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Papa Denke 3. Akt

Papa Denke
Ein Drama in drei Akten um Pökelfleisch und Perversionen

3. Akt

Gemeindehaus Münsterberg, 22. Dezember 1924

Es war Sonntag, es war später Nachmittag und in zwei Tagen war Heiliger Abend.

Der Richter der kleinen Stadt Münsterberg hatte es deshalb eilig, die Akten des unseligen Falls Vincenz Olivier gegen Karl Denke endlich schließen zu können. Gewiss sprachen alle Indizien gegen den arbeitslosen Steinhauer, aber je länger er über die Unschuldsbeteuerungen Oliviers nachdachte, umso mehr musste er eingestehen, dass man dem Wanderbursche doch vielleicht Unrecht tat. Er hatte deshalb auch Denke verhaften lassen.

Missmutig dachte er daran, was für einen Sturm der Entrüstung er damit ausgelöst hatte. Fast jeder Bürger in der Stadt fand es schändlich, wie man mit Papa Denke umsprang.

Wie konnte der Richter nur solch einen bescheidenen, freundlichen und barmherzigen Mann ins Gefängnis stecken, nur weil ihn ein obdachloser Bettelgeselle angeschwärzt hatte?

Fast war er versucht gewesen, Denke wieder frei zu lassen, aber da gab es plötzlich auch Stimmen, die etwas ganz anderes über Papa Denke zu berichten wussten.

Eine Nachbarin sagte, dass aus seiner Wohnung immer wieder ekelhafter Aasgeruch drang, ein anderer wollte gesehen haben, wie er des Öfteren einen Eimer mit Blut oder rotem Wasser in den Gully schüttete, und einige äußerten sich verwundert darüber, dass es bei Denke immer so viel Fleisch zum Essen gab, wo doch in diesen Zeiten sich die meisten das gar nicht leisten konnten. Erst recht kein einfacher Korbflechter und Holzschüsselschnitzer.

Der Richter zuckte mit den Achseln.

Vielleicht würde die morgige Vernehmung Denkes ja Licht in das Dunkel dieser seltsamen Geschichte bringen. Aber das war morgen, jetzt war Sonntag und Zeit für einen Nachmittagskaffee mit der Frau und einer guten Zigarre. Der Richter schlug den Aktendeckel zu, schlüpfte in seinen Gehrock, der neben seinem Schreibtisch an einem Haken hing, und ging zur Tür.

In diesem Moment klopfte es, und noch bevor er »Herein« rufen konnte, öffnete sich die Tür und ein Amtsdiener stürzte in sein Büro.

»Was ist denn noch? Sie sehen doch, dass ich grad nach Hause gehen will.«

Der Amtsdiener senkte schuldbewusst den Kopf.

»Ich wollt auch nicht stören, aber ich komm wegen Papa Denke.«

Der Richter hob ruckartig den Kopf. »Denke? Wieso, was ist mit ihm?«

»Er ist tot. Er hat sich aus seinen Hosenträgern und dem Taschentuch eine Schlinge geknüpft und sich in seiner Zelle am Fenstergitter erhängt.«

 

*

 

Karl Denke hatte sich das Leben genommen, um sich jene Stunde zu ersparen, in der man ihn mit den grausigen Funden in seiner Wohnung konfrontieren würde.

Aber das wusste bis zu diesem Zeitpunkt noch niemand.

Nachdem schnell klar war, dass es niemanden gab, der weder die Gerichtskosten noch das Geld, das eine Beerdigung verschlungen hätte, übernehmen wollte, befahl der zuständige Richter der Polizei, Denkes Wohnung aufzubrechen in der Hoffnung, dort noch einige Wertsachen zu finden, um damit die Unkosten, die Denke der Gemeinde verursacht hatte, begleichen zu können.

Als die Polizei tags darauf Denkes Wohnung aufbrach, fanden sie dort zunächst mehrere Fässer voll mit gepökeltem Fleisch. Als sie danach in der Küche einen Kübel entdeckten, in dem noch das rohe Fleisch von einer Brust und dem Gesäß eines Mannes schwammen, verließ der erste der Polizisten, ein junger, hagerer Bursche, die Wohnung, stürzte hinaus in den Vorgarten, hielt sich an einem der winterharten Sträucher fest, die nahe am Zaun wuchsen, und kotzte sich die Seele aus dem Leib.

Er blieb nicht der Einzige.

Nachdem man auf weitere Töpfe gestoßen war, deren Inhalt aus Fett, Knochen und menschlichen Körperteilen bestand, wurden die Untersuchungen abgebrochen. Das Haus wurde versiegelt und unter Bewachung gestellt.

Noch am Mittag forderte man aus Breslau Unterstützung an.

Der nachfolgende Abschlussbericht von Friedrich Pietrusky, dem kommissarischen Leiter des Breslauers Instituts für Rechtsmedizin, den dieser 1926 erstellte, war unvorstellbar und entsetzlich und doch konnte er auch nicht annähernd das Grauen wiedergeben, das sich jahrzehntelang in der kleinen Stadt Münsterberg abgespielt hatte.

