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Die Riffpiraten – Kapitel 19

Heinrich Klaenfoth
Die Riffpiraten
Verlag Albert Jaceo, Berlin, um 1851

Kapitel 19

Der Seelenhandel

Nach Verlauf von einigen Tagen wurden wir, die Negerin und ich, in das Zimmer des Inspektors beschieden. Wir traten in dasselbe mit klopfenden Herzen ein, wo wir eine dicke Frau mit dem Inspektor der Anstalt in lebhaftem Gespräch begriffen fanden.

Die Frau sagte: »Das heißt, unter der Bedingung, dass die Mädchen so hübsch sind, wie es meine Wirtschaft erheischt, zahle ich Ihnen den Preis, welchen Sie fordern, wenn Sie dieselben sofort entlassen.«

Darauf entgegnete der Inspektor: »Da sehen Sie sie selbst, schön wie aus dem Ei geschält!« Er nahm eine Prise aus seiner Riesendose und ließ uns mit der Frau allein.

»Nun, meine lieben Kinder«, sagte die Frau sehr leutselig, »Ihr habt euch also entschlossen, aus diesem Haus zu gehen und in ein anderes Verhältnis zu treten, wo sie hübsch und anständig leben?«

Wir antworten beide mit einem lauten: »Ja, Madame.«

Dann besichtigte sie unsere Hände und Füße, wir mussten ihr unsere Zähne zeigen und nun betastete sie uns über den ganzen Körper, gerade wie afrikanische Sklavenhändler und sagte dann: »Ihr gefallt mir ganz gut, ich werde euch sofort mit mir nehmen.«

Unser Herz bebte vor Freuden.

Danach rief sie den Inspektor, an den sie eine Zahlung machte. Vor der Tür fand sich Nachtrose, mit der unsere neue Herrin einige geheime Worte wechselte und der sie ebenfalls Gold in die Hand steckte. Nun fuhren wir zu der Wohnung der dicken Frau, welche die Besitzerin eines Kaffeehauses und einer Konditorei war.

Wir fanden hier eine große Anzahl von jungen Mädchen vor, die froh und guter Dinge waren und spielten und sangen. Unsere Einkleidung wurde sofort vorgenommen. Nachtrose hatte recht, wir gingen in Samt und Seide, mein augenblickliches Gefühl des Glücks war unaussprechlich. Die arme Negerin weinte aus mir damals unbekannten Gründen. Sie konnte sich lange nicht trösten. Einstmals sagte ich zu ihr: »Aber liebe Freundin, dein Kummer will auch nie ruhen.«

»Wie soll ich je wieder froh werden können innerhalb dieses Hauses? Wir sinken von Tag zu Tag tiefer! Mein Joseph, der in dem Unglück, was uns im Arbeitshaus betraf und wobei er selbst mit Veranlassung war, mir zwar immer treu geblieben, wird nun nichts mehr von mir wissen wollen, obwohl er von meinem Aufenthalt und meinem Treiben, Gott sei Dank, noch nichts weiß. Ich kenne seine strenge Sittlichkeit, seine Meinung und seine Äußerungen über das, was wir hier treiben. In jedem Mann glaube ich mit Entsetzen meinen guten Joseph und seinen unversöhnlichen Blick zu sehen.«

»Ich weiß nicht, mir gefällt es hier ganz gut. Das mag daher kommen, dass ich nicht das Glück habe, einen so guten Liebhaber wie du zu besitzen. Aber ich in deiner Stelle würde davonlaufen, so weit der Himmel blau ist«, sagte ich.

»Kann man denn aus diesem entsetzlichen Verhältnis wohl je wieder herauskommen?«, fragte die arme Negerin. »Bin ich nicht für meine Person gegen 85 Piaster sogleich beim Eintritt schuldig geworden?«

»Wie?«, fragte ich erstaunt.

