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Allerhand Geister – Ich – Teil 3

Allerhand Geister
Geschichten von Edmund Hoefer
Stuttgart. Verlag der I. G. Cotta’schen Buchhandlung. 1876

Ich – Teil 3
Aufzeichnungen des letzten Pfauingen

Ich hatte meine Dienerschaft und meine Bauern bewaffnet und war entschlossen, Gewalt mit Gewalt abzuwehren. Allein die verruchten Emissäre der Polen und Franzosen und der demokratischen Klubisten hatten, neben der damaligen Schandliteratur, auch unser dummes Volk verführt. Mein feiges Gesindel lief auseinander oder weigerte sich zu kämpfen, und ob ich auch selber wie ein Fels stand und mehr als einen von den Häschern die Schwere meiner Reitpeitsche empfinden ließ – ich unterlag endlich der brutalen Gewalt.

Man war wütend auf mich. Die Blätter waren voll von Giftartikeln. Einige riefen nach dem Galgen für mich, andere Laffen hießen mich einen Don Quijote. Das Gericht verurteilte mich zu Gott weiß wie viel Entschädigungen und Monaten Gefängnis oder Festung. Allein es gab doch auch andere, die meine Haltung bewunderten und sich durch dieselbe zum Widerstand gegen die revolutionäre Nichtswürdigkeit gestärkt fühlten. Das Offizierskorps der Garnison nahm Partei für mich. Man erzwang meine Entlassung aus der Haft und meine Abreise zu der Residenz. Es war das erste Zeichen einer besseren Zeit.

Seine Majestät, zu der ich alsogleich befohlen wurde, nahmen mich mit der mir stets erwiesenen Gnade und Güte auf. »Mein lieber Baron«, sagten Allerhöchstdieselben, mir die Hand schüttelnd, »Sie sind, wie ich hörte, ein wenig allzu kühn als alter Edelmann und Kürassier vorgegangen. Sie wissen, man liebt dergleichen jetzt nicht. Sie werden sich also für jetzt fügen müssen. Gehen Sie nach G., der Kommandant wird alle Rücksichten für Sie haben. In einigen Wochen werde ich Ihre Entlassung anordnen.«

»Aber Majestät«, wagte ich einzuwenden, »wie es dort steht – wer schützt meine Besitzungen, wer bewahrt meine Untertanen vor weiterer Verführung?«

»Man soll jedes Verfahren wider Sie bis nach der Revision Ihres Prozesses

sistieren«, lautete die gnädige Antwort. »Im Übrigen müssen Sie Geduld haben, wie ich selber, wie wir alle, und Vertrauen zu der Vorsehung. Die Getreuen werden, so hoffe ich, endlich über alle Feinde siegen.«

Nun, dieses Vertrauen hat den hohen Herrn nicht getäuscht. Die gute Zeit kam wieder und die Getreuen wurden Herr über ihre Feinde und setzten ihnen den Fuß auf den Nacken. Es war eine schöne, eine stolze Zeit, und sie begann schon, als ich nach sechs Wochen von der Festung nach Hause zurückkehrte. Vor meinen Gegnern hatte ich nunmehr wohl Ruhe. Der oberste Gerichtshof kassierte das frühere Urteil und schaffte mir Recht und Schadenersatz, und nun kam, nach der Herrschaft der Crapule, endlich unsere Zeit, die unsere, die meine!

Ich weiß es wohl, dass selbst Standesgenossen den Kopf über mich schüttelten und mich allzu scharf hießen, mir der Himmel weiß was alles für Unheil und Rache in Aussicht stellten. Ich zuckte die Achseln dazu, diese Art kenne ich besser. Ins Fenster mochten die meuchlerischen Schufte mir wohl einmal schießen, vom Treffen aber verstanden sie nichts. Aber wo sie mir Auge in Auge gegenüberstanden und ich die Reitpeitsche erhob, da schmiegten sie sich in sklavischer Kriecherei und waren Seiner Gnaden gehorsamste Diener. Ja, ich habe es trotz alles Geschrei und sogenannten Hohns der Demokratenblätter dahin gebracht, dass zu Pfauingen alles wie am Schnürchen ging, dass zehn Jahre lang und länger nirgends mehr Ruhe, Obedienz und Ehrfurcht vor Seiner Majestät und mir herrschte, als auf meinem Territorium; dass sie, wie ich befohlen hatte, die Grenzpfähle der Herrschaft begrüßten und die Kappen von den Dickschädeln flogen und die Kerle Front machten, wenn sie auf hundert Schritt den Schoß meines Rockes erblickten. Nun, wo, wie man es heißt, auch droben ein liberaler – dies mir ekelhafte Wort ist, wie man sieht, gottlob gar kein deutsches – Wind weht und Freizügigkeit und Auswanderungsfreiheit an der Tagesordnung sind; da mag man sehen, was daraus entsteht. Ich will mich nicht ärgern hier auf dem Papier, wie ich es täglich in Wirklichkeit nur allzu viel muss.

