Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Addy der Rifleman – An den Feuern der Oneida

Max Felde
Addy der Rifleman
Eine Erzählung aus den nordamerikanischen Befreiungskämpfen
Union Deutsche Verlagsgesellschaft Stuttgart, Berlin, Leipzig, 1900

An den Feuern der Oneida

Südlich von Ontario, mehrere Tagesreisen von den westlichsten Ansiedelungen des Mohawktales entfernt, liegt ein ganzes System von kleinen und größeren Seen ausgebreitet, die einander sehr nahe gerückt, ja sogar vielfach durch Wasserläufe miteinander verbunden sind.

Sie erscheinen in dem dort befindlichen reizvollen Übergangsgebirge wie langgestreckte, wasserausgefüllte Klüfte und erinnern mit ihrer malerischen Umgegend lebhaft an die Schweizer Alpenseen, nur dass die Berge jener Gegend nicht wie die gigantischen Gebirgsriesen Helvetiens bis in die ewige Schneeregion emporragen.

Aber wie dort umweht ein ungemein ansprechender, romantischer Hauch Berge und Gewässer und er verfehlt wohl nie auf den Besucher einen ganz eigentümlichen Reiz auszuüben.

An einem dieser von struppigem Buschwerk und üppigen Cottonbäumen umrahmten Seen, an einer stillen Bucht, lagen unweit des Ufers über ein halbes Hundert Indianerhütten, die bald einzeln, bald in Gruppen zusammenstanden. Ihr schmutziges Graubraun bildete einen malerischen Gegensatz zu dem tiefen saftgrünen Wiesengrund, auf dem sie ausgebreitet standen.

All diese Hütten waren von kegelartiger Form und in der Hauptsache durch ein nach oben schief und spitz zulaufendes Stangengerüst gebildet, das bei dem einen Zelt durch Leinwand, bei dem anderen durch Büffelfelle überspannt oder umhangen war. Da und dort kräuselten durch die oben offenen Spitzen dieser einfachen Behausungen kleine, dünne Rauchwölkchen.

Das Dorf war zurzeit recht belebt; offenbar befand sich eben jetzt seine ganze Einwohnerschaft am heimatlichen Feuerherd.

Zwischen den Hütten umher wandelten in stolzer und gerader Haltung die Männer oder sie lungerten einzeln oder in Gruppen vor ihren Wigwams, behaglich ihre Pfeife schmauchend.

Sie alle waren von mehr als Mittelgröße und durchaus wohlgestaltet. Ihre Kleidung bestand aus Lederhosen, reich mit Fransen besetzt, ihre Hemden waren meist aus Büffelfellen hergestellt, auf deren glatter Außenseite oft die übertriebensten Heldentaten in roher Ausführung aufgemalt standen.

Manche dieser Männer trugen überdies blaue Tücher über die Schulter geworfen, deren Knüpfenden nicht selten mit allerlei Stickerei oder auch mit reichlichem Perlenschmuck besetzt waren. Auf dem Haupt, über der niederwallenden Skalplocke, ragte der Kopffederschmuck, je nach der Würde des Einzelnen eine oder mehrere Adlerfedern.

Von Zeit zu Zeit lüfteten sich hier und dort die Eingänge der Hütten, die durchweg einfach durch eine Art verschiebbaren Vorhang gebildet wurden.

Frauen mit Körben und krugartigen Behältern kamen und gingen. Offenbar waren sie damit beschäftigt, den ihren das Abendbrot zu bereiten.

Diese Frauengestalten waren im Gegensatz zu den Männern kurz und gedrungen gebaut; unter den Augenbrauen hervor glänzten schwarze, durchdringend blickende Augen; ihr Wangenbein war ausnehmend hoch, die Lippen dick, doch nicht wulstig.

Die jugendlicheren Gestalten unter ihnen schritten wie die Männer leise und elastisch dahin, doch die älteren zeigten alle eine mehr oder weniger gebückte Haltung, wohl eine Folge ihres immerwährenden Hockens am häuslichen Herd.

Draußen auf dem Wiesengrund, dem Strand zu, trieb eine einzelne, schlank und wohl gebaute Rothaut auf einem struppigen Pony allerlei Reitkünste. Bald führte der Mann auf kleiner Bahn eine Reihe kunstvoller Manegebewegungen aus, dann wieder sprengte er auf dem ausdauernden Tier in weiten Kreisen mit größter Schnelligkeit daher, wobei er mit bewunderungswürdiger Geschicklichkeit den Tomahawk bald nach diesem, bald nach jenem Ziel schleuderte. Lang flatterte um seinen Kopf das schwarze strähnige Haar, dessen Enden zopfartig mit roten Tuchstreifen durchflochten waren. Über der Skalplocke ragten drei Adlerfedern.

Auch er trug, wie die anderen Männer alle, Leggins mit Fransen und Perlenstickerei verziert, Mokassins und ein Jagdhemd, doch hatte er über die Schulter togaartig eine rote Wolldecke geschlungen.

Er bot in seiner wilden Beweglichkeit ein überaus malerisches Bild, zugleich aber auch das Ansehen eines furchtbaren Kriegers dar.

Endlich ließ dieser Mann ab von seinem Treiben und trabte mit dem Tier zum Dorf, wo er aus dem Sattel sprang. Er warf dem Pferd seine Decke über und leinte es auf der nahen Wiese an, wo noch mehrere andere Ponys sich umhertrieben.

Leichten Schrittes ging der Krieger zu einer der nächsten Hütten und ließ sich vor derselben auf die Erde nieder.

Es war der Flinke Biber, der noch junge Häuptling, den wir schon zu Anfang unserer Erzählung kennen gelernt haben. Er winkte einen schlanken, dunkeläugigen Knaben zu sich heran, ließ sich eine mit Federschmuck reich verzierte Pfeife aus seinem Zelt herbeibringen, füllte und entzündete den Inhalt. Gemächlich auf den einen Arm gestützt, den Blick träumerisch in die Ferne gerichtet, begann er behaglich zu schmauchen.

Die Sonne war jenseits des Sees über den Horizont bereits hinabgetaucht und vergoldete mit ihren letzten Strahlen nur noch die höchsten Bergspitzen.

Aber auch diese Feuer verglommen nach und nach und über das Dorf breitete sich allmählich nächtliches Dunkel.

Hier und dort trugen noch einige Frauen den Männern die Erzeugnisse ihrer Kochkunst zu und sie aßen auf freiem Platz vor ihren Hütten. Eine Stunde später aber war das Dorf in tiefster Ruhe.

Nur der Flinke Biber lag noch immer an seinem Platz, er schien noch kein Schlafbedürfnis zu verspüren. Er lockte einen keifenden Hund zu sich heran, begann auf ihn einzureden und mit ihm zu spielen.

