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Allerhand Geister – Ich – Teil 2

Allerhand Geister
Geschichten von Edmund Hoefer
Stuttgart. Verlag der I. G. Cotta’schen Buchhandlung. 1876

Ich – Teil 2
Aufzeichnungen des letzten Pfauingen

Ich war das erste Kind meiner Eltern und wurde nicht lange vor der Übersiedlung von der Garnison auf die Güter geboren. Und da ein paar Geschwister, welche mir bald folgten, nur wenige Tage lebten, so blieb ich auch der einzige und letzte Spross unseres alten Stammes – zum lebhaftesten Schmerz meines Vaters.

Denn wir hatten bisher noch niemals auf nur vier Augen gestanden, und ich war in meiner Jugend ein schwächliches und kränkliches Kind, das obendrein durch die sich widersprechende Behandlung der Eltern nichts weniger als gefördert wurde. Wo meine Mutter mich angstvoll im Zimmer zu halten versuchte, mich mit Tee und anderen Hausmitteln schützen wollte, mich in Überzieher, Pelzmütze, Muff und Galoschen steckte, um mich vor jeder Erkältung zu bewahren, da jagte mein Vater mich wohl, wie ich ging und stand, aus den heißen Stuben ins Schneetreiben und aufs Eis des Schlossteiches hinaus oder stahl mich – was sein Hauptvergnügen war –

aus den Zimmern und Händen der Bonne oder Mutter auf das kunstreichste und gewandteste fort, um mich neben sich auf meinem kleinen Pferd durch Sturm und Regen dahin jagen oder auf der Jagd stundenlang durch Dünn und Dick traben zu lassen. Dann gab es zu Hause traurige Szenen, und schlimmere folgten, wenn wir heimkehrten. Meine Mutter, aufs Äußerste erregt und gereizt, wusste ihrer Vorwürfe und Klagen kein Ende und kein Maß, und mein Vater lachte, dass die Scheiben klirrten, bis ihn etwa ein unvorsichtiges Wort verdross und er dann wie ein gereizter Eber umher und endlich davonfuhr. Darauf bekam meine Mutter regelmäßig ihre bedenklichsten Nervenzustände und musste zu Bett gebracht werden. Ich steckte gleichfalls bis über den Hals in Betten und bekam Tee eingeflößt, musste entsetzlich schwitzen und wurde bewacht wie ein Staatsverbrecher, damit der Vater mich nicht von Neuem entführen könne.

Dass es unter solchen Umständen nicht an allerhand, zuweilen sogar recht tüchtigen, ja wirklich gefährlichen Krankheiten fehlen konnte, ist begreiflich. Allmählich jedoch siegte des Vaters Methode im Verein mit meiner eigenen guten Natur über alle Schwäche und Kränklichkeit. Damit fuhr auch ein anderer, knabenhafter Geist in mich hinein. Ich wachte, muss ich wohl sagen, plötzlich auf. Nun war mir das Zimmer mit dem warmen Ofen, mit dem zahllosen Spielzeug und den Bonnengeschichten verleidet; die Jagden, Ritte und Eisfahrten bekamen einen immer größeren Reiz, und statt wie bisher den Vater mit seiner Derbheit und Unermüdlichkeit ängstlich zu fliehen und mich mit Tränen vor ihm zu verstecken, war ich nun der Erste, der ihn aufsuchte und zu solchem Ausflug trieb. Er brauchte mich nicht mehr aus dem Harem zu entführen, wie er mit seinem sorglosen, freien Soldatenwitz die Damenzimmer bezeichnete. Ich verschwand der Mutter und ihren Assistentinnen schon auf eigenen Antrieb und mit eigener Schlauheit unter den Händen. Hinterdrein, wenn ich mich endlich wohl wieder einstellen musste oder, was auch vorkam, wieder eingefangen war, saß ich dann und lauschte zerknirscht auf die Vorstellungen und Strafreden, bis wir zuletzt alle drei – die Bonne stand an der Tür und wartete, bis sie mich mit sich fortführen und mir mein Vesperbrot geben konnte – gewöhnlich in die herzlichsten Tränen über mich und mein Verderbnis ausbrachen.

