicher Mannschaft die ärgerliche Erscheinung genauer untersuchen; allein bei ihrer Ankunft fand sich von dem Unhold auch nicht die geringste Spur mehr. Wahrscheinlich war er entwichen, weil die Glocke schon eins geschlagen hatte, denn bekanntlich lassen der Teufel und seine Spießgesellen sich bloß zur Stunde der Gespenster sehen.

Gleich am anderen Morgen ließ der strenge Kommandant, den Buchstaben der Kriegsartikel gemäß, jene vom Posten gelaufenen Soldaten, so wie die, welche als Kommandierte dahin gegangen waren, den Unteroffizier nicht ausgenommen, durch den Strang hinrichten. Sie alle behielten noch sterbend die Überzeugung, dass sie den Teufel gesehen hätten.

Als die Wachparade aufzog und den Soldaten wie gewöhnlich die verschiedenen Posten, worunter auch der am Pulverturm war, zugeteilt wurden, konnten diejenigen, welche die Nummern 1 bis 11 erhalten hatten, durch nichts in der Welt bewogen werden, ihre Pflicht zu tun.

»Da wir«, sagten sie, »die Wahl haben, uns entweder vom Teufel den Hals umdrehen oder ihn vom Strickreiter zuschnüren zu lassen, so wollen wir lieber durch die Hand des Letzteren sterben, als in die fürchterlichen Klauen des Beelzebub fallen.«

Der Kommandant, der alle seine Soldaten kannte, forderte daher die unerschrockenen Leute auf und versprach jedem zwölf Dukaten und eine Unteroffiziersstelle, der den mitternächtlichen Posten am Pulverturm übernehmen werde. Nach langem Schweigen meldeten sich zu den zwei Posten an der Vorder- und Hinterseite des Turms zwei handfeste Pommern, jedoch mit der unablässigen Bedingung und unter der Voraussetzung, dass jeder Posten diesmal aus zwei Mann bestehen müsse und sich also noch ein Paar Kameraden dazu einfänden. Dies Letzte geschah, und die vier braven Männer zogen auf den Posten, nachdem sie die Muskete mit doppelten Kugeln geladen und die Hähne daran mit neuen, scharfen Steinen versehen hatten.

Die ganze Besatzung war in der furchtbarsten Erwartung, die immer höher stieg, je näher die schreckliche Geisterstunde kam. Auf keiner Pritsche wurde geschnarcht, kein Unteroffizier erzählte von seinen Kriegstaten, kein Tambour machte Possen.

Allenthalben herrschte ein düsteres Schweigen. Am Pulverturm selbst machten die vier Posten ihren Gang mit großen Schritten und beteten laut ihr Vaterunser.

Die fürchterliche Stunde schlug und an ihren letzten Ton schloss sich in der Ferne ein dumpfes Brummen an. Bald darauf zeigte sich der schwache Schimmer eines Feuerglanzes. Das Brummen wurde immer grauenvoller und der Bär erschien. Ohne seine völlige Ankunft abzuwarten, ergriffen zwei Posten die Flucht, der dritte, ein Pommer, stürzte, indem er das Gewehr anlegte, zu Boden und brach den Arm. Nur der vierte, sein Landsmann, feuerte das Gewehr ab. Allein er hat entweder gefehlt oder gestreift oder was ihm in diesem entscheidenden Augenblick das Wahrscheinlichste wurde – es ging die altbekannte Behauptung in Erfüllung: Gespenster können nicht verwundet werden.

Nun ging der fürchterliche Bär mit entsetzlichem Brummen auf ihn los und der Soldat suchte das Weite.

Der Kommandant hatte den gemessenen Befehl gegeben, dass ihm über den Hergang dieser Nacht augenblicklich Bericht erstattet werden solle.

Man fertigte einen Unteroffizier ab. Ehe jedoch dieser wiederkam, entschloss sich ein alter Hauptmann, dem Gespenst entgegen zu ziehen. Er befahl einem Feldwebel, ihm zu folgen; dieser aber weigerte sich, und nur der gezogene Degen des Hauptmanns brachte ihn zum Gehorsam. Ehe er abging, bewaffnete er sich mit einem Beil. In die Scherpe steckte er eine scharf geladene Pistole; der Feldwebel aber konnte seine Partisane (sein Kurzgewehr), behalten. Überdies stellte er in kleinen Zwischenräumen zum Pulverturm zu Posten aus, damit sie auf seinen Siegesschuss desto geschwinder herbeieilen könnten. Der Brave ging nun voran, und der Feldwebel folgte ihm. Als er dem gefährlichen Platz näher kam, sah er an der Tür des Pulverturms einen kleinen Schimmer.

Er eilte schneller: »Hurtig, Kamerad!«, rief er leise, »dies ist ein Teufel eigener Art! Geschwind, aber leise!«

Es gelang ihm, sich unbemerkt nahe an den Turm zu schleichen. Rasch versetzte er dem Bären, der an der Tür des Turms hantierte, auf den Kopf einen Schlag mit dem Beile, wovon die Bestie stürzte.

»Die Partisane an den Hals gesetzt, aber nicht eher zugestoßen, bis er sich regt!«, befahl der Hauptmann dem Feldwebel und schoss hierauf seine Pistole ab. Sogleich kamen mehrere Soldaten mit Fackeln und Laternen herbei.

Der Bär, welcher noch lebte, wurde seiner Haut beraubt. Es zeigte sich ein handfester Schwede, versehen mit Dietrichen und Brecheisen. Er hatte das Feuerspeien durch das in den Mund genommene brennende Ende einer Lunte bewirkt. Mit eben der Lunte hatte er den Pulverturm in die Luft sprengen wollen.

Der Kommandant ließ ihn am folgenden Tag in der Bärenhaut aufhängen. Der herzhafte Hauptmann aber bekam auf der Stelle das Patent als Major; der Feldwebel das eines Fähnrichs.

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