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Schauernovellen 8 – Die neue Griseldis 3

Ferdinand Kleophas
Schauernovellen Band 2
Verlag Franz Peter, Leipzig 1843

Die neue Griseldis
3. Kapitel

Das Rendezvous

Ich war also in Berlin gewesen, als ich an jenem Abend der stolzen Selbstmörderin die Waffe entwand und einige Tage vorher an einem Haus der Vorstadt vergeblich auf- und niedergegangen war. Der Grund dieses Hin- und Herwandelns war aber nicht allein der Wunsch, die wieder zu sehen, welche mich für ihren Theodor gehalten hatte. Es war noch ein anderer Umstand, der mich wegen jenes nächtlichen Abenteuers zuweilen selbst beunruhigte. Am Anfang meiner Reise hatte ich wirklich, wie gefürchtet, langweilige Gefährten und musste mich mit meinen Gedanken unterhalten. Dass diese auf das zunächst Vorhergehende gerichtet waren, braucht nicht erwähnt zu werden, wohl aber, dass ich plötzlich an meiner Hand einen kostbaren Ring glänzen sah. Ich erstaunte, betrachtete denselben näher, fand aber nichts, was ihn auszeichnete, als dass er massiv golden und mit einem scheinbar sehr wertvollen Stein gefasst war.

Ich fragte einen jüdischen Reisegefährten: »Was glauben Sie wohl, wie viel dieser Ring wert ist?« Ich zog denselben von meinem rechten Mittelfinger.

Der Jude nahm ihn in die Hand, prüfte lange und sagte endlich: »Wenn ich sollte ihn kaufen, würd’ ich geben können 6 Louis dʼor.«

Der Ring war also mindestens 12 Louis dʼor wert und das beunruhigte mich. Ich sah mich genötigt, mir den ganzen Verlauf des nächtlichen Abenteuers zu detaillieren – und das war keine unangenehme Beschäftigung. Es verkürzte mir meine Reise und ich fand endlich, was ich suchte.

Felicie hatte bei meinem Weggang zu mir gesagt: »Theodor, ich erwarte, du wirst mit meinem Vater sprechen.« Bei diesen Worten schob sie den Ring an meinen Finger, als symbolisches Zeichen unserer Vereinigung.

Daher der Ring, aus dem mir Schalk Amor manch indiskretes Wort zuflüsterte.

Armer Theodor, arme Betrogene, euer Glück steht auf dem Spiel! Und der Ring? Das sah wie ein Diebstahl aus. Ich konnte mich trotz meines Epikureismus des Abenteuers kaum noch freuen.

Ich wünschte, wenigstens den Ring zurückgeben zu können und darum war ich wieder in Leipzig, wo mich das auf so lange hinausgeschobene Rendezvous mit der mutmaßlich schönen Selbstmörderin länger zu verbleiben zwang, als ich anfangs gewollt hatte. Ich arrangierte meine literarischen Arbeiten, um die vier Wochen mit möglichst größtem Nutzen hinzubringen, da trat der Briefträger herein.

»Ein Briefchen per Stadtpost; nichts zu entrichten. Guten Morgen, Herr Doktor.«

Sehr lakonisch, dachte ich und besah die Aufschrift des Briefes. Mein Gott, eine zierliche Frauenhand. Das Siegel? Ein adliges Wappen. Ist denn der Brief wirklich an mich? Ja, ja, hier steht es mitwundernetten Buchstaben: Sr. Wohlgeboren Herrn

Dr. Ferdinand Hasus.

Ich suchte meine Schere, denn diesen Brief konnte ich unmöglich aufreißen. Gott, wo ist denn mein Etui. Nirgends, nirgends; ich muss es verloren haben. Ich klingelte und schrie dem herbeieilenden Kellner entgegen: »Eine Schere!« Er holte sie.

Aber Götter, wie lange blieb er! Endlich bracht er eine ellenlange Papierschere.

»O, Sie … Pinsel«, hätte ich fast gesagt. »Eine kleine, ganz kleine, niedliche, scharfe, spitze.«

»Dort liegt ja eine solche, wie mir scheint«, erwiderte lächelnd der Kellner.

»Wo denn?«

»Da, da! Im Etui auf dem Spiegeltisch.« Er reichte sie mir.

»O, ich … Pinsel!«

»Befehlen der Herr Doktor noch etwas?«

»Dass sie gehen.«

Der Mensch lachte und ging. Ich löste mit möglichster Vorsicht das Siegel und zerriss den Brief in zwei Hälften beim Entfalten, denn er war von innen noch einmal gesiegelt. Wie doch die Frauen ihre Briefe pflastern. Ich hielt die Hälften zusammen und las:

Wenn Ihr Interesse an meinem Geschick aufrichtig ist, so missdeuten Sie es nicht, wenn ich Sie um das auf nächsten Neumond gegebene Rendezvous schon heute bitte.