Als Erstes wurden nach dem Betreten der Wohnung Fleischstücke gefunden, die in einem Holzschaff in Salzlösung lagen, wohl um deren Haltbarkeit willen. Es waren fünfzehn Stücke mit Haut. Zwei sind von einer stark behaarten Brust. Der Schnitt liegt in der Mittellinie und geht bis drei Finger oberhalb des Nabels. Die übrigen Teile gehören den seitlichen Partien und dem Rücken an. Das größte davon ist etwa vierzig mal zwanzig Zentimeter groß. Besonders auffallend ist, dass die Afteröffnung sehr sauber mit doppelt handbreiten Teilen von beiden Gesäßhälften präpariert ist.

Das Fleisch ist braunrot und macht nicht den Eindruck, dass der Körper vorher viel Blut verloren hat. Was fehlt von dem Körper, sind Arme und Beine, der Kopf und die Geschlechtsteile. In drei mittelgroßen Töpfen fand sich in einer Flüssigkeit, die das Aussehen einer Sahnesauce hatte, weiteres Fleisch, gekocht und zum Teil mit Haut versehen. Das Fleisch selbst war innen zartrosa. Die Stücke stammen aus dem Gesäßbereich. In einem anderen Topf lag hiervon nur eine halbe Portion. Es ist davon auszugehen, dass Denke die andere Portion kurz zuvor gegessen hat. Im dritten Topf lagen Hautstücke und Teile der großen Körperschlagader.

In einer Schüssel auf dem Tisch stand bernsteinfarbenes Fett, bei dem der biologische Nachweis ein positives Resultat für das Vorhandensein von menschlichem Eiweiß ergeben hat. Unter einer großen Zahl von Ausweispapieren und Privatpapieren verschiedener Personen wurden auch mehrere lose Blätter gefunden, auf denen dreißig Namen von Männern und Frauen niedergeschrieben sind. Die Zahlen dahinter lassen eindeutig den Schluss zu, dass es sich hierbei um den Todestag der aufgeführten Personen handelt, sowie deren Gewicht vor und nach ihrer Schlachtung. Unter der Nummer 31 sind weder Name noch irgendwelche Zahlen aufgeführt, lediglich das Datum 22.12.1924. Damit kann davon ausgegangen werden, dass diese Zeilen für den Steinhauer Vincenz Olivier vorbereitet waren.

Des Weiteren wurden in dem Zimmer drei Äxte, eine Spitzhacke, eine große Holzsäge, eine Baumsäge sowie drei Messer beschlagnahmt, auf denen Menschenblut nachgewiesen werden konnte.

Neben dem Wohnhaus, weit von der Straße zurückliegend, steht ein Holzschuppen, der zu Denkes Wohnung gehört und auch von diesem benutzt wurde. Ferner liegt etwa achtzig Meter hinter dem Haus ein kleiner, etwa drei Meter tiefer Tümpel, den er vor drei Jahren dort gegraben hat. Nur wenig entfernt fließt die Ohle vorbei. Im Schuppen wurde ein Fass gefunden, in dem massenhaft Knochen lagen, die mit hoher Wahrscheinlichkeit vorher gekocht wurden. Die Untersuchungen ergaben, dass es sich dabei um die Knochen von mindestens drei Personen handelt. Im Tümpel und im angrenzenden Stadtwald wurden noch weitere Knochenfunde gemacht. Unter anderem wurden zur Untersuchung sechzehn untere Oberschenkelteile, hundertzwanzig Zehen und Fingerglieder, mehrere Ellenteile sowie acht Fersen und Sprungbeine gebracht. Das alles zusammengenommen lässt auf weitere sechs bis acht Personen schließen. Des Weiteren wurden exakt dreihunderteinfünfzig Zähne übergeben, darunter zwanzig linke, untere Eckzähne, was bedeutet, dass Denke mindestens zwanzig Menschen zum Opfer gefallen sind.

 

*

 

Insgesamt werden Denke 31 Morde zugerechnet.

Der Fall Denke ist bis heute undurchsichtig, weil man die Antwort auf die Frage nach dem Warum nie erfahren wird. Hammann, Charles Manson oder Ed Gain lachten und brüsteten sich mit ihren Taten, wodurch man wusste, warum sie zu Serienmördern wurden.

Nicht so Karl Denke. Dieser schweigsame und zurückgezogen lebende Mörder macht es schwierig, seine Taten zu deuten, weshalb gerade sie uns so grauenhaft erscheinen.

Die einen sehen in ihm einen schwerst debilen Psychopathen, die anderen aufgrund der gefundenen Gläser mit sorgfältig eingelegten Brustwarzen und Geschlechtsteilen einen sexuell Perversen. Wieder andere betrachten seine Morde als die Taten eines Schizophrenen.

In Münsterberg, das heute in Polen liegt, gibt es immer noch das Gemeindehaus mit der Zelle, in der sich Papa Denke erhängt hat. Die Räumlichkeiten beherbergen heute ein Museum für alte Bügeleisen und Haushaltsgegenstände. Das Haus, in dem er wohnte, konnte bis Anfang unseres Jahrhunderts nicht verkauft werden, obwohl man es zu einem Spottpreis feilbot.

Ludwigsburg im November 2020

G. Schulz

Quellenhinweis:

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