Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Nick Carter – Carruthers, der Verbrecherkönig – Kapitel 9

Nick Carter
Carruthers, der Verbrecherkönig
oder: Lebendig begraben
Kapitel 9

Die belauschten Verbrecher

Lauschend stand Nick Carter eine lange Weile vor der angelehnten Durchlasstür. Seine Nase sog den feinen, pikanten Geruch echten türkischen Tabaks ein. Man rauchte im Vorderzimmer offenbar Zigaretten und unterhielt sich dabei, dies jedoch in einem vorsichtig gedämpften Ton, dass auch nicht das geringste Wort dem Lauschenden verständlich wurde. Er musste sich ehrlich gestehen, dass er immer noch nicht imstande war, zu entscheiden, ob die drinnen Sprechenden wirklich die von ihm Gesuchten oder andere, gleichgültige Personen waren, die ihn nichts angingen.

Ganz unmerklich wagte Nick Carter den Türspalt ein wenig mit zwischengeschobenem Finger zu verbreitern. Dann spähte er durch die Öffnung.

Er bekam wenig zu sehen. Der Durchlass war etwa sechs Fuß lang und kaum drei Fuß breit. Zu dem Vorderzimmer zu wurde er durch eine Tür, welche der von Nick Carter geöffneten entsprach, verbunden. Diese Letztere stand ebenfalls etwa so weit offen, dass man ein Zeitungsblatt durch den Ritz hindurchzuschieben vermocht hätte.

Für Nick Carter gab es kein Zurück mehr. Er wollte, musste nun Gewissheit haben, denn er war fest überzeugt, dass die beiden miteinander Plaudernden nur Morris Carruthers und dessen Schützling Isaak Meadows sein konnten.

Zoll um Zoll schob Nick Carter die vom Hinterzimmer in den Durchlass führende Tür auf. Er hatte sich hierbei auf ein Knie niedergelassen, um nicht gesehen werden zu können. Dann, als der Türspalt weit genug war, um ihn durchzulassen, schlüpfte er in gebückter Haltung vorwärts und drückte dann so rasch und behutsam wie möglich die Tür hinter sich fest ins Schloss, während er knien blieb.

Ein glücklicher Zufall wollte es, dass der dicht neben der Vordertür befindliche Wandschrank offen stand.

»Das trifft sich günstig!«, flüsterte der Detektiv unhörbar vor sich hin. »Auf diese Weise kann ich mich bis an die Vordertür dicht heranpirschen, ohne gesehen werden zu können, selbst wenn durch einen plötzlichen Luftzug der Türspalt sich verbreitern sollte.«

Geräuschlos kroch Nick Carter voran, bis er die Schranktür erreicht hatte und nun hinter dieser niedergekauert auf den Knien liegen blieb.

Dicht vor ihm war die Vordertür. Sie hing nur halb im Schloss, und deshalb war ein Spalt geblieben, breit genug für den scharfen Blick und das noch schärfere Gehör des Detektivs, um alles erspähen und erlauschen zu können, was sich in jenem Zimmer zutrug.

Nick Carter hatte sich nicht getäuscht. Es waren die beiden von ihm Gesuchten, welche da rauchend und plaudernd im Vorderzimmer weilten und es sich gewiss wenig träumen ließen, dass nur eine dünne Tür sie von ihrem gefährlichsten und entschlossensten Gegner trennte, den sie tief unter der Erde schmachtend wähnten.

Ein Moment genügte dem Detektiv, um sich über die Vorgänge in jenem Zimmer völlig orientieren zu können. Morris Carruthers und Isaak Meadows besprachen nicht nur ihre Flucht- und Zukunftspläne miteinander, sondern sie hatten es gerade auch mit dem Detektiv selbst zu tun … das erste Wort, welches der Lauschende verstand, war sein eigener Name!

»Ich wollte, ich hätte Gewissheit darüber, dass Nick Carter wirklich und wahrhaftig tot ist!«, ließ sich Isaak Meadows eben vernehmen.

Carruthers lachte zynisch. »Well«, sagte er, »ob unser geliebter Freund schon tot ist, das kann ich nicht sagen, denn ich glaube, Nick Carter hat neun Leben, wie eine Katze … doch dass er in wenigen Stunden so tot sein wird, wie ein vernünftiger Mensch nur sein kann, daran zweifle ich nicht.«

»Zugegeben … doch das gibt mir immer noch keine absolute Gewissheit. Ich wollte, ich könnte mir diese verschaffen, dann wäre mir um vieles leichter!«

»Sei kein Narr, Isaak!«, unterbrach Carruthers grob des anderen Worte. »Welche größere Gewissheit willst du haben? Sagt dir dein Verstand nicht, dass er ebenso tot ist, als hinge er am Galgen? Gesetzt den Fall, keine meiner Kugeln traf ihn, obwohl ich überzeugt davon bin, dass ich ihn niedergeknallt habe – was will er denn dann unten ohne Wasser, ohne Nahrung und ohne Luft anfangen? Ist er noch nicht tot, so liegt er jetzt schon in völliger Betäubung, und ein Kind könnte ihn unschädlich machen.«

»Mag sein! Doch ich gäbe tausend Dollar dafür, könnte ich das besorgen oder wenigstens einen Blick auf seine Leiche werfen!«, stöhnte Meadows, der sich nicht beschwichtigen lassen wollte, von Neuem.

