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Gold Band 3 – Kapitel 10.1

Friedrich Gerstäcker
Gold Band 3
Ein kalifornisches Lebensbild aus dem Jahre 1849
Kapitel 10 Teil 1

Schluss

Vier Wochen waren nach den letztbeschriebenen Vorfällen etwa verflossen. Die bunte Färbung des Waldes, die fallenden Blätter kündeten schon den nahenden Herbst. Auch der Himmel zeigte sich nicht mehr so rein und blau, wie er den ganzen heißen Sommer fast gewesen war. Dichte Wolkenschichten zogen sich schon zusammen. Alle Anzeigen verrieten, dass die Regenzeit hier bald beginnen werde.

Im Paradies war indessen die Ruhe und Sicherheit vollkommen hergestellt worden. Hetson, von Hale und den besser gesinnten Amerikanern und Fremden unterstützt, hatte, trotz manchem versuchten Widerstand, es durchgesetzt, dass kein Spieltisch mehr in dem Camp geduldet wurde. Dadurch verloren sich die Spieler von selbst, die ihre, ihnen so kostbare Zeit nicht an einem so unnützen Platz vergeuden wollten.

Auch von den Indianern waren sie nicht wieder belästigt worden. Einzelne Trupps hatten sich allerdings dann und wann in der Nähe gezeigt, ohne jedoch nur mit irgendeinem der Weißen zu verkehren, denen sie überall aus dem Wege gingen. Die Frauen suchten Eicheln, Haselnüsse und andere wilde Waldfrüchte, ihre Wintervorräte davon einzulegen, und die Männer bildeten nur kleine Eskorten zu ihrem Schutz, denn das Wild dort in den Bergen war schon lange getötet oder vertrieben worden.

Auch von den Mexikanern hatten sich Einzelne wieder eingefunden, doch mieden sie den Platz aufs Neue, als ihnen die nun streng aufrecht erhaltene monatliche Taxe abgefordert wurde. Sie dachten allerdings nicht mehr daran, Widerstand zu leisten, sondern zogen sich nur in noch von den Amerikanern gar nicht oder selten besuchte Täler zurück, der unbequemen Steuer wenigstens so lange wie möglich zu entgehen.

Nur eine Veränderung war in Hetsons Zelt vorgegangen, und zwar eine, die Manuelas Herz mit tiefer Trauer füllte. Ihr Vater, an die harte Minenarbeit nicht gewöhnt, der er sich mit wahrhaft eisernem und hartnäckigem Fleiß hingegeben hatte, bekam ein heftiges Fieber, das ohne ärztliche Hilfe bald gefährlich wurde. Die Tochter wich wohl nicht von seiner Seite und pflegte ihn mit aufopfernder Liebe Tag und Nacht – aber den ebbenden Lebensstrom konnte sie nicht aufhalten, und neun Tage, nachdem er sich hingelegt hatte, gruben ihm die Freunde sein stilles Grab unter einem der schattigen Waldbäume am Fuße der Hügel.

Der alte Mann hatte sein Wort gehalten und keine Karte wieder angerührt, aber der Gram über das frühere, seinem armen Kind zugefügte Leid mochte wohl auch viel mit dazu beigetragen haben, seine Kräfte zu lähmen, sein Herz zu brechen. Selbst schon im Sterben hatte er jedoch noch die Freude, sein Kind – seine Manuela – versorgt, geschützt zu sehen von einer treuen Hand. Lanzot nämlich, fest entschlossen, sein Geschick nicht mehr von dem der Jungfrau zu trennen, hielt noch am Todesbett des Vaters um sie an. Mit der letzten Kraft, die ihm geblieben war, legte der alte Spanier ihre Hände ineinander und segnete sie.

Damit war aber auch ausgesprochen, dass Manuela an Lanzots Seite Kalifornien verlassen würde. Dies, wie manches andere, trieb nun auch Hetsons, ihrem Beispiel zu folgen – ließ sich ja doch ein stilles häusliches Familienglück hier noch nicht denken. Gold – Gold war die Losung, und das hier zur äußersten Blüte getriebene go ahead System der Amerikaner warf alles andere rücksichtslos beiseite. Gold! Kein anderes Gespräch, kein anderer Gedanke war möglich. Wenn sich die Männer auch wohl am Anfang durch das Neue und Abenteuerliche dieses Lebens angezogen und eine Zeit lang gefesselt gefühlt hatten, machten sich doch nun wichtigere Pflichten geltend. Hetson wie Lanzot beschlossen deshalb die Minen in den ersten Tagen zu verlassen und nach San Francisco zurückzukehren, dort mit der nächsten Schiffsgelegenheit Kalifornien für immer Valet zu sagen.

Hale vor allen anderen schien damit allerdings nicht einverstanden, denn er hatte seinen Alkalden nicht allein achten gelernt, sondern auch vom Herzen lieb gewonnen. Aber er sah doch auch ein, dass für die Frauen hier kein Aufenthalt war, mochte immerhin ihre persönliche Sicherheit nicht mehr gefährdet sein. Diese konnten sich hier nicht wohlfühlen, und er redete ihm deshalb auch nicht ab.

Die nötigen Vorbereitungen wurden nun getroffen und auf den nächsten Sonntagmorgen, wo einer der gewöhnlichen Güterwagen leer nach San Francisco zurückging, die Reise dorthin bestimmt.

