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Schauernovellen 6 – Der Märtyrer

Ferdinand Kleophas
Schauernovellen Band 2
Verlag Franz Peter, Leipzig 1843

Der Märtyrer

Die Tugend lohnt, wenn nicht mit Glück hienieden,
belohnt sie doch das Herz mit jenem Frieden,
den keine Marter aus dem Busen reißt,
der noch im Tode Gottes Allmacht preist.
Schmach sind der Menschen arme Seelen,
die bei der Folter argem Quälen
die Lüge für die Wahrheit wählen.

Die Feierabendglocke hatte ausgesummt; es war eine der finstersten Nächte. Ohne die Pechpfannen vor dem Säulenhaus hätte man nicht die niedrigen Hallen und gotischen Bogen dieses Palastes Philipps von Valois sehen können, obwohl er an einem in die Augen fallenden Ort erbaut war, auf dem höchsten Teil des Greve, einer sandigen Fläche, die in jähem Abschuss sich bis zum Bett der Seine herabzog.

Ein junger Mann kam aus einem der dem Palast zunächst stehenden Häuser. Er warf auf die rechte Schulter einen Teil seines großen Mantels zurück, um ohne Zweifel im Fall der Not sich besser des eisenbeschlagenen Stockes bedienen zu können, den er in der Hand hielt, und setzte sich in raschen Lauf. Nachdem er längs dem Ufer hin geschritten war, durchlief er noch den benachbarten Kai in seiner ganzen Länge, durchschnitt einige Straßen und ließ endlich in seinem schnellen Gehen nach. Noch ganz außer Atem klatschte er zu zwei verschiedenen Malen in die Hände.

Die Tür einer Wohnung, die sich gegenüber befand, öffnete sich vorsichtig und es trat eine junge, in eine lange Mantille gehüllte Frau heraus. Sie ging auf den jungen Mann zu und hielt ihm eine zitternde Hand entgegen.

»Henryot«, sagte sie nach langem Schweigen mit bewegter Stimme, »diese Zusammenkunft ist die letzte. Du musst morgen auf immer in ein anderes Land reisen, denn unsere Liebe ist nicht mehr unschuldig und rein, wie in der Zeit unserer Jugend. Sie ist … Heilige Jungfrau, verzeihe es mir! … sie ist Ehebruch geworden.«

Der junge Mann stieß ein klangloses Seufzen aus.

»Ach! Ja, mein süßer Henryot, wir müssen uns auf immer verlassen … du musst jetzt aus deiner Brust das Andenken an Margarete entfernen, wie man einen unreinen Gedanken des bösen Geistes verwirft … Leb wohl denn … Leb wohl, leb wohl, mein Henryot!«

Bisher war er, wie von der Verzweiflung vernichtet, ruhig geblieben. Als er sie aber einen Schritt machen sah, um sich zu entfernen, erhob er sich plötzlich und ergriff die Hand wieder, welche die seine soeben losgelassen hatte.

»Nein«, rief er, »nein, du gehörst mir! Du bist meine Gattin! Schwatzten in unserer Jugendzeit unsere Eltern, während wir in ein und derselben Wiege schliefen, nicht süß und vertraulich von dem Plan unsrer Heirat? Lächelten sie nicht, wenn ich mein Spielwerk nur von der Hand meiner kleinen Margarete berühren ließ? Als ich nach Flandern reiste, um mit meiner Kunst Goldtaler zu verdienen, wurde da nicht beschlossen, dass man in vier Jahren bei meiner Rückkehr unsere Hochzeit feiern wolle? Fühlte ich nicht, als ich dir den Abschiedskuss gab, deine Wangen von Tränen nass und deine Hand so fest, so fest in der meinen? … Und als du mich wiedersahst … Wehe! … Sie haben ihr Versprechen gebrochen, sie haben dich arme Schutzberaubte gezwungen, dich unter ihre Gewalt zu beugen und an einen rohen Soldaten zu verheiraten … Heilige Jungfrau! Ist der Eid, welcher dich an ihn bindet, heiliger als der, welcher dich an mich bindet? … Ja, du gehörst mir! Komme denn, komm, komm, wir wollen fliehen! … wir werden in fernen Landen ein Asyl finden, wo man uns nicht beunruhigen wird.«

Margarete weinte bitter und antwortete nicht.

»Komm … lass uns gehen!«, setzte er mit Hast hinzu.