Weit draußen auf dem See tauchten nacheinander mehrere weithin leuchtende Feuer fischender Indianer auf, rötlich glänzende Lichter, die aber erheblich verblassten, als bald darauf über den Bergen der volle Mond sich erhob, die Landschaft mit seinem magischen Silberlicht übergießend.

Da ertönte durch die Stille der Nacht von fernher der heisere Schrei eines Vogels.

Der Häuptling fuhr jäh auf, stieß den Hund unsanft von sich und horchte.

Der Ruf wiederholte sich in gleichen Zeitabständen noch zweimal. Beim dritten Schrei sprang der Indianer von der Erde auf und ging mit langen Schritten quer über die Wiese dem nahen Wald zu. Vorsichtig trat er unter die Bäume, und nun ließ auch er denselben Ruf vernehmen, worauf ganz in seiner Nähe geantwortet wurde.

Gleich darauf trat Addy, die Büchse im Arm, hinter einem Baumstamm hervor und streckte dem Häuptling die Hand entgegen, die dieser mit beiden Händen ergriff und an sich drückte.

»Was führen weißen Bruder zu den Feuern der Oneida?«, fragte er. Erstaunen malte sich in seinen, vom Licht des Mondes erhellten, sonst so ernsten und ruhigen Gesichtszügen. »Addy kommen an die Seen, wenn weiße Krieger am Mohawk fast jeden Tag mit Inschen kämpfen?«

»Warum ich mit einem Mal in dieser Gegend auftauche, das will ich dir wohl sagen, Oneida«, entgegnete der Jäger, »wenn du mir auf kurze Zeit deine Gegenwart schenken willst. Was mich aber ein weniges vom geraden Weg ab und heute just zu eurem Dorf führt, ist nichts anderes als das Verlangen, dich, mein roter Bruder, einmal wieder zu sehen.«

Man hörte es dem Tonfall seiner Stimme wohl an, dass seine Worte sehr herzlich gemeint waren, und er musste demnach eine große Zuneigung zu dem roten Mann im Herzen tragen. Der Häuptling erwiderte nun noch viel inniger den Druck der Hand und schickte sich dann an mit seinem Gast den Weg zum Dorf anzutreten.

Als der Jäger diese Absicht merkte, versuchte er den anderen zurückzuhalten und sagte: »Weiß mein roter Bruder, was er zu beginnen im Begriff ist? Wird es von dem Sachem und den Kriegern des Stammes gutgeheißen werden, wenn ein weißer Mann, der zurzeit fast mit allen Nationen hier oben im Kampf liegt, sich in diesen kritischen Tagen offen im Dorf sehen lässt?«

Der Flinke Biber wehrte dieser Einwendung, zog den Jäger fast gewaltsam mit sich fort und erwiderte: »Nicht offen sehen, Vorsicht immer gut – aber kommen, eben jetzt sehr gut sehen, wie groß Oneidafreundschaft für weiße Krieger.«

»Nun, wenn das ist, dann will ich nicht länger zögern, und von neuen Freundschaftsbeweisen seitens der Deinen zu vernehmen, das soll meinen Ohren Musik sein.«

Sie gingen nebeneinander den Hütten zu und währenddessen erzählte der Häuptling, dass seit zwei Tagen schon ein Agent der Johnsonschen Regierung unter ihnen weile, der die Oneida wieder einmal zur Parteinahme wider die Weißen am Mohawk zu gewinnen suche.

»Und die Oneida werden diesem Mann hoffentlich dieselbe ablehnende Antwort geben wie allen seinen Vorgängern?«

»Morgen, wenn Sonne über den großen Bergen stehen, dann Addy vernehmen, wie Oneidakrieger Antwort geben«, entgegnete der Flinke Biber.

Sie waren an dem Wigwam, an dem der Häuptling zuvor gelegen hatte, angekommen. Der Oneida schob den Vorhang zurück und bat den Jäger einzutreten.

In der Hütte war es finster. Nur von oben, in der Mitte des Zeltes, wo sich das offene Rauchloch befand, flutete ein matter Schein des Mondlichtes nieder.

Der Häuptling trat an den unter dieser Öffnung befindlichen Feuerherd und entzündete an der Aschenglut einen Kienspan, den er durch kräftiges Umherschwingen rasch zur hellen Leuchte entflammte.

Nun erst ließ sich das Innere der Indianerbehausung übersehen.

An dem Stangengerüst, das den Hauptbestandteil des Zeltes bildete, befanden sich eine Menge rohgearbeitete Holznägel und daran hingen rings umher allerlei Jagdtrophäen, einige Fischereigeräte, des Häuptlings Büchse, mehrere Tomahawks, dazwischen das bevorzugte Jagdgerät des roten Mannes: Bogen und Pfeile.

Dem Eingang gegenüber, in der hintersten Ecke, befand sich eine kistenartige, mit allerlei wunderlichen Figuren bemalte Truhe, das einzige Inventarstück, das auf die Bezeichnung eines Möbels Anspruch machen durfte und offenbar zur Aufbewahrung von Kleidungsstücken, vielleicht auch mit Rücksicht auf die Feuerstelle zur Bergung des Munitionsbedarfes diente.

Über dem Feuerherd hing an einer Kette von der Spitze des Holzgerüstes herab ein metallener Kochkessel. Der Erdboden war reich belegt mit Matten und einigen Tierfellen, deren mehrere übereinander geschichtet zugleich das Ruhelager bildeten.

Hier ließen sich die beiden nieder. Der Flinke Biber bot seinem Gast von den vorhandenen Resten einen Imbiss an.

Addy lehnte indessen dankend ab, begann dagegen seinem Freunde in großen Zügen von den letzten Ereignissen im Mohawktal zu berichten. Er beklagte, dass die Überfälle durch die Indianer noch immer sehr zahlreich seien und nachgerade der ganze gesegnete Landstrich verwüstet würde; doch sei begründete Aussicht auf militärische Hilfe vorhanden, die schon in kurzer Zeit eintreffen könne und der Zerstörungswut der feindlichen Rothäute hoffentlich steuern würde. Er betonte, wie es erstaunlich sei, dass die Thayendanegeasleute und in neuester Zeit auch einzelne Banden der Onondaga, der Senecas und Cayugas, alle Wege und Stege kennen, und dass sie gewöhnlich immer just da aus den Wäldern hervorbrechen, wo man ihnen für den Augenblick am wenigsten eine bewaffnete Macht entgegenzusetzen vermochte. Es sei auffallend, dass sie sich über die militärischen Maßnahmen fast immer unterrichtet zeigten, und vertrat die Meinung, dass das nur auf Verrätereien zurückgeführt werden könne. Ja, er sei nachgerade zu der Ansicht gekommen, dass unter den im Tal ansässigen Tories ein förmliches Komplott von Verrätern bestehen müsse, die mit den feindlich gesinnten Indianern in Verbindung ständen.

