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Der Welt-Detektiv Band 6

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Eine Räuberfamilie – Dreizehntes Kapitel

Emilie Heinrichs
Eine Räuberfamilie
Erzählung der Neuzeit nach wahren Tatsachen
Verlag von A. Sacco Nachfolger, Berlin, 1867
Dreizehntes Kapitel

Rückkehr

Crocco hatte recht gesehen, denn nach Verlauf von nur wenigen Minuten erschienen im gestreckten Galopp die Sbirren auf dem Schauplatz der Tat.

Sie waren dem fliehenden Wagen mit der Dienerschaft begegnet und hatten kaum von dem Überfall gehört, als sie sich auch von dem alten Kammerdiener den Ort beschreiben und ihn auf sein Flehen hinter einem der Sbirren aufsitzen ließen.

Und nun waren sie da und fanden den Platz leer. Der Sbirren-Anführer fluchte weidlich und beratschlagte mit seinen Leuten, ob sie der Spur des Wagens, die auf die Weiterreise deutete, folgen oder umkehren sollten. Da rauschten plötzlich in ihrer Nähe die Büsche. Alle schauten sich überrascht um, und der Kammerdiener, welcher seinen unbequemen Sitz verlassen hatte, schrie vor Freude laut auf.

Der wahnsinnige Marchese kroch auf Händen und Füßen unter einem nahe am Weg befindlichen dichten Busch hervor. Sein Antlitz war leichenhaft blass, vom Arm tropfte ihm Blut.

»Santa Maria, mein armer Herr!«, schrie der Kammerdiener, auf ihn zueilend und ihn in seine Arme nehmend, »er blutet, Jesus Maria, welch ein grässliches Unglück!«

»Still, still«, flüsterte der Greis, »wecke ihn nicht, meinen Sohn, er schläft, ich habe ihn bewacht.« Dabei deutete er mit der blutigen Hand rückwärts.

Der Kammerdiener trug den unglücklichen Greis weinend zu einem Rasenplatz und zerriss sein Taschentuch, um das rinnende Blut zu stillen.

Der Sbirren-Anführer stieg kopfschüttelnd vom Pferd und schritt auf das Gebüsch zu, welches er vorsichtig untersuchte.

»Aha«, rief er laut, »hier haben wir noch einen Knaben. Er scheint ohnmächtig zu sein.«

»Ach, Signor Fidelio, der arme Deutsche!«, rief der Kammerdiener, als jener ihn behutsam hervorzog.

Agnes-Fidelio war tatsächlich, durch die unnatürliche Aufregung der letzten Tage endlich erschöpft, zusammengebrochen. Der zarte Körper hatte dem starken Geist nicht mehr gehorchen wollen.

Als Zia Maria am Rand des Hohlweges erschienen und aller Aufmerksamkeit der Brigantine zugewandt war, da durchblitzte ein Gedanke ihr Gehirn. Einen raschen Blick umherwerfend, kroch sie, den Marchese mit sich fortziehend, in das nächste Gebüsch, welches sie von allen Seiten wie ein dichtes Laubdach umschloss. Vorsichtig bog sie die Zweige wieder zurecht und zog einen abgebrochenen Ast vor die von ihnen verursachte Öffnung.

So kam es, dass man sie nicht fand. Den Marchese, welcher noch einige Male, wie es schien, vor Schmerz an seiner Wunde stöhnte, wusste sie mit leisen, schmeichelnden Worten zu beruhigen.

Dann aber war es ihr plötzlich, als schwanke der Boden unter ihren Füßen und drehe sich alles im Kreis mit ihr herum. Sie seufzte einige Male wie im Todeskampf und schloss dann bewusstlos die Augen.

Der Greis streichelte ihr die Wange. Er schien ein instinktartiges Gefühl ihres Zustandes zu haben, denn er summte leise, als wolle er sie in Schlaf wiegen.