Sie erhob ihren Kopf, den ihre beiden Hände verbargen. Die Arme über die Brust kreuzend, sagte sie: »Henryot, sprichst du so zu mir? Du, der du einst, ach, in glücklicheren Zeiten zu mir sagtest: Wahre Liebe ist nur reine und heilige Tugend; ohne Pflichten gibt es keine Liebe. Henryot, wenn ich deinem Verlangen nachgebe, wie lange Zeit würde vergehen, ehe du mich mit Verachtung betrachtetest, ehe meine Gegenwart dir nicht eine lästige Bürde wäre, ein Gewissensbiss, eine Strafe für dein Vergehen? … Nein, mein Freund, wir müssen uns trennen, für immer … Leb wohl, leb wohl, leb wohl!«

Sie entfernte sich rasch. Er sah ihr mit starrem Blick nach, ohne ein einziges Wort zu sagen, ohne eine einzige Bewegung zu machen, um sie zurückzuhalten.

Er stand noch da, unbeweglich und den Tod im Herzen, als ein Hilferuf ihn aus dieser schrecklichen Erstarrung riss. Mit einem maschinenmäßigen Trieb zur Verteidigung erhob er sich und legte die Hand an seinen eisenbeschlagenen Stock. Das Schreien wurde deutlicher und er sah beim Schein des Mondes einen Mann, der sich gegen zwei andere verteidigte. Henryot lief dem zu Hilfe, den man so feiger Weise angriff; aber als er ankam, lag der eine der Mörder am Boden und der andere ergriff bei dem Anblick des neuen Kämpfers die Flucht.

»Der heilige Georg helfe euch!«, sagte der Unbekannte mit einem starken englischen Akzent. »Ohne Euch wäre es um mich geschehen gewesen, aber wir wollen uns schnell entfernen! Ich fürchte, dass der Flüchtige Verstärkung holt, um mir noch einen Streich zu spielen, der auf Euch zurückfallen könnte. Vollendet Euer gutes Werk und lasst mich auf Euren Arm stützen bis in meine Wohnung, die nicht mehr fern ist, denn der Blutverlust schwächt mich so, dass ich mich kaum noch aufrechthalten kann … aber was sucht Ihr da bei diesem Leichnam? Mein Messer … um Gott lasst uns eilen, schnell, ohne Verzug! Da unten kommen mehrere Leute und wir könnten schlecht wegkommen, wenn sie uns träfen … Kommt doch … Ich will Euch tausend Messer geben, für dieses da.« Sich auf den Arm Henryots stützend, entfernte er sich mit demselben.

Nach wenigen Minuten kamen Henryot und der Fremde vor eine Tür, welche Letzterer vorsichtig öffnete und mit nicht weniger Sorgfalt wieder schloss.

Sie gingen hierauf über einen kleinen Hof und durch mehrere große Gemächer, wo eine gänzliche Finsternis herrschte. Endlich befanden sie sich in einem reich tapezierten Zimmer, unter dessen hohem Kamin eine Dame saß, deren Züge und Haltung voll von hohem Anstand und Melancholie waren.

Bei dem Anblick des bleichen, blutbedeckten Fremden stieß sie einen lauten Schrei aus und eilte in der äußersten Unruhe auf ihn zu, mit den deutlichsten, unverkennbaren Zeichen der Liebe und Verzweiflung.

»Es ist nichts, Isabella, meine Wunde ist nicht gefährlich«, sagte in englischer Sprache Henryots Gefährte.

»Aimond, Aimond, welcher Elende hat einen Angriff auf dein Leben machen können?«

»Euer Bruder, der König von Frankreich, oder wenigstens Bewaffnete seines Hauses. Zwei Männer, die seine Livree trugen, haben mich unversehens angegriffen. Der eine hat Bekanntschaft mit meinem Dolce gemacht, der andere hat die Flucht ergriffen. Dank sei es der Hilfe, die mir dieser junge Mann geleistet hat.«

Die Königin warf auf Henryot einen bewegten Blick, der die tiefste Erkenntlichkeit ausdrückte.

»Die Gefahr, welcher ich entgangen bin«, fuhr der Fremde immer in englischer Sprache fort, »ist nicht die einzige, welche uns heute erwartet. Erschreckt von den Drohungen und gewonnen von dem Gold unseres Todfeindes, des Ministers Hugh Spencer, hat Euer Bruder, Carl der Schöne, soeben einen Vertrag unterzeichnet, nach welchem er Euch morgen der Rache Eduards II. überliefert. Ihr wisst, welches Los der Hass des Königs von England der Gemahlin bescheiden wird, die ihn beleidigt und erzürnt hat. Was mich betrifft, so kann diese Wunde Euch lehren, dass man nicht gesonnen ist, mich mit Euch nach England zu führen, und dass sie Eile haben, von meiner Grafschaft Kent zu erben.«