Er kam dann auf seine Farm zu sprechen, die unter Umständen vernichtet wurde, die damals seinen Verdacht auf eine bestimmte Person lenkte, aber es fehlten auch hier wie in vielen anderen Verdachtsfällen bestimmte Beweise. Als ihnen jener Mann unlängst in die Hände fiel, da hatte man ihn zwar ins Gebet genommen, aber unter gewissen Umständen leider wieder laufen lassen. Mit sichtlich großem Interesse verfolgte der Häuptling dann die Schilderung des Zweikampfes, den Franzl mit jenem Mann bestanden hatte. Der Oneida drückte zum Schluss derselben lebhaft seinen Beifall aus.

»Ja«, versetzte der Jäger schmunzelnd, »das Singende Maul hat sich wie immer so auch bei dieser Gelegenheit ausnehmend tapfer gehalten und«, setzte er, wieder ernst werdend, hinzu, »es würde mir ungemein leidtun, wenn er den bei dieser Gelegenheit bewiesenen Mut auf elende Weise hätte büßen müssen.«

»Was begegnen Singendem Maul?«, fragte der Häuptling.

»Er ist«, antwortete der Jäger, »seit etwa acht Tagen einfach verschwunden. Er hatte bald nach jenem Zweikampf seine Braut – das Binche – du kennst, Oneida, die ehemalige Wirtschafterin des an seinen Wunden verstorbenen Häuptlings der weißen Krieger – heimgeführt. Er hatte vordem schon meine Farm gepachtet und sich häuslich auf dem längst wieder neu erbauten Farmhaus niedergelassen. Doch schon wenige Tage nach seinem Einzug brach eine neue Katastrophe über die Farm herein. Sie wurde unter ganz denselben auffallenden Umständen wie ehedem von den roten Kriegern heimgesucht, insofern, als auch diesmal alle umliegenden Wohnhäuser verschont blieben und nur dieses eine in Brand gesteckt und geplündert wurde.«

»Da müssen Verrat, da müssen Rache des schlechten Mannes, der mit Singendem Maul kämpfen, im Spiel sein!«

»Gewiss, Oneida, das ist auch meine Meinung. Die Züchtigung, die jene feige, hinterlistige Kreatur empfing, die hat dieser Mann uns gewaltig übelgenommen und seine Rachegelüste loderten aufs Neue auf. Ich möchte darauf schwören, dass kein anderer als er auch diesen neuen Überfall anstiftete.«

»Und wie gehen das zu mit Singendem Maul

»Er hat in jener Unglücksnacht, trotzdem er von einer vorher erhaltenen Verwundung kaum erst wieder hergestellt war, gekämpft wie ein Löwe, doch musste er, da der Überfall gar zu plötzlich und unvermutet kam, der Übermacht erliegen. Sowohl er als auch seine Frau, die gleich zu Beginn des Kampfes in die Hände der roten Krieger geriet, wurden hinweggeschleppt.«

»Das für Singendes Maul schlimm – sehr schlimm«, bemerkte der Indianer und fragte dann: »Addy wissen, wo Inschen Singendes Maul hinführen?«

»Die roten Leute wurden verfolgt, aber wie immer viel zu spät; die Scharfschützen, die hinter ihnen her waren, kehrten unverrichteter Sache zurück. Ich befand mich in jener Nacht weit vom Tatort. Als ich dann davon erfuhr, machte ich mich ungesäumt mit drei der besten und erfahrensten Ranger auf die Fährte, folgte von Lagerfeuer zu Lagerfeuer und seit einigen Tagen weiß ich mit Bestimmtheit, dass die beiden Gefangenen zu den Dörfern der Thayendanegeasleute geschleppt wurden.«

»Mein weißer Bruder hat nun die Absicht, Singendem Maul und seiner Squaw den Skalp zu retten?«

»Ja, Oneida, ich will es wenigstens versuchen. Du weißt, dass ich das Singende Maul sehr liebe, und dass ich ihm Dank schulde – du selbst hast es mit angesehen, wie mir dieser Mann bei Oriskany das Leben rettete. Ich will ihm nun, wenn ich es vermag, diese Schuld heimbezahlen.«

»Addy denken sehr gut. Wenn Addy Freund, dann sehr guter Freund – aber retten sehr schwer«, bemerkte der Häuptling, der mit Anhören der letzten Mitteilungen sehr ernst und nachdenklich geworden war.

»Nun«, versetzte der Jäger, »ich will dennoch das Beste hoffen, darf ich doch annehmen, dass die beiden Gefangenen noch am Leben sind, und das andere, das wird sich finden!«

»Woraus schließen Addy, dass Singendes Maul und seine Squaw noch Skalp haben?«

»Erstlich ist es mir eine Beruhigung, dass ich inzwischen ziemlich deutliche Spuren sowohl von ihm als auch von seiner Frau aufgefunden habe. Sodann war es, als ich von dem Überfall erfuhr, mein erstes, einen gefangenen Huronen springen zu lassen, der Thayendanegeas zwei seiner Häuptlinge für die Freilassung der beiden Weißen anbieten sollte. Den einen der beiden Huronen hatte ich selbst eines Tages am Schopf gefasst, der andere wurde gelegentlich eines Überfalles einer Niederlassung, bei der das Singende Maul jenen Schuss erhielt, niedergeschossen und gefangen genommen und ist inzwischen wieder genesen.«

»Das sehr gut, das sehr gut; dann vielleicht Thayendanegeas Skalp noch nicht nehmen, dann vielleicht warten.«

»Ja, hoffentlich findet er den Vorschlag, den ich ihm machen ließ, der Überlegung wert; aber warten, bis es ihm gefällig ist, die Gefangenen auszutauschen, das dauert mir zu lange. Du begreifst, ich bezweckte mit dem Angebot lediglich, dass das Leben der beiden zunächst geschont werde; ich wollte Zeit gewinnen.«

»Das sehr gut; jetzt gehen und sehen, ob Thayendanegeas wirklich warten.«

»Ja, und mehr als das. Ich will sogar versuchen, ob ich die Befreiung der beiden nicht auch ohne die Zustimmung und gegen den Willen Thayendanegeas bewerkstelligen kann. Seine beiden Häuptlinge, die sollen ihm nachträglich nicht vorenthalten werden.«

»Warum aber hat dann Addy den Pfad zu den Huronendörfern verlassen, warum er hier die Zeit verschwatzen?«, fragte der Häuptling.