»Ja, mit dir wird die Wirtin das Geschäft in gleicher Weise abschließen. Fünf Piaster an den Zuchthausinspektor als Lösegeld für meine sofortige Entlassung, drei Piaster an Nachtrose für Kommissionsgebühren, außer was sie noch persönlich von uns beansprucht, sechzig Piaster für Kleidung, fünfzehn Piaster für ein Paar goldene Ohrringe, die wir jedes Mal an die Wirtin abliefern müssen, wenn wir am Tag einen Gang in die Stadt machen. Diese Summe zu tilgen, bin ich nie imstande und ich sehe mich hier ebenso fest geleitet wie bei Madame Rubens, obwohl ich es hier im Vergleich mit dem Verhältnis zu jener wie im Himmel habe.«

»Aber wenn du davonläufst, ist alles bezahlt.«

»Wohin soll ich? In meine Heimat kann ich nicht. Flüchte ich an irgendeinen anderen Ort und will ehrlich werden und dienen, so kann ich mich nicht ausweisen, wo ich so lange gewesen bin. Und spioniert die Wirtin mich aus, so lässt sie mich wegen der Schuld und wegen des faseligen Rechts an mir von der Behörde wieder ausliefern, wie sie es neulich mit einem armen Mädchen gemacht hat. Ach, die Madame Rubens, die böse Jüdin, ist an allem Leid schuld, und dann die Nachtrose, die uns so hintergangen hat. Ach, wann wird der liebe Gott es einmal wieder besser machen?«, klagte die Arme und weinte bitterlich.

»Wie lange blieben Sie in dieser Sklaverei?«, fragte der Doktor Simon.

»Gegen zwölf Jahre«, antwortete die Frau.

Ich will diesen Zeitraum mit dem Bemerken überspringen, dass ich mich in dieser Eigenschaft fast in allen bedeutenden Städten Mexikos versucht habe und besonders hier in der Hauptstadt am längsten verweilte, wo mir es im Grunde genommen am besten gefallen hat. Nach Verlauf der genannten Zeit hatte ich hier Gelegenheit, mich zu verheiraten. Mein Mann hatte so viel bares Vermögen, um mich loszukaufen. Es war ein einfältiger, aber guter und fleißiger Mann. Wir hatten unser gutes Auskommen und in meinem siebenundzwanzigsten Lebensjahr zog ich den ersten Rock an, der mein Eigentum war. Bald darauf machte ich zufällig die Bekanntschaft eines jungen Menschen eines Eingeborenen, der durch seinen persönlichen Witz und seine drollige Beweglichkeit sowie durch eine ungewöhnliche körperliche Kraft in meinen Augen so ausgezeichnet war, dass ich ihn um jeden Preis zu meinem Verehrer zu machen beschloss.«

Der Leser denkt an den Indianer und er war es in der Tat. Er war zu der Zeit ein unverdorbener, rechtschaffener Mensch.

»Mein Ehemann«, fuhr die Frau fort, »der sehr eifersüchtig wurde, als er mein Treiben, woraus ich späterhin gar kein Hehl machte, vollständig erfuhr, und der mich oft unangenehm beunruhigte und störte, wurde mir ein Gegenstand des Widerwillens und des Hasses und ich sann auf Mittel, mich von ihm zu trennen. Eine gerichtliche Scheidung hatte viele Schwierigkeiten und da mein Mann dagegen war, wurde sie fast unmöglich. Ich hatte bei meinem rührigen Geist und bei meinem Verlangen nach dem Besitz des Indianers überhaupt keine Lust zu langem Warten und sann auf andere Mittel. In einer schwachen Stunde besprach ich mit meinem Geliebten einen Plan zu meiner Befreiung, allein es bedurfte der Ausführung desselben nicht, da mein Mann wenige Tage darauf an einem Schlaganfall starb.

»Heirateten Sie dann Ihren Geliebten?«, fragte der Doktor.

»Sofort nicht, aber einige Jahre später«, antwortete Frau Mercurian.

