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Neue Gespenster – 10. Erzählung

Samuel Christoph Wagener
Neue Gespenster
Kurze Erzählungen aus dem Reich der Wahrheit
Erster Teil
Zehnte Erzählung

Ein Vorurteilloser trägt aus dem Kampf mit einem Gespenst gelähmte Finger davon.

Ich hatte während meiner akademischen Laufbahn mit einem studierenden jungen Mann eine innige Freundschaft geschlossen. Wir waren fast immer beisammen und hatten keinen angelegenen Wunsch, als nach vollendeten Studien an einem und demselben Ort versorgt zu werden, um uns nie trennen zu müssen. Beim ersten Schritt, den wir von der Universität in die Welt taten, schien uns das Schicksal in Absicht dieses Wunsches begünstigen zu wollen. Wir wurden Hauslehrer bei einem Paar Landedelleuten, die Feldnachbarn waren und deren Wohnungen nur eine Viertelstunde Weges voneinander entfernt lagen. Indessen hatte unser Zusammenkommen doch einige Schwierigkeit, weil der Prinzipal meines Freundes den Tag über des Lehrers ununterbrochene Gegenwart bei den Kindern verlangte. Nur die beiden Abendstunden von acht bis zehn Uhr konnte mein Freund ganz nach seiner Willkür zubringen. Er kam daher fast alle Abende zu mir, um sich eine Bewegung zu machen und eine Stunde mit mir zu verplaudern.

Das Zimmer, welches mir und den beiden meiner Aufsicht und Erziehung anvertrauten Söhnen meines Prinzipals zur Wohnung angewiesen war, lag im Erdgeschoss, und zwar so, dass man durch die Küche gehen musste, um zu demselben zu gelangen. Der Schlüssel davon hatte seinen bestimmten Ort in der Küche, der meinem Freund bekannt war, wo er ihn nehmen und in das Zimmer gehen konnte, wenn er etwa schon kam, während ich noch mit der Familie des Hauses zu Abend aß.

Eines Abends, als ich vom Essen kam und wie gewöhnlich Licht forderte, erwiderte die Köchin, ichmöchte mich doch ein wenig gedulden. Der Knecht sei in die Stadt geritten und werde erst Lichte mitbringen. Ich nahm also den Schlüssel und trat ins Zimmer. Der Mond blickte nur soeben durch dichte Wolken und verbreitete ein schwachdämmriges Licht, bei welchem ich indessen ganz deutlich entdecken konnte, dass am Ende des langen und schmalen Zimmers neben dem Fenster eine große, von oben bis unten ganz weiß verhüllte Figur stand, die sich bei meinem Eintritt gegen mich verneigte. Auf meine Frage Wer ist da? erfolgte statt der Antwort eine stumme Verbeugung.

An Gespenster hatte ich nie geglaubt. Ein Dieb konnte es auch nicht sein, weil die Fenster mit eisernen Stäben vergittert waren und ich die Stubentür verschlossen vorgefunden hatte. Ich konnte also nur auf eine unzeitige Neckerei raten, die indessen keinem im Haus, am wenigsten aber meinem Freund zuzutrauen war. Ich wollte nicht gern unnötigen Lärm machen und auch vor der Köchin keine Blöße geben. Ich trat also aus dem Zimmer wieder heraus in die Küche und forderte die Köchin auf, mir aufrichtig zu sagen, ob nicht mein Freund gekommen und ins Zimmer gegangen wäre.

»Mein Gott! Nein, Herr Scharden!«, erwiderte sie, »ich habe Ihnen ja schon gesagt, dass niemand gekommen ist. Warum sind Sie denn unruhig? Ich glaube wahrhaftig, Ihnen graut in der finsteren Stube.«

Diese Bemerkung verdross mich. »Bringen Sie mir nur gleich Licht, sobald der Knecht kommt«, erwiderte ich, eilte in das Zimmer zurück und zog die Tür hinter mir zu, fest entschlossen, der Komödie sogleich ein Ende zu machen.

Die Figur stand noch immer neben dem Fenster und verneigte sich.

»Höre«, rief ich ihr zu und nannte den Namen meines Freundes, »wenn du es bist, so beschwöre ich dich bei unserer Freundschaft, mach diesem unzeitigen Spaß ein Ende. Ich will nicht meinen Zöglingen und dem Hausgesinde zum Gespött werden. Gibst du dich nicht zu erkennen, so schreibe dir selbst die üblen Folgen meiner Maßregeln zu.«

Statt aller Antwort, abermals eine stumme Verbeugung. Nun riss mir die Geduld. Ich fuhr, in Harnisch gebracht, auf die Figur los und schlug mit der geballten Faust von oben herab auf sie ein, was ich aus Leibeskräften vermochte. Polternd fiel die Figur auf einen neben ihr stehenden Tisch mit Tassen, den sie umwarf. Nun erst bemerkte ich am Gefühl und nachdem ich mir den Wachsstock angezündet hatte, auch mittelst der Augen, dass ich es mit niemand anderem zu tun gehabt hatte als mit dem Perückenstock. Ich war kurz vor dem Abendessen nicht in meinem Zimmer gewesen. Indessen hatte der älteste Junker den Perückenstock aus dem Winkel, wo er gewöhnlich zu stehen pflegte, hervorgeholt und sich mit seinem Bruder an einer alten Perücke im Haarkräuseln geübt. Mitten in dieser Arbeit wurden sie zum Essen gerufen. Anstatt nun erst die Ordnung im Zimmer wiederherzustellen, nahmen sie sich, um nicht auf sich warten zu lassen, nur so viel Zeit, sich die Hände zu waschen. Das Handtuch – ein sehr langes, wie man es auf dem Land zu haben pflegt – war von den flüchtigen Kindern aus Versehen sehr nass gemacht worden. Sie hatten es daher, bevor sie zum Essen geeilt waren, über den Perückenstock zum Trocknen ausgebreitet. Der Zufall, dessen Spiele oft so auffallend als mannigfaltig sind, wollte, dass der Perückenstock mit seinem Kreuzfuß gerade auf die Fuge von zwei Dielen gestellt worden war, deren eine sich verworfen hatte und überhaupt auf ihrer Unterlage nicht mehr fest lag. Wenn man auf diese Diele trat, so kippte der Perückenstock; daher die Verbeugung.

Indessen kostete mich diese zufällige Entdeckung und mein mit zu wenig Überlegung geäußerter Mut, ein halbes Dutzend Tassen und zwei Finger der rechten Hand, die auf immer gelähmt sind, und mir, wie Sie sehen, krumm und unbrauchbar in der Hand liegen.

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