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Der Welt-Detektiv Band 6

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Nick Carter – Nick Carters beste Maske – Kapitel 9

Nick Carter
Nick Carters beste Maske

Kapitel 9

Das Geheimnis der fünften Stufe

Morris Carruthers war es, welcher diese verhängnisvollen Worte hervorgestoßen hatte.

Er befand sich in einem bejammernswerten Zustand. Umsonst versuchte er, sich emporzurichten.

Zwei Männer mussten ihm unter die Arme greifen, damit er auf die Füße kommen konnte. Dabei rann ihm noch immer das Blut aus Mund und Nase.

»Lass das!«, flüsterte er von Neuem, indem er mit zitternder Hand auf seinen Gegner wies, den er mit hasserfüllten Blicken betrachtete. »Seht seinen Leib an – seht ihn an! Ich traute seiner Farbe nicht, darum ließ ich mir eine Flasche Terpentin holen … ich konnte ihm davon auf den Leib schütten … schaut ihn an!«

Nick Carter schaute stutzig am eigenen Körper herunter, und da war es ihm auch schon, als packte ihn eine eisigkalte Hand beim Genick.

In Streifen hatte sich die Bronzefarbe von seinem Körper gewaschen und die natürliche, weiße Haut schimmerte hervor.

»Holla, was ist das …«, schrie da auch schon McGonnigal mit fürchterlicher Stimme. »Deine Haut ist nicht echt. Wer bist du?«

Ein drohendes Gemurmel durchlief den Saal, das immer lauter anschwoll. Nick Carter erkannte, dass die ihm eben noch so freundlich gesinnte Stimmung der Anwesenden in das strikte Gegenteil umzuschlagen drohte.

Doch er war nicht der Mann, um sich verblüffen zu lassen.

Mit einem Sprung war er hinter dem Wandschirm in der einen Zimmerecke. Er ließ das zerlumpte Hemd fallen und beeilte sich nur, so rasch er konnte, den Rock mit den darin verborgenen Waffen überzustreifen. Das war das Werk weniger Sekunden. Dann wendete er sich blitzschnell und atmete erleichtert auf.

In den Rockärmeln steckten Revolver, die derartig an Lederriemen befestigt waren, dass ihm die Waffen von selbst in die Hände glitten, sobald er die Hände hochhielt.

So eilig er auch den zerfetzten Rock hatte überstreifen müssen, so hatte die ingeniöse Vorrichtung doch richtig funktioniert.

Als er sich nach den mit wilden Flüchen ihm Nachsetzenden umkehrte, da funkelte in jeder seiner Hände ein schussbereit vorgestreckter Revolver.

»Lasst alle Späße unterwegs!«, versetzte er kaltblütig. »Ihr seht, ich bin nicht unbewaffnet. Was wollt ihr von mir?«

Mit einem Schreckensschrei waren die Vordersten zurückgeprallt, als sie in die Revolvermündung blicken mussten.

»Verrat!«, schrien sie auf.

»Goddamn, was soll das bedeuten?«, knirschte McGonnigal, der gleichfalls tödlich erbleicht war. »Wer bist du, Tony … Du hast uns betrogen … Du bist kein Korse …«

»Er ist Nick Carter!«, stammelte Morris Carruthers, sich schwer auf die hilfreichen Arme der beiden Sekundanten von vorhin stützend. »Ich wusste es, dass er es ist … seine Hautfarbe gefiel mir nicht … darum erprobte ich sie … würde er zu den Revolvern greifen, wüsste er sich nicht enttarnt?«

»Pah, dummes Geschwätz!«, rief der Detektiv, all seine Kaltblütigkeit zusammennehmend. »Hast du noch nicht genug Prügel, Mensch – oder siehst du Gespenster am helllichten Tag? Wer sagt, dass ich Nick Carter bin?«

»Ich sage es … ich … ich«, keuchte Morris Carruthers wütend. »Du bist auf meiner Fährte … ich erkannte dich, als du ins Mauseloch tratest … lasst ihn nicht entwischen … seid auf eurer Hut, Mac … es geht nicht nur um mich, es handelt sich um uns alle!«

Der Detektiv sah wohl ein, dass die Gefahr für ihn eine höchst bedrohliche geworden war.

