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Nick Carter – Nick Carters beste Maske – Kapitel 6

Nick Carter
Nick Carters beste Maske

Kapitel 6

Im Verbrecherkeller

McGonnigal schritt direkt auf die Stelle zu, wo Nick Carter stand. Er war ein riesenhaft gebauter Mann mit einem Bulldoggengesicht und dem Kainszeichen des erblich belasteten Verbrechers auf der zurücktretenden niedrigen Stirn. Sein tückischer, lauernder Blick richtete sich forschend auf den Ankömmling.

»Wer drückte den Knopf?«, fragte er mit heiserer Stimme.

»Ich war es«, entgegnete Nick gleichmütig.

»Well, wer bist du und wie heißt du?«

»Ich bin Tony Arco.«

»Ein Dago?«, forschte McGonnigal, indem er sich der in Amerika für die Italiener üblichen verächtlichen Bezeichnung bediente.

»No, Sir, ich bin von Korsika.«

»So, daher?«, brummte der Wirt, der nicht recht wusste, ob die Insel Korsika zu Afrika oder Südamerika gehörte. »Was willst du hier?«

»Verschwinden will ich – und das je eher, je besser!«

»Du warst noch nie zuvor hier. Wer schickt dich hierher?«

»Bobby und Al. Sie sind am Fluss weiter rauf in der Sommerfrische.«

»Er hat den Klingelknopf allein gefunden«, wisperte Jimmy, der nahebei stehen geblieben war und zugehört hatte.

»Goddamn, du siehst nicht sehr einladend aus«, knurrte McGonnigal unschlüssig.

»Da magst du recht haben!«, erwiderte der vermeintliche Tony Arco spöttisch. »Hol der Teufel die Lumpen … doch sie halfen mir durch. Ich habe etwas Draht bei mir, um mir neue Fleppen (Legitimationspapiere) zu kaufen, falls du mich ins Mauseloch lässt.«

»Well, das lässt sich vielleicht machen. Wer führt das Buffet drinnen?«

»Sandy Crogan.«

»Stimmt – und wer steht im Tanzsaal an der Bar?«

»Dort ist keine Bar, sondern auch ein Buffet, und den Tanzsaal nennt ihr über der Schlaufe … Buff Magin sollte dort sein, falls er jetzt nicht eine andere Stellung in Boston hat.«

»Stimmt wiederum!«, bemerkte der Boss schon etwas freundlicher.

Nick stieß ihn vertraulich an. »Sieh, Boss«, wisperte er, »Bobby hat mich auch gelehrt, wie man die Knöpfe hantiert, die zur Hintertür führen … du verstehst mich.« Er zwinkerte vielsagend mit den Augen. »Ich denke, du weißt nun Bescheid – oder nicht?«

»Hm, sage einmal, wenn wir beide nun zusammen durch jene Tür dort gehen wollten, welches Signal würdest du dann geben?«

»Kinderleicht. Ich drücke die beiden obersten Knöpfe nieder, erst den linken, dann den anderen, damit die drinnen wissen, dass zwei warten, die schon drinnen waren … ist aber ein Neuling darunter, so warte ich einen Augenblick und drücke nochmals am linken Knopf!«

McGonnigal nickte zufriedengestellt. »Und weiter?«, fragte er.

»Dann drücke ich dreimal am rechten Knopf, um anzuzeigen, dass ich ein Fremder bin, der eintreten darf.«

»Ganz richtig … doch wenn du nun kein Fremder, sondern schon drinnen gewesen bist … was geschieht dann?«, forschte der Boss weiter.

»Dann fange ich mit dem Knopf rechts unten an und drücke alle der Reihe nach nieder … nur die beiden obersten Knöpfe, die ich ganz zuerst berührt habe, lasse ich aus.«

»Du weißt trefflich Bescheid – well, ich denke, ich kann dir vertrauen und will es mit dir wagen.«

»Na, selbstverständlich! Bobby und Al sind sehr gute Freunde von mir, wie du wissen wirst.«

»Well, Bobby ganz gewiss, doch Al meint, du wärst nicht gut auf ihn zu sprechen, Mac.«

»Sagte er das? Das ist schon längst wieder vergeben und vergessen … doch höre, wer ist denn von beiden der größere?«

»Bobby. Der ist just so dunkelhäutig wie ich. Al dagegen ist blass im Gesicht und von schmächtiger Gestalt.«

»Und du heißt Tony Arco?«, fragte der Wirt immer noch misstrauisch.

»Well, es ist nicht meine Schuld, denn meine Eltern ließen mich so taufen.«

»Und wo warst du schon?«

»Zuerst in Korsika. Dann in New York. Das war ungefähr vor zehn Jahren. Dann in Chicago, doch nur ein oder zwei Monate. Dann in San Francisco; vor vier Jahren kam ich nach Albany. Dort wollten sie mich 19 Jahre lang umsonst füttern und kleiden.«

»Warum?«, fragte McGonnigal lakonisch.