»Du weißt sehr gut, Oneida, dass ich keinen Schritt breit von meinem Weg abgewichen wäre, wenn nicht die Umstände dazu angetan sein würden. Ich kann natürlicherweise auf einen Erfolg nur rechnen, wenn die Dörfer der Huronen leer stehen, wenn Thayendanegeas zu einem neuen Zug aufgebrochen sein wird. das kann, wenn alle meine Berechnungen stimmen, erst in einigen Tagen der Fall sein. Der Häuptling ist, wie ich nun sicher zu erfahren wusste, wieder leidlich hergestellt und gewillt, seine Krieger erstmals wieder persönlich zu führen. Er wird sich wundern, wenn derjenige, dem sein diesmaliger Zug hauptsächlich gelten soll, unterdessen seinem eigenen Wigwam einen Besuch abgestattet hat. Meine Ranger sind nicht untätig; sie liegen beobachtend auf verschiedenen Punkten oben in den Bergen und wissen, wo ich zu finden bin.«

Der Flinke Biber sah längere Zeit gedankenvoll vor sich hin und erhob sich dann. Er nahm mehrere der am Boden umherliegenden Matten und Tierfelle auf, bereitete zwei Lagerstätten und lud mit einer Handbewegung den Jäger ein, auf eine derselben sich niederzulassen. Geraume Weile sah er dann noch durch das Rauchloch empor zu den Sternen, dann steckte er den tief niedergebrannten Kienspan zwischen die Asche des Feuerherdes.

In der Hütte war es dunkel geworden, wenige Minuten darauf legten sich die beiden zur Ruhe.

 

*

 

Am anderen Morgen fühlte sich Addy früh schon geweckt. Völlig munter stand der Flinke Biber an seinem Lager und winkte ihm.

Rasch erhob sich der Jäger und trat mit dem Häuptling hinaus in die frische Morgenluft.

Noch glänzten die Sterne am Himmel, nur im Osten über den Bergen zeigte sich, kaum bemerkbar, ein lichter Dämmerstreifen.

Geräuschlos glitt der Oneida den noch in völliger Ruhe liegenden Hütten entlang und führte seinen Gast zur Mitte des Dorfes.

Auf einem großen, fast kreisrunden freien Platz angelangt, hielt er, schlug den Vorhang eines Wigwams zurück und bat den Jäger, hier so lange zu verweilen, bis er selbst ihn wieder hole.

Addy erklärte sich durch ein stummes Zeichen einverstanden; der andere verschwand.

Allmählich wurde es lichter und nun kam Leben in das Dorf.

Aus allen Hütten ergossen sich dunkle Gestalten und entfalteten eine rührige Tätigkeit, die, wie Addy durch eine schmale Spalte der Zeltwand bemerkte, darauf gerichtet war, die Festtagstoilette anzulegen. Es war also etwas ganz Besonderes im Werke.

Es dauerte denn auch nicht lange, da wurden an dem einen Ende des Dorfes Begrüßungsrufe laut, und jetzt kamen etwa ein Dutzend festlich geputzte Krieger, die Häuptlinge der Nachbardörfer, die ersichtlich die Strapazen eines größeren Marsches bereits hinter sich hatten, ernst und würdig auf den großen Platz geschritten.

Ein Rudel Knaben kam daher gerannt, die flink eine Menge Holzklötze herbeischleppten, die sie in gleichmäßigen Abständen im Umkreis des Platzes doppelreihig verteilten.

Inzwischen hatten sich auch die männlichen Insassen des Dorfes in vollem Festputz auf dem freien Raum eingefunden.

Man stand eine Weile in Gruppen beisammen, begrüßte sich, schwatzte und setzte sich dann.

Da wurde der Vorhang eines besonders großen Wigwams, der unmittelbar neben demjenigen des Jägers lag, zurückgeschlagen und zwei Männer traten in stolzer Haltung hervor, um sich ohne weitere Zeremonie auf zwei bevorzugten, bisher freigehaltenen Sitzen niederzulassen.

Der eine der beiden war in den besten Mannesjahren und trug wie alle Übrigen kriegerischen Putz, nur dass seine Skalplocke reicher als bei den anderen mit prächtigen Adlerfedern geziert war. Es war Motuga, die Bärentatze, der erste kriegerische Anführer des Stammes.

Der andere, der ersichtlich die höchste Würde in dieser Versammlung einnahm, war bereits ein alter Mann mit schneeigem Haar. Sein narbendurchfurchtes Antlitz bewies, dass auch er einst ein großer Krieger gewesen sein musste. Die prachtvolle schneeweiße Reiherfeder, die über seiner Skalplocke aufstieg, ließ jedoch erkennen, dass er jetzt die Würde des Sachem, das ist des obersten und höchsten Beherrschers des Stammes der Oneida, bekleidete. Sein Putz war reicher als derjenige aller Übrigen, die breite Brust nackt und mit kunstvollen Tätowierungen bedeckt. Um den Hals trug er eine Kette von Muscheln, Tierzähnen, Münzen und blitzenden Glasperlen. Um die Lenden hatte er einen Gürtel aus Otterfellen geschlungen; über die Schulter bis auf die Hüften hing ein kurzer, scharlachroter Mantel nieder. Die kräftigen Oberarme dieses Mannes waren mit farbigen Bändern umwunden; seine Rechte hielt ein weiteres Zeichen seiner Würde umfasst, eine uralte, mit reichem Schnitzwerk verzierte Kriegskeule.

Rings um den Kreis der Krieger hatten sich inzwischen eine Menge Frauen und die männliche und weibliche erwachsene Jugend des Dorfes eingefunden.

Der Sachem winkte, und tiefes Schweigen lag nun über der Versammlung.

Da trat auf einen zweiten Wink der Flinke Biber vor. Er nahm die auf einem Marderfell inmitten des Kreises liegende große Pfeife des Stammes auf, entzündete dieselbe und blies den Rauch nach allen vier Himmelsrichtungen.

Mit feierlichem Ernst trat er dann vor den Sachem und reichte diesem die Pfeife dar.

Dieser tat einige Züge und gab sie dann an Bärentatze, der sie an den nach Rang und Würde nächstsitzenden Häuptling weiterreichte, bis endlich alle Häuptlinge und Krieger der Runde dieser Zeremonie genügt hatten.

Nun erhob sich der Sachem, ließ eine Weile seinen durchdringenden Blick über die Versammlung gleiten und begann dann mit gemessener, doch überallhin wohlvernehmlicher Stimme: »Wenn die vom Stamm der Oneida von einem bissigen Hund angefallen werden, so zögern unsere ruhmvollen Krieger nie, sich wider den Störer des Friedens zu erheben. Sie werden den Kriegspfad betreten und nicht eher ruhen, bis der räudige Hund erschlagen liegt. Die zahllosen Skalpe, die unsere Krieger an ihrem Gürtel tragen und die unzähligen Skalpe, die schon vordem ihre Väter trugen, beweisen das. Der Ruhm der Oneidakrieger ist unbestritten. Ihr Ansehen reicht von den Bergen, wo die Sonne emporsteigt, bis zu den Seen, in denen sie schwindet; es reicht vom Ontario bis zu dem fernen Vater der großen Flüsse.«

Der Sachem machte eine kleine Pause. Ein beifälliges Gemurmel ging währenddessen durch die Reihen der Versammelten.

