Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Allerhand Geister – Ich – Teil 1

Allerhand Geister
Geschichten von Edmund Hoefer
Stuttgart. Verlag der I. G. Cotta’schen Buchhandlung. 1876

Ich – Teil 1
Aufzeichnungen des letzten Pfauingen

Erster Abschnitt

Es ist in meinem, des Barons Pfau von Pfauingen Haus seit unvordenklicher Zeit schon so hergebracht gewesen, dass das Haupt und der Senior der Familie an seinem Lebensabend sich hinsetzt und seine und der seinen Erlebnisse, Schicksale, Erfahrungen und Taten zur Lehre und Erhebung für die Nachkommen aufschreibt und im Archiv niederlegt. Mir ist diese Verpflichtung, denn zu einer solchen ist es allmählig geworden, früher stets wie eine überaus ehrenvolle und zugleich erhebende vorgekommen. Denn was kann den Kavalier mehr beglücken und stolzer machen als die Erinnerung an ein Leben voll Ehre und Würde, voll Ruhm und Auszeichnung, wie das der Pfauingen stets gewesen. Aber wenn vor dem Schreiber auch ernste und schwere Tage aufstiegen und traurige Erfahrungen sich herandrängten – mit welchem Stolz durfte er selbst dieser gedenken! Sie waren ruhmvoll bestanden und überwunden worden und die Erfahrungen hatte er nicht an den seinen gemacht! Und wenn es endlich nichts gab und der Alte, gleich meinem Herrn Großvater, dem Schreiber nichts in die Feder diktieren konnte, als Ich habe aus der Zeit meines Lebens und meiner Herrschaft nur zu berichten, dass mit den Pfauingen alles beim Alten und wohl steht und ich weder in Ansehung meiner selbst noch über die meinen zu klagen habe, so ist mir das immer fast als das Höchste erschienen.

Nun aber, da ich selber vor dieser Obliegenheit stehe, will sie mir als eine sehr ernste, ja beinahe zu schwere erscheinen. Was ich zu berichten habe, ist nicht wenig und nichts Schönes und Gutes, ob auch meine und meines Hauses Ehre von mir mit starker Hand gewahrt wurde. Allein, wenn ich das Ehrlose und Unreine auch von uns gestoßen hatte, so ist es dennoch leider nur allzu verhängnisvoll für Pfauingen geworden. Denn von jenen Begebenheiten und Erfahrungen dependiert es, dass ich der Letzte meines Geschlechtes bin und man dereinst Helm und Schild mir in die Gruft nachwerfen muss. Aber meine Obliegenheit, das erkenne ich an, bleibt trotzdem die gleiche, und so werde ich sie erfüllen als ein echter Pfauingen, der ich gottlob stets gewesen und geblieben bin, und die ganze Wahrheit sagen, ohne Verheimlichung oder Beschönigung, wie schwer es mir auch fallen mag.

Für die Nachkommen, wie meine Ahnen, kann ich nicht schreiben, aber für meine Standesgenossen, so viele ihrer noch in Wirklichkeit übrig sind. Ihnen glaube ich nützen zu können und von ihnen hoffe ich verstanden zu werden. Ich schaue mit Zorn und Verachtung, aber auch mit Trauer in die Zeit und auf die immer dünner werdenden Reihen der alten, reinen und ehrenhaften Geschlechter und auf die furchtbare Entartung, die auch hier mehr und mehr einzureißen und sogar sich aufzublähen beginnt. Ich habe es mit ansehen müssen, dass sie die Bilder ihrer Ahnen mit Achselzucken in die Polterkammern und ihre Stammbäume in die staubigste Ecke der Archive verwiesen haben. Ich habe es mit ansehen müssen, dass sie spekulieren und feilschen wie das Gesindel der Börse, dass sie sich vor dem Mammon beugen und ihr edles Blut mit jener vitalen Flüssigkeit vermischen, welche, zufällig ebenfalls rot, die Adern der Rotüre erfüllt. Und da will man noch klagen über die einreißende Degeneration und über die Frechheit, welche dem alten Adel von allen Seiten her, ja man könnte beinahe sagen, aus seinen eigenen entarteten Reihen ins Gesicht lacht! Wer sich selber aufgibt, den rettet auch der Herrgott nicht mehr.