»Und wie können wir einer solchen Gefahr entgehen?«

»Es bleibt nur ein Weg, noch ist er zweifelhaft und unsicher: Wir müssen diese Nacht noch fliehen und Flandern zu gewinnen suchen. Mein treuer Harrys erwartet mich in einiger Entfernung von Paris mit fünfzehn oder zwanzig englischen Reisigen, so treu ergeben, wie er. Er ist vorausgeeilt, um diese braven Leute zu versammeln, welche das furchtsame Misstrauen Eures Bruders außerhalb des Bereiches der Stadt einquartieren ließ. Sind wir einmal bei ihnen, so sind wir gerettet. Wir werden ohne Furcht den Hof des Grafen von Hainaut erreichen, wo uns Wohlwollen, Hilfe und Schutz erwarten.«

»Harrys hatte mir einen Führer gegeben, um mich durch die Straßen der Stadt zu leiten, bis zu dem Ort, wo uns die Bedeckung erwartet; aber der Elende hat die Flucht ergriffen, als er die Mörder sah, die mich anfielen.«

Nach diesen Worten wandte sich der Graf von Kent an Henryot und fragte ihn auf Französisch, ob ihm die Straßen von Paris bekannt genug wären, um sie schnell und sicher auf die Straße nach Flandern führen zu können. »Ich werde Euch reich belohnen«, fügte er hinzu.

»Ich bedarf keiner Belohnung. Ich werde Euch schnell und sicher führen, wie Ihr es wünscht.«

»Auf den Weg! Gott und der heilige Georg stehen uns bei! Sie, Madame, nehmen Sie Ihren Sohn und Ihre reichsten Juwelen. Ich selbst will einen Zelter und zwei Rosse satteln.«

Wenige Augenblicke darauf kehrte der Graf zurück und sagte, dass alles bereit sei.

Die Königin, welche ihren Sohn in ihren Armen trug, folgte ihm mit Henryot, und alle drei machten sich auf den Weg, erst im Schritt und mit Vorsicht, dann im Galopp und mit aller Schnelligkeit ihrer Pferde.

Der Tag fing an zu grauen und sie hatten noch nicht in ihrer Eile nachgelassen. Beschäftigt mit ihrem Kummer und ihren Gefahren, hatten alle drei noch kein Wort gesprochen. Das Kind schlief unausgesetzt einen tiefen Schlaf.

Die Königin brach zuerst dieses düstere Schweigen. Sie wandte sich an Henryot. »Jetzt, da wir auf gutem Wege sind und ohne Zweifel nicht mehr fern von unserer Bedeckung, würde es geraten sein, dass Ihr zurückkehrt, denn wenn man wüsste, dass Ihr unsere Flucht begünstigt habt, würde es Euch das Leben kosten.«

»Das Leben gilt mir nichts mehr. Ich habe für immer verloren, was es mir teuer machen könnte.«

»So jung und hoffnungslos unglücklich! Wie kann das sein?«

Henryot erzählte kurz seine traurige Liebschaft mit Margarete. Diese Erzählung machte einen tiefen Eindruck auf die Königin. Diese verschämte und edle Liebe war ein sehr bitterer Vorwurf für die Leidenschaft, welche sie auf den Punkt irregeleitet hatte, dass sie zwei Königreiche zu Zeugen ihrer strafbaren Liebe für den Bruder ihres Gemahls, für Aimond, Grafen von Kent, gemacht hatte.

Das Herz schmerzhaft beengt, richtete sie ihre tränenfeuchten Augen auf den, um dessen Liebe willen sie Ruhe, Glück, Thron, Gewissen und guten Namen verloren hatte. Sie suchte irgendeine gleiche Stimmung in dem Antlitz dieses teuren Geliebten.

Die Lippen des Grafen waren von einem höhnischen Lächeln zusammengezogen. Er spottete über Henryot, wegen dieser äußersten Zärtlichkeit, welche ihn bewogen hatte, lieber Margarete auf immer zu verlassen, als ihr die Gewissensbisse und die Beschämung zu verursachen, aus dem Haus ihres Gemahls geflohen zu sein.

Als sie die Ironie seiner Blicke sah und die Bitterkeit seiner Scherze hörte, bemächtigte sich zum ersten Mal ein schrecklicher Zweifel der unglücklichen Fürstin. Sie fragte sich, ob der Graf von Kent sie wirklich liebe, ob diese Zärtlichkeit, welche ihr Opfer in so viel Schande und Unglück gestürzt, nicht eine kalte und ehrgeizige Berechnung wäre. Ach! Sie wagte nicht, diese schmerzliche Prüfung zu enden, zu ergründen. Sie wandte sich ab, um nicht eine plötzliche, schreckliche Wahrheit zu sehen, die sich ihr zum ersten Mal zeigte.