»Well, warte bis die Feuerwehr abgezogen ist. Dann arbeite dich durch den Schuttberg und die heiße Asche bis zur Falltür und öffne sie. Dann mag es dir gelingen, den toten Nick Carter von Angesicht zu sehen … was mich anbetrifft, so verzichte ich auf diesen zweifelhaften Genuss. Mit genügt das Bewusstsein, unseren Plagegeist unwiderruflich und für immer tot zu wissen!«

»Wenn ich nur gewiss wüsste, dass er wirklich noch in diesem verwünschten Brunnenloch liegt!«, ächzte der Verzagte.

»O be damned, du traurige Nachteule … sag in Teufelsnamen, wie willst du dir anders Gewissheit verschaffen?«, brauste Carruthers auf.

»Ja, das weiß ich nicht … aber ich habe eine unbestimmte Ahnung, dass er entkommen ist!«

»Warum nicht gar!«

»Morris, wenn es ihm nun trotzdem gelungen wäre, sich durch den verschütteten Tunnelgang zu wühlen und hierher in dieses Haus zu gelangen!«

Carruthers lachte nur verächtlich. »Du wirst zur Memme, mein Lieber. Die Furcht macht dich kindisch.«

»Das mag sein! Jedenfalls lässt sie mir keine Ruhe, und ich fürchte … ich fürchte …«

»Well, ich habe gute Arbeit gemacht. Lass dir das gesagt sein, Isaak. Hätte Nick Carter Werkzeuge mit sich, was er bestimmt nicht hat, so müsste er eine ganze Woche arbeiten, um den Schutthaufen zu beseitigen, aber er kann nicht den ersten Tag überleben, denn er hat keine Luft mehr – und so wenig man von ihr allein leben kann, ohne sie zu leben, bringt auch dieser Nick Carter nicht fertig. Bist du nun beruhigt?«, schloss er lachend.

»Ich werde mir Mühe geben.«

»Nun, dann können wir ja wieder von unseren Geschäften sprechen.«

»Ich dachte, wir wären damit bereits im Reinen?«

»Nicht ganz. Du musst freilich fliehen, und zwar sofort, denn wenn auch Carter tot ist, so ist der New Yorker Boden dennoch viel zu heiß für dich … ich dagegen stehe erst am Anfang meiner hiesigen Laufbahn und habe große Dinge vor, lass dir das gesagt sein!«

»Ja«, warf Meadows trocken ein, »wenn sie dir nun keinen Strich durch die Rechnung machen … angenommen, man beruhigt sich nicht bei dem Verschwinden Lafonts und Nick Carters, sondern findet das plötzliche Niederbrennen des von ihnen aufs Korn genommenen Gebäudes merkwürdig und beschließt, den Schutt abzutragen. Es sollte mich wundern, täte man dies nicht und käme bei solcher Gelegenheit bis auf die eiserne Falltür.«

»Hol der Teufel all diese Möglichkeiten – sie entpuppen sich als lauter Unmöglichkeiten!«, warf Carruthers ein. »Nein, und tausendmal nein. Darauf verfallen die dummen Kerle gar nicht.«

»Und wenn sie nun doch darauf kämen?«

»Goddamn, ich sage, sie kommen nicht darauf!«

»Angenommen, es geschieht aber dennoch … was dann?«

Carruthers lachte spöttisch, während er seiner Zigarette dichte Rauchwolken entlockte.

»Mein lieber Freund … und wenn die beiden Toten heute noch aufgefunden würden, was kümmert das mich? Offiziell bin ich heute Nacht kurz vor ein Uhr zu meinem Apartmenthotel Undine zurückgekehrt und liege jetzt noch dort in tiefem Schlaf. Das wird der Fahrstuhlführer sowie jeder Kellner beschwören, denn keiner von ihnen weiß, auf welche spielend einfache Weise ich heimlich ein- und ausgehe, ohne dass sie das Geringste merken.« Er lachte sorglos. »Kannst du dir einen besseren Alibibeweis denken? Mag Inspektor McClusky nach mir schicken … ich komme sofort zu ihm, und die Entrüstungskomödie, die ich ihm vorspielen werde, dürfte genügen, um mir die dumme Bande, einerlei ob uniformiert oder verkleidet – zukünftig vom Leibe zu halten! Also, meinetwegen, gib dich keinen unnötigen Besorgnissen hin. Nick Carter ist besiegt, und das bedeutet für mich so viel wie der Gewinn eines Königreiches … ich hatte in dieser Stadt nur einen Mann zu fürchten, nämlich Nick Carter. Nun, da dieser aus dem Weg geschafft worden ist, bin ich der unbestrittene Herr von New York, und dieses soll mir mehr Tribut bezahlen müssen, als ihm lieb ist!«, schloss er unter einem herausfordernden, harten Lachen, während er sich zugleich behaglich im Sessel dehnte.

