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Elbsagen 76

Elbsagen
Die schönsten Sagen von der Elbe und den anliegenden Landschaften und Städten
Für die Jugend ausgewählt von Prof. Dr. Oskar Ebermann
Verlag Hegel & Schade, Leipzig

77. Das Grabmal des Domherrn Heinrich von der Asseburg

An der Mauer des südlichen Nebenschiffs der Magdeburger Domkirche befindet sich das Grabmal des im Jahre 1611 verstorbenen Domherrn Heinrich von der Asseburg. Es besteht aus vier Ölgemälden aus Holz, welche durch die Einrahmung zu einem Ganzen verbunden sind. Das Hauptbild zeigt die Auferstehung der Toten und das Jüngste Gericht. Rechts und links, jedes von vielen kleinen Familienwappen umgeben und mit einer Engelsfigur darüber, stehen die lebensgroßen Bildnisse des Herrn von der Asseburg und seiner Gemahlin Sophie, geborener Hahn. Letztere hat zu ihren Füßen ihre drei Töchterchen, zwei von ihnen sitzend, das dritte auf einem Kissen liegend. An dieses Bild knüpft sich folgende Sage:

Die Frau von der Asseburg fiel einst während einer schweren Krankheit in eine tiefe Ohnmacht, die so lange anhielt, dass man die Kranke für tot hielt, sie in einen Sarg legte und im Gewölbe der Domkirche bestattete. In der folgenden Nacht stieg der diebische Totengräber in die Gruft hinab, um die Leiche ihres mitgegebenen Schmuckes zu berauben. Er öffnete mit Brechwerkzeugen den verschlossenen Sarg und nahm die Schmucksachen an sich. Da ein Ring sich nicht vom Finger streifen ließ, wollte der Dieb den Finger mit seinem Messer von der Hand trennen, allein, wer beschreibt sein Erstaunen, als die vermeinte Tote die Augen aufschlug, mit den Lippen zuckte, einen leisen Seufzer ausstieß und sich emporrichtete. Furcht und Entsetzen überfielen den Räuber. Er floh und ließ Leiter und Laterne zurück, die er zu dem frevelhaften Unternehmen mitgebracht hatte.

Die durch den Dieb aus ihrer langen Ohnmacht erweckte Dame bemerkte, als sie allmählich zur Besinnung kam, mit nicht geringem Grauen und Entsetzen, dass sie, statt in ihrem Krankenzimmer, umringt von den zärtlich um sie besorgten ihren, eingesargt in einem Grabgewölbe unter Toten lag. Sie raffte indessen ihre schwachen Kräfte zusammen, befreite sich von ihren Leichentüchern, stieg aus ihrem Sarg, klomm dann die Leiter hinauf, verließ die Kirche, deren Tür sie glücklicherweise offen fand, und wankte, in ihr Sterbegewand gehüllt, mühsam ihrer Wohnung zu. Ihre Schwäche zwang sie, auf dem kurzen Weg in den nächtlichen Straßen sich mehrmals auszuruhen, aber schließlich kam sie zu der Behausung ihres Gemahls. Dort verbreitete ihre Ankunft zuerst großen Schrecken, weil die durch ihr Läuten an der Türglocke aus dem Schlaf Erweckten die Wiederkehrende für ein Gespenst hielten. Allein, bald verwandelte sich Furcht und Grauen in Freude und Jubel, als man den Irrtum erkannte und die als tot Beweinte lebend vor sich sah. Die aus dem Grab Erstandene erholte sich, von liebreichen Händen auf das Sorglichste gepflegt, allmählich wieder und schenkte ihrem Gatten noch drei Töchter, welche aber alle die bleiche Totenfarbe, die das Gesicht ihrer Mutter nach jenem grauenhaften Erlebnis angenommen hatte, mit auf die Welt brachten.