»Weshalb?«, fragte der Doktor. »Sie hatten nunmehr doch die beste Gelegenheit, sich zu vereinigen.«

»Ja, das wohl«, sagte die Händlerin in einiger Verwirrung, »aber die Eltern meines Geliebten waren dagegen.«

»Und ein Weib sollte einen Mann, den sie in dem Maße liebt, wie Sie mir ihre Liebe zu dem Indianer schilderten, wegen eines solchen geringen Hindernisses fahren lassen? Das waren andere Gründe«, meinte der Doktor. »Worin bestand denn der Plan, den Sie gegen Ihren Mann ausführen wollten?«, fuhr er fort und fixierte die Frau scharf durch seine Brille.

»Wir … wir wollten zusammen entfliehen.«

Der Doktor reichte lächelnd der Frau ein Glas feurigen Weins und schob ihr dann einen mit Kuchen gefüllten Teller zu, indem er sagte:  »Essen und trinken Sie, Frau Mercurian; es wird jetzt schon munden.« Die Händlerin aß und trank und der Doktor schenkte von Neuem ein.

»Ach, das ist ein schöner Wein?«

»Wenn er Ihnen schmeckt, genieren Sie sich nicht; hier ist Vorrat.«

Und der Doktor holte eine zweite Flasche herbei. Hierauf zählte er wiederum fünfzig Goldstücke auf den Tisch und sagte:  »Waren Sie wegen des Ableben Ihres Ehemannes in Untersuchung?«

»Ja.«

»Sein Tod erfolgte in der Nacht, nicht wahr?«

»Ja.«

»Wo befanden Sie sich während der Zeit, als Ihr Mann starb?«

»In demselben Zimmer.«

»Legten Sie sich zugleich mit Ihrem Mann schlafen?«

»Ja – ich wollte sagen, nein«, antwortete die Frau stockend. »Eine Stunde später.«

»Wir sind hier an einem Punkt gelangt«, sagte der Doktor, »wo wir beide uns vereinigen können. Gestehen Sie es mir ein, dass Sie selbst Ihren Mann vorsätzlich getötet haben, so sind nicht nur diese fünfzig Goldstücke hier Ihr Eigentum, sondern wir können auch zu unserer Sache schreiten.«

Die Aufregung des Weins, welcher ihre Adern durchglühte, der Reiz des Goldes, welcher für sie unwiderstehlich war, und die Aussicht auf die Einweihung in ein geheimes Vorhaben, welche ihre angeborene weibliche Neugierde mächtig erregte, dies alles versetzte, wie der Doktor es beabsichtigte, Frau Mercurian in eine solche Verwirrung, dass sie endlich den Kopf verlor. Sie strich die Goldstücke zusammen und sagte: »Ja, ich will es nur gestehen: Ich habe meinen Mann vorsätzlich erstickt. Nun machen Sie mit mir, was Sie wollen, Herr Doktor, mein Leben liegt jetzt in Ihrer Hand.«

Der Blick des Doktors erheiterte sich und er sagte: »Fürchten Sie nichts von mir, Frau. Ich habe andere Dinge zu tun, als Sie den Behörden anzugeben.«

»Im Übrigen kann ich zugleich auch gestehen, wo ich das gemordete Kind begraben habe, weil ich nur einmal den Kopf verlieren kann«, sagte das Weib gleichsam in Verzweiflung, indem sie unter tiefem Nachdenken das Gold in der Hand mit den Fingerspitzen der anderen Hand berührte.

»Und wo haben Sie das Kind begraben?«, fragte der Arzt, indem er eine gleichgültige Miene annahm.

Die Frau bezeichnete den Ort und der Doktor nahm eine Schreibtafel, um diese Angaben zu notieren. Dann ließ er sich das Jahr und das Datum nennen, an welchem der Ehemann der Frau Mercurian erstickt worden war, sowie den Namen desselben, was er ebenfalls sorgfältig niederschrieb.

»Also noch eine neue Tat – ein Kindermord!«, murmelte er vor sich hin, während seine Miene noch heiterer wurde.