Ach! Sie büßte damals sehr hart, den Fehler, den sie begangen hatte.

In diesem Augenblick erreichten die Reisenden die Bedeckung, die sie erwartete. Die Königin gab Henryot einen kostbaren Ring, welchen sie ihn bat, zu ihrem Andenken aufzubewahren. Der Graf von Kent nahm ihn ernst beiseite und sagte: »Junger Mann, indem Ihr uns zu Hilfe kamt, habt Ihr mehr für Euch getan, als Ihr vielleicht denkt. Ich halte es noch nicht für gut, Euch zu sagen, wer wir sind, aber die Mutter der Gnaden und St. Georg mögen uns helfen und uns nie verlassen. Und Ihr werdet Euch des heutigen Tages erinnern.«

Bei diesen Worten schloss er sich seinen Leuten an und Henryot kehrte nach Paris zurück.

In seiner Wohnung angelangt, saß Henryot schon seit einigen Minuten vor einem großen Tisch, auf dem Pinsel, Farben und alle zur Malerkunst nötigen Utensilien zerstreut umherlagen.

Henryot aber war einer jener Maler, deren Kunst mit der Erfindung der Buchdruckerkunst zu Grabe gegangen ist, und deren unübertreffliche Geschicklichkeit im Auftragen glänzender Farben wir noch heute in jenen kostbaren Manuskripten bewundern, welche sie mit Randzeichnungen zierten. Die Randzeichnungen heutiger Prachtausgaben beliebter Dichterwerke mögen sich nicht erkühnen, jenen glänzenden Produkten einer verlorenen Kunst an die Seite zu treten.

Vergeblich versuchte Henryot zu arbeiten. Die Erinnerung an die sonderbaren Ereignisse, welche ihm seit dem gestrigen Tag zugestoßen waren, hatte sich seines Geistes bemächtigt und hielt ihn in den tiefsten Träumereien gefangen, als das Geräusch und das Schreien einer großen, vor seinem Haus versammelten Menge, ihn endlich daraus weckten. In demselben Augenblick stürzten sich Häscher auf ihn, fesselten ihn eng und fest und führten ihn ins Gefängnis mitten unter den Schmähungen und Beleidigungen eines wütenden Pöbels, der ihm die Namen Elender und Mörder beilegte.

Als die Türen des Gefängnisses sich hinter ihm geschlossen hatten und man ihn in einen Kerker zog, öffneten sie sich wieder mit großem Geräusch und doppelten Verwünschungen des Volkes.

Es war Margarete, die man herbeiführte, die Hände gefesselt und bewusstlos in den Armen eines Häschers hängend.

Drei Monate ungefähr lag Henryot in dem Kerker, in den man ihn geworfen hatte, und keine andere Figur hatte sich seinen Blicken geboten, als die finsteren Züge seines Wärters, eines felsenharten Menschen, aus dem er nie ein Wort hatte bringen noch erfahren können, warum man ihn seiner Freiheit beraubt habe.

Er bildete in diesem Betracht hundert und tausend Mutmaßungen, ohne zu wissen, an welcher er festhalten sollte: Wenn der Fremde, dessen Flucht er begünstigt hatte, Ursache seiner Gefangenschaft war, warum war Margarete in eine Sache verwickelt, an der sie nicht einmal indirekt teilgehabt hatte? Woher dieses Pöbelgeschrei, das noch in seinen Ohren widerhallte: Mörder, Meuchelmörder!

Es war ein Labyrinth, in welchem sich die Gedanken des armen, jungen Mannes verirrten. Die Ungewissheit, welche ihn folterte, war für ihn vielleicht eine härtere Strafe als der kalte, feuchte Kerker, in dem er halb nackt auf ein wenig nassem Stroh lag. Eines Morgens traten vier Männer ein. Nachdem sie sich genau überzeugt hatten, dass seine Ketten in gutem Zustand waren, führten sie ihn mit sich fort.

Es war damals die schöne Zeit des Frühlings, die Luft war rein und mild, der Himmel hell und azurblau. Als er aus dem düsteren ungesunden Loch ging, wo er seit so langer Zeit sich krümmte, überlief ein süßer Schauer seine Glieder, belebte und erwärmte sie. Ein unnennbares Wohlsein drang in alle seine Sinne und diese ganz physische Empfindung ließ ihm einen Augenblick seinen Kummer und die grausige Lage vergessen, in der er sich befand.

