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Der Welt-Detektiv Band 6

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Nick Carter – Carruthers, der Verbrecherkönig – Kapitel 6

Nick Carter
Carruthers, der Verbrecherkönig
oder: Lebendig begraben
Kapitel 6

Eine schauerliche Entdeckung

Augenblicklich bemühte sich Nick Carter, den Mauerstein herauszuheben, um nachzusehen, was sich darunter verbarg.

Er fand seinen Scharfsinn reichlich belohnt, denn der grelle Strahl der in die Vertiefung gehaltenen Laterne beleuchtete einen in den Stein eingelassenen schmalen Eisenring.

»Hallo, das hat etwas zu bedeuten. Umsonst ist dieser Eisenring nicht im Stein. Nein, was sage ich!«, unterbrach er sich. »Das ist kein Stein, sondern wohl Eisenblech, das mit Asbestfarbe angestrichen ist.«

Nun sah er noch genauer hin. Mit der Hand griff er nach dem Nachbarstein, und nun nahm er zu einer Überraschung wahr, dass selbst sein scharfes Auge sich hatte betrügen lassen. Es war kein Mauerstein, sondern eine hohle Hülse aus Eisenblech, die so vollkommen mit Steinfarbe angestrichen war, dass selbst sein Scharfblick sich hatte täuschen lassen.

Selbstverständlich blickte Nick Carter nun mit verdoppeltem Misstrauen um sich und entdeckte, dass die äußeren Reihen des Vierecks aus echten Ziegelsteinen gefertigt waren. Nur der Mittelpunkt um den losen Mauerstein, also etwa vier Quadratfuß, bestand aus hohlen Eisenziegeln, die ein Ganzes bildeten, aber so meisterhaft gefugt waren, dass selbst Nick Carter sie für durch Zement verbundene Mauersteine gehalten hatte.

»Eine geheime Falltür!«, murmelte der Detektiv leise vor sich hin. »Das ist also Geheimnis Nummer zwei – und Mr. Carruthers darf es mir nicht versagen, wenn ich mir die Freiheit nehme, einmal zuzuschauen, was unter dieser Falltür stecken mag!«

Damit packte er den Ring und versuchte ihn hochzuziehen. Doch das war mit Schwierigkeiten verbunden, denn die Tür schien durch einen von unten herauf wirkenden Widerstand festgehalten zu werden.

Nun verdoppelte der Detektiv seine Anstrengungen, bis er zuletzt mit voller Kraft an dem Ringe zog und zu seiner Genugtuung die Falltür plötzlich nachgab und sich öffnen ließ.

Nick Carter stieß sie zur Seite und leuchtete mit seiner Laterne in die gähnende Öffnung vor ihm. Es handelte sich augenscheinlich um einen Brunnenschacht, dessen Tiefe sich noch nicht ermessen ließ. Jedenfalls waren nach Art von Treppenstufen Steine in das Mauerwerk eingelassen, welche zum Hinuntersteigen dienen mochten.

Nach kurzem Besinnen warf sich Nick Carter platt auf den Boden des Kellers. Seine Laterne so tief wie möglich in den Schacht haltend, versuchte er dessen Tiefe zu erspähen.

Doch im gleichen Augenblick entrang sich seinen Lippen auch schon ein Aufschrei äußersten Entsetzens, denn der grelle Laternenstrahl leuchtete gerade in das nach aufwärts gekehrte starre Totenantlitz des unglücklichen Paul Lafont, dessen gebrochene, halb offenstehende Augen ihn anzustarren schienen.

Paul Lafont, der Detektivsergeant von der Zentrale, war in Erfüllung seiner Pflicht ermordet und in diesen Brunnen geworfen worden!

Mit finsterer Miene, die Lippen fest aufeinandergepresst, leuchtete Nick Carter von Neuem in die Brunnentiefe.

Nun entdeckte er, dass gerade an der Stelle, wo die Leiche sich befand, die Brunnenmauer sich nach beiden Seiten erweiterte, ähnlich wie bei den Bergwerken, wo Stollengänge in den Aufziehschacht münden.

So erklärte es sich auch, dass der arme Lafont nicht weiter in die Brunnentiefe abgestürzt war. In einem der Seitengänge lehnte der Körper mit dem Rücken an der Brunnenmauer, das Gesicht nach oben gekehrt – augenscheinlich noch dieselbe Lage, wie die Leiche sie angenommen hatte, als sie in den Brunnen geworfen oder zu diesem durch einen Seitengang getragen worden war.

Ein dumpfer Seufzer entrang sich den Lippen des Detektivs. Nun wusste er, dass sich seine allerschlimmsten Befürchtungen bewahrheitet hatten.