»Wohl zum dritten Mal«, hob, als Ruhe eingetreten war, der Älteste ernst und feierlich wieder an, »weilt, wie die Häuptlinge und Krieger des Stammes wissen, ein weißer Sendling der englischen Häuptlinge an den Feuern der Oneida. Seine Zunge ist schnell wie die Zunge der Drossel, seine Sprache süß wie der Honig der Bienen; der Inhalt seiner Rede glatt und schlüpfrig wie der Schlangenfisch unter den Händen des Fischers. Er wagt es mit gleißenden Worten den Ruhm unserer Krieger zu schmälern – er wagt es zu sagen, sie wären übel beraten, sie ließen vielen Ruhm sich entgehen.«

Rufe des Unwillens erhoben sich.

»Das Bleichgesicht fordert, dass die Oneida teilnehmen sollen an den Kämpfen gegen die Weißen im Osten; es will, dass unsere Krieger ein Gefäß mit Wasser nehmen, es ausschütten auf die Erde und sagen: So soll fortan mit dem Blut der weißen Krieger am Mohawk verfahren werden.«

Tiefes Schweigen ringsum.

»Das Bleichgesicht, das die englischen Häuptlinge an die Feuer unserer Dörfer entsendet haben, will, dass die Oneidakrieger den Kriegstanz beginnen und den bisherigen Freunden zum Zeichen des Krieges die Pfeile ihrer Köcher an den Eingang der Hütten heften. Es will, dass unsere Krieger ein Feuer anzünden, Wasser darauf gießen und dann sagen: So sollen alle Feinde der Engländer vernichtet werden. Ich aber frage dagegen: Was werden unsere weißen Freunde am Mohawk über die Oneidakrieger denken, wenn diese ohne Grund die Freundschaft brechen und plötzlich über sie herfallen?«

Wieder gaben die Krieger ihre Ansicht durch sehr energische Rufe des Unwillens kund.

Der Sachem schickte sich zu Fortsetzung seiner Rede an und tiefste Stille trat ein.

Langsam und feierlich, jedes Wort wägend und betonend, sagte er: »Das Bleichgesicht kommt nicht mit leerer Hand. Es ist sein Wunsch, dass die Oneidakrieger die Skalpe der weißen Männer mit nach Hause bringen und er sagt, dass die großen englischen Häuptlinge sie mit Gold aufwiegen würden. Ich aber sage: Das Bleichgesicht kommt doch mit leerer Hand und die Oneida sollen sie ihm füllen, denn die meisten der englischen Krieger und ihre Verbündeten liegen bereits erschlagen, ihre Macht ist gebrochen,. Die Oneida sollen den Kriegspfad betreten, um ihnen wieder zu Ruhm und Ansehen zu verhelfen. Ich sage, dass unsere Krieger für jede gerechte Sache kämpfen, aber ich sage zugleich: Es ist kein Ruhm zu kämpfen wider seine Freunde. Mag den anderen vom Bund der Irokesen das Gold verführerisch in die Augen blinken, mögen sie dem betörenden Ruf der englischen Häuptlinge folgen – ich aber sage: Nie noch ist aus einem gefräßigen Beutelhund ein edler Panther geworden; nie soll man es erleben, dass aus einem Oneida ein Hurone oder ein Onondaga wird. Ich habe gesprochen, und nun rede, wer anderer Ansicht ist!«

Stürmische Beifallsrufe wurden rings im Kreis laut, als der Sachem endete und sich dann, auf seine Kriegskeule stützend, langsam auf seinen Sitz niederließ.

Wohl eine Minute lang wogten noch Rufe der Genugtuung über das Vernommene und der Verwünschungen wider das englische Ansinnen hin und her, da stand die imponierende Gestalt des Häuptlings zur Rechten des Sachems auf, gebot Ruhe und begann mit klangvoller, weithin hallender Stimme: »Rotjacke hat geredet und was der Sachem der Oneidas sagte, das hat auch dem, was Bärentatze im Herzen trägt, entsprochen. Die Worte haben auch bei den versammelten Häuptlingen und Kriegern lauten Widerhall gefunden – doch ist einer, der noch zu sprechen hat, der stehe auf und tue es!«

Totenstille breitete sich über die Versammlung. Niemand erhob sich.

Da winkte der Sachem, ein alter Krieger stand auf und verschwand hinter den seewärts gelegenen Hütten.

Schon nach wenigen Minuten erschien er wieder und geleitete einen englischen Agenten in der Uniform der Royal Greens in den Kreis, der die Versammlung mit einem langen, forschenden Blick überflog, verbindlich nach allen Seiten grüßte, vor dem Sachem und den neben diesem sitzenden Häuptlingen sich aber mit vieler Förmlichkeit und Feierlichkeit verneigte. Ihm war ein Mann in grauer Jägerkleidung gefolgt, seinem ganzen Aussehen nach ein Mischling, dessen er sich als Dolmetscher bediente.

Als der Gruß des Agenten seitens der Häuptlinge durch würdevolles Neigen der Häupter erwidert war, winkte der Engländer seinem Dolmetscher und ließ durch diesen erklären: »Es ist mir eine große Ehre, den Auftrag erhalten zu haben, vor dem betagten weisen Oberhaupt und den ruhmvollen Häuptlingen der Oneida zu erscheinen. Ich entledige mich der Pflicht, den Gruß der kanadischen Regierung zu überbringen, dem sie den Wunsch anschließt, dass die freundnachbarlichen Beziehungen, wie sie von jeher beiderseits gehegt und gepflegt wurden, so auch für alle Zukunft bestehen bleiben mögen.«

Als der Dolmetscher geendet hatte, erhob sich der Sachen und erwiderte: »Das Bleichgesicht als Abgesandter der großen englischen Häuptlinge ist in den Dörfern der Oneida willkommen. Der Gruß, den es uns überbringt, wird nicht nur hier, sondern überall, wo die Oneidakrieger ihre Feuer anzünden, freudigen Widerhall finden; sie werden über die Versicherung freundschaftlicher Gesinnung stets glücklich sein.«

Der Sachem winkte dem Flinken Biber. Dieser entzündete wieder die große Pfeife des Stammes, die er Rotjacke darreichte.

Dieser setzte sie an den Mund, blies etliche Rauchwolken vor sich hin und übergab sie dem Engländer, worauf sie dann wieder nach Rang und Würde unter der ganzen Versammlung kreiste.