Nick zuckte spöttisch mit der Schulter. »Kalkuliere, ich war zu schnell mit meinem Messer. Ich knackte gerade einen Kassenschrank, der einem reichen Juden gehörte … well. Er störte mich bei der Arbeit, was ich ihm übelnahm. Wohnung und Kost waren ja billig, aber nicht nach meinem Geschmack. Da machte ich mich auf die Socken. Nein, waren die Aufwärter dort höflich. Einer wollte mich gar nicht fortlassen. Ich musste es ihm erst mit meinem Brecheisen verständlich machen, dass ich mich bereits für die Abreise entschieden hatte. Well, ich musste notgedrungen erproben, was härter war, mein Brecheisen oder der Schädel des zudringlichen Kerls. Well, das Brecheisen blieb ganz, der Mann dagegen sagte keinen Ton mehr – und da bin ich.«

»So, kannst du also Kassenschränke knacken?«, erkundigte sich McGonnigal.

»Mit Dynamit meinst du?« Der vermeintliche Korse zog eine verächtliche Miene. »Ich bin kein Pfuscher, sondern mache feine Handarbeit. Ist es nicht Zeitverschluss, gibt es keine Schrankkombination, die ich nicht binnen 30 Minuten aufbrächte.«

»Well, du sollst deine Kunst zeigen. Komm mit hinein.«

»In den Lumpen hier, Mac?«

»Ich staffiere dich aus, wenn wir drinnen sind. Komm nur, Tony.«

»All right, Mac, doch wenn du dir nichts daraus machst, so …«

»Nun, was denn, Tony?«

»Well, lieber ist es mir, ich bleibe noch einen Tag oder so in den Lumpen; ich habe heute Nacht – zwischen drei und vier Uhr in der Frühe – ein Geschäft abzuwickeln. Da muss ich fort und fühle mich in den Lumpen hier am sichersten.«

»Was für ein Geschäft?«, erkundigte sich der Wirt mit neu erwachtem Misstrauen.

»Mit Bobbys Frau. Er hat noch einen Haufen Goldsachen vom letzten Mal irgendwo versteckt. Ich soll seine Frau hinführen, damit sich kein unberufener Schatzgräber einstellt.«

»So, so, das lohnt sich wohl, Tony?«, brummte McGonnigal augenzwinkernd.

»Well, das Bücken verlohnt sich wirklich«, bestätigte Nick schmunzelnd.

»Und wo ist es denn, Pard?«

»Genau dort, wo es Bobby versteckt hat, Mac. Du musst schon entschuldigen, doch ich habe Bobby versprochen, nichts zu verraten – und ein dufter Junge hält sein Wort.«

»Selbstverständlich!«, pflichtete McGonnigal mit dem größten Ernst bei. »Nun komme nur mit. Drinnen sind wir vielleicht ein Dutzend – ich werde dich schon einführen.«

Ohne ein weiteres Wort hinzuzufügen, ging der Wirt zu der linken Eisentür. Dem Wächter davor flüsterte er einige Worte zu, worauf sich die Tür plötzlich öffnete und Nick in Begleitung des Hausherrn in das Mauseloch eintrat.

Sobald sie die Schwelle überschritten hatten, blieb McGonnigal stehen.

»Gentlemen«, begann er mit seiner heiseren, an das Bellen eines gereizten Kettenhundes erinnernden Stimme, »ich führe euch hiermit einen neuen Bekannten zu. Das ist nun schon der Zweite heute Nacht, und ich gestehe, er sieht etwas verdächtig aus. Doch der Mann hier ist all right und von guten Freunden geschickt. Er kennt das Passwort und alles Drum und Dran noch besser als der andere. Er heißt Tony Arco; seid ihr willens, meine Einführung als genügende Sicherheit zu betrachten?«

»Selbstverständlich!«, rief man ihm von allen Seiten entgegen.

»Tony sagt, er sei ein Fachmann auf Kassenschränke, und er wird uns eine kleine Vorstellung zum Besten geben. Das ist doch so, Tony?«, fragte er den neben ihm Stehenden.

»Wenn du es sagst, Mac, dann stimmt es auch!«, lautete dessen Antwort.

»Abgemacht. Siehst du den Kassenschrank dort in jener Ecke?«

»Ob ich ihn sehe? Ich kann ihn riechen, Boss. Ich wittere förmlich jeden Kassenschrank, der etwas im Magen hat!«

»Well, der Schrank ist geschlossen. Wollen sehen, wie lange du zum Aufmachen brauchst.«

»Bekomme ich, was drinnen ist?«, erkundigte sich Nick unter dem allgemeinen Gelächter der Anwesenden.