Einige der Männer waren an die Alarmapparate geeilt. Erbleichend nahm der Detektiv wahr, wie die Geheimtüren sich öffneten und Angestellte des Hauses zum Vorschein kamen, von denen jeder zwei riesige Hunde am Halsband führte. Er begriff, dass es sich um Bluthunde handelte. Wurden diese, wohl ein Dutzend an der Zahl, auf ihn gehetzt, so war er verloren, denn Menschen konnte er durch seine beiden Revolver in Schach halten, nicht aber unvernünftige Bestien, die die Gefahr nicht begriffen, welche ein Angriff für sie barg. Er mochte drei oder vier niederknallen … doch dann hatten die Übrigen ihn niedergerissen und das Ende war da.

»Ruhe!«, gebot McGonnigal. Doch er musste aus voller Kehle schreien, bevor er sich verständlich machen konnte und seinem Gebot Folge geleistet wurde. »Ruhe«, wiederholte er. »Ich bin Herr hier und werde untersuchen!«

Unheilschwangere Stille trat ein. Wohin Nick Carter auch blicken mochte, überall traf er auf Hassblicke … sein Todfeind Morris Carruthers schien sich verdutzendfacht zu haben, denn sämtliche Anwesende trugen sich mit den nämlichen Mordgedanken. Auch die nur noch mühsam von ihren Wächtern zurückgehaltenen Hunde schienen ihn ihm ihr künftiges Opfer zu wittern, denn sie knurrten ihn unheimlich an.

»Tony … oder wer sonst du sein magst … Du bist ein Betrüger!«, rief McGonnigal nun. »Du hast dich unter falschen Vorspiegelungen hier eingeschlichen, darauf steht der Tod!«

»Der Tod! Der Tod!«, schrien die Anwesenden wild durcheinander.

»Verantworte dich, wenn du kannst!«, fuhr McGonnigal fort, nachdem sich der Tumult wieder gelegt hatte. »Wer bist du, und was willst du?«

Nick Carters Gehirn hatte mit fieberhafter Eile gearbeitet. Er musste einen Ausweg ersinnen, wollte er nicht elendiglich hier untergehen, noch dazu im Angesicht seines über ihn triumphierenden Todfeindes.

»Well«, sagte er dann anscheinend kaltblütig, nach wie vor gegen die Anwesenden mit seinen beiden Revolvern im Anschlag liegend, »ich sage nicht, dass ich Nick Carter bin, und ich sage auch nicht das Gegenteil … doch sollte ich Nick Carter sein, so weiß ich, dass ich nicht ohne Schutz mich ins Mauseloch begeben würde … da ständen dreißig, fünfzig oder hundert Mann bereit, sich nach meinem Befinden zu erkundigen, käme ich nicht binnen einer im Voraus bestimmten Frist wieder zum Vorschein …«

»Schweig, wenn du nichts Besseres zu sagen hast!«, donnerte McGonnigal. Sein verzerrtes Gesicht, der Ausdruck ungeheurer Wut über den ihm gespielten Streich in seinen tückischen Augen ließ es begreiflich erscheinen, warum seine Anhänger ihn Bulldogge nannten. »Zum letzten Mal, gib Antwort: Wer bist du?«

»Einer, der sich nicht abschlachten lässt!«, rief Nick, gleichfalls zum äußersten entschlossen. »Seid ihr toll? Warum die Feindschaft? Weil ich mir das Fell gefärbt habe? … Ist der Lump dort nicht auch verkleidet, he? … Ich wette, McGonnigal, du weißt ganz genau, wie aus Reverend Hyde der Stutzer da geworden ist.«

Doch kaum waren ihm die Worte entfahren, so hätte der Detektiv sie gern wieder ungeschehen gemacht. Er begriff, dass er sich dadurch eine nicht wieder zu verdeckende Blöße gegeben hatte.