Endlich, als das Stampfen der Rosse ihn gewaltsam aus seiner Apathie rüttelte, schien ein Funken des Geistes zurückzukehren. Durch die dichten Zweige schimmerte es wie Tag. So kam er hervor, um von seinem treuesten Freund und Diener gefunden zu werden.

Die Sbirren selbst waren erschüttert von dem erbarmungswürdigen Anblick, welcher sich ihnen bot. Von Wut erfasst, wurde sogleich eine kleinere Abteilung abgesandt, um die Spur der Briganten zu verfolgen.

Der Marchese blickte lächelnd wie ein harmloses Kind auf Agnes-Fidelio, welche der Sbirren-Anführer so im bewusstlosen Zustand oder Tod, man konnte es ja nicht beurteilen, vor sich auf sein Ross nahm, während ein anderer den Marchese, an dessen Seite der Sbirren-Hauptmann reiten musste, damit der Greis seinen Liebling stets vor Augen haben konnte, auf sein Pferd hob und der Kammerdiener wieder seinen früheren Sitz hinter dem dritten Sbirren einnahm.

Langsam und vorsichtig machten sie sich auf den Weg, es galt ja zwei Menschenleben zu erhalten. So erreichten sie endlich Neapel und erregten mit ihrem Aufzug kein geringes Erstaunen in der Stadt, ja, man war anfangs sogar geneigt, die fremden Gestalten auf den Rossen der Polizeimannschaft für gefangene Briganten zu halten und an ihnen die gerechte Volkswut auszulassen.

Doch bald wurde der Irrtum aufgeklärt. Mit Wehklagen und Wutausbrüchen gegen die Räuber begleitete eine immer mehr anwachsende Menschenmenge den traurigen Zug zum Palast Cantonelli.

Unser alter Brigantenfreund Marco, welcher soeben den Palast verlassen wollte, um sich zu dem deutschen Baron zu begeben, blickte höchst erschreckt auf die Menge und die Sbirren. Sein erster Gedanke war Flucht, da er glaubte, dass dieser Besuch der Polizei ihm gelte. Hing doch wegen seiner Briganten-Vergangenheit das Damoklesschwert noch immer dicht über seinem Haupt. Als er genauer hinunterblickte und den Kammerdiener und seinen Herrn erkannte, da sank eine Last von seinem Herzen. Er murmelte einen Fluch auf den Studenten von Bisaccia und eilte hinaus, um in das allgemeine Wehklagen von Herzen mit einzustimmen.

»O, das Unglück, das Unglück!«. jammerte Marco, indem er sich durch die Menge drängte, um unaufgefordert den Arzt herbeizuholen und bei dieser Gelegenheit dem Baron im Hotel schleunigst Nachricht zu geben.

Der alte Herr wäre vor Freude fast ohnmächtig geworden, als Marco ihm die Nachricht von der Heimkehr seines Sohnes brachte. Ohne weiter an seinen Hass gegen den Marchese zu denken, eilte er zur Toledostraße, wo sich die Menschenmenge ebenso rasch zerstreute, wie sie sich angesammelt hatte.

Kein Diener versuchte es in der allgemeinen Verwirrung, ihn zurückzuweisen. Im Gegenteil, man zeigte ihm bereitwillig den Weg. Als der alte Hausarzt bestürzt die Treppen hinaufstieg und Waldau ihm mitteilte, dass er der Vater des jungen Deutschen sei, zog ihn der Arzt eilig mit sich fort. Der alte Herr fürchtete sich vor seinem eigenen Gewissen, das ihn laut anklagte, die entsetzliche Katastrophe, ja vielleicht gar den Tod sowohl des Marchese als auch des jungen Deutschen durch seine unbesonnenen Ratschläge verschuldet zu haben.

Agnes-Fidelio lag noch immer bewusstlos. Waldau kniete vor ihrem Lager und benetzte ihre kalte, herabhängende Hand mit seinen Tränen.