»In welcher Beziehung stand Ihr damaliger Geliebter zu der Ermordung Ihres Mannes? Wusste er darum?«

»Er wusste allerdings um den Vorsatz, denn ich hatte denselben mit ihm beraten, aber er gab mir nicht seine Zustimmung und bewies eine Furcht, die mir damals lächerlich erschien.«

»Was machten Sie für Vorkehrungen, um die Tat auszuführen?«

Der Doktor tat diese Frage nicht ohne Grund, da, wenn der Indianer mitschuldig war, er ihn mit in das Komplott zu ziehen gesonnen war, weil er seinen rüstigen Arm gebrauchen wollte.

»Ich verschloss«, antwortete Frau Mercurian, »am Nachmittag zuvor sorgfältig alle Fenster. Als mein Mann der denselben Tag eine anstrengende Fußreise über Land gemacht hatte, am Abend ermüdet heimkam, machte ich ihm zu seinem Abendbrot einen guten Whisky-Punsch, wovon er auf mein Anraten übermäßig trank.

Seelenvergnügt legte er sich nieder. Die Brennstoffe glühten schon in einem großen Gefäß in der Küche. Ich legte mich auf einige Augenblicke in mein Bett, um es niederzudrücken.

Dann stand ich leise auf, überzeugte mich von dem festen Schlaf meines Mannes und setzte nun das Gefäß mit den glühenden Kohlen in das Zimmer. Der erstickende Kohlendampf strömte so reichlich aus, dass ich nicht lange in dem Zimmer ausharren konnte. Ich begab mich in die Küche und verstopfte alle Fugen der Tür, die aus dieser in das Wohnzimmer führte.«

»Wo war denn Ihr Geliebter in dieser Nacht?«

»Ich wollte ihn gern mit in die Schuld ziehen, weil ich ihn dadurch unauflöslich an mich zu ketten glaubte. Auch war die Ausführung leichter, wenn ich einen Mitschuldigen hatte. Ich hatte ihn zu dem Ende für diesen Abend spät zu mir beschieden und da er an der Küchentür, die auf den Flur führte, ein verabredetes Zeichen machte, ließ ich ihn ein und verschloss die Tür sorgfältig hinter uns. Ich sagte, mein Mann sei leider unverhofft nach Hause gekommen, aber er sei völlig betrunken und er, der Indianer, könne daher ohne Besorgnis bei mir in der Küche bleiben. Gegen drei Uhr des Morgens sagte ich plötzlich zu ihm: ›Weißt du ganz etwas Neues?‹

›Nun, was denn?‹, fragte er.

›Jetzt ist er hinüber!‹

›Wer?‹

›Mein Mann.‹

›Wa … was?‹, rief er. »Du hast …‹

›Ich habe ihn in dieser Nacht erstickt.‹

Der Mensch war außer sich. ›Abscheulich!‹, rief er. ›Du Ungeheuer – ich zeige dich an!‹

Dann wollte er die Tür aufreißen, welche ins Wohnzimmer führte. Ich hinderte ihn mit Gewalt daran.

›Hast Du mir nicht selbst die Kohlen, deren ich zu dem Werk bedurfte, das Dich jetzt so sehr zu empören scheint, ins Haus gebracht?‹, sagte ich. ›Undankbarer!‹

›Das wohl, aber ich glaubte nicht …‹

Nun wandte ich alle meine Künste, meine ganze Gewalt über ihn an, um ihn mit dem Geschehenen zu versöhnen. Ich nahm ihn in meine Arme, liebkoste ihn und suchte ihm die Skrupel von der Seele zu reden, was mir auch endlich gelang. Nach Verlauf einer Stunde hatte er den Mut, mit mir das Wohnzimmer zu betreten. Mein Mann lag regungslos da; er war tot. Unter Beihilfe des Indianers schaffte ich die Leiche in das andere Bett, einmal, um diesen vollständig an der Tat zu beteiligen, anderenteils, um bei einer etwaigen Untersuchung nachzuweisen, dass das Bett noch warm war, in welchem ich angeblich geschlafen hatte.