»So?«, donnerte McGonnigal. »Woher weißt denn du, dass Morris Carruthers als geistlicher Herr zu mir kam … Du bist entlarvt, Nick Carter …«

»Hinunter mit ihm … schlagt ihn tot!«, heulten wieder die im Saal Befindlichen. Doch keiner von ihnen wagte eine Waffe wider den im Anschlag Liegenden zu heben, denn es war klar, dass mit dem Tode dafür büßen musste, wer es zuerst versuchte.

»Well – und wenn ich Nick Carter bin, was dann?«, rief der Detektiv höhnend. »Ihr werdet es nicht wagen, McGonnigal, mir auch nur ein Haar auf dem Haupt krümmen zu lassen, denn Ihr wisst wohl, dass es Euch an den Kragen geht!«

»Pah, die Toten schwatzen nicht aus der Schule!«, schrie McGonnigal dazwischen. »Du bist der erste Schnüffler nicht, der verschwunden ist – und wirst auch der Letzte nicht sein!« Er hatte zwei der Bluthunde beim Halsband gefasst und schritt nun entschlossen auf Nick Carter zu.

»Noch einen Schritt weiter – und du bist ein toter Mann!«, versetzte der Detektiv.

»Ich will Sie retten … fliehen Sie nach der Geheimtür!«, hörte er zu seinem Erstaunen eben den Wirt mit leiser, nur ihm selbst verständlicher Stimme zuflüstern, während er laut schreiend hinzufügte: »Ich fürchte deine Kugel nicht, armseliger Polizeispion! Die Waffen nieder … oder meine Hunde zerreißen deine Kehle!«

»Mag sein!«, entgegnete Nick Carter. »Doch meine Schüsse dringen aus diesem Saal … und ich will euch nur verraten, dass Inspektor McClusky die Geheimnisse dieser Dive ebenso gut wie ich kennt … nimm dich in Acht, McGonnigal … das Haus ist umstellt … und mordest du mich auch, so stirbst du doch am Galgen … und ihr alle dazu!«

Totenstille folgte seinen Worten. Unschlüssig starrten die Männer und Frauen sich an. Sie wussten augenscheinlich nicht, was sie von den Worten des Detektivs halten sollten.

Auch der Hausherr selbst wurde kopfscheu … war der Bedrohte wirklich Nick Carter, so wusste er um sämtliche Hausgeheimnisse, das hatte er zur Genüge offenbart.

Sprach er die Wahrheit und erwies sich Inspektor McClusky als ebenso gut unterrichtet, dann stand es mit der Zukunft der Dive gar schlimm.

Er fühlte sich beim Ärmel gezupft. Morris Carruthers war es, welcher neben ihn getreten war.

»Lasst Euch auf nichts ein, Mac!«, rief der Verbrecherkönig. »Das Haus ist doch von keiner Katze umstellt, geschweige denn von einem Polizeikordon … Ich kenne diesen Nick Carter durch und durch … Er streift immer allein umher und verlässt sich auf seine eigene Kraft.«

In den Zügen McGonnigals leuchtete es eben teuflisch auf.

»Zurück!«, schrie er dann Morris barsch an. »Hier befehle nur ich … und ich habe bereits beschlossen … ist jener Mann dort wirklich Nick Carter, so hat er sich als ein tüchtiger Kerl bewiesen, und es soll mir leid tun, dass er so’n Schandgewerbe treibt … doch ich kann es ganz ruhig sagen, Gentlemen und Ladys, zum ersten Mal ist Nick Carter nicht hier in diesen Räumen … ich weiß es, dass er auch etwas von den Hausgeheimnissen kennt, und ich habe ihn dennoch geduldet. Er hat uns allen keinen Schaden gebracht, wohl aber gewisse Vögel weggelockt, die wir gern vermisst haben. Und darum sage ich«, fuhr McGonnigal mit erhobener Stimme fort, indem er sich nach den hinter ihm Stehenden umwandte, »schwört dieser Mann, mag er nun Tony Arco oder Nick Carter heißen, dass er niemanden von uns verhaftet, das Haus nicht umstellen und überhaupt mein Haus nicht weiter belästigen will, so mag er frei ausgehen – frei ausgehen!«, wiederholte er schreiend, als sich heftiger, allseitiger Widerspruch erhob. »Wer damit nicht einverstanden ist, der mag gehen, doch er kommt nicht wieder ins Mauseloch … hier bin ich Herr und kein anderer … ich wiederhole es, ich selbst entlasse den Mann durch jene Geheimtür, die in den Keller führt!« Damit wies er auf die neben der Wascheinrichtung im Wandgetäfel versteckten Geheimtür, hinter deren schauerliches Geheimnis Nick Carter kurz zuvor gekommen war.