Als die Zeremonie zu Ende war, nahm der Engländer das Wort: »Ich bin sehr erfreut, solche Worte aus dem Mund des weisen Sachem der Oneida vernehmen zu dürfen und werde dem kanadischen Gouverneur getreulich davon berichten. Doch sei mir erlaubt zu sagen, dass es ihn noch viel mehr freuen würde, wenn er seinem großen König mitteilen könnte, dass sich bald keine der ruhmvollen fünf Nationen der Irokesen mehr ausschließt, nicht nur nachbarlichen Frieden zu halten, sondern dass er sie alle an der Seite seiner Krieger sieht; er wäre glücklich, wenn auch das große Volk der Oneida sich mit ihm verbündete, um gemeinsam ruhmvolle Taten zu vollbringen.«

Mit ruhiger Würde hörte Rotjacke den Dolmetscher an, wandte sich dann mit einigen Worten an die neben ihm sitzenden Häuptlinge, die kurz erwiderten und entgegnete dann: »Die Oneida werden gerne jede Gelegenheit wahrnehmen, den englischen Häuptlingen ihre wohlmeinende Gesinnung zu beweisen und werden sich unter Umständen auch bereit finden lassen, den Bestrebungen ihrer weißen Nachbarn hilfreich beizustehen. Das Bleichgesicht wird aber, wenn wir fragen, worin jene Taten bestehen sollen, uns sagen, was wir längst wissen, was wir wiederholt schon abgelehnt haben.«

»Leider ist es so. Die Oneida haben den Vorschlägen des Gouverneurs bisher immer nur ein taubes Ohr entgegengesetzt und doch würde es ihnen jetzt schon viel und später noch mehr zum Vorteil gereichen, wenn sie dieselben Wege wie die Huronen, die Onondaga, die Seneca und Cayuga wandeln wollten.«

»Will das Bleichgesicht uns sagen, worin die Vorteile bestehen, die unsere Brüderstämme erreicht haben oder erreichen werden?«

»Das Glück im Krieg ist wechselvoll und leider sind in den letzten Jahren die Würfel wiederholt zu Ungunsten der englischen Truppen gefallen. Die Regierungen der verschiedenen Staaten haben in ihrem Jubel über die Siege der amerikanischen Waffen sich entschlossen, ihre lange gehegten Pläne zu verwirklichen, sich zu einem republikanischen Staatenbund zusammenzufinden und eine gemeinsame Regierung einzusetzen. Aber der große englische König wird dies nicht dulden, er wird neue Truppen senden. Die Zeit ist sicherlich nicht allzu fern, dass die zu Unrecht bestehende neue Regierung zunichte gemacht wird, wie auch einst diejenige der Franzosen zunichte gemacht wurde. Die Republik hat zwar auf den Schlachtfeldern die Siege zu verzeichnen, aber sowohl ihr Heer als auch ihre Finanzen befinden sich in einer traurigen Lage und verheißen eine trostlose Zukunft. In absehbarer Zeit muss das Blatt sich wenden und dann wird der große König von England all jenen seinen Dank abstatten, die ihm beigestanden haben in den schweren Tagen der Heimsuchung – all jenen, die ihm jetzt helfen, den Feind zu schwächen und den Boden für den bevorstehenden entscheidenden großen Schlag vorzubereiten.«

Der Engländer machte, um seinen Worten mehr Eindruck zu verleihen, eine kleine Pause und fuhr dann fort: »Aber schon jetzt sparen seine Vertreter nicht mit ihrem Lohn und die Häuptlinge eurer Bruderstämme sind darüber bereits des Dankes voll. Erlaube, weiser Sachem, dass ich nur einen solchen Beweis zu deiner ruhmreichen Krieger Kenntnis bringe, ein erst kürzlich an den kanadischen Gouverneur gelangtes Schreiben Conciogotchies, des Senecahäuptlings, in dem es heißt:

Vater, wir wünschen, dass du die Gabe unseres Läufers, enthaltend acht Bündel getrockneter und bemalter Skalpe, an den großen König sendest, auf dass er sie betrachte und durch ihren Anblick zu neuen Kriegstaten sich erfrischen werde, dass er die Treue, die wir bei der Vernichtung seiner Feinde gezeigt haben, daraus erkenne und damit er sich überzeuge, dass seine Geschenke einem dankbaren Volk gemacht sind.«

Es wäre schwer zu sagen, was die nächstliegende Ursache war, die in der Versammlung nun eine minutenlange, für beide Teile gleich peinliche Stille entstehen ließ.

Schweigend und ruhig, wie aus Erz gegossen, saßen die kraftvollen Gestalten der Oneidakrieger da, das große feurige Auge mit der dunkelbraunen Iris teils erstaunt auf den Engländer, teils erwartungsvoll auf den Sachem gerichtet.

Sichtlich beklommen stand der Agent. Er hatte offenbar von dem verlesenen Schreiben einen anderen Eindruck erwartet.

Plötzlich erhob sich Rotjacke, wies auf die schneeweiße Reiherfeder auf seinem Haupt und fragte: »Kennt das Bleichgesicht diese Kopfzier? Weiß es, was sie zu bedeuten hat?«

Der Agent verneinte.

»Wenn der weiße Mann auf meine Worte hören will, dann werde ich es ihm sagen.«

Der Engländer verneigte sich und ließ durch seinen Dolmetscher darum bitten.