Die Stimme derer, welche ihn umgaben, und der Befehl, vorwärts zu schreiten, gaben ihm bald gänzlich dem Schrecken seiner Lage wieder.

Sie gingen durch mehrere Straßen und führten ihn in einen weiten Saal, wo Richter und eine große Volksmenge versammelt waren. Beim Eintreten Henryots ließ sich ein unwilliges Murmeln unter den Zuschauern hören und verdoppelte sich, als er beim Anblick Margaretes, einen schneidenden Schrei ausstieß und sich auf sie stürzen wollte.

Man ließ ihn auf eine Bank setzen, welche der gegenüberstand, woran Margarete gefesselt war.

Der erste Richter sagte alsdann: »Henryot Mahu, du bist der Mörder Peters von Maurepas, bei seinen Lebzeiten bewaffneter Diener des Hauses seiner Majestät, des Königs von Frankreich.«

»Du hast ihn hinterlistig getötet, in der Nacht, durch Anfall in seinem eigenen Haus und ihn herausgeschleppt mit Hilfe seiner Frau, Margarete Beaumin, welche dir an diesem Abend eine Zusammenkunft gestattet hatte zu dem Ende, genannten Maurepas zu töten. Die Gerechtigkeit des Königs, welche den Leichnam aufheben ließ, hat nicht weit davon dieses Messer da gefunden, in dessen Scheide ein kleines zusammengerolltes Pergament steckte, welches diese Worte enthielt: Diesen Abend um die Vesperstunde, ist es zum letzten Mal. Es ist von Margarete geschrieben, denn man hat ihr törichterweise die Schreibekunst gelehrt, die nur den Mönchen zukommt, um die Heilige Schrift zu lesen und zu erhalten, und den Leuten des Gesetzes, um dieses auszulegen. Weit klüger würde man getan haben, wenn man ihr die fromme Unwissenheit gelassen hätte, die jeder Frau zukommt, die in der Furcht Gottes und in der Beobachtung der Pflichten ihres Standes erzogen ist.

»Henryot Mahut, was hast du zu antworten?«

Henryot, niedergedrückt durch das Gewicht einer schrecklichen Beschuldigung, deren verderbliche Wahrscheinlichkeit ihm nicht erlaubte, sich zu rechtfertigen, konnte nur mit einer heiseren, tonlosen Stimme sagen: »Sie ist unschuldig.«

»Und du, Margarete Beaumin?«

Die junge Frau erhob sich und sagte: »Der Himmel ist mein Zeuge, dass ich unschuldig bin und Henryot auch!«

Geschrei des Unwillens erhob sich von allen Seiten und hinderte sie, zu vollenden. Sie setzte sich ruhig wieder nieder.

Henryot, der von seiner ersten Bewegung sich erholt hatte, wollte alsdann auseinandersetzen, durch welche Folge der Ereignisse er sich als ein Opfer so täuschenden Scheines sähe, aber der Richter hörte ihn mit ungläubiger Miene, und die Zuschauer wieder holten von allen Seiten: »Sie sind schuldig. Man muss Peter Maurepas rächen, der so schändlich umgebracht worden ist.«

Der Richter erhob sich, um die Sentenz zu lesen: Sie verdammte Henryot Mahu und Margarete Beaumin als Mörder und Ehebrecher auf dreifache Weise gerichtet zu werden, nämlich: auf einer Rindshaut mit Trompeten durch die ganze Stadt von Straße zu Straße gezogen und dann vor das Haus der genannten Margarete Beaumin geführt zu werden. An diesem Ort sollten sie an eine Leiter gebunden werden, so hoch, dass jeder Große und Kleine sie sehen könne, und sollte man an genanntem Platz ein großes Feuer gemacht haben.

Wenn sie angebunden sind, sollte man ihnen die Rechte und die Linke abhacken, die Zunge ausreißen und die Augen blenden.«

Danach sollte man diese Glieder ins Feuer werfen, um sie zu verbrennen. Und dann sollte den armen Sündern das Herz aus dem Leib gerissen und ebenfalls ins Feuer geworfen werden; nachdem nun solches mit den mehrmals erwähnten Henryot Mahu und der Margarete Beaumin vorgenommen hatte, sollte man ihnen den Kopf abschlagen, den Rumpf vierteilen und in die vier belebtesten Straßen von Paris schicken.

