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Die Sternkammer – Band 2 – Kapitel 7

William Harrison Ainsworth
Die Sternkammer – Band 2
Ein historischer Roman
Christian Ernst Kollmann Verlag, Leipzig, 1854

Siebentes Kapitel

Die Haarlocke

Lord Roos wusste kaum, wie er aus der verlegenen Lage kommen sollte, in die er geraten war. Aber er besaß viel Selbstbeherrschung und sie verließ ihn auch in der gegenwärtigen Verlegenheit nicht. Nach solcher Überlegung, wie sie die Umstände gestatteten, konnte er nur ein Rettungsmittel entdecken, und wenn gleich hoffnungslos, beschloss er es doch anzuwenden. Wenn die vollendete Frechheit ihn retten konnte, so fehlte es ihm daran nicht.

Bisher hatte er noch kein Wort mit den Damen gewechselt. Lady Lake schien sich zu sehr an seiner Verwirrung zu erfreuen, um irgendetwas zu tun, dieselbe zu beseitigen. Seine Frau sah sich genötigt, sich in ihren Bewegungen nach denen ihrer Mutter zu richten. Ohne das Schweigen zu brechen, welches nun schmerzlich drückend geworden war, legte er die noch leblose Gestalt der Gräfin von Exeter auf ein Sofa, ließ wie zufällig ein Taschentuch über ihr Gesicht fallen, ging dann rasch zu der Stelle, wo Diego stand und sagte in entschlossenem Ton, aber so leise zu ihm, dass die anderen es nicht hörten: »Du hast mich verraten, Schurke, und wenn du mir nicht unbedenklich gehorchst und alle meine Behauptungen, so auffallend sie dir auch erscheinen mögen, bestätigst, so sollst du für deine Verräterei mit deinem Leben zahlen.«

Als dies geschehen war, wendete er sich zu den beiden Damen und redete Lady Lake mit mehr Ruhe an, als man hätte erwarten sollen.

»Ihr denkt ohne Zweifel eine wichtige Entdeckung gemacht zu haben, Madame«, sagte er, »eine Entdeckung, die mich und eine edle Dame, deren Ruf Ihr und Eure Tochter zu schmähen sucht, in große Verlegenheit bringen werde. Da ich, wie Ihr denkt, völlig in Eurer Macht hin, so schließt Ihr, ich werde in alle Bedingungen willigen, die Ihr und Lady Roos mir vorlegen werden, lieber, als Euch aus diesem Zimmer gehen und alles entdecken zu lassen, was Ihr gesehen habt. Ist es nicht so, Madame?«

»Ja, Mylord«, versetzte Lady Lake mit Bitterkeit. »Ihr habt die Sache richtig genug angegeben, außer in einem besonderen Punkt. Wir denken nicht, eine Entdeckung gemacht zu haben, sondern sind dessen völlig gewiss. Wir denken nicht, dass Ihr in unsere Bedingungen einwilligen werdet, denn wir sind gewiss, dass Ihr nur zu gern Euch und die Teilnehmerin Eurer Schuld durch jedes Opfer vor Entdeckung und Schande schützen werdet. Und erlaubt mir zu bemerken, dass der Ton, den Eure Herrlichkeit annehmen, weder für die Umstände noch für die Gegenwart, in welcher Ihr Euch befindet, passend scheint. Einiges Schamgefühl muss Euch wenigstens übrig sein – irgendein Schein von Respekt – wenn auch nichts weiter – sollte wenigstens gegen Eure beleidigte Gattin beobachtet werden. Wenn ich in dieser Sache allein handelte, würde ich Euch und der Gräfin von Exeter keine Rücksicht zeigen; aber ich kann den Bitten meiner Tochter nicht widerstehen, und um ihretwillen – und um ihretwillen allein – will ich den Schlag aufschieben, wenn ich nicht dazu gezwungen werde; und in dem Fall soll nichts meine Hände zurückhalten.«

»Ich danke Ihrer Herrlichkeit für Eure Milde«, sagte Lord Roos mit verstellter Demut.