»Die Sachems der Oneida«, begann würdevoll der Alte, »tragen diese Feder schon seit vielen Menschenaltern. Sie ist das Zeichen der Verehrung für Hiawatha, den Weisesten unter den Menschen. Das Bleichgesicht höre und wäge meine Worte. Die Oneidakrieger wohnten dereinst an der Seite der Huenda (Huronen) im Osten, die Cayugas und Senecas im Westen, die Hütten der Onondaga standen zwischen diesen vier Nationen aufgeschlagen. Da eines Tages kam ein Haufen wilder Krieger wie ein eisiger Sturm aus dem Land des Nordens, der die nichts ahnenden roten Männer überfiel und ihrer viele erschlug. Wohl kämpften sie tapfer, aber keines der Völker war imstande, den fürchterlichen Feind zu bezwingen. Als dieser sich endlich nach einer anderen Gegend wandte, da kam aus lichten Höhen Hiawatha zur Erde herabgestiegen und lehrte den roten Männern den Wert und die Stärke der Freundschaft. Er riet den verwandten Nationen, eine Ratsversammlung ihrer weisesten Männer zusammenzuberufen, und sein Rat wurde gebilligt. Die angesehensten Krieger, gefolgt von ihren Frauen und Kindern, versammelten sich auf der Scheidelinie zwischen Wald und Wasser an den Ufern des Onondaga und harrten schweigend auf des weisen Mannes Ankunft. Da kam ein geheimnisvoller Kahn auf dem See angeschwommen und Hiawatha landete an dem kiesigen Gestade mit einem schönen, sanften Mädchen. Im selben Augenblick erhob sich in der Luft, einem Winde gleich, ein seltsames Geräusch, am fernen Himmel erschien ein weißer Fleck, der wurde zu einem ungeheuren Vogel. Als die Ratsversammlung gewahrte, dass dieser auf ihre Frauen und Kinder herabzustürzen drohe, da flohen sie erschrocken von dannen, nur Hiawatha und seine Tochter, sie blieben. ›Halte still, mein Kind‹, sagte er. ›Es wäre feige, der Gefahr zu entfliehen. Du wirst niemals durch die Flucht den Beschluss des Großen Geistes abzuwenden vermögen.‹ Kaum hatte er gesprochen, da stürzte der riesenhafte Reiher mit ausgestreckten Schwingen herab auf das Mädchen und schmetterte es zu Boden. Sein Sturz war so heftig, dass auch der Vogel sich selber erschlug. Hiawatha, obwohl des Liebsten, das er besaß, beraubt, zuckte mit keinem Muskel. Er winkte den ältesten Kriegern, die kamen herbei und er schenkte jedem eine der weißen Federn. Alsbald waren Tochter und Vogel verschwunden. Hiawatha setzte sich auf einen bemoosten Stein und die Krieger harrten in achtungsvollem Schweigen. Er war bekleidet mit einem Mantel aus Wolfsfellen, ein weicher Pelz umhüllte die Brust. Seine Arme und Beine waren nackt und ohne Zierraten, aber an den Füßen trug er weiche Mokassins. Die Mütze auf seinem Haupt war aus weichem Hirschfell geschnitten und geziert mit bunten Federn. So saß er und um ihn scharten sich die angesehensten Krieger und Räte der Stämme und lauschten auf seine Weisheit. Und als sie die Lehren verstanden hatten, erhob er sich, wies auf die Häupter der Nationen und rief: ›Ihr, die Huenda, die ihr unter dem Schatten des großen Baumes sitzt, dessen Wurzeln tief in die Erde reichen, dessen Äste sich weit umher breiten, ihr sollt die zweite Nation und dem Aufgang der Sonne am nächsten sein, weil ihr kriegerisch und mächtig seid. Ihr, die Onondaga, die ihr eure Wohnungen am Fuße der großen Berge habt und von ihren Kämmen beschattet werdet, ihr sollt die dritte Nation sein, weil ihr der mächtigen Rede kundig seid. Ihr, die Cayuga, das Volk, das im offenen Land lebt, sollt die vierte Nation sein, weil ihr die Kunst versteht, Mais und Bohnen zu pflanzen und Häuser zu erbauen. Ihr, die Seneca, das Volk, deren Wohnungen im dunklen Wald in der Nähe der untergehenden Sonne liegen und deren Heimat überall ist, ihr sollt die fünfte Nation sein, wegen eurer überlegenen List im Weidwerk. Ihr aber, Oneida, die ihr euch gegen den Ewigen Stein, das Sinnbild der Weisheit, welcher nicht verrückt werden kann, lehnt, sollt die erste Nation sein, weil ihr immer weisen Rat zu geben wisst. Vereinigt euch, ihr fünf Nationen, und kein Feind wird euch etwas anhaben, kein Feind wird euch unterwerfen können! Der Große Geist wird lächelnd auf den Bund der Freundschaft niedersehen, ihr werdet frei werden und glücklich sein. Bleibt ihr aber, wie ihr seid, so wird es kein wahres Glück für euch geben, man wird euch zu Sklaven machen, ins Verderben stürzen, ihr könnt vernichtet werden. Ihr werdet in dem Kriegssturm untergehen und eure Namen werden nicht mehr im Gedächtnis guter Menschen leben, noch im Tanz und Gesang genannt werden.‹

So sprach Hiawatha, und während er noch manchen weisen Rat gab, standen die Krieger da in Schweigen und Ehrfurcht. Dann ging er hinab zu dem kiesigen Wasserrand, den geheimnisvollen Kahn zu besteigen. Köstliche Musik ertönte in der Luft gleich dem Gesang zahlloser Vögel, und er bezauberte die Sinne des staunenden Volkes. Langsam erhob sich der Kahn und stieg immer höher, bis er in den blauen Tiefen des Himmels verschwand. Hiawatha, der Weise, er war zurückgekehrt in die Heimat der großen, ewigen Jagdgründe.«

Rotjacke hatte erst langsam und leise gesprochen, allmählich aber war eine Art von Verzückung über ihn gekommen; immer mehr schwoll der Fluss seiner Rede, erhob sich der Laut seiner Stimme.

Nun stand er, auf seine Kriegskeule gestützt, in aufrechter Haltung, die dunklen Augen unter den dichten schneeigen Augenbrauen fast streng auf den Engländer gerichtet.

Dieser hatte sich die ganze lange Rede durch den Dolmetscher getreulich übersetzen lassen, erbat sich dann das Wort und erklärte, dass auch er von der Weisheit des Mannes, von dem der Sachem berichte, tief ergriffen sei. »Doch«, ließ er durch seinen Dolmetscher hinzufügen, »so sehr er auch die Oneida zu dieser höheren Botschaft beglückwünsche, es gelinge ihm nicht, aus dem Vernommenen eine Antwort auf sein Anerbieten zu entnehmen, noch sonst wie das Gehörte mit dem Übrigen, das ihn hierher führe, in Einklang zu bringen.«

Rotjacke nickte kaum merklich mit dem Haupt, wohl zum Zeichen, dass er den Einwand des Engländers begreifen könne und erwiderte dann: »Wenn das Bleichgesicht noch wenige Worte vernehmen will, dann wird ihm das mangelnde Verständnis kommen. Hiawatha war an jenem großen Tag zu seinem lichten Sitz emporgestiegen und die Weisen und Krieger unter den roten Männern begründeten das Bündnis unter den fünf Völkern. Sie nannten dasselbe den Bund der Irokesen und er war von da an unbesiegbar, bis der weiße Mann kam und bald durch List, bald durch die kriegerische Gewalt jene Stärke lähmte und endlich das Freundschaftsbündnis störte. Schon der Pfad der Franzosen war winkelig und blutig, aber sie wurden besiegt, und zwar durch ihr eigenes Verschulden. Die Engländer schienen dem roten Mann anfänglich wohl zu wollen. Der Bund der fünf Nationen hatte sich denn auch dazu verstanden, für sie einen geraden Weg zu bahnen, aber eure Väter haben ihn später wieder schlecht und krumm gemacht. Wie käme es sonst, dass ihr mit euren eigenen weißen Brüdern in beständigem Kampf liegt. Es wäre von da an Pflicht gewesen, dass sich die roten Männer wieder von euch zurückzögen. Schwer haben die Huenda es bereits gebüßt, dass sie das nicht getan, ja dass sie sich jetzt ganz und gar in eure Arme geworfen haben. Sie sind kriegerisch, aber sie sind nicht weise. Fast das ganze große Volk, dessen Wurzeln so tief in die Erde reichten, dessen Geäste sich so weit umher breiteten, liegt jetzt erschlagen. Auch die Onondaga, die Cayuga und die Seneca haben die Mahnungen Hiawathas vergessen, sind ein Volk um das andere ihre eigenen Wege gegangen, und endlich, um eures blinkenden Goldes willen, eure Sklaven geworden. Da verbleiben nur noch die Oneida, das Volk der Weisen. Sie fühlen jetzt doppelt die Pflicht, an den Überlieferungen der Väter festzuhalten, die Oneida wünschen keines anderen Volkes Sklaven zu werden. Früher oder später werden sich die Augen derjenigen, die jetzt schlechte Wege wandeln, öffnen, sie werden ihre Verblendung bereuen und werden zurückkehren. Dann wird das Bündnis der Irokesen wieder aufleben, sie werden wieder mächtig sein und werden den Stürmen des Unrechts, von woher es auch kommt, Einhalt gebieten. Die Oneida werden daher auf jenem Standpunkt verharren, den ihnen die Weisungen und Verheißungen Hiawathas und ihre eigenen Erwägungen vorzeichnen. Sie werden den Gedanken der Wiedergeburt des großen Bundes getreulich bewahren und in den endlosen Kämpfen keine Partei ergreifen. Sie werden in Geduld warten, bis ihre verblendeten Brüder zur Einsicht gelangen und werden daher, wie sie den englischen Häuptlingen wohlgesinnt sind, so auch mit allen anderen Nachbarn versuchen, Frieden zu halten.«