 

*

 

Das Hotel St. Paul erhob sich auf den Ufern der Seine, und nicht weit von den Orten, wohin wir die ersten Ereignisse dieser Erzählung verlegt haben. Es war ein großes umfangsreiches Palais, das gebildet war aus zahlreichen Gebäuden, die zu verschiedenen Malen angekauft und untereinander verbunden, ein ziemlich unregelmäßiges Ganzes bildeten.

In dem innersten Teil des Hotel St. Paul befand sich ein weiter, mit Bäumen bepflanzter Hof, in dessen Mitte eine Fontaine sprudelte. Gitterwerk verschloss sorgfältig die Fenster, welche auf diesen Hof gingen, damit die Tauben, Fasanen und andere Vögel, welche im Bereich des Palastes gehalten wurden, nicht in die Gemächer dringen sollten, deren reiche Tapeten sie hätten besudeln können.

Am äußersten Ende dieses Hofes, in einer Art kleinen Turmes, schlief der König Carl der Schöne noch einen tiefen und süßen Schlaf, obwohl die Strahlen der Mittagssonne sich schon lange auf den dichten Vorhängen von Goldbrokat, welche das königliche Bett umhüllten, glänzend und blendend brachen.

Plötzlich ertönte das Geräusch eines schweren, festen Schrittes auf dem Marmorboden des Vorzimmers.

Obwohl halb erstickt durch die dicken, dicken Fußteppiche des Schlafgemaches hörte man sie doch sich mehr und mehr nähern und vor dem Bett des Königs verweilen.

»Bei meinem Schutzheiligen!« rief der Monarch ärgerlich, obwohl er den ernsten Gang und trockenen Husten seines Vetters, des Grafen Philipp von Valois erkannt hatte, »beim heiligen Carl, ist es mir nicht mehr gegeben, in Ruhe zu schlafen? Stehen meine Diener nicht an der Tür, die Hellebarde in der Faust, dass sie mich der Gnade und Ungnade des ersten Besten überlassen?«

»Ich bringe Eurer Majestät etwas, was Sie recht munter machen und selbst mehr als eine Nacht am Schlaf hindern wird«, erwiderte der Graf von Valois streng.

»Es kommt aus Hainaut ein Bote, welcher wenig erfreuliche Nachrichten bringt. Graf Johann und seine Reisigen haben bei ihrer Landung in England gute Aufnahme unter den Baronen dieses Landes gefunden. Die meisten von diesen haben sogleich die Fahne für die Königin ergriffen. Der König Eduard II. und sein Minister Spencer sind in Bristol belagert, zu Gefangenen gemacht und bei dem Herrn von Berkley in Verwahrung gegeben worden, der den Ersteren in engem und sicheren Gewahrsam in seiner Veste hält. Den anderen hat er bald und ohne Weiteres enthaupten lassen. Die Königin endlich, das heißt ihr Geliebter, der Graf von Kent, denn sie macht nur, was er will, ist zur Regentin des Königreichs zur Ersetzung des Königs erwählt worden, den man des Thrones für unwürdig erklärt hat. Nun trägt Aimond, der Graf von Kent, in seiner linken Seite die Wunde des Dolches eines Reisigen Eures Hauses. Er hat sich vorgenommen eine Wallfahrt zu unserer lieben Frauen von Paris zu machen, weil sie ihn vor so großer Gefahr geschützt hat. Dreißig tausend Piken von 30.000 Reisigen werden ihm bei dieser Prozession als Kerzen dienen.

»Und wie ist das alles geschehen, ohne dass ich es nur vermutet habe?«, fragte der König bleich und außer sich.

»Sechs Wochen haben dieser verdammten Seele Johanns von Hainaut dazu genügt; er ist am 24. Dezember in England gelandet, und der Akt der Entthronung des Königs Eduard, wovon hier die Abschrift ist, trägt das Datum vom 14. Januar.«

Der König antwortete nicht und Philipp von Valois nahm nach einem Augenblick des Schweigens wieder das Wort.