Zuerst hatte der Detektiv seinen eigenen Ohren nicht trauen wollen. Nun begriff er den verräterischen Sinn von dessen Handlungsweise. Der Schändliche wollte einfach, da er dem Landfrieden doch nicht traute, jedes Geräusch, das über die Grenzen des Mauselochs dringen musste, vermeiden und dennoch den Bedrohten für ewig verstummen lassen. Wohl zwinkerte er, sich Nick wieder zuwendend, diesem eben verstohlen zu, als ob er sagen wollte: »Nur keine Angst, ich rette dich schon!« … doch es hätte nur des wie mit einem Schlag geänderten Benehmens der Anwesenden bedurft, um Nick Unheil wittern zu lassen. Zum Überfluss nahm er wahr, wie einige Männer auf den heftig aufbegehrenden Morris Carruthers leise einsprachen – und sie da, auch sein Todfeind war plötzlich wie umgewandelt und erhob keinen Widerspruch mehr.

»Soll es ein Wort sein, Tony Arco – oder Nick Carter?«, rief nun McGonnigal jovial aus.

Der Detektiv hätte den Schuft an liebsten niedergeschossen, doch wollte er nicht von den Bluthunden zerrissen werden, so musste er sich fügen. Es blieb ihm keine andere Wahl! So nickte er stumm.

»Dann lege die Waffen fort!«, gebot McGonnigal.

»Damit ihr alle mich alsdann überfallt?«, versetzte Nick. »Niemals.«

»Well, du siehst, ich trage keine Waffen«, meinte McGonnigal gleisnerisch. »Nun pass auf.« Er wendete sich nach den übrigen Anwesenden. »Ihr weicht sämtlich bis zu der entgegengesetzten Wand zurück!«, befahl er. »Auch ihr mit den Hunden – ganz zurück bis an die Mauer!«

Gehorsam fügten sich die Männer und Frauen; auch Morris Carruthers schloss sich ihnen an. Nun befanden sich sämtliche Anwesende an der einen Längswand, während dicht vor der entgegengesetzten Seite Nick stand; unweit vor ihm McGonnigal. Die ganze Tiefe des Saales dagegen war leer.

»Nun, mein Lieber«, redete der Wirt wieder in vertraulichem Tone auf den Detektiv ein. »Ich denke, vor mir, dem einzelnen Mann, wirst du dich wohl nicht fürchten, darum lege die Waffen fort …«

Er unterbrach sich erstaunt, denn zu seinem Befremden nahm er wahr, wie die eben noch von Nick hochgehaltenen Waffen verschwunden waren; er konnte freilich nicht wissen, dass der Detektiv nur die Hände zu senken brauchte, um die Revolver in die Ärmel des von ihm getragenen Rockes heraufgleiten zu lassen.

»Well«, erklärte McGonnigal nun zufriedengestellt, indem er auf Nick Carter zuschritt. »Ich lasse dich nun durch eine Tür entweichen, von der eine Treppe in den Keller führt. Es geht fünf Stufen hinunter – vergiss die fünfte Stufe nicht, Kamerad; dort angekommen, stampfst du fest auf, dann öffnet sich dir gegenüber eine Tür – und du bist im Freien!«

Während seiner Worte war er auf die dem Detektiv bereits bekannte geheimnisvolle Tür zugeschritten. Nun nahm der Letztere wahr, wie der andere zunächst einen Knopf niederdrückte, von dessen Vorhandensein er bisher nichts gewusst hatte. Man vernahm ein knarrendes Geräusch, als ob Ketten sich von einer Trommel abwickelten.