Rotjacke hatte bei aller Energie, die in jedem Satz zum Ausdruck kam, äußerlich eine maßvolle, ja diplomatische Ruhe zu bewahren gewusst. Die Gebärden, mit denen er seinen Worten da und dort mehr Nachdruck verlieh, hatten etwas Imponierendes, Hoheitsvolles.

Die älteren Häuptlinge nickten ihm, als er endete, ernst zu, die jüngeren Krieger aber brachen in einen elementaren Beifallssturm aus.

Der Engländer, der kaum die Hälfte der Worte verstand, hatte das Ablehnende in den Äußerungen und Gesten des Sachem doch längst erkannt und mit steigendem Missbehagen verfolgt. Er hörte nur noch halb auf seinen Dolmetscher; er wusste bereits, dass seine Sache eine verlorene war.

Aber er war Diplomat genug, um den Häuptlingen noch eine Reihe verbindlicher Redensarten übermitteln zu lassen, dann erst kehrte er der Ratsversammlung den Rücken.

Die Krieger, die während dieser Erklärungen wieder mit feierlichem Ernst dagesessen hatten, ließen ihn, ohne auch nur mit der Wimper zu zucken, ziehen.

Erst als seine grüne Uniform zwischen den Hütten verschwunden war, erhob sich der Sachem und begab sich mit Bärentatze zu seinem Wigwam.

Nun standen auch die anderen von ihren Sitzen auf. Schweigend ging die Ratsversammlung auseinander.

Kurze Zeit darauf trat der Flinke Biber bei Addy ein, der hinter der Zeltwand hervor den ganzen Vorgang hatte übersehen und jedes Wort vernehmen können.

»Wie gefallen Addy Antwort, die Sachem weißem Krieger geben?«, fragte der Häuptling in seinem gebrochenen Englisch.

Statt jeder Entgegnung erfasste der Jäger mit beiden Händen fast stürmisch die Rechte des Indianers, schüttelte sie kräftig und drückte sie an sich.

»Er klug, er weise sprechen«, sagte der rote Mann, sichtlich erfreut über den Beifall seines weißen Freundes und hielt den Blick seiner Augen über die Schulter des Jägers hinweg, wie in weite Fernen gerichtet. Plötzlich zuckte er aus seinem Sinnen und sagte: »Aber nun nicht mehr hier im Wigwam, nun wie roter Mann im ganzen Dorfe sein, nun kommen.« Er winkte Addy, ihm zu folgen.

Sie traten hinaus auf den freien Platz und der Flinke Biber ging mit weiten Schritten voran, geradeswegs zu seinem Wigwam.

Dort erwartete die beiden ein von geschäftigen Squaws zubereitetes Mahl, wozu sich auch mehrere andere Häuptlinge und Krieger einfanden.

Die Älteren unter denselben kannten Addy noch aus den Zeiten vor den Kriegen, als er hier oben an den Seen als Weidmann dem Hirsch und dem Bären nachstreifte und oftmals an den Feuern der Oneida als gern gesehener Gast vorsprach.

Die Jüngeren waren alle schon einmal aus irgendeiner Veranlassung im Mohawktal gewesen und hatten es natürlich nicht versäumt, den streitbaren Rifleman, dessen Name bei Freund und Feind weit umher gerühmt wurde, aufzusuchen und kennen zu lernen.

Die lebhafte Unterhaltung, die sich alsbald entspann, drehte sich in der Hauptsache um das Ereignis des Tages. Die roten Krieger vernahmen aus dem Mund des Jägers mit Stolz und Genugtuung das Lob ihres Sachem, wobei Addy durchblicken ließ, dass schon die nächsten Zeiten für alle diejenigen, die seinen Landsleuten feindlich gesinnt wären, herbe Überraschungen bringen würden, und dass darum der Beschluss der Oneida, sich in den gegenwärtigen Wirren neutral zu verhalten, mit Rücksicht auf das Kommende sehr klug und weise sei. Er erklärte, dass durch die letzten Siege der amerikanischen Waffen die Kriegsmacht der Engländer endgültig gebrochen sei, dass aber umgekehrt die Hilfsmittel der neuen amerikanischen Regierung noch lange nicht erschöpft wären. Das Zukunftsbild, wie der Agent es gemalt habe, sei ein ganz unhaltbares; bald schon würden sich die Oneida davon überzeugen.

Erst spät abends verabschiedete sich Addy von dem gastlichen Wigwam und er musste es sich gefallen lassen, dass ihm die roten Männer noch weit vor das Dorf hinaus das Geleit gaben. Seltsamerweise war von keinem derselben nach den Zwecken, die er verfolgte, gefragt worden.

Zuletzt verabschiedete er sich von dem Flinken Biber, der den Tag über immer schweigsamer und nachdenklicher geworden war.

»Was fehlt meinem roten Freund, dass seine Zunge auf einmal wie gelähmt ist?«, fragte der Jäger, indem er dem Häuptling die Hand zum Abschiedsgruß entgegenstreckte.

»Nicht fragen, nicht fragen«, antwortete der rote Mann mit ablehnender Kopfbewegung; »jetzt gehen; Addy noch vernehmen, warum Flinker Biber wenig sprechen.«

Er erwiderte kurz den Händedruck des Weißen, wandte sich rasch ab und kehrte in das Dorf zurück.