»Und welche Streitkräfte werden Sie einem so schrecklichen Feind, der nie verziehen hat, entgegensetzen? Die Finanzen sind erschöpft. Sie werden Wechsler, Wucherer, Pächter auf die Folter legen können, wie Sie wollen. Sie werden sich eher hängen und rädern lassen, als dass sie einen Rosenduble von sich geben. Der Exempel sind viele. Auf die Hilfe der großen Vasallen und Lehnsmänner der Krone darf man nicht rechnen. Das englische Gold hat einen guten Teil derselben gewonnen; und die Übrigen haben notwendiger, sich miteinander herumzubalgen, als an Ihre Verteidigung zu denken. Es bleibt Ihnen nur die Freundschaft und Vermittlung Ihrer Schwester, die Sie liebt, ungeachtet des harten und ungalanten Benehmens, dessen Sie sich rücksichts ihrer schuldig gemacht haben. Aber auch diese beiden, Ihrer Schwester Freundschaft und Vermittlung, werden von heute an auf immer verloren sein. Denn man ist soeben im Begriff, einen Mann zum Tode zu führen, der ohne ihn zu kennen, ihrem teuren Aimond das Leben gerettet hat, und zwar an dem Abend wo Sie, um Hugh Spencer zu gefallen, ihn haben meuchelmörderisch anfallen lassen. Was ich Ihnen sage, habe ich soeben von einem ehrwürdigen Priester erzählen hören, der diesen Mann zum Tod vorbereitet hat und gekommen ist, mich um die Rettung eines Unschuldigen zu bitten. Hier ist zum Beweis ein Ring, den Ihre Schwester, Isabelle, ihrem Befreier zum Zeichen des Dankes gegeben hat.«

Alsdann ging der Graf in größere Einzelheiten und erzählte, was unsere Leser schon wissen.

»Es gibt noch ein Mittel, Vorteil aus diesem allen zu ziehen« sagte der König nach einiger Überlegung, »und dieses Ereignis den närrischen Gedanken meiner Schwester anzupassen, die so sehr das Wunderbare liebt. Leiht mir Eure Hilfe, Philipp, und alles wird aufs Beste gehen.

»Geht und ordnet an, dass man diesen Menschen in einer Stunde in die Kirche Notre Dame führe, um Buße zu tun und von da zur Strafe geführt zu werden.«

Der Graf sah den Monarchen erstaunt an. Der aber wiederholte den Befehl, den er ihm soeben erteilt hatte.

»Tut, was wir Euch befohlen haben, Vetter«, fügte er mit mehr Würde hinzu, als er gewöhnlich zeigte. Um den Bemerkungen, welche ihm Philipp von Valois noch machen wollte, eine Grenze zu setzen, rief er seine Diener und befahl ihnen, ihn schnell anzukleiden.

 

*

 

In dem Augenblick, wo der Beichtvater in den Kerker eingetreten war, um den Delinquenten zum Tode vorzubereiten, hatte er ihn in jenem Zustand tiefer Niedergeschlagenheit gefunden, welche durch ein großes Unrecht und die Gegenwart eines unvermeidlichen Übels erzeugt wird. Nachdem aber der alte Priester die Beichte Henryots und die Erzählung seiner Abenteuer gehört und ihm gesagt hatte, welcher hohen Personen Flucht er begünstigt hätte; als er ihm ein fast zuverlässiges Rettungsmittel gezeigt hatte, ein Mittel, seine und Margaretes Unschuld zu beweisen, bemächtigte sich des Verurteilten eine unruhige, wilde Freude. Eine drückende Beängstigung erzeugte in ihm eine Ungeduld und Aufregung, welche dem Wahnsinn nahe kamen.

In einer solchen moralischen Stimmung brachte er den übrigen Teil des Tages, die ganze Nacht und einen Teil des folgenden Morgens zu. Endlich öffnete sich die Thür seines Kerkers. Der alte Priester erschien. Seine Blässe, seine Tränen verkündeten, dass keine Hoffnung mehr blieb.

Alsdann ergriffen den armen Henryot eine plötzliche Verzweiflung, eine schreckliche Wut. Er fing an, im Kerker umherzulaufen, den Kopf an die Mauer zu schlagen, schreckliches Heulen auszustoßen und sich mit seinen Ketten zu verwunden.

Weder die freundliche Stimme des Priesters noch die kräftigen Bemühungen eines Kerkermeisters, der auf sein Schreien herbeigeeilt war, konnte den Wütenden bändigen.

Erst nach langer Raserei fiel er blutig und erschöpft zu den Füßen seines Beichtigers.

»O mein Sohn, mein Sohn!«, sagte alsdann der Mann Gottes zu ihm, »wenn die menschlichen Gerichte uns Unrecht und Weh antun, wird uns da nicht die himmlische Gerechtigkeit für unsere irdischen Leiden entschädigen und belohnen? Nimm mit Ergebung die Dornenkrone dieser Welt, um in einer besseren Welt die Krone der ewigen Glückseligkeit zu erringen. Und sie, sie? Welche Sünde hat sie begangen? Sie, deren Reinheit der Engelsunschuld gleicht? Man wird sie zerreißen vor einer Menge, die sich freuen wird bei jeder ihrer Klagen, die Beifall rufen wird bei jedem Fetzen Fleisch, den der Henker ihr abreißt!«

»Geht! Es gibt keine Gerechtigkeit, weder im Himmel noch auf Erden!«

Bei dieser Gotteslästerung bekreuzigte sich der fromme Greis und bat die Heilige Jungfrau, Henryot aus einer so erschrecklichen Verzweiflung zu retten.