»Das wohl weniger. Doch ich zahle drei Runden vom hochfeinsten Stoff für alle«, meinte der Wirt. »In zwanzig Minuten musst du fertig sein.«

»Ich sagte zwar dreißig Minuten, doch mit der Kindersparkasse dort bin ich in einer Viertelstunde fertig. Also, habe ich das Ding nicht in fünfzehn Minuten offen, so zahle ich die Getränke; ist es so recht?«, fragte Nick, der sich dem Schrank inzwischen genähert hatte.

»Also los! Und du, Sandy, bediene einstweilen die Ladys und Gentlemen, während Tony zeigt, was er kann.«

Während dieses kurzen Gespräches hatte Nick Carter die im Zimmer Anwesenden der Reihe nach scharf betrachtet. Er erblickte drei junge Frauen, bunt aufgeputzte, geschminkte Geschöpfe, in denen er sofort gefährliche Taschendiebinnen erkannte. Außerdem erregte seine Aufmerksamkeit noch der Mann, der von Mac als der andere Neuankömmling bezeichnet worden war.

Dieser Mann saß zusammen mit den drei Frauen an einem Tisch. Immer wieder musste Nick verstohlen nach ihm hinblicken, während er innerlich die Frage erwog, ob ihn sein Glücksstern wirklich wieder direkt auf die Spur von Morris Carruthers geführt hatte. Dabei entsprechen nur Höhe und Körperbau der Gestalt des Gesuchten, sonst war nicht die geringste Ähnlichkeit vorhanden. Doch jener feine Instinkt, welcher dem geborenen Detektiv eigen ist, sagte ihm, dass er auf der Fährte des von ihm gesuchten Verbrecherkönigs war. Sobald er mit dem Öffnen des Kassenschrankes fertig geworden war, wollte er sich darum am Tisch des Fremden niederlassen und versuchen, diesem schärfer auf den Zahn zu fühlen.

Vorläufig indessen verwendete er all seine Aufmerksamkeit auf den Kassenschrank. Er hatte sich vor ihm auf die Diele gesetzt und begann, den Knopf der Kombination zu drehen, während er unter der atemlosen Aufmerksamkeit der Anwesenden auf das dadurch verursachte, kaum hörbare Geräusch lauschte. Zuerst drehte er den Knopf ungemein rasch bald nach der einen, bald nach der anderen Seite, aufmerksam auf das dadurch hervorgebrachte Geräusch achtend. Nachdem er dies mehrere Male wiederholt hatte, begann er sehr langsam und vorsichtig nach rechts zu drehen.

So behutsam geschah dieses, dass man seine Hand kaum sich bewegen sah. Dann schien er die eine Kombination gefunden zu haben und begann nun ebenso unmerklich in der entgegengesetzten Richtung zu drehen, verfolgt von den kritischen Blicken des sachverständigen Publikums. Dreimal drehte er die Kombination, nach jeder Umdrehung unmerklich innehaltend. Darauf drehte es von Neuem zweimal nach rechts und dann noch ein halbes Mal.

»Well, der Kassenschrank ist aufgeschlossen«, sagte er gelassen. »Es ist noch keine zehn Minuten her, wie ich sehe – jetzt ist das Kombinationsschloss nur noch nach links zu drehen, bis es knackt – seht ihr, so – und nun dreht man den Griff nach rechts – so, und dann gibt man einen Ruck – das macht man ungefähr so – und damit springt die Tür auf, und der Alte bezahlt drei Runden.«

Damit riss er auch schon unter dem beifälligen Gemurmel der Anwesenden die schwere Tür auf, und der Kassenschrank erwies sich tatsächlich als geöffnet.

»Donnerwetter, den Trick muss ich auch kennen lernen!«, rief ein wüster Kerl, in welchem Nick sofort einen berüchtigten schweren Jungen erkannte, der die Hälfte seines Lebens hinter den schwedischen Gardinen zugebracht hatte. »Ich zahle dir 1000 Dollar, Tony, lehrst du mir den Zauber!«

Nick Carter lachte laut auf. »Well, Kamerad«, entgegnete er, »ich würde dir den Trick mit Vergnügen umsonst lehren, ginge das überhaupt. Doch so etwas muss man im Gefühl haben; das ist angeboren. Das kann man nicht lernen, sondern es hängt mit dem Gehör zusammen. Ich habe es wohl ein dutzend Mal anderen beizubringen versucht, doch sie konnten es mir nicht nachtun. Doch eines Tages, alter Junge, will ich dir und jedem hier im Zimmer, dem es darum zu tun ist, den Trick wieder vormachen, aber an einem anderen Kassenschrank, wo mehr zu holen ist als ein freier Trunk, verstanden?« Er zwinkerte vielsagend mit den Augen. »Vielleicht lernst du es dann, wenn du das Gehör dazu hast – sonst nicht in tausend Jahren. So viel ist sicher!«

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