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Der Welt-Detektiv Band 6

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Die Blume der Prärie – Die Schwestern

Gabriel Ferry
Die Blume der Prärie
oder die deutschen Kolonisten an den Ufern des Colorado
Grimme und Leipzig, Druck und Verlag des Verlags-Comptoirs, 1852

Sechstes Kapitel

Die Schwestern

Die Erzählung des Hausierers von der Annäherung einer jener gefürchteten Banden, welche mehr als ein Jahrzehnt hindurch der Schrecken der texanischen Pflanzer wären, hatte die Bewohner von Mertenshaus zwar mit Besorgnis, aber keineswegs mit der panischen Furcht erfüllt, welche die Leute auf den kleinen Pflanzungen bei ähnlichen Gerüchten fast zur Verteidigung unfähig machte.

Mertenshaus, auf der Höhe eines Hügels, der die Umgegend beherrschte, mit Munition, Waffen und sogar mit sechs kleinen Geschützen versehen, mit einer starken, doppelten Fenz umgeben und von etwa vierzig wehrhaften Männern unter der Leitung des Hauptmanns und des alten Trappers verteidigt, hatte so leicht nichts von einem Überfall zu befürchten und konnte höchstens durch Verrat oder einen jener unglücklichen Zufälle fallen, welche das Schicksal der Schlachten beherrschen.

Außerdem hatte Tartaruga eine nicht zu verachtende Verstärkung durch indianische Streitkräfte versprochen und sogleich einen seiner Begleiter zum nur zwei Tagereisen entfernten Sommerlager der Komantschen abgesandt, um eine Abteilung seiner besten Krieger zum Schutz der Pflanzung herbeiholen zu lassen.

So verließ die Gesellschaft nach einer heiteren Unterhaltung, und ohne dass der unhöflichen Entfernung des Majors weiter gedacht worden wäre, den Saal nach dem gefassten Beschluss, dass die Familie, mit Ausnahme des Hauptmanns, nach­dem die indianischen Gäste einen Tag in Mertenshaus zugebracht hatten, die gastfreundliche Einladung Tartarugas annehmen und den Häuptling in sein Dorf begleiten solle und verfügte sich zur Ruhe, jedoch nicht ohne dass vorher der Häuptling seinen indianischen Stolz tief demütigt und mit europäischer Galanterie seine Lippen mit einem leuchtenden Blick auf die weiße Hand der tief errötenden Louise gedrückt hätte.

Als die Schwestern ihr Allerheiligstes erreicht hatten, das kleine lauschige Gemach, wo sie abends ihre geheimsten Gedanken austauschten und des Nachts Bett an Bett, nur durch die dünnen Moskitonetze getrennt, von allem Lieblichen und Süßem träumten, was ahnungsvoll die erwartungsreichen Herzen der Mädchen erfüllt, als Louise, schnell vor den Spiegel tretend, die tiefe Röte zu verbergen versuchte, die der Handkuss des indianischen Häuptlings auf ihren Wangen zurückgelassen hatte. Als die heitere Anna eilfertig und lachend sich der leichten Gewänder zu entledigen begann, um sich frei und ungefesselt in der duftigen Abendkühle zu dehnen, begann die Letztere wie gewöhnlich die abendliche Unterhaltung.

»Ich gratuliere, Schwesterchen, zur Huldigung Seiner Hoheit, des Prinzen Tartaruga«, sagte sie mit komischem Ernst, die von Neuem errötende Schwester mit sanfter Gewalt umdrehend. »Ich hoffe wenigstens Hofdame am Hof der indianischen Majestät zu werden, wenn …«

»Pfui, Ännchen! … Solche Scherze! … Ein Indianer!«, antwortete Louise mit einer allerliebsten kleinen, schmollenden Miene, in welche sie sich vergebens einen gewissen Ausdruck zu legen bemühte, ungefähr wie eine deutsche Prinzessin, der eine vertraute Hofdame vorlaut von der zärtlichen Huldigung eines Krautjunkers erzählt.

»Nun? … Allerdings ein Indianer, aber ein indianischer Fürst … eine rothäutige Durchlaucht … aber ein zivilisierter Indianer, ein Mann von Bildung, der Paris und London gesehen hat … und ein schöner Mann dazu … Hu! Mit welchen ver­kohlenden Blicken er sich ansah … Du glückliche Schwester.«

»Spotte nicht, Ännchen! … Tartaruga ist in der Tat ein großartiger und erhabener Charakter …«

»Schwesterchen! Schwesterchen!«

»Er ist kein gewöhnlicher Mensch … Bedenke, welcher Heroismus dazu gehört, sich von der niedrigen Stufe der indianischen Zivilisation zu diesem hohen Bildungsgrad aufzuschwingen.«

»Bravo! Louise! Ich habe Aussicht auf die Hofdamenstelle!«

»Ich achte und schätze ihn … Sein indianischer Ursprung hat Berge zwischen uns gelegt … aber offen gestanden, selbst als Indianer scheint er mir größer und edler als alle übrigen Männer, die ich bisher kennen gelernt habe … selbst als Horst …«, fügte sie mit einem kleinen boshaften Lächeln hinzu.

Nun war die Reihe des Errötens an Ännchen gekommen.

»O, der gute, ehrliche Horst, ihn mit einem Indianer zu vergleichen … Ich werde es ihm wieder erzählen, Schwester Louise!«

»O, erzähle es ihm nur, er wird sich geschmeichelt fühlen durch diesen Vergleich, der gute, ehrliche Horst! Aber ich glaube, ich habe mehr Aussicht, der Schwager dieses liebenswürdigen Landsmannes zu werden, als du zu einer Hofdamenstelle am Hofe Tartarugas!«

»Glaubst du etwa, ich liebe ihn?«, antwortete Anna, wie eine Päonie erglühend.