»O, mein teurer Lord! Schließt nicht auf immer die Tür zwischen uns!«, rief Lady Roos. »Kehrt zu mir zurück, und alles soll verziehen sein.«

»Still, Elisabeth!«, rief Lady Lake ungeduldig. »Weißt du nicht aus trauriger Erfahrung, dass dein Gemahl für jede sanfte Bitte unzugänglich ist? Sein Herz ist gestählt gegen das Mitleid. Bitte nicht um das, was dir mit Recht zukommt und was er Dir bewilligen muss, er mag wollen oder nicht. Lass ihn sein Knie vor dir beugen. Lass ihn Besserung versprechen und um Verzeihung bitten, und dann wird es an dir sein, zu bedenken, ob du deine Verzeihung auf ihn erstrecken willst.«

Lady Roos sah aus, als hätte sie ihre Mutter gern unterbrochen, aber sie wurde zu sehr von ihr beherrscht, um eine Bemerkung zu machen.

»Es ist Zeit, Euch zu enttäuschen, Madame«, sagte Lord Roos, völlig unbewegt von dem, was gesagt worden war. »Ich bin nicht in der Lage, wie Ihr glaubt und habe nicht die geringste Absicht, Lady Roos um Verzeihung zu bitten oder ihr irgendein Versprechen abzulegen.«

»O Mutter! Ihr seht, dass auch Ihr ihn nicht zu bewegen vermögt«, sagte Lady Roos weinend. »Was wird aus mir werden?«

»Ich werde dich schelten müssen, Tochter, wenn du diese Schwäche zeigst«, rief Lady Lake zornig.

»Lass mich mit ihm sprechen. Ungeachtet Eurer angenommenen Zuversicht, Mylord, könnt Ihr nicht blind sein für Eure Lage. Und wenn Ihr wegen der Folgen der Verweigerung unserer Forderungen selber persönlich unbekümmert sein möget, so könnt Ihr doch nicht ebenso gleichgültig wegen des Schicksals der Gräfin von Exeter sein, welches durch jene Weigerung entschieden wird.«

»Ich bin so wenig gleichgültig wegen der Sicherheit der Gräfin, Madame, dass ich mich nicht genug freuen kann, dass sie außerhalb des Bereiches Eurer Bosheit ist.«

»Wie, Mylord!«, rief Lady Lake, erstaunt über seine Zuversicht. »Außerhalb unseres Bereiches, wenn sie doch hier ist! Ihr könnt doch nicht meinen«, fügte sie mit einem unerklärlichen Ausdruck der Genugtuung hinzu, »dass sie tot ist?«

»Tot!«, rief Lady Roos; »die Gräfin tot! Ich dachte, sie wäre nur in einer Ohnmacht.«

»Welches Rätsel wollt Ihr uns da aufgeben, Mylord?«, fragte Lady Lake.

»Kein Rätsel, Madame«, versetzte Lord Roos.

»Ich will nur behaupten, dass die Person, die Ihr dort auf dem Sofa seht, nicht die Gräfin von Exeter ist.«

»Nicht die Gräfin!«, rief Lady Roos. »O, wenn dies möglich wäre! Aber nein, nein! Ich kann mich nicht täuschen.«

»Ich sehe jetzt, warum ihr Gesicht mit einem Tuch bedeckt worden ist«, rief Lady Lake. »Aber es soll sie nicht vor unseren Blicken schützen.«

Hierauf näherte sie sich dem Sofa in der Absicht, die Bedeckung hinweg zu nehmen, als Lord Roos ihr in den Weg trat.