Ich bin in diesen Mitteilungen der Zeit vorausgeeilt, sie hätten in einen späteren Abschnitt gehört. Mich hat, wie ich bekennen muss, die lebhafte Erinnerung fortgerissen. Aber bei Licht besehen, ist es so ganz richtig und am besten. Man soll mit seinen Großtaten nicht prahlen, sondern sie mit ruhigem Selbstbewusstsein von anderen anerkennen lassen. Und endlich weiß ich auch, dass ich, zu dieser Schmachzeit gelangt, von anderen Dingen zu berichten haben werde, die meine ganze Darstellungskraft beanspruchen. Mein Kopf kann nicht zugleich zwei Gedanken dienen.

In jenen Papieren meines Herrn Vaters, wo er über alles zu mir redete und mir seine Ratschläge für alle Fälle und Lebenslagen gab, hatte er auch des betrübenden Factums gedacht, dass unser Haus nur noch auf vier Augen stehe, oder nach seinem Tod, wie der Fall nun eingetreten war, gar auf zwei – das heißt, den meinen. Er hatte mir daher auch ans Herz gelegt, mich so bald als möglich zu verheiraten. Dass er sich zu mir keiner unwürdigen Wahl zu versehen habe, schrieb er, wisse er wohl, und sei ihm dies in allen seinen Sorgen zu großer Beruhigung. Allein so wenig, wie er mich im Grunde noch kenne, sei er nicht ebenso sicher, dass ich bei einer solchen Wahl auch alles Notwendige ins Auge fasse und mich nicht durch äußere Vorzüge und Flitter blenden lasse. Er setze voraus, fährt er in diesem Kapitel fort, dass ich meinen Dienst quittieren, die Residenz verlassen und auf den Gütern leben werde, wo mir bei den augenblicklich herrschenden Zuständen nur ein Leben ohne viel Aufwand und Ansprüche gestattet, ja gewisse Einschränkungen nicht zu vermeiden seien. Dazu könne aber eine Dame, die in der Residenz, am Hof oder doch in der ersten Gesellschaft herangewachsen und erzogen sei, kaum geeignet sein, selbst wenn auch ihre Familienverhältnisse in der Stille etwa, wie es ja so häufig der Fall sei, nur bescheidene oder gar beschränkte gewesen. Man habe doch nach außen ein reiches und zerstreuungsvolles Leben geführt. Es sei sicher und am Ende sogar natürlich, dass gerade ein solches Wesen in der Ehe für ihre bisherige Entsagung Ersatz suchen und sich nur widerstrebend in erneute enge Verhältnisse fügen werde.

Da sei es denn ganz etwas anderes, fuhr der würdige alte Herr in seiner Auseinandersetzung fort, wenn ich mir aus einer ehrenhaften Landfamilie oder womöglich sogar unter den Nachbarn meine Lebensgefährtin suche. Hier sehe man in der Stille des Lebens keine unerträgliche Beschränkung; die Verhältnisse, der Lebenszuschnitt und die Lebensweise seien überall, bis auf ein Geringes, ungefähr die gleichen. Der Schritt vom elterlichen Haus in das des Gatten sei ein leichter und ohne dass er ernste Veränderungen zur Folge haben könne. Man dürfe Hundert gegen Eins wetten, dass in solchem Fall alles sich viel behaglicher, bequemer und günstiger gestalten werde und man keine nennenswerten Schwierigkeiten oder Störungen zu befürchten habe; ganz abgesehen davon, dass man, und zumal ein bisheriger Nichtlandwirt wie ich, in der verwandten Familie stets einen Anhalt, Rat, Lehre, Beispiel, unter Umständen auch reelle Hilfe finden könne.

Dies alles habe er bedacht und lege er mir ernstlich ans Herz, schloss er diesen Passus, und nun wolle er mir zuletzt auch gestehen, dass er eine solche Verbindung für mich ins Auge gefasst habe und mir die Versicherung geben könne, dass auch die selige Mutter, wenn sie noch lebte, ihm bestimmt beigepflichtet haben würde – sie habe sich vordem über das Kind sogar einmal schon in einer Art von ähnlicher Voraussicht geäußert.

Es sei das Fräulein Katharine Elisabeth von Wolski auf Niederbehringen. Gegen die Familie könne ich nichts einzuwenden haben; es sei zwar nur polnischer, aber kein Briefadel: Der Großvater des jetzigen Herrn habe unter dem König Friedrich dem Großen beim Regiment Gendarmes gedient, was eine völlig genügende Adelsprobe darstellt. Sie wohnten seit fast hundert Jahren auf Niederbehringen, stets in Ansehen und Ehren, voll Anstand und in den besten Verhältnissen. Dahin solle ich mich wenden, besser könne ich es nicht treffen, und einen Korb werde ich nicht zu befürchten haben.