»Es war die größte Dummheit meines Lebens, dass ich diesem Carruthers gestattete, das Haus zu verlassen!«, flüsterte er vor sich hin. »Ich war ein Narr! Doch alle Reue hilft nichts. Armer Lafont! McClusky mag letzten Abend vergeblich auf seinen Telefonanruf gewartet haben. Er hat sich bei einem Höheren gemeldet, aller Erdenpflicht für ewig entbunden.«

Damit machte sich Nick Carter auch schon daran, den Ermordeten aus dem Brunnenschacht herauszuziehen. Doch das erwies sich als unmöglich, und so musste er sich schon dazu entschließen, in den Schacht hineinzusteigen, um die augenscheinlich gewaltsam eingezwängte Leiche zu befreien und sie dann zum Kellerboden hinaufzuheben.

Unverzüglich stieg Nick Carter an den vorspringenden Steinen hinab. Wenige Sekunden später stand er auch schon neben dem Leichnam. Er entdeckte nun beim Schein seiner Laterne, dass er sich nicht getäuscht sah, sondern dass zu seiner Linken wirklich ein künstlich gebauter Erdtunnel in den Brunnenschacht mündete, an dessen Rand die Füße des Toten in einer Art Mauerloch sich verfangen hatten. Dadurch war es unmöglich gewesen, den Körper nach oben zu ziehen.

Unschlüssig, was zunächst zu tun sei, leuchtete Nick Carter in die Höhlung, die einem roh ausgeführten Bergwerksstollen glich.

Nun wusste er, dass er ein weiteres Geheimnis des Hauses entdeckt hatte, den Geheimgang nämlich, welcher das Gebäude mit demjenigen verband, in welchem sich das andere Ende des Telefons befand und Isaak Meadows eine Zuflucht gefunden hatte.

»Ich denke nicht, dass es mir der arme Lafont übel nehmen wird, lasse ich ihn noch ein Weilchen in seiner Lage. Ihm kann ohnehin niemand mehr helfen!«, entschied der Detektiv dann. »Am wichtigsten ist es jedenfalls, mich zu vergewissern, wohin dieser Gang führt!«

Damit trat Nick Carter auch schon in den Stollen. Doch der nächste Schritt belehrte ihn, dass ein Aufrechtgehen ganz ausgeschlossen war, denn der Gang verengte sich mit jedem weiteren Schritt, bis Nick Carter endlich nur noch auf Händen und Füßen vorankriechen konnte.

Er hielt dabei seine Laterne mit den Zähnen und starrte gespannt in den Schacht hinein. Sein Herz schlug bei dem Gedanken an all die Überraschungen heftiger, welche ihm vielleicht schon die nächste Minute bescheren konnte.

Doch er sah sich enttäuscht.

Etwa dreißig Fuß weit mochte er in den Gang hineingekrochen sein, als er sich am weiteren Vordringen durch einen aus Schutt und Trümmer bestehenden Mauerwall gehindert fand.

Er untersuchte ihn sorgfältig und stellte sofort fest, dass dies erst ganz kürzlich geschaffen worden sein konnte, denn das Erdreich und auch die Steine fühlten sich noch ziemlich feucht an. Nick Carter war es völlig klar, dass der Tunnel, in welchem er sich befand, wirklich zu einem anderen Gebäude führte und Morris Carruthers diese Verbindung absichtlich unterbrochen hatte.

Carruthers selbst hatte augenscheinlich im Begriff gestanden, das Haus an der Boston Road für immer zu verlassen, als Nicks Eindringen ihm dies unmöglich gemacht hatte.

»Gewiss, so ist es, denn sonst würde Carruthers nicht diesen Geheimgang zugeschüttet und somit eine Art Grabgewölbe für den armen Paul Lafont geschaffen haben … Sicherlich ist dieser ins Haus eingedrungen und bis zu dem Stollen hier gekommen. Vielleicht hat er auch Carruthers bei der Arbeit überrascht, wer kann das sagen! Soviel ist jedenfalls sicher, dass der schändliche Carruthers schneller mit der Waffe zur Hand war als sein Gegner. Er musste sterben, weil er zu viel von den Geheimnissen dieses Hauses entdeckt hatte!«

»Well!«, entschied Nick Carter dann nach einigem Nachdenken. »Der Stollen ist versperrt und macht jedes weitere Vordringen unmöglich. Ich kann ebenso gut wieder zum Tunnelschacht zurückkehren.«

Weil der Gang zu eng war, um Nick eine Körperwendung zu ermöglichen, kroch er rückwärts zurück. Da sein Körper aber die ganze Höhlung ausfüllte, so konnte er weder sehen noch hören, was inzwischen etwa im Brunnenschacht vorgegangen war.

Als er sich aber dem Schachtende näherte, da gewahrte er, zwischen den Beinen durchblickend, einen anderen Lichtschein als den seiner Laterne, was zur Folge hatte, dass er diese noch in derselben Sekunde löschte. Schnell schob er sich bis zur Öffnung des Stollens vor, bis er Raum genug fand, um sich blitzschnell umzudrehen und aufrecht zu stellen.