Nick Carter begriff augenblicklich, dass die von ihm erspähte Eisentreppe sich nun niedersenkte. Umständlich berührte McGonnigal nun auch die anderen Knöpfe, wie es zuvor schon der Detektiv getan hatte, die Tür sprang auf – und richtig! Die Treppe befand sich unterhalb der Tür und schien in den Keller hinabzuführen.

»Hinunter mit dir!«, befahl McGonnigal. Damit versetzte er dem auf die Schwelle Getretenen hinterlistig einen tückischen Stoß, und ehe der überraschte Nick sein Gleichgewicht zurückgewinnen konnte, da stand er auch schon auf der obersten Treppenstufe, und hinter ihm fiel die Tür wieder ins Schloss, während McGonnigal noch mit teuflisch auflachender Stimme ihm zuschrie: »Vergiss die fünfte Stufe nicht – und grüße die anderen!«

Nick Carter stand, abgeschnitten von der Außenwelt, in der Dunkelheit. Doch nur eine Sekunde lang. Dann hatte er auch schon seine elektrische Blendlaterne aus der Tasche gegriffen, und deren greller Lichtstrahl blitzte auf. Bis dahin hatte der Detektiv unter der Gewalt der Übermacht gestanden; er hatte sich in alles fügen müssen, wollte er nicht von den Hunden zerrissen werden. Doch in der ersten Sekunde, da er sich wieder allein und unbeobachtet sah, erwachte er auch wieder zu seiner alten Energie.

Vom Mauseloch her erscholl durch die Bohlentür betäubendes Gebrüll. Ganz deutlich vernahm Nick Carter die Stimme seines Todfeindes Morris Carruthers, der offenbar an die Tür herangesprungen war und nun schrie: »Glück auf die Reise – nun wirst du meinen Weg nicht wieder kreuzen – haha, vergiss die fünfte Stufe nicht!«

Ein kaltblütiger Ausdruck war um die festgeschlossenen Lippen des Detektivs getreten. Beim Strahl seiner Laterne hatte er in die Tiefe gespäht und erkannt, dass die Treppe, auf deren oberster Stufe er stand, überhaupt keine fünfte Stufe besaß! Wer in der tiefen Finsternis sich verleiten ließ, dem tückischen Ratschlag McGonnigals zu folgen und – was sicherlich all die hier verunglückten Opfer bisher getan hatten – auf die fünfte Stufe zu treten suchte, stürzte ab – hinunter in die grausige Tiefe des Abzugskanals und wurde nie mehr gesehen!

Es ging ums Leben; deshalb musste er nun blitzschnell handeln, wollte er nicht wirklich dem teuflischen Anschlag zum Opfer fallen!

Der Raum, in welchem er sich befand, war eine Art Luftschacht oder vielmehr ein Fabrikkamin, der schon seit Jahren außer Tätigkeit gesetzt war und der sich nach oben zu augenscheinlich verjüngte, also immer enger wurde.

Zugleich aber hatte Nick Carters scharfer Blick eine Vorrichtung zwischen den festgefügten Steinen erspäht, die ihn mit wilder Freude erfüllte. Es befanden sich Steigeisen zum Gebrauch für die Schornsteinfeger im Kamin, um den Männern bei der Ausübung ihres harten Berufes das Auf- und Niederklettern innerhalb des Kamins zu ermöglichen.

Im Nu war Nick Carter von der Treppenstufe aus auf das zunächst befindliche Steigeisen getreten. Seine eine Hand tastete an der in dieser Tiefe noch viereckigen Bauchung des Kamins, und er fand Halt an einem anderen Steigeisen. In diesem Moment stieß der Detektiv einen schauerlichen Todesschrei aus, welcher im Mauseloch gehört werden musste. Sein suchender Blick erspähte einen losen Steinquader, und mit einem Fußtritt vermochte er ihn in die Tiefe zu schleudern. Mit mächtigem Gepolter schoss der Stein in den Abgrund, sodass es nicht anders klang, als sei ein schwerer Körper abgestürzt.

Dann aber kroch Nick, so rasch er nun vermochte, an den Steigeisen in die Höhe. Keinen Moment zu früh, denn knarrend hob sich die vom Zimmer aus wieder in Bewegung gesetzte Eisentreppe und schlug mit lautem Aufprall an eben dieselbe Mauerstelle, an welcher der Detektiv unmittelbar zuvor noch gestanden hatte.