»Keinen Schritt näher, Madame«, rief er in gebieterischem Ton. »Ich will nicht gestatten, dass Ihr Eure Neugierde noch weiter befriedigt. Ihr und Lady Roos möge das, was Ihr gesehen habt, so gut benutzen, wie Ihr könnt, und jede Erzählung in Umlauf bringen, die Eure Einbildungskraft erfinden mag. Ihr werdet Euch nur lächerlich machen und Spott anstatt Teilnahme ernten. Niemand wird Euren Behauptungen Glauben schenken, weil ich zu beweisen imstande bin, dass Lady Exeter sich in diesem Augenblick in einem anderen Teil des Palastes befindet.«

»Diese kühne Unwahrheit wird Euch nicht helfen, Mylord. Man wird sich jener Person dort auf dem Sofa bemächtigen, wer sie auch sein mag, und dann wird die Wahrheit an den Tag kommen.«

Sie war im Begriff, auf die Tür zuzugehen, aber Lord Roos fasste ihren Arm und zog zugleich seinen Degen. Lady Roos schloss aus seinen wilden Blicken und drohenden Gebärden, dass ihre Mutter seiner Wut geopfert werden könne. Sie fiel daher vor ihm auf ihre Knie und flehte ihn um Mitleid an. Sie blieb in dieser Stellung, bis Lady Lake ihr zornig aufzustehen befahl.

»Ihr seid ohne meine Erlaubnis hierhergekommen, Madame«, rief Lord Roos wütend seiner Schwiegermutter zu, »und Ihr sollt Euch nicht eher entfernen, als bis ich es gestatte. Schließe die Tür ab, Diego, und bringe mir den Schlüssel. Es ist gut«, fuhr er fort, als der Befehl befolgt wurde.

Lady Lake unterwarf sich ohne Widerstand dem ihr auferlegten Zwang. Sie konnte nicht wohl anders, denn wenn ihr Schreien auch Beistand herbeigeführt hätte, mochte derselbe doch zu spät gekommen sein, und am Ende wollte sie die Sache auch nicht auf diese Weise zum Abschluss führen. Aber sie zeigte keine Furcht und verbot ihrer Tochter ihre Bitten fortzusetzen.

»Und nun, Madame«, sagte Lord Roos, Lady Lake loslassend, indem er Diego den Schlüssel abnahm, »will ich Euch sagen, wer die Person dort auf dem Sofa ist.«

»Vermehrt die Zahl der Unwahrheiten, die Ihr bereits gesagt habt, nicht noch, Mylord«, versetzte Lady Lake verächtlich. »Ich weiß wohl, wer es ist.«

»Aber ich möchte doch seine Erklärung hören«, sagte Lady Roos.

»Welche Erklärung kann er geben?«, rief Lady Lake. »Bezweifelst du das Zeugnis deiner eigenen Sinne?«

»Ich weiß nicht, was ich bezweifle oder was ich glaube«, rief Lady Roos in trostloser Zerstreuung.

»Dann glaubt mir, was ich Euch sage, Elisabeth«, sagte ihr Gemahl. »Es ist die Kammerjungfer der Gräfin, Gillian Greenford.«

»Eine unverschämte Lüge!«, rief Lady Lake.

»Eine Wahrheit, Mylady«, fiel Diego ein, »eine Wahrheit, die ich zu beschwören bereit bin.«

»Ich zweifle nicht daran, du falscher Schurke und zweifacher Verräter! Du bist deines Herrn würdig. Er kann keine so unsinnige und unwahrscheinliche Lüge erfinden, die du nicht unterstützen wirst. Jetzt bist du bereit, einen falschen Eid für ihn abzulegen; aber er darf sich wenig auf dich verlassen, denn du wirst morgen dasselbe für uns tun.«

»Ich halte es kaum für wahrscheinlich, Mylady«, versetzte Diego sich verneigend.

Lady Lake wendete sich mit der äußersten Verachtung von ihm ab.

