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Fort Wayne – Band 1 – Kapitel 1

F. Randolph Jones
Fort Wayne
Eine Erzählung aus Tennessee
Erster Band
Verlag von Christian Ernst Kollmann. Leipzig. 1854

An
Frederick Sullivan Barnstable Esq.,
Greenville, Carrol C., Te.

Vielleicht haben Sie, mein teurer Freund, geglaubt, das Andenken der glücklichen Tage und Wochen, welche ich im Sommer des Jahres 1850 in Ihrem gastfreien Haus inmitten des liebenswürdigsten Familienkreises und jener literarischen Schätze, welche Barnstable Cottage mit Recht selbst jenseits der Grenzen Ihres Staates berühmt gemacht haben, sei unter den Sorgen und Mühen eines vielbewegten Lebensberufes gänzlich aus meinem Herzen entschwunden. Vielleicht haben Sie mein Versprechen, die lebensvollen und interessanten Mitteilungen aus dem hinterlassenen Tagebuch Ihres mütterlichen Großvaters, des wackeren Dr. Littlewood, in Form einer geordneten Erzählung einem größeren Leserkreis zugänglich zu machen, für nichts als die augenblickliche Aufwallung schriftstellerischer Begeisterung gehalten, die mit der Erkenntnis der Schwierigkeiten in der Ausführung und der eigenen geringen Begabung ebenso rasch verschwindet, wie sie gekommen ist;  vielleicht …

Aber wozu vertiefe ich mich in Mutmaßungen über die Gedanken, die Sie möglicherweise mit meinem Namen verknüpft haben konnten, während es einerseits nicht minder sehr infrage steht, ob Sie überhaupt noch des ziemlich windig und unpraktisch aussehenden Burschen gedenken, den Sie – lucus a non lucendo – den Poeten zu nennen pflegten, und während andererseits die beifolgenden Blätter Sie wenigstens von dem guten Willen besagten Burschen, sein leichtsinnig gegebenes Versprechen zu halten, überzeugen werden? Da nun dem zu Folge diese höchst wunderbare Geschichte von der Belagerung des Forts Wayne usw. ebenso Ihrer verlockenden Aufforderung, wie meinem – ach! – vielleicht nicht ganz von törichter Eitelkeit freien Eifer, so schmeichelhaft ausgesprochenen Wünschen zu gehorsamen, ihre Entstehung verdankt, so müssen Sie es sich schon gefallen lassen, Ihren allgemein verehrten und bekannten Namen neben dem ziemlich unbekannten des Verfassers an der Stirn dieses bescheidenen Opusculi erscheinen zu sehen. Homers Helden deckten ihre Freunde im Gedränge der Schlacht mit mächtigem Schild; im Kampfgewühl unserer leider mehr blutdürstigen als ritterlichen, mehr anarchischen als maßvollen Kritik würden Sie durch den gleichen Liebesdienst auf das Dankbarste verbinden

Ihren höchst ergebenen F. Randolph Jones
Saint-Louis Mo.
Im Januar 1853

Erstes Kapitel

Unter den mittleren Staaten der Union nimmt Tennessee in Beziehung auf Naturschönheiten und kräftig reiche Szenerie vielleicht den ersten Platz ein. Die stolze Doppelkette der Allegheny und der Cumberland-Gebirge sendet im Osten des Staates eine Menge waldbewachsener Bergrücken aus und bildet ein malerisches Labyrinth von wilden Schluchten, grünen Tälern und Hochebenen, durchrauscht von zahllosen kristallhellen Gewässern, welche rechts und links dem prächtigen Tennessee zuströmen. Die bald kuppelförmigen, bald wellenförmig gestreckten Linien des Hochgebirges begrenzen den blauen Horizont im Osten, Süden und Nordosten , während ein Blick nach Westen von ihren Gipfeln herab eine unermessliche Fernsicht auf das mit Städten und Pflanzungen, Straßen und Eisenbahnen bedeckte Land bis an jenen schwarzen Waldgürtel gewährt, der die rollende Wassermasse des Mississippi, des stolzen Vaters der Gewässer, umkränzt.

Noch in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts, denn in so fernen Zeiten, nach amerikanischen Begriffen, trugen sich die Ereignisse zu, welche wir zu erzählen gedenken, – hätte es freilich auch dem schärfsten Auge nicht gelingen mögen, von den höchsten Gipfeln des Unaka oder einer der Klippen der Smoky Mountains, eine Spur von Eisenbahnen oder auch nur Fahrstraßen zu entdecken, und selbst der friedliche Rauch eines Blockhauses war eine so vereinzelte Erscheinung in dem grünen, wogenden Waldmeer, dass er meilenweit zum Fanal des einsam streifenden Jägers oder eines unter der Last seiner Bürde keuchenden Hausierers dienen mochte.