Kaum war die Treppe wieder aufgezogen, so steckte Nick auch schon die Laterne ein und schmiegte sich eng an die Wand, so dass er von unten aus nicht gesehen werden konnte.

Sehr zu seinem Glück, denn plötzlich wurde die Tür wieder geöffnet, und ein greller Lichtschein drang in den Kaminschacht. Deutlich vermochte Nick unterhalb der Treppe die Köpfe McGonnigals und seines Todfeindes Morris Carruthers zu erspähen.

»Diesmal hat der Naseweis daran glauben müssen!«, höhnte der Letztere. »Du bist doch deiner Sache sicher, Mac?«

»Todsicher, Kamerad«, brummte der Wirt in gemütlichem Ton. »Er ist der Hundertundelfte. Die Klappe arbeitet vorzüglich. Den haben die Ratten drunten schon in Arbeit. Manch reicher Narr, den die Jungen ins Mauseloch gebracht haben, hat schon das Geheimnis der fünften Stufe praktisch erprobt. Hurra, nun sind wir den vermaledeiten Schnüffler für immer los!«

Damit krachte die Tür auch schon wieder ins Schloss.

»Lacht nur, ihr Schurken!«, murmelte der Detektiv ingrimmig vor sich hin. »Wer zuletzt lacht, der lacht am besten, und dessen sollt ihr euch bald mit Heulen und Zähneklappern erinnern!«

Geduldig verharrte er wohl eine halbe Stunde und darüber in seiner unbequemen Lage; dann stieg er rüstig im Inneren des Kamins an den Steigeisen in die Höhe. Noch eine weitere halbe Stunde – dann war der Detektiv oben angelangt und schwang sich über die schon bröckelig gewordene Brüstung. Den Abstieg musste er an einem Blitzableiter wagen, doch das machte dem Mann mit den stählernen Nerven wenig Beschwerde. Er war nicht umsonst ein vorzüglicher Turner, der seinesgleichen suchte.

Noch ein letztes kleines Abenteuer hatte Nick Carter zu bestehen, als sein Fuß kaum das Pflaster der Mob-Allee wieder berührt hatte. Eben im Begriff, aus dem tiefen Schatten der Kaminnische auf die hellerleuchtete Straße hinauszutreten, hörte er eilige Schritte, die ihn bewogen, sich mit angehaltenem Atem zu ducken.

Er sah seine Vorsicht reichlich belohnt. Fast zum Greifen nahe gingen zwei Männer an ihm vorüber, die sich sorglos unterhielten – es waren McGonnigal und Morris Carruthers.

Wäre der Letztere allein gewesen, so würde sich Nick keinen Moment besonnen haben, auf ihn loszustürzen und ihn auf der Stelle gefangen zu nehmen. So beschied er sich und beschloss, den beiden vorsichtig zu folgen. Doch dazu kam es nicht, denn sie gingen nur wenige Dutzend Schritte weit bis zur nächsten Straßenecke. Dort stand eine Laterne, an deren Pfahl ein Briefkasten angebracht war.

Von seinem Versteck aus vermochte Nick Carter genau zu beobachten, wie Morris Carruthers einen Brief in den Kasten warf. Dann traten die beiden Männer den Rückweg an. Wieder kamen sie auf Greifweite an dem Detektiv vorüber, natürlich ohne ihn zu gewahren. Gleich darauf hatten sie die Dive durch deren vorderen Zugang wieder betreten.

Da hielt es Nick Carter nicht länger in seinem Versteck.

»Ich kenne den Brief, den du in den Kasten stecktest, Morris Carruthers«, flüsterte er vor sich hin, »und sei sicher, in der nächsten Nacht mit dem Glockenschlag 11 Uhr feierst du an einem anderen Ort ein Wiedersehen mit jemandem, den du tot glaubtest und der viel lebendiger ist, als es dir angenehm sein mag!«

Damit erhob er sich und begab sich zuvorderst nach der ihm zunächst liegenden Niederlage.

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