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Hexengeschichten – Furia infernalis – Kapitel 5

Ludwig Bechstein
Hexengeschichten
Halle, C. E. Pfeffer. 1854

Furia infernalis
Kapitel 5

Still und einförmig ging das Leben dahin im Herrenhaus bei Krementschuk. Der Gebieter begann rasch zu altern, Agaphonika wechselte viele Briefe mit ihrem Bruder Basiliy, freute sich der Zeit entgegen, die diesen einmal wieder in ihre Arme führen sollte, pflegte ihre Tauben und überwachte die einfache Hauswirtschaft.

Aniuschka hatte einen kleinen Liebeshandel mit dem Leibdiener des verstorbenen Bräutigam, Peter Stephanow, angeknüpft und diesem wurde vergönnt, sie zu heiraten. So war Aniuschka die Glückliche, die statt ihrer Herrin nach Selo Chondelewka zog. Agaphonika entließ sie mit reichen Geschenken und guten Wünschen, nahm aber eine neue Dienerin nicht an, sondern begnügte sich mit den Dienstleistungen Barynkas.

Im Haus ging alles seinen gewohnten, still geregelten Gang. Der Haushofmeister hielt strenge Zucht, aber fern von aller Grausamkeit und Härte. Machte sich, was selten geschah, ein Diener eines Vergehens schuldig, das die unvermeidliche Prügelstrafe nach sich zog, so verrichtete niemals Theophiliy Nikodemonow diese eigenhändig, sondern ließ sie durch einen niederen Knecht in mäßiger Anzahl der Plettenhiebe dem Verbrecher zuteilen. Von Kantschuhieben war keine Rede mehr.

Die einförmige Stille der Lebensweise der Bewohner des Schlosses auf der kleinen Anhöhe über Krementschuk wurde aber, nachdem sie nahe an zwei Jahre gedauert hatte, unterbrochen durch einen Brief Basiliys, welcher freudig meldete, dass er mit einem Auftrag seines Chefs beehrt worden sei, für das Kavallerie-Regiment, bei dem er diene, auf Remonte zu reisen, und dass dieser Auftrag zur Ergänzung der Pferde des Regiments ihn in seine liebe Heimat führe, indem er befehligt sei, seine bezügliche Reise bis an die Grenze der Tatarei auszudehnen. Da war wieder Jubel im Schloss, und bei der sanften, stillleidenden Agaphonika mindestens eine stille seeleninnige Freude. Auch der Vater lebte frisch auf, in Hoffnung, seine Wünsche erfüllt zu sehen, und im Sohn einen wackeren Offizier des angebeteten Zaren einen edlen Nachfolger zu umarmen.

Bis Poltawa musste Gregor Constantinow mit dem besten Viergespann dem Erben des Hauses entgegenfahren. Alles stand in froher gespannter Erwartung; ein reiches Mahl harrte, doch sollte es heute nur den lieben ersehnten Gast allein gelten, kein fremdes Auge sollte des Vaters, der Schwester Augen in Wonnetränen schwimmen sehen. Später sollte wieder der Gäste fröhliches Geräusch das geräumige Schloss erfüllen und jede mögliche Lust zur Feier der Anwesenheit des einzigen Sohnes und Erben geboten werden.

Basiliy Polycarpowitsch kam an, flog in des Vaters, in der Schwester liebselige Umarmung, empfing die demutvolle Begrüßung der Dienerschaft. Alle bewunderten den so verwandelten jungen Helden, der im zarten Alter geschieden war, und nun so gereift, so männlich und im vollen Schmuck des Kriegers vor ihnen stand. Er brachte nur einen Leibdiener mit, den er Nikolay rief. Dieses jungen Menschen Gesicht zierte ein sehr starker Schnurrbart, seine Haltung war ernst und kalt. Mit großer Raschheit verrichtete er seine dienstlichen Obliegenheiten, packte Mäntel, Waffen und Gepäck aus der Kibitka und übergab es ohne Worte der Dienerschaft. Außerdem schien er sich nichts um all das, was um ihn her vorging, zu kümmern. Nur als unter den Dienern des Hauses eine alte ergraute Frau demütig vor dem jungen Herrn in die Knie sank und ihm ihre zitternden Hände entgegenstreckte, da flammte Nikolays Blick nach ihr hin. Er erkannte seine gealterte Mutter, er zuckte zusammen, da lag aber im selben Augenblick eine schwere Hand auf seiner Schulter. Es war die Hand Theophiliy Nikodemonows, der zu ihm sprach: »Sieh nicht, höre nicht und schweige.«

Schweigend neigte Nikolay sein Haupt zum bestätigenden Zeichen und schwieg fortan.

Viel Schönes und Herrliches an Geschenken hatte Basiliy aus der glänzenden Zarenresidenz an der Newa mitgebracht, viel gab es zu erzählen, nicht satt hören und nicht satt sehen konnte sich der Vater an dem blühenden heldenkräftigen Sohn.

Als Vater, Sohn und Tochter allein beisammen waren, lenkte sich naturgemäß das Gespräch auch auf die trüben Ereignisse des Hauses. Aufs Neue wurde des unseligen Verhängnisses gedacht, das der edlen Agaphonika den Bräutigam, den künftigen Gatten, und ihren Vater den wackeren, erwünschten Schwiegersohn geraubt hatte. Nicht minder gedachte man des unter ähnlichen Umständen erfolgten Endes Paul Michaylows. Durch Kopfschütteln tat Basiliy Polycarpowitsch seinen Unglauben oder doch seine Zweifel kund und verlangte, in das Zimmer geführt zu werden. Dies geschah, Basiliy fand es nebst dem Vorzimmer schön erneut, recht wohnlich gemacht, auch luftig und rein gehalten, und rief aus: »Das Zimmer trägt an jenen rätselhaften Todesfällen ganz sicher keine Schuld. Es muss etwas anderes sein – ein Gespenst, würden die sagen, die an Gespenster glauben und sich vor ihnen fürchten. Memmen das, ich fürchte mich nicht! Zufall ist alles.«

»Ich habe gesorgt, dass dieser Zufall nicht wieder walte. Solange ich lebe, wird niemand wieder dieses Zimmer bewohnen«, sprach der Schlossherr und schnitt damit weitere ihm unliebe Erörterungen ab.

Die Tauben, welche Basiliy mit Liebe gepflegt sah, lenkten das Gespräch auf Nikolay. Längst hatte der Blick Agaphonikas nach dem Leibdiener des Bruders gespäht, doch keine Ähnlichkeit mit Nikolay zu entdecken vermocht. Er war, gleich Basiliy, zum jungen Mann herangereift, hatte an Haltung gewonnen und hielt sich auf seiner Stellung, wie erhaltenem Befehl gemäß, in angemessener Entfernung.

Gern hätte Basiliy eine Erklärung und Aufdeckung seines Geheimnisses in Betreff Nikolays seinem Vater gegenüber herbeigeführt, aber dieser sah sich nur höchst ungern an einen Vorgang erinnert, der sein Gemüt nachhaltig bekümmert und verdüstert hatte. Daher brach er das begonnene Gespräch über diesen Punkt rasch ab. Basiliy beschloss, eine andere gelegene Zeit zu einer Enthüllung abzuwarten, die seinem Vater nur höchst angenehm sein konnte.

Eine heitere Abendmahlzeit vereinte die aufs Neue durch ihr Beisammensein Beglückten. Des Sohnes Erzählungen aus seiner militärischen Laufbahn, sowohl vom Leben in den Feldlagern als auch in der Zarenresidenz, von Sankt Petersburg sich täglich steigernder Pracht und Großartigkeit füllten höchst angenehm die Stunden aus. Spät trennte man sich. Mit frohem Gemüt suchte und fand der alternde Schlossherr die Ruhe. Auch Agaphonika zog sich zurück, und der Haushofmeister geleitete den jungen Herrn auf sein Zimmer, neben welchem dem Leibdiener ebenfalls eine Schlafstätte angewiesen war. Schon wollte der Haushofmeister sich ehrerbietig entfernen, als Basiliy zu ihm sprach: „Höre an, Theophiliy Nikodemonow, ich werde mit Nikolay nicht hier, sondern in dem alten Gastzimmer schlafen.«

»Euer Hochwohlgeboren verzeihen«, begann Theophiliy seinen Einwand, aber Basiliy unterbrach ihn.

»Ich weiß schon, Alter, was du mir sagen willst. Der gnädige Herr, mein Vater, hat es verboten. Allein sieh, ich hasse den Aberglauben, ich will doch sehen, was es mit dem Spuk für eine Bewandtnis hat! Sei ohne Furcht, wir begeben uns nicht blind in eine Gefahr. Höre meinen Kriegsplan: Du schläfst oder wachst, das bleibt dir freigestellt, im Vorzimmer. Wachst du, so wirst du den Vorteil haben, nicht von deinem Vorgänger zu träumen, der ein grausamer Hund war. Du bildest die Vorhut gegen einen äußeren Feind. Im Notfall bleibt dir der Rückzug in mein Zimmer, denn die Tür lassen wir offen. Ich, als Zentrum, lege mich angekleidet zu Bett. Auf den Tisch liegen meine zwei paar geladenen Pistolen, am Bett lehnt mein gutes Reiterschwert. Auf dem Tisch brennen vier Wachskerzen, in deinem Zimmer ebenso viele, damit wir Licht haben, wenn der Versuch gemacht wird, irgendein Licht, und wäre es ein Lebenslicht auszublasen. Mein Nicolay schläft in dem großen altväterischen Lehnsessel, der im Zimmer steht, versteht sich ebenfalls bewaffnet. Er ist die Verstärkung, das Hintertreffen. Wer soll uns, so gerüstet, in dem großen, hellen, frisch gelüfteten Zimmer etwas anhaben? Vor Menschen fürchten wir uns nicht, und Geister? Hahaha! Die gibt es nicht! Der Teufel? Würde mir eine Ehre sein, seine Majestät, den Selbstherrscher aller verdammten Seelen, den Zar des höllischen Reiches kennen zu lernen!«

»Frevlen Euer Hochwohlgeboren nicht! Ich flehe beim Heiligen Kreuz!«, rief der Haushofmeister erschüttert aus. »Setzt Euch, Basiliy Polycarpowitsch, nicht ohne Not einer Gefahr aus, die umso furchtbarer ist, als man nicht weiß, wie ihr zu begegnen ist und woher sie kommt! Setzt auch mich nicht der schwersten Verantwortung aus! Der gnädige Herr ist gut, aber auch streng. Selbst im glücklichsten Fall, wenn alles gut abliefe, würde mich dafür, dass ich jenes Zimmer Euch gegen seinen ausdrücklichen Befehl aufgeschlossen habe, mit Recht schwere Strafe treffen. Ich würde meines Amtes entkleidet und dem geringsten Muschik gleichgestellt werden!«

»Mühe deine Lunge nicht ab, Theophiliy«, entgegnete Basiliy. »Ich will es so, und damit gut, alle und jede Verantwortung nehme ich auf mich. Gegen jede Strafe schütze ich dich. Wir lassen niemand mehr um ein Paar Tauben totprügeln!«

»Herr! Nehmt mein Leben!«, rief verzweiflungsvoll und zu Basiliys Füßen stürzend, der Haushofmeister. »Gern gebe ich es hin für das Eure, aber Ihr dürft nicht in jenem Zimmer schlafen! Um des Heilandes und seiner heiligen Mutter Willen, führt mich nicht in diese schwere Versuchung!«

»Theophiliy!«, rief Basiliy: »Erzürne mich nicht gleich am ersten Tag meiner Heimkehr! Bei meiner Ehre sage ich dir, ich werde mit Nikolay in jenem Zimmer schlafen! Verstehst du! Bei meiner Ehre!«

»Ihr habt zu gebieten, Herr, ich gehorche, mein Leben ist verwirkt«, sprach tonlos, indem er sich erhob, der Haushofmeister und leise flüsternd setzte er hinzu: »Vielleicht auch das Eure.« Doch dies hörte niemand.

Alles geschah, wie Basiliy befohlen hatte. Erst entfernte Theophiliy alle Diener aus nahen Zimmern oder Gängen, er selbst trug mit Nikolay die Lichter, die Waffen in jenes Zimmer. Sorglich leuchtete er umher unter und hinter das Bett, unter den riesigen Schrank, hinter den Spiegel, in die Winkel. Er rückte den Lehnsessel für Nikolay zurecht, er selbst gelobte sich zu wachen, doch verließ er noch einmal das Vorzimmer, um zu sehen, ob im Haus alles ruhig und in Ordnung sei.

Basiliy ließ nur die Stiefeln sich ausziehen, machte es sich bequem, doch blieb er in Kleidern. Statt der Decke, die er verwarf, diente ihm sein Reitermantel.

Als er lag, setzte sich auch Nikolay zum Schlummer zurecht, voll bekleidet, die Waffe neben sich, den eigenen Mantel über sich. Hell brannten die Kerzen, die Zeit war nahe an Mitternacht.

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