In der Tat ist Tennessee verhältnismäßig am spätesten in jenen mächtigen Zauberkreis wunderbar gewaltiger Entwicklung und Kultur getreten, der, mit staunenswerter Gewalt und Schnelligkeit von den Küstenstaaten des Ostens ausgehend, die unermesslichen Gebiete des amerikanischen Kontinents in seine Strömung bannte und der Welt ein nie gesehenes Schauspiel ureigenen Wachstums und der Segnungen der Freiheit gewährte. Während Virginia, wenigstens die östliche Hälfte, während die beiden Carolinas und Georgia im Süden und Südosten, ja selbst das blutige Kentucky bald nach dem Ende des Freiheitskrieges mehr oder weniger glücklich der Kultur der alten Staaten nachstrebten, trug Tennessee, wie gesagt, noch vorherrschend den Charakter einer ernsten, großartigen Wildnis, deren schweigende Waldeinsamkeit nur selten von der Art des rastlosen Hinterwäldlers und dem Knall der europäischen Büchse widerhallte. Noch hemmte selten eine Fenz den leisen Fuß des indianischen Jägers, noch hatte kein Weißer die Ratsversammlungen der Tennessee, Oconnee und Cherokee besucht, mit Botschaften des großen Vaters in Washington um Land einzuhandeln für Tand, Feuerwasser und Versprechungen. Der Verkehr der kühnen Pioniere, welche die Cumberland-Gebirge überschritten und sich in den Jagdgebieten der Indianer niedergelassen hatten, beschränkte sich den Urbewohnern gegenüber auf den einfachsten Tauschhandel in Friedenszeiten, der leider nur zu oft durch die blutigsten Kampfszenen unterbrochen wurde, denn man darf keineswegs glauben, dass Tennessee in jenen Zeiten ein neues, glückliches Arkadien gewesen sei. Selbst lange vorher, ehe von den Ufern des Hudson und des Delaware der Strom der Einwanderung sich in das Innere ergoss, waren diese unermesslichen Wälder, diese schweigenden Täler und Abhänge der Tummelplatz wütender Kämpfe, in denen die Stämme der Cherokee, Oconnee, Creek und Hiwassee sich gegenseitig zerfleischten. Schien es doch, als habe der Genius der Zivilisation die Ureinwohner zur Selbstvernichtung verurteilt, um auf den Gräbern gestorbener Geschlechter das Banner einer neuen Zeit von den Söhnen Europas aufpflanzen zu sehen.

Die Schilderung der nachfolgenden Begebenheiten führt uns ein episodisches Gemälde jener Zeit vor, welche dem gänzlichen Erlöschen eines hinsterbenden Geschlechts vorherging. So wenig es in der Absicht des Verfassers liegt, sich parteiischem Mitleid für die kupferfarbenen Söhne des Waldes hinzugeben, ebenso wenig möchte er schweigend die Gewalttaten der neuen Eindringlinge übergehen oder beschönigen, wenn sich Gelegenheit bietet, ein anschauliches Gemälde jener Tage der ersten Besitzergreifung des fernen Westens in den Bereich seiner Schilderung zu ziehen.

 

*

 

Auf einer vorspringenden Bergkuppe der Cumberland-Gebirge, – heutzutage nennt man diesen Teil der langen Kette Walden Ridge – saßen an einem heiteren Juniabend des Jahres 179… zwei Indianer vor einem erlöschenden Feuer, dessen bläulicher Rauch kerzengerade in die unbewegte Luft emporstieg. Aus der Form ihrer Wampuns und eines ockergelben Streifens, welcher sich vom rechten Ohr bis zur Kinnspitze hinab zog, hätte der in die Geheimnisse des indianischen Lebens Eingeweihte sie als Glieder des Stammes der Cherokee erkennen mögen. Bogen und Köcher lagen neben ihnen, und da die frugale Jagdmahlzeit eben beendet war, blickten sie mit indianischer Schweigsamkeit hinaus in die prächtige Fernsicht, welche sich weithin nach Osten und Norden entrollte.