»Ich weiß nicht, Ännchen! … Aber jedenfalls liebt er dich. Du kennst das alte deutsche Sprichwort: Was sich liebt, das neckt sich, und da du den guten ehrlichen Horst sehr oft …«

Anna presste lachend das kleine Händchen auf den rosigen Mund der ernsteren Schwester.

»Und warum solltest du ihn nicht lieben …?«

»O, höre auf, Schwester Louise … Horst ist zu ernst, zu gesetzt für mich … ich will einen lustigen Mann …«

»Vielleicht den Major, der dir heute Abend …«

»Und er hat dir nicht weniger Aufmerksamkeit erwiesen. Aber Prrr! Da wollte ich zehntausend Mal lieber den guten Horst oder als alte Jungfer ins Himmelreich eingehen, als diesen Mann mit dem finsteren Blick und dem wilden Gesicht.«

Der Major war ein Mann von regelmäßigen und nicht unschönen Zügen, aber das Gewerbe des Abenteurers hatte ihm den wilden Ausdruck verliehen, den die moralische Verwilderung stets auf den physiognomischen Ausdruck überzutragen pflegt und der antipathisch auf reine Naturen zurückwirkt.

»Er ist ein erfahrener und gebildeter Mann!«, bemerkte ruhig die ältere Schwester.

»Mir graut vor ihm. Ich glaube wirklich, der lustige Giroflée hat recht, wenn er behauptet, ihn bei den Räubern gesehen zu haben.«

»Der lustige Giroflée ist ein Schwätzer!«, antwortete abbrechend Louise. »Aber sage mir, um von etwas anderem zu sprechen, wie gefällt dir unsere bevorstehende Reise?«

»O ich freue mich … ich freue mich! Mit welcher Grazie wird die rothäutige Durchlaucht die Honneurs machen und dir die Herrlichkeiten seiner prachtvollen Hauptstadt zeigen …«

»Und Horst in ehrerbietiger Zärtlichkeit an deiner Seite reiten, ohne einen Blick von den Hufen deines Pferdes zu verwenden.«

»O, Horst ist ein aufmerksamer Caballero. Aber wenn dann plötzlich aus irgendeinem Dickicht der Major an der Spitze einer weißen Bande hervorbräche, um eine von uns beiden mit Gewalt in seine Höhle zu bringen?«

»Dann würdest du Gelegenheit haben, den Heldenmut Tartarugas zu bewundern!«

»Glaubst du, dass der gute, ehrliche Horst mich – ich wollte sagen, uns –, so mir nichts, dir nichts entführen lassen würde?«

Anna hatte unterdessen ihre Nachttoilette beendet und war, die Moskitovorhänge zurückziehend, geräuschlos ins Bett gehuscht, während Louise zum Fenster getreten war, das in einen Rahmen von duftenden Schlingpflanzen eingefasst, die Aussicht auf die Terrassen des Gartens, den Strom und die nicht weit entfernten Wälder gestattete.

Das tiefe Schweigen und der erhabene Anblick dieser reichen, schlummernden Natur sympathisierte mit den neuen und heiligen Gefühlen, die sich zum ersten Mal ungestümer in den Vordergrund ihrer Seele drängten. Das dunkle Bild des Indianerhäuptlings stieg langsam heller und heller werdend vor ihr auf und unwillkürlich seufzend wendete sie die Augen dem fernen Westen zu, wo die Hüt­ten seiner Stammesgenossen standen.

»Warum ist er ein Sohn jenes niedrigen Volkes, welches der Strom der Zivilisation von der Erde verdrängt«, seufzte ihr Herz, denn das anerzogene Vorurteil der Weißen drängte sich wie eine düstere Wolke zwischen sie und den Gegenstand ihrer aufkeimenden Liebe. »Warum bin ich nicht ein Mädchen seines Stammes, eine Tochter der Wüste, um der Engel seiner Hütte werden zu können?« Aber zu gleicher Zeit warf sie Alles, was sie Großes und Erhabenes von den edlen Stämmen des Westens gehört hatte, ihren heroischen Muth die Einfalt und Strenge ihrer Sitten, ihre romantische Ritterlichkeit in die Waagschale gegen die Sündenwucht und die egoistische Gemeinheit im Gefolge der europäischen Zivilisation. Es begann in ihrer Seele der harte Kampf zwischen dem Vorurteil und der Liebe, der schon manches weniger starke Herz zermalmt hatte.

Ein tiefem Seufzer weckte sie aus ihren träumerischen Betrachtungen.

Im Schatten eines mächtigen Pekanbaumes erblickte sie die dunkle Gestalt eines Mannes, der auf eine lange Büchse gelehnt forschend zu den Fenstern des Hauses hinaufblickte.

Es war Tartaruga.

Ein halb unterdrückter Schrei entfloh ihren Lippen, die Gestalt verschwand nach einem letzten Blick hinter den Hecken, Louise schloss eilig in halber Betäubung das Fenster und suchte ihr Lager, um im Traum von der verbotenen Frucht des Paradieses zu naschen.

Hass und Liebe spielen überall und ewig ihre Rollen. Von der Schneehütte des Eskimo bis zum goldenen Palast der irdischen Götter ist das kleine Herz die allmächtige Triebfeder, die mit zauberhafter Energie die Bewegungen von Millio­nen in neue Bahnen drängt.

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