Ich und meine Familie sind in diesem Punkt vor allem stets vorwurfsfrei geblieben. Wir haben uns nie gemein gemacht mit denen, die, wo sie leider nicht mehr Unfreie genannt werden, doch von Rechtswegen solche noch sein und bleiben sollten. Auf unserem Stammbaum, dem ich den Ehrenplatz im Ahnensaal angewiesen habe, findet sich auch nicht der unschuldigste Fauxpas. Da sind sie alle, die edlen Herren und die schönen Damen, in langer Reihe, von dem ersten Arnulf an, der mit Henrico primo gegen die Ungarn focht, und dem anderen, welcher mit Gottfried von Bouillon zum Heiligen Grabe zog, bis zu meinen Eltern und mir herab. Wo wir bei den Turnieren erschienen, ließ unser Name schon die Schranken weit aufspringen, und wo ein Fräulein unseres Hauses an die Pforten eines Stiftes klopfte, hat es niemals einer Probe zu ihrer Aufnahme bedurft.

Ich weiß es wohl, dass es zu allen Zeiten einzelne Neider oder armselige Spötter gegeben hat, welche an der unverletzten Reinheit dieses Stammbaumes und der Ehre und Würde meiner Ahnen hin und wieder, hinter unserem Rücken, allerhand zu bezweifeln und zu begeifern versuchten. Hat man doch schamloserweise zu versichern gewagt, dass zwischen den Bildern meiner Ahnen hier im Saal nebenan, die wegen ihrer langen glänzenden Reihe der Stolz unseres Hauses und mein besonderer Trost sind – wovon noch zu reden ist – dass, sage ich, zwischen ihnen Bürgermeistersköpfe, Schulmeister, ja die Konterfeis von Theaterprinzessinnen und was weiß ich, seien. Als die entartete Niederdorfer Linie, welche niemals hätte existieren sollen, vor sechzig Jahren bankrott wurde und jüdische Kaufleute sich das Erbe teilten, hat mein Herr Großvater allerdings einen großen Teil dieser Porträts schon in den unsauberen Händen gefunden, die sie der kostbaren Rahmen beraubt und schnöde in den Winkel geworfen hatten. Da rettete er sie. Und dass sie echt sind – man sehe sie nur an! So blicken nur die Pfauingen gütig auf ihre Nachkommen, streng auf die entartete Welt herab!

»Es liebt die Welt, das Strahlende zu schwärzen!«, sagt der Herr von Houwald.

Zur Erklärung solcher Zitate, deren man vielleicht hie und da in diesen Aufzeichnungen noch einige finden wird, will ich nur gleich bemerken, dass es in der langen Zeit meines einsamen Lebens eine Periode gab, wo ich mich etwas wenig in den belles lettres umzusehen versuchte – offen gesagt nur, um zu ergründen, was an diesen Dingen denn wohl für ein Reiz haften möge, dass selbst Kavaliere und Damen der ältesten Häuser zuweilen wie toll der verruchten Schöngeisterei frönen

können. Begriffen habe ich es nicht, denn ich habe kaum etwas gefunden, was nicht jeder Mensch von Extraktion schon von sich selber um vieles besser weiß und gelegentlich auch ausspricht. Nur wo sich ein solcher Mann von Stand einmal unter diese, Literaten genannt, Schreiber verirrt, mag man Einfälle und Bemerkungen finden, die nicht alltäglich sind und daher zuweilen in dem Kopf von Unsereinem auch zu haften verdienen.

Nur ein Name des Stammbaums wurde ausgestrichen und ein Bild musste verschwinden – beide die letzten, wie denn auch ich zu dieser Erfahrung und zu solchem Rächeramt bestimmt war. Davon werde ich zu berichten haben.

Ich, Hans Arnulf XVI., Baron Pfau von Pfauingen auf Pfauingen, hatte zu Eltern den Baron Hans Friedrich VIII. und Adelaide Elisabeth, geborene Komtesse Rastenberg. Mein Vater war ein Herr von außerordentlichem Stolz auf seine Familie und hohem Standesgefühl. Er war in seiner Erziehung, wie man das nennt, vernachlässigt worden, denn er ging schon als Knabe zum Militär und blieb in dieser Karriere, bis ihn der Tod meines Großvaters die Güter zu übernehmen zwang. Ich freilich vermag nicht einzusehen, was ihm all der gelehrte Krimskrams genützt haben würde, mit dem die Jugend geplagt wird und die sogenanntem Gebildeten sich brüsten. Er war trotz dieses Mangels, wenn man es so nennen will, ein Kavalier durch und durch und Meister in allen ritterlichen Hebungen. Er besaß eine Gestalt wie einer von den alten Recken und eine gewaltige Körperkraft. Dabei war er ein munterer, gutmütiger, nachsichtiger und verträglicher Herr, wenn man ihn in seiner Weise gewähren ließ und nicht absichtlich reizte. Dann freilich kannten und respektierten sein Zorn und sein Grimm keine Grenzen und er warf alles unerbittlich über den Haufen, was sich ihm in den Weg zu stellen wagte. Man hat ihn nicht mit Unrecht, wenn auch natürlich nur im Scherz, den Stier von Pfauingen genannt.