»Wenn wir die Behauptung Eurer Herrlichkeit als möglich annehmen wollten«, sagte Lady Roos, »wie sollte Gillian Greenford – so meine ich nanntet Ihr sie – zu den Kleidern ihrer Gebieterin kommen?«

»Das ist leicht zu erklären, Kind«, versetzte Lord Roos. »Da sie sich ohne Zweifel so vorteilhaft wie möglich darstellen wollte, bediente sie sich der Garderobe der Gräfin. Eure eigene begünstigte Dienerin, Sara Swarton, hat sich oft in Eure feinsten Reifröcke, Mieder und Halskrausen gekleidet, wie Diego Euch sagen kann. Ist es nicht so, Kerl?«

»Es ist gerade so, wie Mylord angegeben hat, Madame«, sagte der Spanier zu Lady Roos. »Wenn Sara Swarton so gekleidet war, habe ich sie oft für Ihre Herrlichkeit gehalten.«

»Aber Sara ist mir sehr unähnlich«, sagte Lady Roos.

»Das zeigt nur, wie trügerisch der Schein ist, Kind, und wie wenig wir uns darauf verlassen können«, entgegnete Lord Roos.

»Wie kannst du dich so täuschen lassen, Elisabeth?«, sagte Lady Lake.

»Weil Ihre Herrlichkeit mir lieber glauben möchte als Euch, Madame«, versetzte Lord Roos. »Aber sie wird nicht getäuscht.«

»Der Himmel vergebe ihm!«, sagte Diego zu sich.

»Und gesetzt, es wäre Gillian, wie wäre die Sache dadurch für dich gebessert, Elisabeth?«, sagte Lady Lake. »Bist du nicht ebenso sehr gekränkt durch die eine, wie durch die andere?«

»Es mag sein«, versetzte ihre Tochter, »aber ich bin nur eifersüchtig auf die Gräfin. Ich würde vor jedem anderen Frauenzimmer niederknien und ihr danken, die meinen Gemahl ihren Umarmungen entzöge!«

»Schwache Törin! Ich verleugne dich«, rief Lady Lake zornig.

»Welch ein Weib!«, sagte Diego bei sich selber. »Seine Herrlichkeit ist ihrer völlig unwürdig. Wie würde ich eine solche Liebe schätzen!«

In diesem Augenblick machte Lady Exeter eine leise Bewegung und stieß einen Seufzer aus.

»Sie kommt wieder zu sich!«, flüsterte Lady Lake ihrer Tochter zu. »Wir werden bald die Wahrheit erfahren. Ich werde ein Mittel finden, sie zum Sprechen zu bringen. Nun, Mylord«, fügte sie laut und in sarkastischem Ton hinzu, »wenn Ihr es so wollt, ist es vergebens, es zu bestreiten. Aber was wird die Gräfin sagen, wenn sie Eure Untreue entdeckt?«

Hierauf fand eine schnellere Bewegung auf dem Sofa statt und eine Hand erhob sich, um das Tuch wegzuziehen.

»Wir haben sie«, flüsterte Lady Lake triumphierend ihrer Tochter zu. »Gewiss«, fuhr sie laut fort, »die Gräfin wird diese Übertragung Eurer Neigung auf ihr Kammermädchen sehr übel nehmen.«

Lord Roos sah die Gefahr, worin er sich befand. Noch einen Augenblick und Lady Lake hatte ihren Zweck erreicht und die Gräfin sich verraten.

»Lady Exeter wird Euren Darstellungen wenig Wichtigkeit beilegen, Madame«, sagte er mit großem Nachdruck redend, »außer insoweit sie sich auf sie selber beziehen, und da wird sie Sorge tragen, sie zu widerlegen. Über den Umstand, dass Gillian Greenford mich besuchte und dass das arme Mädchen aus über großer Furchtsamkeit ohnmächtig geworden und dass Ihr und Lady Roos mich in dieser Stellung überrascht, wird die Gräfin nur lachen, wenn er zu ihrer Kenntnis kommt. Aber sie wird anders denken, wenn sie hört, dass Ihr und Eure Tochter behaupten, dass sie es gewesen und nicht ihr Kammermädchen sind, die Ihr gesehen habt. Verlasst Euch darauf, Madame, Lady Exeter wird dieser Behauptung widersprechen und die Falschheit derselben beweisen.«

»Man mag die Falschheit jetzt beweisen. Die Person auf jenem Sofa zeige ihre Gesichtszüge und wir werden sehen, ob es die Gräfin oder Gillian ist.«

»Ja, lasst sie es tun, Mylord – lasst sie mit uns reden«, bat Lady Roos.