Der eine der beiden Jäger war ein Fünfziger, von hohem, schlankem Wuchs. Ein ledernes Jagdhemd, an den Säumen reich gestickt mit buntfarbigen Baumwollfäden und Glasperlen, Mokassins von nicht minderem Schmuck und eine gewürfelte Wolldecke, welche er nachlässig auf einer Schulter trug, bildeten seine, die Würde eines Häuptlings bekundende Kleidung. Sein Gesichtsausdruck war finster und schroff, seine unstet rollenden Augen verrieten ein lauerndes und verschlossenes Gemüt. Sein junger Begleiter, der kaum siebzehn Sommer gesehen haben mochte, prangte in all der angeborenen Grazie und Schönheit, welche die unparteiische Natur viel öfter den Söhnen der Wildnis zu gewähren pflegt, als denen, welche im Kreis der modernen Welt sich so ängstlich und eifrig um ihre Gunst zu bemühen pflegen. Sein Kostüm war dem seines Begleiters fast gleich, nur weniger glänzend, desto mehr unterschied sich der sanfte, fast träumerische Ausdruck seines offenen, frischen Antlitzes von dem seines älteren Gefährten.

Die Sonne begann sich der Grenzlinie der sich in unendlicher Ausdehnung westwärts erstreckenden Wälder zu nähern, als der ältere Indianer, nachdem er eine Minute aufmerksam gelauscht hatte, plötzlich emporsprang und mit scharfem Blick in die Tiefe hinab spähte.

»Die weißen Männer haben den Weg in das Land der Hiwassee gefunden«,  sagte er in jenem leisen, tiefen Gutturalton, der der indianischen Rasse eigentümlich ist, »will meines Bruders Sohn ihre Fährte erblicken?«

Im Nu war der Jüngling ihm zur Seite und beide schauten mit neugieriger Spannung hinab zu den Ufern des Tennessee, der etwa hundert Fuß unter ihnen sich schäumend über weiße Klippen seine Bahn brach. Was sie sahen, war in der Tat geeignet, die Aufmerksamkeit der beiden Natursöhne zu fesseln.

Auf einer Art von Straße, welche das im Sommer zum Teil wasserlose Bett des Flusses bildete, bewegte sich langsam ein von vier Ochsen gezogener Wagen vorwärts, dessen Inhalt oder Bewohner eine leinene Decke verhüllte. Einige mit Feuergewehren bewaffnete Männer gingen teils vor, teils hinter dem Fuhrwerk, während ein einzelner Reiter die Avantgarde bildete. Aus den Gestikulationen und der zögernden Haltung der ganzen Karawane ließ sich schließen, dass die Reisegesellschaft entweder den richtigen Weg verloren hatte oder im Begriff stand, sich nach einem zum Nachtlager passenden Ort umzusehen. Letztere Vermutung bestätigte sich, als der Reiter, der einige hundert Schritte voran gewesen war, zurück sprengte und auf eine von dem steinigen Flussufer sanft zu den Bergen hin aufsteigende grüne Wiesenfläche hindeutete.

»Die weißen Männer haben ihre große Medizin vergessen«, sagte der Indianerhäuptling mit einem spöttischen Lächeln, als er die Vorbereitungen zum Biwak erblickte, welchen nun die Reisenden mit eifriger Tätigkeit oblagen. »Sie wollen in dem Lager des Bären schlafen, die Hiwassee werden ihre Träume stören.«

»Sie werden Skalpe in ihre Wigwams zurückbringen!«, sagte der Jüngling nach einer langen Pause, »wollen wir hinabgehen, Takannah, und den Dieben ihre Beute entführen?«

»Wir werden die Augen offen halten!«, erwiderte der Häuptling. Beide fielen wieder schweigend in ihre beobachtende Haltung zurück, keinen Blick von der Szene verwendend, welche sich unter ihnen entfaltete.

Die Auswanderer hatten Halt gemacht, und während einige der Männer trockenes Holz zusammensuchten und in wenigen Augenblicken ein mächtiges Feuer angefacht hatten, über welchem auf zwei Querstangen schwankend ein umfangreicher Kessel erschien, war der Reiter abgesessen und hatte aus dem Inneren des Wagens zwei Frauen auf den Erdboden geholfen, während ein junger Schwarzer die Zugtiere ausspannte und sie singend an den Fluss trieb. Ehe eine halbe Stunde verflossen, war die ganze Gesellschaft rings um den Kochplatz gelagert, so emsig mit der Mahlzeit be­schäftigt, dass sie im Gefühl der Sicherheit und des Behagens nicht im Entferntesten an eine jener Gefahren und Schrecknisse dachten, welche in jenen Zeiten so oft die verwegenen Züge der Squatter und Pioniere mit ebenso plötzlichen wie furchtbaren Katastrophen heimsuchten.

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