Man wird es mir ohne Versicherung glauben, dass ich diese Vorschläge wie das ganze Schriftstück mit der ungeteilten Aufmerksamkeit und dem besten Willen las, die väterlichen Wünsche zu erfüllen. Trotzdem traf mich grade dieser Vorschlag wie ein Donnerschlag, und ich weiß noch, dass, als ich gelesen hatte, die innere Unruhe mich vom Stuhl auf und im Zimmer hin und her trieb und dass mich alles aufs Äußerste verstimmte und reizte, was mich in diesem peinlichen Nachdenken störte. Den Verwalter, der mit einer Frage in die Tür trat, fuhr ich an, dass er erbleichend zurückwich und geglaubt haben mag, ich sei toll geworden, und meinen Burschen, den ich vom Regiment mitgebracht und als Leibdiener installiert hatte, traf es, da er mir die Ankunft eines Gastes meldete, noch viel derber.

Trotzdem brachte dieser Gast in diesen Moment mich zur Besinnung und Fassung, ja, es war, als ob ich meinen Herrn Vater lebendig und leibhaftig vor mir sehe, wie er mit seinem langen Finger auf die Stelle deute, die ich eben gelesen hatte; als ob sein großes rundes Auge mich anblitze und ich seine Worte höre: »Will Er wohl Ordre parieren?« Denn mein Gast war der Herr von Wolski!

Es war ein nachdenkenswerter Kasus. Die Wolski gehörten, obwohl Niederbehringen über drei Stunden von Pfauingen entfernt ist, nach den herrschenden Begriffen allerdings noch zu unserer nächsten Nachbarschaft und waren von jeher, wenn auch nicht gerade in intimem Umgang mit uns geblieben. Die Familie war, wie mein Vater es sagte, durchaus achtungswert und gegen ihre Respektabilität von keiner Seite etwas einzuwenden. Es müsste denn sein, dass man nach den Eltern jenes alten Gendarmen gefragt hätte, von denen allerdings hierzulande nichts weniger als Gewisses bekannt war. Seitdem zeigte sich alles, wie gesagt, in Ordnung, wenn man die Familie auch nicht gerade zu den vornehmen rechnen konnte. Was manchen von den alten einheimischen Familien am meisten Bedenken erregte, war eine sogenannte humane Richtung dieser Familie, die sich auch in der Wahl ihres Umganges offenbarte. Man begegnete zu Niederbehringen zuweilen Leuten, deren Anwesenheit in anderen guten Häusern undenkbar gewesen wäre.

Aber wie dem allem auch sei, im Allgemeinen behauptete die Familie unter uns ihren guten Platz. Schon früher, besonders aber seit dem Tod meiner Mutter, war sie mit unserem Haus im freundlichen Verkehr gewesen, den auch jene oben erwähnten bedenklichen, meinen Vater umgebenden Zustände nicht ganz gestört hatten.

Im Gegenteil hatte Herr von Wolski sich stets als treuen Freund meines Vaters erwiesen, ja ihm in der schlimmsten Zeit die erheblichsten Dienste geleistet. Er war der Erste von allen, der mir nach des Vaters Tod die Hand drückte und mir die wärmste Anteilnahme zeigte. Er ging mir bei den ersten Anordnungen und Einrichtungen auf das Bereitwilligste zur Hand und verfuhr, wo seine eigenen Interessen sich beteiligt zeigten, auf das liberalste. Er konnte das eher als mancher andere, denn Niederbehringen ist entschieden die schönste Besitzung unserer Gegend. Sein Vermögen war auch außerdem eines der reichsten von allen. Seine beiden Töchter waren in dieser Rücksicht selbst für Unsereinen begehrenswerte Partien.

Das alles wusste ich und ging mir nun von Neuem durch den Kopf. Ich nahm meinen Gast daher auf das Höflichste auf, und zwar umso eher, als ich noch unter dem Einfluss von meines Vaters Mitteilungen stand. Ich sah den Nachbarn doch anders als bisher, ja ausdrücklich darauf an, wie er mir als Schwiegervater gefallen würde. Das Resultat war das Beste, wir schieden abends im herzlichsten Einvernehmen. Und je ernster ich über den Vorschlag meines Vaters nachdachte und je tiefer ich gerade während dieser Tage in die misslichen Zustände um mich her zu blicken gezwungen war.je gewissenhafter endlich ich alle Verhältnisse und das gesamte Für und Wider abwog, desto klarer wurde es mir, dass die mir eröffnete Aussicht eine in allen Richtungen allzu günstige und vorteilhafte sei, um mich nur eines inneren Widerstrebens wegen ohne Weiteres von ihr abzuwenden. Vor allem musste ich selber sehen, selber urteilen. Die junge Dame war mir nur sehr dunkel in Erinnerung! Seit ich Kadett geworden war, hatte ich sie meines Wissens kaum gesehen und so gut wie nie etwas über sie gehört. Ich machte mich von den drängendsten Geschäften frei und fuhr, Wolskis Einladung folgend, auf ein paar Tage nach Niederbehringen.

Es war im Frühling des Jahres 1846. Alles blühte und die Saaten standen prächtig, sodass ein Mann wie ich schon guten Humors sein und das Beste hoffen durfte. Die Prozesse hatten schon angefangen. Allein auch hier waren noch die Aussichten für mich erträgliche und mein Advokat hatte für mich stets beruhigende Worte.

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