»Diablo! Es soll mich wundern, wie diese Bitte zu erfüllen sein wird?«, sagte Diego bei sich selber.

Aber Lord Roos war ein zu erfahrener Spieler, um sich durch diese Wendung des Spiels schlagen zu lassen.

»Gillian ist schon genug gequält worden«, rief er, »und soll dieser Prüfung nicht ausgesetzt werden. Überdies ist sie wieder in ihre Bewusstlosigkeit versunken, wie Ihr seht.«

»Es ist klar, sie tut, was Eure Herrlichkeit will«, sagte Lady Lake verächtlich. »Wir wissen, wie wir ihre Weigerung zu erklären haben.«

»Es liegt mir nichts daran, wie Ihr sie erklärt«, rief Lord Roos, die Geduld verlierend. »Ihr und Lady Roos möget denken, was Ihr wollt und handeln, wie es Euch gefällt. Genug für mich, dass Ihr nichts beweisen könnt.«

»Ei, dies sieht Euch ähnlich, Mylord«, entgegnete Lady Lake höhnisch. »Nachdem Ihr die Maske abgeworfen habt, wird Euch die Notwendigkeit weiterer Ausflüchte erspart. Die Gräfin wird Euer Beispiel nachahmen, ihre verstellte Bewusstlosigkeit beseitigen und uns Trotz bieten. Sie darf nichts fürchten, da Ihr behauptet, dass wir nichts beweisen können.«

»Ich sehe, es ist Eure Absicht, mich zu ärgern, Madame«, rief Lord Roos heftig, »und dies wird Euch wahrscheinlich gelingen, wenn Euch auch alles Übrige fehlschlägt. Ich habe keine Maske abzuwerfen. Wenn Ihr aber wollt, dass ich mich für Euren Feind erklären soll, so bin ich dazu bereit. Von jetzt an mag kein Vertrag zwischen uns gelten, sondern offener Krieg herrschen.«

»So sei es, Mylord. Und Ihr sollt bald finden, wer in dem Kampf geschlagen werden wird.«

»O! Schreitet nicht zu diesen äußersten Mitteln, liebe Mutter und teuerster Gemahl!«, rief Lady Roos, indem sie sich flehend von der einen zu dem anderen wendete. »Stellt diese zornigen Reden ein, ich bitte Euch. Seid Freunde und nicht Feinde.«

»Wie Ihr wollt – Friede oder Krieg, es gilt mir gleich«, sagte Lord Roos. »Inzwischen bin ich dieser Szene überdrüssig und muss sie zu Ende bringen. Diego!«

Seinem Diener winkend, flüsterte er ihm einen Befehl ins Ohr.

»Ich werde Euch gehorchen, Mylord«, sagte Diego, als er seinen Auftrag empfing. »Gillian soll mit aller Sorgfalt in ihr Zimmer gebracht werden.«

Wir müssen einen Beweis haben, dass sie hier gewesen ist« dachte Lady Lake. Aber wie soll man ihn erhalten? Ich habe es. »Nimm«, fügte sie leise zu ihrer Tochter gewendet hinzu, indem sie ihr eine Schere in die Hand gab, »und versuche ihr, wenn möglich, eine Haarlocke abzuschneiden, ehe sie weggebracht wird.«

Lady Roos versprach mit einem Blick, ihr zu gehorchen.