Keine Überschrift, keine Unterschrift. Verdammt kalt und stolz; aber doch erfreulich! Man muss dem adligen Wappen schon etwas zugutehalten. Also meine schöne Selbstmörderin – Gott, wenn ich doch einen anderen Namen für sie wüsste. Immer und ewig Selbstmörderin, das riecht so sehr nach Pulver. Aber auch nicht einmal den Vornamen zu unterschreiben, das ist doch gar zu vorsichtig; den muss sie mir heute Abend wenigstens sagen.

Die Stunden verflossen langsam, aber nicht unangenehm in der Erwartung der Dinge, die da kommen sollten.

Hundertmal fragte ich mich, was mag sie wollen

und ebenso vielmal antwortete ich mir: »Werden sehen.« Dass sich nebenbei meine Eigenliebe mit etwas ganz Besonderem schmeichelte, lässt sich denken. Leider sind aber eigenlebige Erwartungen den meisten Täuschungen unterworfen.

Endlich schlug die Glocke acht und ich trat meine Wanderung an; denn zwischen acht und neun Uhr mochte es gewesen sein, als ich sie gestern Abend getroffen hatte. Und wenn meine Ungeduld mich zeitiger an den bestimmten Ort trieb, konnte es doch nimmer meiner Galanterie Eintrag tun.

Aber wer malt mein Erstaunen, als ich mich dem Ort, wo ich sie gestern verlassen hatte, langsam nähernd, ihre hohe Gestalt von Weitem erblickte?

Sie erkannte mich und trat mir einige Schritte entgegen. Ich wollte mich entschuldigen.

»Entschuldigen Sie sich nicht, mein Herr, Sie können nicht dafür, dass meine Ungeduld größer war als die Ihre.«

Kalt, entsetzlich kalt, aber doch bezaubernd. Ihre Ungeduld größer als die meine? Welche Aussichten!

»Ich würde mich unendlich glücklich schätzen, wenn ich Ihren Wünschen …«

»Keine überflüssigen Versicherungen mein Herr; ich liebe Sie nicht, weil ich den geringen Wert derselben kenne. Dass ich Ihnen mehr Vertrauen schenke, als ich je einem Mann wieder schenken zu dürfen glaubte, beweist unser Hiersein. Vielleicht kommt bald die Zeit, wo ich in diesem Vertrauen Ihren gütigen Beistand in Anspruch zu nehmen wage. Wollen Sie mir aber für jetzt nur eine Frage beantworten? Kennen Sie den Baron D.?«

Ich staunte und bejahte.

»Stehen auch mit ihm in Briefwechsel?«, fragte sie noch.

»Ja«, erwiderte ich, immer mehr in Verwunderung gesetzt.

»Er ist Ihr Freund?«, fragte sie weiter.

»Wenn man flüchtige Bekanntschaften der Jugend Freundschaften nennt, ja!«

»Wann lernten Sie ihn kennen?«, fuhr sie fort.

»Vor ungefähr zwei Monaten in Berlin. Er kam einige Tage nach mir von Leipzig dahin. Wie mir schien, hatte er unangenehme Erfahrungen in Leipzig gemacht.«

»Hat er Ihnen nie gesagt, warum er Leipzig verlassen hat?«, fragte sie gespannt.

»Nein«, erwiderte ich, »er vermied davon zu sprechen und ich dringe nicht gern in Geheimnisse anderer.«

Sie schwieg und schien unbefriedigt von meinen Antworten zu sein.

»Aber«, brach ich dann das Schweigen, »was kann Sie bewegen, mein Verhältnis zu Baron D. so genau kennen zu lernen?«

»Darf ich, ohne Sie zu beleidigen, diese Frage unbeantwortet lassen?«

»Ganz nach Ihrem Belieben«, entgegnete ich wirklich verletzt.

»Sie fühlen sich beleidigt?«, fragte sie plötzlich mit einer Stimme, die Rührung verriet. »O, verkennen Sie mich nicht und sein Sie überzeugt, dass nur der

Gedanke an eine grausame Täuschung mein Benehmen schroff und kalt macht.« Sie fasste bei diesen Worten meine Hand, drückte sie leise und sagte: »Werden Sie nicht am Ende alles wissen? Ach, gönnen Sie mir doch Zeit, die Gedanken meines armen, zerrütteten Kopfes zu ordnen.« Ihre Stimme wurde immer milder und fast klagend sagte sie: »Wir schwachen, hilfsbedürftigen Frauen sind so glücklich, wenn wir

Männern vertrauen dürfen; o, dass wir es nur nicht so oft bereuen müssten!«

Sie stand eine Zeitlang schweigend und in sich versunken. Dann riss sie sich plötzlich aus ihrem Sinnen und rief: »Schwören Sie mir, nichts zu sprechen,

nichts zu tun – für mich, ohne meinen Willen.«

Ich versicherte es ihr.

