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Oberhessisches Sagenbuch Teil 74

Oberhessisches Sagenbuch
Aus dem Volksmund gesammelt von Theodor Bindewald
Verlag von Heyder und Zimmer, Frankfurt a. M., 1873

Der Lichtermann

In der Adventszeit sieht man viele Heerwische fliegen, die nennt man auch feurige Männer, oder sagt von ihnen allen: »Der Lichtermann geht um.« Das sind die Geister von Menschen, welche ungerechterweise bei nächtlicher Weile die Grenzsteine verrückt haben. Wenn man einen Irrwisch fliegen sieht, ruft man ihm den Spottreim zu:

Irrwisch, bernst (brennst) wie Hawwerstroh,
komm und leucht mir aach e so.
Wenn du mich kräist vor der Tür,
darfst, du mir geben ein Tritt hinne für.

Auch:

Hänschen, Hänschen Haberstroh,
Schmeiß mir den Buckel braun und blo.

Aber dann heißt es sich getummelt, dass man auf seine Hofreite kommt, denn der Lichtermann setzt einem nach, und wen er vor der Tür erwischt, dem gibt er einen Stoß in den Rücken, dass er hinpurzelt, und hägt ihn blitzeblau mit seinen feurigen Fittichen.

Das Necken der Heerwische

Das junge Volk von Großen-Eichen war einmal auf der Heßlers-Mühle beieinander am Sonntagabend und machte sich lustig. Da sahen sie im Elbengrund viele Heerwische auf- und abfliegen. Ein mutwilliger Junge machte das Fenster auf und rief ihnen aus Hohn zu:

Irrwisch, Jrrwisch, Feuerjo,
komm und schmeiß mich blitzeblo!

Aber er wusste nicht, was er tat. In hellen Haufen kamen die Heerwische herbei, flatterten mit ihren feurigen Flügeln vor den Gläsern (d. h. Fenstern) und der Tür herum und wollten absolut hineindringen.

Der Jugend verging das Lachen, sie hielten Fenster und Türe zu und standen Todesängste aus. Niemand getraute sich in der Nacht nach Hause. Am Morgen, als sie heim wollten, lag es vor den Fenstern, der Tür und auf dem ganzen Hof weiß von Menschenknochen, dass man nicht wusste, woher das Totenzeug alle hergekommen war. Seitdem hat man sie in Ruhe gelassen.

Andere sagen, der Knecht der Mühle habe dem Heerwisch zugerufen:

Heerwisch, fleug ausenã,
As wäi Hoâwersprã.

Als er nun des Morgens in die Scheuer geht und die Tennleiter hinaufsteigen will, fährt er entsetzt zurück. An jedem Sprissel derselben hängt nämlich ein Totenknochen.

Der erlöste feurige Mann

In der Adventszeit wollte ein Bobenhäuser Bauer heimgehen zu später Abendstunde und war gerade vor das Dorf gekommen, als er seitab in einer Furche des Feldes eine feurige Gestalt auf- und abgehen sah, die seufzend einen schweren Grenzstein auf dem Arm trug und einmal über das andere Mal ihm zurief: »Wo soll ich den hin tun?«

Dem Bauer fuhr der Schreck in die Glieder über dieses Gespücknis, und er wagte lange kein Wort zu sagen. Als aber der Geist immer dringender fragte: »Wo soll ich den hin tun?« und ihm in einem fort auf den Fersen nachfolgte, fasste er sich ein Herz und rief:» Nun, so tu ihn hin, wo du ihn hergekriegt hast.«

Da hob die Gestalt gar erfreut an: »Auf dieses Wort habe ich schon seit länger als sechzig Jahren gewartet!« Und verschwand im gleichen Augenblick.