Doch sein Kumpan war immer noch nicht überzeugt.

»Ich fürchte, du unterschätzt diesen Inspektor McClusky, Morris.«

»Fällt mir gar nicht ein!«

»Am Ende weiß er auch viel mehr von dir, als du nur ahnst!«

»Blödsinn … ich will dir einmal etwas sagen, Ike, du bist eine Memme. Wasch dich mit kaltem Wasser, vielleicht bekommst du dadurch deine Nerven zurück. Potz Wetter auch, was warst du sonst für ein Kerl!«

»Wohl möglich!«, erklärte Meadows in kläglichem Ton. »Seit ich diesen Nick Carter kennen und fürchten gelernt habe, bin ich der Alte nicht mehr … ihm traue ich alles zu. Er kann uns überraschen, wenn wir uns am sichersten fühlen, ich gestehe es, ich bin eine Memme … ich zittere aus Furcht vor diesem Nick Carter, wie das Kind in der dunklen Kammer vor dem schwarzen Mann.«

Nick Carter konnte von seinem Versteck aus genau sehen, wie sich Carruthers’ mächtige Gestalt aus dem Sessel hob und er einen Blick voll unsäglicher Beachtung auf sein Gegenüber warf.

»Ike, ich begreife dich nicht!«, brummte er. »Du zucktest nicht mit den Wimpern, als du den Bankwächter niederschlugest, du schossest zugleich mit mir auf Lafont … du begabst dich nach deiner Flucht aus dem Polizeigefängnis mit einer Frechheit, die sogar mich in Erstaunen setzte, in deine Bank und erleichtertest sie um 55.000 Dollar – und nun …«

»Ja, damals war ich noch ein Mann.«

»Zum Teufel, so werde doch wieder zum Mann.«

Meadows seufzte. »Ich werde es wohl wieder sein, sobald ich diese schöne Stadt im Rücken habe«, gab er zu.

»Nun, dann fort mit dir!«, entschied Carruthers mit einer verächtlichen Handbewegung. »Die Orizaba segelt heute Nachmittag vom Fuß der Wallstreet ab. Du fährst mit ihr und landest auf irgendeiner dieser Inseln Zentral-Amerikas, wo du so sicher wie in Abrahams Schoß sein wirst. Die nötigen Verhaltensmaßregeln werde ich dir noch geben. Für jetzt musst du den gebenden Teil spielen, Freundchen, denn ich brauche für meinen Geschäftsbetrieb eine kleine Kapitalanlage – sagen wir 25.000 Dollar, welche du deiner Bank abgeknöpft hast. Das wird nicht zu viel sein, oder?«

»Für mich gibt es kein Leid mehr!«, meinte Meadows mit bitterem Auflachen. »Ich muss nach deiner Pfeife tanzen … bist du in Eile, und willst du das Geld gleich haben?«

»Aber selbstverständlich, Ike«, bestätigte Carruthers. »Ich wüsste wenigstens nicht, wann und wo wir uns sonst noch treffen könnten, außer am Hafen kurz vor Abfahrt des Dampfers – und da ist keine Zeit mehr für die Abwicklung von Geldgeschäften. Ich habe dir hier eine recht nette Verkleidung zurecht gemacht, in welcher dich selbst Nick Carter nicht erkennen würde, falls er noch am Leben weilte. Die wirst du anlegen und dann bis zwei Uhr hier bleiben, während ich mich nun heimlich wieder zu dem Undine zurückbegeben und noch einige Stunden schlafen werde. Pünktlich um drei Uhr, also eine Viertelstunde vor Abfahrt des Dampfers, werde ich am Hafen sein, um dir im Notfall helfen zu können. Geht alles gut, so sehen wir uns überhaupt nicht an und sprechen noch weniger miteinander. Und nun sei so freundlich und zahle aus!«

»Nimm dir das Geld selbst – es liegt dort im Sekretär, rechts oben die Schublade. Wie du siehst, bin ich gerade dabei, mir diese allerdings brillante Verkleidung, die du für mich zurechtgemacht hast, zu betrachten.«

»All right. Freut mich, dass du mir traust. Ist eigentlich unter Gentlemen selbstverständlich. Nun, ich werde mich schon nicht verzählen!«

Damit erhob sich Carruthers unter kurzem Aufflackern vom Stuhl und schritt quer durch das Zimmer zu dem neben dem Fenster stehenden Schreibsekretär.

Doch er kam nur bis in die Mitte des Zimmers, denn in diesem Moment stieß Nick Carter, der sich inzwischen zur Aufnahme und Durchführung des Kampfes entschlossen hatte, die Verbindungstür auf und stand mit einem Sprung im Zimmer.

»Guten Morgen, meine Herren«, sagte er spöttisch, »ich bin wirklich untröstlich, Sie in Ihrer Behaglichkeit stören zu müssen – doch es geht leider nicht anders!«