»So wissen Sie, dass Baron D. der Urheber meiner Schande ist.«

Sie verbarg ihr Gesicht in ihre Hände und ich schwieg betroffen; denn Baron D. hatte mir in seinem Betragen gegen die Schönen Berlins das Gegenteil anzukündigen geschienen. Er war hintergangen worden. Doch wir glauben uns oft hintergangen,

wenn wir selbst hintergehen.

»Noch eine letzte indiskrete Frage«, rief sie nach kurzem Schweigen, »was schrieb er Ihnen in seinem gestrigen Brief?«

»In seinem gestrigen Brief?«, fragte ich verwundert über ihre Allwissenheit.

»Von dem Sie die Adresse genommen und mir gegeben haben«, sagte sie lächelnd.

»Ach so.« Ich sagte ihr, dass mir Baron D. geschrieben habe, dass er Leipzig auf seiner Reise nach Straßburg berühren werde und ich möchte seine bekannten und unbekannten Gläubiger auffordern, ihre Rechnungen einzureichen, damit er bei seiner Ankunft hier sie so schnell wie möglich berichtigen könne.

»Mein Gott, wie dieser Mensch sich gebärdet!«, warf die Getäuschte ein, »aber Sie sind sein Anwalt. Ich melde mich bei Ihnen als seine Gläubigerin, ich habe Rechenschaft von ihm zu fordern und will sie fordern, und hätte ich einen Bruder, er würde sie ganz anders fordern.«

»Darf ich sie fordern.«

»Nein, nein! Ich bin nicht so blutgierig; ich will sie selbst fordern; ich werde Ihnen schon dankbar sein, wenn sie ihn hierher führen.«

»Hierher? Und unter welchem Vorwand?«

»Mein Gott, diese Frage! Sagen Sie ihm doch, Sie wollten ihm eine neue Amorschaft kennen lernen. Die Männer betrachten dergleichen so leicht, als ob sie sich ihre Equipagen gegenseitig zeigen und nötigenfalls auch zur Nutzung überlassen. Eine

Geliebte geht aus den Händen eines abreisenden Freundes in die Hände des Zurückbleibenden wie ein Möbel. Daher ein gewisser Ausdruck bei den Studenten.« Bitter zerfleischend war dieser Worte Ton.

»Grausame«, antwortete ich, »wären Sie nicht berechtigt, ihren Zorn gegen die Männerwelt zu äußern, ich könnte ihnen zürnen, dass Sie keine Ausnahmen machen.«

»Ich mache sie und glaube, dass sie mein Freund sein werden.«

»O, ich möchte als solcher die härteste Probe bestehen«, rief ich und wagte die feine, weiche Samthand zu küssen.

»Aber mir scheint, sie agieren als Freund zu lebhaft«, sagte sie mild lächelnd.

Ich errötete, denn ich hatte in den letzten Augenblicken ihre Hand gefasst gehalten und unwillkürlich den Handschuh herabgezogen.

»Darf ich ihn behalten?«

»Solches gewährt man bloß dem Liebhaber, nicht dem Freund; doch da ich hoffe, in der Freundschaft glücklicher zu sein als in der Liebe, will ich die kleineren Rechte von dieser auf jene übertragen. Aber sind sie auch unabhängig genug, um einer Frau

Freund sein zu können, welche sich in einer Lage befindet, wie ich?«

»Ich bin es und wäre ich es nicht, ich würde mich unabhängig machen um den Preis, ewig ihr Freund zu sein.«

»Ich will es glauben und fordere von Ihnen, als ersten Beweis der Wahrheit Ihrer Versicherung, dass Sie mir den Baron D. zur Stelle bringen. Nicht ihn will ich reklamieren, denn ich hasse ihn jetzt ebenso sehr, wie ich ihn sonst liebte; aber seinen

Namen will ich für das unglückliche Geschöpf einer schwachen Stunde und dann wird er mir vielleicht auch freiwillig zurückgeben, was ich nicht fordern mag!«

Ich versprach, was sie verlangte, und nannte ihr

den Tag, wo er eintreffen würde.

Noch einmal durfte ich ihre Hand küssen und wähnte mich überglücklich, als ich sie leise gegen meine Lippen gedrückt fühlte.

Wir trennten uns.

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