Als der Arzt den Marchese verbunden hatte und nun den Zustand des jungen bewusstlosen Deutschen untersuchte, erklärte er nach wenigen Minuten, dass nur eine tiefe Ohnmacht ihn umfangen hielte.

Der Arzt wandte nun alle Mittel an, um die Ohnmacht zu bannen. Endlich gelang es ihm. Agnes-Fidelio erwachte, doch ihr Geist war verwirrt, sie erkannte niemand, Fieberhitze durchraste ihr Gehirn. Mit einem bedenklichen Kopfschütteln verordnete der Arzt die nötigen Heilmittel und meinte, es könne gefährlich werden, doch hoffe er auf die Kräfte ihrer Jugend.

Der Baron entschloss sich nach kurzer Rücksprache mit dem Arzt und dem Kammerdiener, zum Palast überzusiedeln, um sein geliebtes Kind selbst pflegen zu können. Letzterer hörte mit Wehmut den Namen Waldau nennen. Er hatte den Baron einst gekannt, da er die ganze schmerzliche Episode mit seinem unglücklichen Herrn durchlebt hatte.

Die Wunde des Marchese schien dem Arzt ebenfalls bedenklich zu sein. Es wäre leicht möglich, meinte er, dass er daran seinen Tod fände.

Waldau aber stand vor dem Lager des schlummernden Feindes und betrachtete düster sein blasses, eingefallenes Gesicht und den wirren Ausdruck desselben. Das Seelenleiden des Unglücklichen spiegelte sich in jeder Miene.

»O, Nemesis«, murmelte er, »wie furchtbar hast du diesen Mann ereilt!«

Marco machte sich ganz besonders um den deutschen Baron zu schaffen. Er war die Dienstfertigkeit selbst und machte sich diesem bald unentbehrlich, weshalb er von dem Kammerdiener als besonderen Diener des Barons bestellt wurde.

Fast täglich musste er ins Hotel, um sich nach Briefen zu erkundigen. Waldau hatte bereits in die Heimat an seinen Inspektor geschrieben und ihm ihre glückliche Ankunft in Neapel, wie den vergeblichen Versuch, Leonhardt seiner Krankheit halber zu befreien, gemeldet.

Von Georgs Verschleppung durch die Räuber und Agnes’ Schicksal schwieg er wohlweislich, um dem Inspektor sowie der alten Doris Angst und Kummer zu ersparen. Warum sein Kind nicht selbst an den Vater schrieb, entschuldigte er mit einem leichten Unwohlsein als Folge der ungewohnten Reise.

Acht Tage waren vergangen und noch immer kein Brief von Georg. Dem armen Baron wurde es zuweilen recht bang ums Herz. Er machte sich heimliche Vorwürfe, den treuen Burschen geopfert zu haben.

Da sagte eines Tages Marco zu dem Kammerdiener: »Wäre es nicht geraten, dass ich einmal nach Bisaccia reiste und bei der Familie Rapo nach dem Sohn und unserer gnädigen Signorina Marchesa mich erkundigte? Ich war schon einmal dort, man wird mich also wieder erkennen.«

»Du bist ein braver Bursche, Marco!«, versetzte jener, »reise in Gottes und der Madonna Namen, ich werde dir Geld geben.«

Zu dem Baron aber sagte Marco heimlich: »Was gilt die Wette, Signor! Ich bringe Ihnen Nachricht, sowohl von dem Sohn als auch vom Schlingel, von Corso.«

»Dann will ich dich reich belohnen, mein Freund!«, versetzte Waldau erfreut.

»Wollen Sie mich mit nach Deutschland nehmen, Signor?«

»Gewiss, wenn es dein Wunsch ist. Du sollst für den Rest deines Lebens nicht zu sorgen haben«, sprach Waldau feierlich.

Am nächsten Morgen verließ Marco auf einem flinken Renner die Stadt, um sich in so kurzer Zeit zum zweiten Mal nach Bisaccia zu begeben.