Während dies geschah, näherte sich Diego dem Sofa, band das Tuch fester um das Gesicht der Gräfin, nahm sie auf seine Arme und ging auf die geheime Treppe zu, deren Vorhang Lord Roos zurückzog, um ihn durchzulassen.

So rasch der Spanier sich bewegte, kam ihm doch Lady Roos zuvor, deren Absicht dadurch begünstigt wurde, dass sich eine von den langen Haarflechten der Gräfin löste und sie keine Schwierigkeit hatte, sich in den Besitz derselben zu setzen. Lady Exeter wurde den erlittenen Verlust gewahr und stieß einen erstickten Schrei aus, aber dies wurde von Lord Roos, der nicht bemerkte, was vorging, und nur Diegos Entfernung beschleunigen wollte, dem bei dieser Gelegenheit sehr natürlichen Schrecken zugeschrieben. Aber ehe dieser mit seiner Last gänzlich verschwunden war, wurde die parfümierte seidene Haarlocke der Lady Lake überliefert, welche triumphierend murmelte, als sie dieselbe empfing.

»Diese Haarlocke wird sie überführen.«

Der Preis war kaum verborgen, als Lord Roos seinen Degen, den er bisher gezogen gehabt, wieder einsteckte und sich seiner Schwiegermutter näherte.

»Nun, da der Gegenstand Eurer Unruhe entfernt ist, wird es nicht nötig sein, diese Unterredung zu verlängern«, sagte er.

»Haben wir denn Eurer Herrlichkeit Erlaubnis, uns zu entfernen?«, entgegnete Lady Lake kalt. »Ich vermute, wir sollen uns nicht des Privatausganges bedienen, den Ihr zu Euren verliebten Abenteuern benutzt, damit wir nicht noch andere Entdeckungen machen.«

»Ihre Herrlichkeit werden sich auf dem Wege entfernen, auf dem Ihr hereingekommen seid«, versetzte Lord Roos. »Ich werde Euch bis an die Tür begleiten und sie für Euch öffnen.«

»Ehe wir gehen, möchte ich ein Wort mit meinem Gemahl reden – vielleicht wird es mein letztes sein«, sagte Lady Roos zu ihrer Mutter. »Ich bitte, entfernt Euch ein wenig, damit wir allein sind.«

»Tu es lieber nicht«, versetzte Lady Lake. Aber nicht imstande, den flehenden Blicken ihrer Tochter zu widerstehen, fügte sie hinzu: »Nun, wie du willst, aber es ist nutzlos.«

Hierauf begab sie sich in den kleinen Gang und blieb dort.

Als Lady Roos sich zu ihrem Gemahl wendete, erkannte sie an dem strengen und unerschütterlichen Blick, den er angenommen hatte, dass jede Bitte, die sie an ihn richte, vergebens sein würde. Daher sprach sie auch keine aus. Ein Augenblick verging, ehe sie ein Wort hervorbringen konnte und dann war es nur ein leises Gebet um Leitung und Unterstützung.

»Was sagt Ihr, Elisabeth?«, fragte Lord Roos, welcher glaubte, dass sie ihn anrede.

»Ich bat den Himmel um Beistand, William, und er hat mir denselben gewährt«, entgegnete sie in leisem und lieblichem Ton. »Ich kann jetzt mit Euch reden. Es geschieht nicht, um Euch mit Bitten oder Vorwürfen zu ermüden, dass ich Euch so zurückhalte. Ich habe Euch etwas mitzuteilen und ich bin gewiss, Ihr werdet lebhaft darauf horchen. Kommt näher, damit es sonst niemand hört.«

Lord Roos, dessen Neugierde durch ihr Benehmen aufgeregt wurde, gehorchte ihr.

»Ich bin ganz Ohr«, sagte er.