Von den Lehrstunden und dem Unterricht, die es dann am Ende allmählich doch auch für mich gab, ist mir nicht viel in Erinnerung geblieben. Ich weiß nur, dass die Hauslehrer einander schnell folgten und keiner es meiner Mutter und mir recht zu machen verstand. Mein Vater bekümmerte sich um dergleichen nicht und nahm noch weniger Rücksicht darauf. Hatte er mich vordem, wenn es ihm einfiel, der Mutter entführt, so holte er mich nun aus den Lektionen herunter und forderte höchstens einmal den armen Kandidaten spöttisch auf, sich uns anzuschließen und vom Sattel weiter zu dozieren. Und ich muss wiederholen, dass ich ihm in seiner Missachtung der gelehrten Narrheiten nur beipflichten kann. Denn was hat es par exemple für einen Mann unseres Standes für ein Interesse, zu erfahren, dass irgendwo jemand vordem auf den albernen Einfall geraten war, das Ding, welches wir Tisch nennen, und das überhaupt vernünftigerweise gar nicht anders als Tisch oder allenfalls auch la table heißen kann, seinerseits mensa zu nennen? Dies Beispiel stammt noch von meinem Herrn Vater her. Aber ich akzeptiere es, denn es ist schlagend und mir niemals widerlegt worden.

Aber genug von diesen Jugenderinnerungen. Das Kind ist zwar, wie, wenn ich nicht irre, Herr von Goethe einmal in einem seiner Gedichte sagt, der Vater des Mannes, allein ich will ja nicht von meinen Vätern, sondern von mir selber berichten. Und somit führe ich nur an, dass ich nach vollendetem zwölften Lebensjahr von meinem Herrn Vater in das Kadettenhaus zu X… gebracht wurde und daselbst die notwendige militärische Ausbildung erhielt, bis ich mit achtzehn Jahren als Leutnant in die Armee, und zwar zu den Kürassieren kam – einem Eliteregiment, das bekanntlich niemals bürgerliche Elemente in seinem Offizierskorps geduldet hat, und in das selbst unsereiner nur durch besondere Protektion und Familienverbindungen zu gelangen vermag. Hier habe ich denn Seiner Majestät gedient und als Kavalier mit meinen Kameraden gelebt, bis ich Premierleutnant geworden und schon – man hieß das unter den Kameraden lachend ein unverschämtes Glück, während ich selber darin noch heute nur eine gerechte Anerkennung meiner Geburt und meiner Verdienste finden kann und schon, sagte ich, zum Rittmeister stand – dreißig Jahre alt. Da empfing ich die Nachricht von unserem Verwalter, dass mein Herr Vater einen Schlaganfall gehabt habe und sein Tod sicher zu erwarten sei. So reiste ich denn heim und kam gerade noch recht, feinen Segen zu empfangen und ihm die Augen zuzudrücken.

Ich war in den vergangenen achtzehn Jahren wenig zu den meinen gekommen, teils weil der Dienst scharf war und es nur selten Urlaub gab, teils weil die daheim herrschenden Verhältnisse – ich habe mir, wie bemerkt, selber das Wort gegeben, stets die volle Wahrheit zu sagen – mir nicht wohltun konnten. Meine Mutter war bereits vor meinem Eintritt in die Armee gestorben, und mein Vater hatte seitdem seine Lebensweise und seinen Hausstand soweit umgestaltet und war so abhängig von verderblichen Einflüssen geworden, wie seine alten Freunde und auch ich es von einem Herrn seines Standes, seines Bewusstseins und seiner bisher stets energisch gewahrten Selbstständigkeit kaum zu begreifen vermochten und auf das Schmerzlichste beklagen mussten. Die erwähnten Einflüsse wurden obendrein nicht für ihn allein verhängnisvoll, sondern fast noch folgenschwerer für die Vermögensumstände und besonders für unser Verhältnis zueinander. Er wurde zu Ausgaben verführt, welche unsere Besitzungen schwer belasteten. Er wurde von ungetreuen Verwaltern und einer Bande von – sage ich nur – Schmarotzern auf allen Ecken und Enden betrogen und ausgesogen. Und das Übelste war, dass er sich hatte in den Kopf setzen lassen, jene Belastungen und die eintretenden Verlegenheiten seien nur eine Folge meines schranken- und gewissenlosen Lebens, das ihn alljährlich zu steigenden, unerhörten Opfern zwinge.

Erst wenige Monate vor seinem Tod war sein Blick wieder klar geworden und hatte er kraftvoll die Netze zerrissen, in welche die Nichtswürdigkeit des Gesindels und seine eigene Schwäche ihn verwickelt hatten. Da machte er reines Haus, da fand er ehrliche Verwalter und näherte sich wieder den alten Freunden und mir. Persönlich vermochte er, wie ich bereits andeutete, allerdings nicht mehr zu mir zu sprechen. Aber ich fand zuoberst unter seinen Papieren ein ganz von seiner Hand geschriebenes Dokument, in dem er auf das väterlichste zu mir sprach, das Geschehene weder beschönigte noch zu verschweigen versuchte, sondern es mir offen darlegte, mit erstaunlicher Geistesschärfe den Zustand der Güter und die Vermögensverhältnisse angab, sich über das geeignetste Verfahren und die besten Mittel und Wege zur Wiederherstellung der Ordnung und des Gedeihens aussprach, und mir selber endlich mit so treugemeinten Ermahnungen und Warnungen, aber auch mit so vortrefflichen Nachschlägen entgegenkam, dass ich ihm noch heute nur Dank und Segen nachrufen kann. Ich darf es wohl sagen, dass ich, wo ich ihm folgte, das Glück stets auf meinen Pfaden gefunden habe, und dass ich schwere Stunden nur dann und da zu erleben hatte, wo ich seines Rates vergaß und Wege zu gehen versuchte, vor denen er mich gewarnt hatte.