»O! mein Kind«, nahm er bewegt das Wort, »stirb nicht als Ungläubiger, wirf nicht die himmlische Palme, welche die Engel dir reichen, von dir. Die Jungfrauen sind bereit, deine himmlische Hochzeit mit Margarete zu feiern. Sie entfalten das hochzeitliche Gewand, welches gereinigt werden soll durch das Martyrium; durch das Martyrium, das deine Liebe von allem irdischen reinigen wird. Stirb nicht so! Denn dein Tod würde für mich, der dich gestützt und getröstet hat, ein Anlass zu Tränen und endloser Verzweiflung sein.«

»O! Gnade, Gnade, mein Vater, aber es ist so schrecklich daran zu denken! … Wenn ich allein stürbe … aber sie! … sie!«

Der Priester gelangte endlich soweit, dass er Henryot ein wenig ruhiger machte. Als die Henkersknechte kamen, ihn zu holen, fanden sie ihn kniend zu den Füßen des ehrwürdigen Priesters, welcher aufrecht stand und ihn weinend segnete. Nach der Sitte jener barbarischen Zeiten, warf man ihn auf eine Haut und zog den armen Sünder unter den Schmähungen des Pöbels zur Kirche Notre Dame, wo er öffentliche Buße tun sollte.

Eine unermessliche Menge erfüllte die Kirche und wider die Gewohnheit führte man Henryot bis an den Chor, wo ein großer, schwarzer Vorhang ausgespannt war, um das Schauerliche dieser traurigen Szene noch zu vermehren.

Während man Henryot niederknien ließ, rollte der Vorhang auf und Margarete, geschmückt wie eine Braut, warf sich in die Arme ihres Geliebten, der in Ohnmacht sank.

Als er wieder zu sich kam, war Margarete noch da. Sie hielt noch seinen Kopf. Reich gekleidete Personen umgaben sie noch sowie auch Damen von vornehmen Äußerem, welche lächelten und weinten über das, was sie sahen … Es war kein Traum! … Nein!

Der König nahm an dieser Szene den Anteil, welchen der Autor eines Mysteriums an der Darstellung seines Werkes nimmt, während die Brüder der Passion es aufführen.

»Wohlan, Herr Bischof«, sagte er endlich zu einem Prälat in reichem Kirchengewand, »feiert die Trauung: Die Zeit ist da.«

»Hier ist die Mitgabe, die wir mit unserer königlichen Hand Margarete geben, und hier ist eine andere für Henryot Mahu. Diese im Namen unserer teuren Schwester, der Königin von England. Denn Sie alle sollen wissen, dass genannter Henryot unsere sehr geliebte Schwester aus einer der größten Gefahren gerettet hat, als man unseren königlichen Zorn gegen sie rege gemacht hatte. Aber so ist das Schicksal der Fürsten dieser Erde«, fuhr er mit Verstellung seufzend fort, »dass zu oft schlechte Ratschläge sie auf falschen Wegen gehen lassen.« Messire Robert von Artois«, fügte er hinzu, indem er sich an einen jungen Prinzen wendete, der zu seiner Linken stand, »gewiss nicht von Euch sind uns diese schlechten Ratschläge erteilt worden. Ihr habt immer zugunsten unserer Schwester gesprochen. Die Furcht vor unserem königlichen Zorn hat Euch selbst nicht abgehalten. Erzählt Isabelle all das und wie wir den braven und treuen Henryot belohnt haben … Hier, stellt dem Bräutigam diesen Ring zu, der uns dazu gedient hat, das Geheimnis zu bewahren und in den Tod geführt hätte. Er sei der Trauring. Ein treuer Diener meiner Schwester, empfange ihn von einem ergebenem Freund derselben.«

Man vollzog die Trauung, nach welcher sich der Monarch mit seinem ganzen Hof entfernte.

Das Volk, welches den armen Henryot soeben noch mit Verwünschungen überhäuft hatte, führte ihn im Triumph in seine Wohnung, zertrümmerte auf dem Weg dahin das Schafott und verhöhnte und zerriss beinahe einen der Richter, welche den Tag vorher den Unschuldigen verurteilt hatten, und den die Neugierde an das Fenster seiner Wohnung gezogen hatte.

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