»Ich fühle, dass ich Euch im Wege stehe«, versetzte sie mit leisem Geflüster, »und dass Ihr meinen Tod wünscht. Nein, unterbrecht mich nicht; ich bin gewiss, Ihr wünscht ihn, und ich bin ebenso gewiss, dass der Wunsch befriedigt werden wird, und dass Ihr mich töten werdet.«

»Euch töten!«, rief Lord Roos erschrocken. »Wie könnt Ihr Euch so etwas Schreckliches vorstellen?«

»Es ist denen eine Macht gewährt, welche so innig lieben, wie ich, in die Herzen derjenigen, die sie lieben, zu blicken und ihre Geheimnisse zu lesen. Ich habe die Euren gelesen, William. Nein, erschreckt nicht. Ich habe es bisher für mich behalten und werde es auch bis zu Ende für mich behalten. Ihr wünscht, dass ich tot sein möge, sage ich, und Euer Wunsch soll befriedigt werden – aber nicht in der Weise, wie Ihr es beabsichtigt. Da ich Eure Liebe verloren habe, ist mir das Leben gleichgültig oder vielmehr unerträglich geworden. Aber wenn auch der Tod eine Erleichterung für mich sein mag, darf er doch nicht von Eurer Hand kommen.«

»Ihr könnt Euch doch nicht selbst den Tod geben wollen, Elisabeth?«, rief Lord Roos erschrocken.

»Ich beabsichtige, Euch nicht länger zu belästigen. Ich beabsichtige, Euch das letzte und größte Opfer zu bringen, welches ich kann, und Euch ein Verbrechen zu ersparen – oder wenn Ihr das Verbrechen teilen müsst, Euch wenigstens vor der Strafe zu schützen. Seht hier!«, fügte sie hinzu, indem sie eine kleine Flasche zum Vorschein brachte. »Gebietet mir, hiervon zu trinken, und ehe der Morgen kommt, seid Ihr frei und ich in Ruhe. Soll ich es tun?«

»Nein – nein«, versetzte Lord Roos, ihr das Fläschchen entreißend. »Lebt, Elisabeth, lebt!«

»Soll ich für Euch leben, William?«, rief sie mit unaussprechlicher Freude.

Er gab keine Antwort, sondern wendete seinen Kopf ab.

»Aus Mitleid, gebt mir das Fläschchen zurück«, rief sie, wieder in ihre Verzweiflung versinkend.

»Ich muss Euch Eure Bitte abschlagen«, versetzte er.

»Bist du zu Ende, Elisabeth?«, fragte Lady Lake aus dem Gang hervorkommend.

»Noch einen Augenblick, Mutter«, rief Lady Roos. »Ein Wort – einen Blick!«, fügte sie zu ihrem Gatten gewendet hinzu.

Aber er sprach nicht mit ihr und sah sie nicht an.

»Jetzt bin ich bereit, Euch zu begleiten, Mutter«, sagte die arme Dame matt.

»Fasse Muth, schwachherziges Geschöpf«, sagte Lady Lake in leisem Ton. »Die Rache ist unser.«

Wenn ich sie nur treffen könnte, ohne ihn zu verletzen, so würde mir nicht daran liegen, dachte Lady Roos. Aber wo er leidet, muss ich auch leiden, und noch empfindlicher.

Kaum imstande, sich aufrecht zu halten, folgte sie ihrer Mutter zu der Tür des Vorzimmers, die von ihrem Gatten für sie geöffnet wurde. Er sagte ihr nicht Lebewohl!

Als Lady Lake hinausging, blieb sie einen Augenblick stehen und sagte: »Morgen. Mylord, wollen wir uns überzeugen, ob die Haarlocke, die wir von dem schönen Gast in Eurem Zimmer erhalten haben, zu Gillian Greenfords Haar oder zu der Rabenlocken der Gräfin von Exeter passt.«

Unzufrieden mit der Wirkung, welche diese Drohung hervorbrachte, entfernte sie sich mit ihrer Tochter, ehe Lord Roos eine Antwort aussprechen konnte.