Als ich mich in die Rechnungsbücher hineinarbeitete und überhaupt in alle Verhältnisse zu sehen begann, erschrak selbst ich bis dahin ziemlich sorgloser und unerfahrener Mensch, wie weit wir uns schon dem Rande des Verderbens genähert hatten, und wie nahe wir ihm auch jetzt noch standen. Mein Herr Vater hatte doch bei Weitem nicht das Unheil völlig erkannt und ihm nicht ausreichend gewehrt. Es musste noch viel geschehen, wenn es wirklich wieder besser werden sollte, und es musste rasch und mit fester Hand getan werden, ohne Schonung gegen andere und mich selber. Das begriff ich nur allzu gut und besonders, dass es mir nicht möglich sein würde, weiter zu dienen. Mein Blick und meine Tätigkeit waren daheim notwendiger als beim Regiment, wo Seine Majestät noch getreue Diener und glänzende Kavaliere genug in der allerhöchsten Nähe behielten. Ich quittierte daher und darf mich rühmen, dass man mich ungern scheiden sah, von der Seite des Staates wie von der meiner Kameraden. Dieser Abschied wurde mir sehr schwer, und als ich mich nun daheim und im Zivilanzug fand und Kürass und Helm, Pallasch, Handschuhe und Pistolen in meinem Kabinett an der Wand hingen, das Denkmal entschwundener Zeiten – da, ich schäme mich dessen nicht, wurden mir die Augen feucht. Ich kam mir selber wie gestorben vor.

Es blieb mir indessen nur wenig Zeit, so schwermütigen Gedanken nachzuhängen. Der Zustand der Güter verlangte meine unausgesetzte Aufmerksamkeit und Tätigkeit, und, ob mir das auch gefiel oder nicht, ich musste sozusagen recht ordentlich in die Schule gehen und die Ökonomie erlernen. Die Verwalterwirtschaft entsprach meinen Wünschen und Forderungen immer weniger, je mehr meine eigene Einsicht wuchs. Ich musste anfangen, Geld, Gut und Erwerb mit anderen Augen anzusehen und mit den Einkünften ernstlich Rat zu halten. Abgesehen von den bedeutenden Mitteln, welche die Bewirtschaftung der Güter und die Verzinsung und Tilgung der Schulden in Anspruch nahmen, legte mir auch, zumal seit meiner Vermählung, von der demnächst mehr zu berichten sein wird, die Führung des Hausstandes in einer für Pfauingen würdigen Weise schwere Opfer auf, während der Ertrag der Güter grade in diesen ersten Jahren weit hinter dem Anschlag zurückblieb.

Das Unangenehmste aber war, dass mir von meinem Herrn Vater ein paar Prozesse hinterlassen waren, zu denen sich alsbald noch einige andere gesellten, weil ich mich allerdings voll stolzer Entschiedenheit gegen die schamlosen Ansprüche und Forderungen jenes nichtswürdigen – sage ich kurzweg – Schmarotzergesindels erklärte, das mein Herr Vater nur allzu generös bereits abgefunden hatte und das ich beim Wiedererscheinen mit den Hunden vom Hof hetzte. Da gab es dann einen großen Lärm und die ausschweifendsten Ersatzforderungen oder was weiß ich. Die Gerichte waren schwach und nahmen die Klagen an und verfuhren wider mich – es war in dieser Menschenart schon damals etwas von dem grimmigen Hass gegen die bevorzugten Stände, und es kitzelte sie, ihr Mütchen an einem alten Edelmann zu kühlen. Doch schleppten sich die Prozesse bis in die ersten stürmischen Monate des infamen Jahres 1848 hin, um dann desto rascher und desto ungünstiger für mich ihr Ende zu erreichen.

Ich wurde, ich weiß nicht zu was allem, verurteilt, und da ich auf die – soweit verstieg man sich – Androhung der Exekution nur kalt erwiderte, man möge sie versuchen, schickte man mir eine ganze Armee von Exekutoren, Gerichtsdienern, sogar Gendarmen auf den Hals – der neu erwählte Landrat war ein erbärmlicher Mensch – denen sich eine brüllende Menge angeschlossen hatte.

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