Meine Mutter war in ihrer früheren Zeit eine Erscheinung von jener aristokratischen Grazie und Eleganz gewesen, durch welche die Damen ihrer Familie von jeher berühmt geblieben sind. Auf ihrem Bild – sie wurde nicht wie die meisten anderen als Braut, sondern erst als Frau gemalt – wie auch in meiner Erinnerung war sie bereits durch die Leiden entstellt, denen sie später erlag. Sie starb an der Auszehrung. Sie wurde außerordentlich hager, was bei ihrer ungewöhnlichen Größe umso mehr auffallen musste. Die Züge ihres Gesichts nahmen eine ungemeine Schärfe an, die großen Augen lagen erschreckend tief und ihr berühmt reiches und schönes, schwedisch-blondes Haar wurde so dünn, dass sie und die Kammerjungfer alle Tage mehr Mühe hatten, es angemessen zu ordnen. Dabei hatten auch begreiflicherweise ihre Nerven zu leiden angefangen. Sie war reizbar und schwer zu befriedigen, und alles, was ihr als ein Widerstand gegen ihren Willen erschien, versetzte sie in die peinliche Aufregung, die sich zuweilen bis zu traurigen Krämpfen steigerte. So wurde sie, welche durch ihre Natur und Anlagen, durch ihre Geburt und ihre Bildung bestimmt und befähigt war, der Engel ihres Hauses und der Abgott der ihren und ihrer Untergebenen zu werden, nicht selten der Schrecken aller, die in ihrer Nähe bleiben mussten. Wie tief sie selber dies empfand und darunter litt, dies haben zahllose Tränen, die sie in ruhigeren Momenten über ihr Leiden vergoss, und die herablassende Güte bewiesen, mit der sie dann ihre Härte gut zu machen und die Erschrockenen oder Betrübten wieder aufzurichten wusste.

Meine Eltern waren beide nicht eigentlich mehr jung, als sie sich vermählten. Denn mein Vater hatte als lustiger Offizier sich die Freiheit so lange wie möglich zu bewahren und zunutze zu machen gesucht. Meine Mutter hatte ihre jungen Jahre über einer unglücklichen Neigung zu einem Cousin vertrauert, der nicht den Beifall ihrer Eltern hatte. Sie hatte sich begreiflicherweise in den Willen der letzteren demütig ergeben, aber es nicht über sich vermocht, eine damals ihr vorgeschlagene andere glänzende Verbindung zu schließen. Und für diejenigen, welche unseren Stand und unsere Gesellschaftskreise um, ich weiß nicht was, alles für Vorurteile und sogenannte Verschrobenheit bespötteln oder gar verlästern, wäre es eine durchaus angebrachte Lektion, wenn ich davon berichten wollte, mit welcher unendlichen zarten Schonung und Rücksicht man fortan die Trauernde umgab und gewähren ließ, nicht nur vonseiten ihrer Familie, sondern auch in den Kreisen ihrer Freunde und Bekannten. Es war unter den Letzteren mehr als einer, der den Eltern als Bewerber um die Hand der Komtess sicherlich willkommen gewesen sein würde und ebenso gewiss auch sein höchstes Glück in ihrem Besitz gefunden hätte. Aber die Eltern wagten keinen Vorschlag und die still Liebenden keinen Antrag – die Trauer umgab die Arme für alle mit einem Heiligenschein. Das ist eine Zartheit und Feinheit des Gefühls, die nur wahrhaft vornehme Menschen besitzen uns verstehen – sie muss angestammt und angeboren sein. Erwerben lässt sie sich nicht.

Erst mein Vater hatte nach mehreren Jahren dem Drang seines Herzens nicht länger zu widerstehen vermocht und ein Wort zu sprechen gewagt. Aber es verging noch eine lange Zeit, bis sie sich endlich zu seinen Gunsten entschied, besiegt von seiner Liebe und Treue und von der Aussicht auf die zugleich glänzende und segensreiche Stellung, die ihr als Gemahlin eines solchen Kavaliers und als Herrin einer solchen Besitzung und so zahlreicher Untertanen geboten wurde. Sie war damals noch gesund; ihre Leiden begannen erst später, nach meiner Geburt, die sie an den Rand des Grabes brachte.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert