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Allerhand Geister – Eine dunkle Macht – Teil 3

Allerhand Geister
Geschichten von Edmund Hoefer
Stuttgart. Verlag der I. G. Cotta’schen Buchhandlung. 1876

Eine dunkle Macht – Teil 3

Als ich um die Ecke bog, stieß ich ziemlich unsanft mit einem mir hastig Entgegenkommenden zusammen. Es war Eugen.

»Hoho«, rief und in seiner Stimme so gut, wie in seinen beim hellen Mondschein völlig sichtbaren Zügen verriet sich etwas, wie eine nicht gerade angenehme Überraschung, »mein solider Mentor und Teufelsbanner? Hast du mit meinen verehrungswürdigen Alten noch ein wenig mondgeschwärmt?«

»Wie du auf deine eigene Hand, scheint es«, gab ich zur Antwort und sah ihm aufmerksam ins Gesicht, »denn du bist doch wohl auf einer sentimentalen Mondscheinpromenade?«

Es zuckte in seinen Zügen eigentümlich und seine Lippen bewegten sich, wie zu einer Erwiderung, von der jedoch nichts laut wurde. Nur als ich nun sagte: »Also gute Nacht, Eugen, und mache dich auch nach Hause, es ist Mitternacht vorüber!«, da fragte er: »Willst du wirklich heim, Fritz?« und ging auf mein kurzes Nicken mit über die Straße hinüber und meiner Wohnung zu. Obwohl ich gut genug merkte, dass etwas Ungewöhnliches in ihm vorging, wollte ich ihm doch nicht entgegenkommen; denn einerseits war ich nun wirklich müde, und andererseits glaubte ich ihm Zeit lassen zu müssen, mit sich vollends fertig zu werden, damit er nicht wie am Nachmittag endlich doch wieder in seine alte Natur zurückwich.

Vor meiner Tür entdeckte ich zu meinem Verdruss, dass ich den Hausschlüssel einzustecken vergessen hatte und, da ich die Bewohner nur ungern herausklingelte, übel daran war.

»Siehst du wohl«, sagte Eugen, dessen Gesicht hier, wo wir im Schatten standen, mir allerdings nicht genügend sichtbar war, während sein Ton mir jedoch von Neuem zu denken gab, »das Geschick selber befiehlt es, dass du noch bei mir bleibst und mit mir umherläufst. Danach kannst du bei mir deinen Morgenschlaf halten.«

»Willst du noch Ständchen bringen oder den Ritter Toggenburg spielen? Zum Beispiel bei einem gewissen …«

Aber bevor ich einen Namen nennen konnte, unterbrach er mich und meinte mit einer, an ihm mir völlig unbekannten Herbigkeit: »Lasse die Späße unterwegs, Fritz, sie gefallen mir wirklich nicht!«, fuhr jedoch alsogleich in ruhigerem Ton fort, »aber wir können hier nicht ewig stehen bleiben. Wenn du hinein und doch nicht schellen willst, so muss man in anderer Weise Rat schaffen. Hängt der Schlüssel auf dem gewöhnlichen Platz?«

Bevor ich nur begriff, was er eigentlich beabsichtigte, war er schon am Haus und auf dem Gesims des nächsten Fensters, schwang sich auf die Haspen der Läden, trat auf das zweite Gesims, welches in der ganzen Länge des Gebäudes das Parterre vom ersten Stock trennte, war mit einem Schritt seitwärts an meinem noch geöffnet stehenden Fenster und schlüpfte hinein. Das alles ging so rasch und mit solcher katzenartigen Gewandtheit, dass ich ihm mit einer Art von Bestürzung völlig verstummt zusah. Ich hatte dergleichen weder jemals gesehen noch für möglich gehalten, selbst wo die Höhe allerdings eine so mäßige war und Hand und Fuß so viele Stützpunkte fanden, wie hier an dem kleinen altmodischen Haus.

Zu solchen Erwägungen blieb mir indessen auch nun wenig Zeit, denn als es im Zimmer oben nur eben hell geworden war – die Leser dürfen nicht vergessen, dass Eugen häufig genug bei mir einsprach und in der Wohnung ebenso gut Bescheid wusste, wie ich selber, – steckte er hier unten auch schon den gefundenen Schlüssel ins Türschloss, drehte auf und trat mir mit einem so, die Passage ist frei entgegen.

Als ich darauf kopfschüttelnd bemerkte: »Wahrhaftig, Eugen, es ist mit dir nicht richtig! Das sind wahre Spitzbubenkünste!«, da verhetzte er mit einer Art von Finsterkeit: »Nun, ich dächte, dir wären sie doch zugutegekommen!« und fügte gedämpft hinzu: »Aber lasse mich das Licht wieder auslöschen und komme noch ein wenig mit mir. Tu es mir zuliebe, Fritz.«

Ich lehnte es trotz dieser ungewöhnlich ernsten Aufforderung ab, denn ich fühlte mich, wie gesagt, wirklich abgespannt und ruhebedürftig, machte ihm jedoch den Vorschlag, dass er, wenn er im Ernst etwas mit mir reden wolle, noch mit mir hinaufgehen und in Gottes Namen bei mir bleiben möge. Doch damit traf ich es nicht. Er schüttelte den Kopf und meinte, dass die Stubenluft heute nichts für ihn sei. »Also, gute Nacht, Fritz«, fügte er wieder in jener finsteren Weise hinzu. »Ich will denn allein gehen. Du handelst aber nicht gut an mir.« Und damit wandte er sich, schritt, die Hände in die Taschen schiebend, über die Straße und verschwand um die Ecke, aber nicht rechts, in welcher Richtung sein Elternhaus lag, sondern links, wo die Straße dem Tor zu führte.

Die Ausführlichkeit, mit welcher ich die Vorgänge dieses Tages geschildert habe, ließ sich nicht vermeiden, wenn die Leser ein möglichst genaues Bild des seltsamen Menschen erhalten und zugleich doch auch von dem einen und anderen Zug erfahren sollten, welcher für die Entwickelung und Auflösung dieser Verhältnisse von größerer Bedeutung wurde, als selbst wir nun ahnten. Fortan darf ich rascher weiter gehen, wie sich ja auch in Wirklichkeit damals alles zusammendrängte.

Es gingen ein paar Tage hin, wo ich von Eugen wenig zu sehen bekam. Er hielt sich ungewöhnlich still und zurück, steckte, da ich einmal bei ihm vorsprach, tief in seinen Arten und Arbeiten und fand seiner Behauptung nach daran so viel Interesse, dass er meine Aufforderung zu einem Ausflug am Nachmittag rundweg abschlug: Er werde uns vielleicht nach unserer Rückkehr abends in dem bekannten Garten treffen, vorher gehe er nicht vom Fleck. Von Empfindlichkeit dürfen die Leser in diesem Zurückweichen nichts suchen. Im Gegenteil, er gab sich ganz munter und behaglich, und nur, als ich unseres Abschieds in jener Nacht und seiner wunderlichen Worte gedachte, wurde seine Miene für einen Augenblick ernst.

»Lass das gehend«, sagte er jedoch völlig ruhig, »es ging mir wirklich allerhand durch den Kopf, was jetzt Gottlob sich wieder hinaus gemacht hat. Ich mag es nicht zurückrufen.« Und so wie hier, fanden ich und die Übrigen ihn auch sonst, nicht grade besonders ernst, aber doch in einem gewissen ruhigen Maß, wie wir es bisher selten an ihm zu beobachten gehabt hatten.

Wieder ein paar Tage später sagte der Medizinalrat, der mir morgens auf der Straße begegnete, indem er seine Dose hervorholte und eine Prise nahm. »Nun, Kollege, was ist mit unserem Tunichtgut? Bessert er sich oder streut er uns nur Sand in die Augen? Er gibt gar nichts von sich zu hören, man kann schier Angst darüber kriegen, was endlich hinterherkommen mag. Wissen Sie denn schon, dass er gestern Abend um Gretchen Rudneck angehalten hat?«

»Was Sie sagen?«, rief ich höchlich überrascht aus. »Keine Silbe weiß ich! Und er ist mir doch vorhin begegnet, als er aufs Gericht ging, und plauderte mit mir – davon sagte er nichts und sah auch nicht danach aus.«

»Ei nun, das habe ich auch gemeint, aber meine Alte hat mich belehrt, dass so wilde Menschen, wenn sie endlich zahm und glücklich werden, sich anfangs ganz besonders scheu zeigen, oder wie sie das sonst ausgedrückt hat«, unterbrach er mich schmunzelnd. »Na, meinetwegen, wenn es nur wahr ist, was mir noch fraglich erscheint. Das Gretchen ist ein lustiges Ding und kann an Tollheiten, wenn sie anders dazu aufgelegt ist, einen recht ansehnlichen Beitrag liefern. Es wird jedenfalls eine Ehe, die ihres Gleichen sucht. Meine Alte ist jetzt hin, um sich näher zu instruieren, denn seine Anzeige an uns war uns ein wenig zu kurz. Soll mich wundern, wie er es mit Ihnen hält. Lassen Sie ihn lieber anfangen – das arme Kind ist ja so schüchtern und schamhaft in seinem Glück.«

Ich brauche wohl nicht erst zu sagen, dass diese Mitteilung mich mit sehr ernsten und weit auseinanderstrebenden Gedanken erfüllte. War dies wirklich wahr? Der Zweifel des alten Herrn wiederholte sich in mir. So wollte mir, wie Eugen nun einmal geartet war, die Zukunft in einem sehr fraglichen Licht erscheinen. Die Anlagen zu einem einigermaßen soliden oder, um mich so auszudrücken, regulären Ehemann fand ich am allerwenigsten in ihm, und dass die Umwandlung, die mit ihm doch vorgehen musste, eine so vollständige und stichhaltige sein könnte, das glaubte ich nicht. Aber die Hauptsache war dies für mich obendrein keineswegs. Sein Treiben und Gebaren, sein Verzweifeln und seine Extravaganzen aller Art, wie man dies alles in den letzten Monaten an ihm zu beobachten gehabt und wie es mir gerade an dem geschilderten Tag in vollster Schärfe entgegengetreten war, wurde mir bei diesem Ausgang nicht erklärlicher, sondern grade umgekehrt, nur rätselhafter. Was hatte er denn nicht längst einen solchen Ausgang herbeigeführt? Sollte die Liebe auf der einen Seite und die Angst vor einem Korb auf der anderen von einer solchen Wirkung auf ihn gewesen sein? Ich schüttelte spöttisch den Kopf, davon war keine Rede. Nein, hier musste es noch einen anderen, geheimen und möglicherweise sehr ernsten Faktor geben. Was hatte Moski, was ein paar Stunden später der alte Herr gesagt? »Du handelst nicht gut an mir!«, lauteten seine eigenen Worte. Hätte ich ihn nur angehört! Ich hatte die unbehagliche Empfindung, dass ich nicht nur durchaus unrichtig, sondern auch unrecht gegen den alten Freund gehandelt habe. Aber nun war es zu spät, er hatte schon für sich selber entschieden.