Doch ebenso schnell prallte er zurück und warf sich nieder, denn im selben Moment, als er den Versuch gemacht hatte, sich aufzurichten, feuerte jemand vom oberen Brunnenrand aus fünf Revolverschüsse hintereinander auf ihn ab.

Zum Glück für Nick Carter lag dieser im Dunkeln. Blitzschnell zog er sich aus dem Bereich der wider die Steinwände des Brunnenschachtes abprallenden Kugeln zurück.

Hingekauert an den abgeschrägten Wandungen des trostlosen Ortes wurde Nick Carter von dem Pulverqualm fast erstickt. Er musste gewaltsam an sich halten, um nicht zu husten und dadurch den Mordbuben oben im Keller, der auf irgendwelche rätselhafte Weise sich Einlass ins Haus verschafft haben musste, seinen Aufenthaltsort zu verraten.

Dann, als das Dröhnen der Schüsse verhallt war, erscholl von oben das Hohngelächter Morris Carruthers.

»Hallo, Nick Carter!«, rief der Hüne überlaut. »Sollte ich Sie vielleicht zufällig getroffen haben? Das sollte mir ungemein leidtun … oder sollten Sie es etwa schon bereuen, die Nase in anderer Leute Geheimnisse gesteckt zu haben? Ja, mein armer Wicht, der Brunnen ist gerade wie Ritter Blaubarts verschlossenes Zimmer … Wer hineinschaut und sein Geheimnis ergründet, der muss sterben. Ho, ho, ho, das wird ein Aufsehen geben, wenn es erst ruchbar wird, dass die große Leuchte des zur Küste gehenden Jahrtausends, der unvergleichliche Spürhund und Schrecken aller Bösewichter, Nick Carter, an den Folgen seiner Unvorsichtigkeit hat sterben müssen. Gerade wie so ein junger Schnüffel von Jagdhund, der die für den Fuchs bestimmte vergiftete Lockpfeife nicht liegen lassen konnte!«

Keine Antwort. Nick Carter hielt selbst den Atem an, um den Lauschenden in Ungewissheit über sein Schicksal zu lassen. Die Möglichkeit lag nahe, dass Morris Carruthers auf solche Weise vielleicht dazu gebracht werden konnte, nach ihm zu sehen. War dies der Fall, dann war die Stunde der Abrechnung gekommen.

»Was, Carter, ich bekomme keine Antwort?«, ließ sich von oben her nun wieder die Stimme des Unholdes vernehmen. »Sollte eine meiner Kugeln Ihnen doch das Spatzenhirn zerschmettert haben, Freundchen? Können oder wollen Sie nicht antworten? Hm, es mag sein, dass Sie tot sind, es mag auch sein, dass Ihr Schweigen nur eine Finte Ihres erfindungsreichen Gehirns ist, um mich dazu zu verleiten, hinunterzukommen und nach Ihnen zu schauen. Ja, ja, ja, das würde ihnen gewiss Spaß machen, Carter. Ich kann es mir vorstellen, wie sie auf der Lauer liegen, den Revolver zur Hand … aber ich tue Ihnen den Gefallen nicht … niemals, mein Freund!«

»Noch immer keine Antwort?«, fragte Carruthers erstaunt, als alles still blieb. »Nun, ich bin nicht neugierig. Als höflicher Mann könnten Sie mir wenigstens sagen, Nick Carter, wie Sie mit Ihrer neuen Behausung zufrieden sind – sie ist recht ruhig und hübsch kühl, kühl wie das Grab.

Es soll auch ein Grab sein … wie für diesen Laffen Lafont, der sich schlau genug dünkte, mir auf die Sprünge helfen zu wollen. Ich stellte mich an, als ob ich es gar nicht merkte, wie er mir nachschlich … Als ich ihn im Brunnen hatte, da schoss ich ihn wie einen Hasen über den Haufen. Nein, mein Lieber, dieser kühle Brunnenschacht wird Ihr Grab bilden. Wohl Ihnen, vermögen Sie meine Worte nicht mehr zu hören, denn dann werden Sie die Qualen des Hungertodes nicht durchkosten müssen, denn zu diesem verurteile ich Sie hiermit. Um noch ein Übriges zu tun, werde ich nun unverweilt das Haus in Brand stecken … Über Ihrem Grab wird eine riesige Brandfackel leuchten, Nick Carter, und Berge von Schutt und Asche werden sich über dieser eisernen Falltür wölben. Friede sei mit Ihnen, Nick Carter. Mit dieser Handbewegung streiche ich Sie aus dem Buch des Lebens. Sie werden keinem von uns mehr schaden!«

Dröhnend flog bei den letzten Worten die Falltür nieder und schloss den Detektiv von der Oberwelt ab.