›Nun geh‹, sagte ich zu dem Indianer. ›Ich werde jetzt meine Rolle hier spielen.‹

Er schlich unter Angst und Zagen davon. Ich kleidete mich sodann in der Küche aus, legte meine Kleider in der Stube an ihren gewöhnlichen Ort, blies die Lampe aus und stürzte mich aus den Flur, um nach Hilfe zu rufen. Zuvor hatte ich den Rest der Kohlen beiseite geschafft und das Zimmer sorgfältig gelüftet. Die geweckten Nachbarn kamen denn auch bald mit Licht herbei und fragten nach der Ursache meines Hilferufes.

›O, Himmel, mein Mann ist tot!‹, rief ich und sank zu Boden, indem ich mich ohnmächtig stellte.

Als ich scheinbar wieder zu mir kam, hatte man die Leiche bereits gefunden. Ich hatte nun zwar Zeugen, doch war nicht aller Verdacht von mir gelenkt.«

»Wo blieb denn der Geliebte?«. fragte der Doktor.

»Er war auf viele Jahre verschwunden, bis ich ihn endlich wiederfand und mich von Neuem an seine Seite drängte.«

»Was begannen Sie nach dem Tod Ihres Mannes?«

»Ich führte ein Leben auf eigene Faust, in der Regel der letzte Behelf meiner Mitschwestern. Die Geschäfte gingen schlecht und ich hatte endlich das Unglück, krank zu werden. Ohne Mittel, mir allein zu helfen, ohne Geld, ohne Freunde, wurde ich durch besondere polizeiliche Verfügung in eine öffentliche Krankenanstalt aufgenommen. Meine Krankheit, die ich nun erst vollkommen kennen lernte, war schrecklich. Der Ekel, den die Krankenwärter vor mir zeigten, die Verachtung, die hündische Behandlung vonseiten aller und endlich nach langen Leiden der Verlust meiner Nase waren die unglücklichen Folgen. Ich bereute in jener Zeit oft den verübten Mord. Nachdem ein Maler mich konterfeit hatte, in der Absicht, mein Gesicht für einen Teufel mit Pferdefuß und Schwanz zu benutzen, wurde ich aus dem Krankenhaus entlassen. Die Äußerungen, welche der Künstler nach vollendeter Arbeit machte, erschütterten mich aus das Tiefste.

›Sehen Sie‹, sagte er zu dem anwesenden Arzt, indem er ihm das entsprechend ähnliche Bild vorlegte, ›wenn nun noch ein Paar Hörner hinzukommen, kann es dann wohl ein treffenderes Bild des Prinzips der Sünde, des Teufels geben?‹

Während der Maler dies sagte, deutete er durch Kreidestriche die Form der Hörner an.

Als er hierauf auch mir das Bild lächelnd hinhielt, knirschte ich wütend mit den Zähnen.

Ich dachte in jenen Augenblicken an den Maire, an meine Pflegemutter, an das Arbeitshaus, an die Nachtrose, an den Inspektor des Arbeitshauses und an die dicke Kaffeewirtin. Ich stellte im Stillen Betrachtungen an, welcher oder welche von uns sieben Kollegen wohl der Erzteufel sein möge.

Da mein weniges Vermögen nach Abzug der gerichtlichen Obduktions- und Begräbniskosten meines Mannes von der Behörde für meinen Aufenthalt in dem Krankenhaus in Beschlag genommen war, so war ich eine vollständige Bettlerin und suchte mein Brot vor den Türen, die man mir indessen meiner Hässlichkeit wegen vor der Nase zuschlug oder vielmehr weil ich keine Nase hatte.«

»Aber wahrhaftig, die Operation ist ausgezeichnet gelungen«, sagte der Doktor Simon, der die Nase der Frau Mercurian mit Kennerblicken besichtigte.

»Auf die angegebene Weise an der Nase auf das Entsetzlichste verstümmelt«, fuhr die Frau fort, »ging ich, ein Schrecken der Menschheit, in der Stadt ohne Obdach, ohne einen Erwerb einher. Ich ging zu einigen Fabriken, in der Hoffnung, dort Arbeit zu bekommen, aber man mied mich mit Abscheu. Die Portiere ließen mich nicht einmal durch die Tür. Ich klagte ihnen meine Not, meinen Hunger; sie zuckten die Achseln oder warfen mir aus Furcht, dass mein scharfer Blick ihnen Arges bringen möchte, einige kleine Münzen zu. Ich stellte mich endlich an einem öffentlichen Platz zum Betteln auf. Hier machte ich die Erfahrung, dass ein Mensch, dessen Äußeres einfaches Mitleiden verlangt, weniger auf Gaben der Mildtätigkeit rechnen könne als der, welcher durch seinen Anblick Entsetzen einflößt. Aus dem Grund stahl ich ein kleines, hübsches Kind; es gehörte vornehmen Leuten an. Ich entkleidete es, machte den Anzug zu Geld, welches ich in Spirituosen vertrank, behielt aber eine Taille mit einem eingezeichneten Namen in meinem Besitz zurück, um später, wenn mein Vorteil dies erheischen sollte, den Beweis über die Herkunft des Kindes führen zu können. Ich kleidete das Kind, welches ich durch Hunger absichtlich verkümmern ließ, in elende, schmutzige Lumpen oder nahm es ganz nackt in meinen Arm und herzte und küsste es angesichts des Publikums, während ich es unbemerkt mit den Nägeln blutig kratzte, um es zum Weinen zu bringen. Dies hatte die berechnete Wirkung. Meine Einnahme verbesserte sich. Besonders waren es Mütter, die mich oder vielmehr das Kind mit milden Gaben bedachten. Meinen nächtlichen Aufenthalt nahm ich größtenteils in dem Stall eines Abdeckers, wo die zum Totstechen bestimmten Pferde standen. Der Abdecker, ein ehrlicher, gutmütiger Mann, sagte, als ich ihn um ein Obdach bat und ihm meine Lage schilderte: ›Ich kenne den Schmerz, von der Gesellschaft ausgestoßen zu sein, nur zu gut, da ich selbst ein Ausgestoßener bin. Willst du meinen Pferdestall benutzen, so kannst du es immerhin. Ich werde dir von Zeit zu Zeit frisches Stroh verabreichen. Weiter kann ich jedoch nichts für dich tun, da ich durch einen unglücklichen Prozess selbst ein armer Mann geworden bin.‹

Der Pflegevater des Kindes, ein Bankier, kam endlich auf meine Spur und er säumte nicht, mich verhaften zu lassen. Man entriss mir das verkrüppelte, bis zum Tod kranke Kind und schleppte mich ins Gefängnis. Ich wurde vor Gericht gestellt und zum Pranger verurteilt. Während meiner Zurschaustellung am Schandpfahl entdeckte ich unter der mich umgebenden Menge meinen früheren Geliebten, den Indianer. Meine Freude war groß. Er hatte mich in meiner Entstellung nicht erkannt. Mein früherer Plan, ihn zu heiraten, erwachte mit aller Glut des Verlangens in mir und auf seine Mitwissenschaft und Mitschuld an der Erstickung meines Mannes gründete ich meine Pläne.«

»Sie haben meine Prüfung vollkommen bestanden, Frau Mercurian,« sagte der Doktor, sich erhebend. »Gehen Sie beruhigt nach Hause und machen Sie sich auf eine große Reise nach Westindien bereit, welche Sie bald in meinem Auftrag antreten dürfen. Sie werden dann meinen Instruktionen die unbedingte Folge zu leisten haben. Ihre Adresse weiß ich. Adieu.«

Die Händlerin machte einen Knicks und verließ mit ihrem goldbeladenen Korb das Zimmer des Doktors.