Auch unter unseren deutschen Bekannten waren manche Veränderungen in der Zeit vorgegangen. Die sogenannte Deutsche Company Lamberg, Binderhof und Hufner hatte sich sogar vollständig aufgelöst. Hufner schien es nämlich satt bekommen zu haben, für die beiden faulen Burschen zu arbeiten, und da er austrat, sahen Binderhof wie Lamberg ein, dass sie ohne einen derartigen Compagnon wie Hufner gewesen war, auch nicht mehr zusammen bestehen konnten. Einer hätte da arbeiten müssen, schon allein die Küche zu besorgen. Nachdem sie beide Hufner einen undankbaren Menschen genannt und ihm noch einmal ein böses Schicksal in Kalifornien prophezeit hatten, trennten sie sich ebenfalls, jeder sein Glück auf eigene Hand zu versuchen. Dass sie beide dabei Kalifornien für das nichtswürdigste Land erklärten, was überhaupt von Gottes Sonne beschienen werde, verstand sich von selbst.

Auch die Firma Justizrat und Company hatte sich aufgelöst. Der alte Assessor, der die schwere Erdarbeit und die Plackerei im Zelt – denn der Justizrat rührte weiter zu Hause nichts an wie seine Pfeife und den Tabaksbeutel – nicht länger ertragen konnte und ernstlich krank zu werden fürchtete, wandte sich einem anderen Geschäft zu und war in eines der Händler Zelte als Verkäufer eingetreten, während er sich zugleich mit seinem kleinen Kapital an dem Geschäft selber beteiligte. Der Händler selber war ein deutscher Jude, ein braver, ordentlicher Mann, der allerdings auf seinen Nutzen sah, dabei aber auch den seines wackeren und unermüdlich tätigen Gehilfen wahrte. Der Assessor befand sich deshalb ganz wohl in dieser neuen Beschäftigung, die ihm weit besser zusagte als das vollkommen erfolglose Goldgraben mit seinem früheren Compagnon, dem Justizrat.

Der Justizrat fand allerdings das Benehmen des Assessors unverantwortlich und schien große Lust zu haben seine Bergarbeiten wieder zu beginnen. Da aber ein Versuch, Herrn Hufner zu einer Compagnonschaft zu verlocken, misslang – denn Hufner hatte in der Art schon zu bittere Erfahrungen gemacht und kannte den Burschen – und da auch noch außerdem sein Tabak verraucht war, den er sich hier oben gar nicht wieder ersetzen konnte, so hörte er kaum, dass Hetsons mit Beckdorf und Lanzot beabsichtigten, nach San Francisco zurückzukehren, als er auch den Entschluss fasste sie zu begleiten – allein fürchtete er sich nämlich, die Reise zu machen. Beckdorf, dem er seinen Willen mitteilte, bestärkte ihn auch noch darin, nur war kein Platz mehr auf dem Wagen, auf dem er höchstens noch seinen Koffer unterbringen konnte. Es blieb dem Justizrat zuletzt nichts weiter übrig, als sich dem Rücken eines zu diesem Zweck gekauften Maultieres anzuvertrauen. Beckdorf und Lanzot waren ebenfalls beritten, und die drei wollten solcher Art eine Eskorte zum Schutz der Damen bilden.

Um zehn Uhr morgens sollte aufgebrochen werden. Mit Tagesanbruch hatte der Justizrat sich schon den Assessor bestellt, ihm beim Packen behilflich zu sein, was der überaus gefällige Mann auch würde unter keinen Umständen abgeschlagen haben.

Unter Packen helfen verstand nun der Justizrat natürlich, dass der Assessor packte, während er dabei saß und aus seiner langen Pfeife rauchte. Zelt und Gerätschaften hatte er schon vorher an Herrn Hufner verkauft, der sich ebenfalls einfand, die Sachen nach der Abreise des Mannes aufzuladen und in die Nähe seines derzeitigen Minenplatzes zu schaffen.

Der Assessor arbeitete, dass ihm die Brille anlief. Herr Hufner kochte indessen den Kaffee und bereitete das Frühstück: eine Anzahl Pfannkuchen, die von den letzten Resten Mehl und Zucker hergestellt werden sollten, während verschiedene Beefsteaks auf dem Rost schmorten. Auch seine letzte Flasche Brandy hatte der Justizrat preisgegeben, die Abschiedsstunde so würdig wie möglich zu feiern.

»Ich muss Ihnen gestehen, Herr Justizrat«, brach da endlich der Assessor das Schweigen, indem er sich in die Höhe richtete und seine Brille ab wischte, »dass ich beim Packen selber Lust bekomme, mit nach San Francisco aufzubrechen.«

»Na, brechen Sie«, sagte der Justizrat. »Hundeleben hier.«

»Es kann allerdings nicht geleugnet werden«, bestätigte der Assessor, »dass dieses Leben manches zu wünschen übrig lässt, und meiner, an geschlossene Räume gewöhnten Konstitution sagt besonders die viele freie Luft, und auch nachts die Zeltluft nicht besonders zu. Aber ich weiß nicht – San Francisco.«

»Frau Siebert unmenschlich freuen«, meinte der Justizrat.

Der Assessor seufzte, erwiderte aber kein Wort. Der Justizrat hatte ihm aus der Seele gesprochen. Damit waren alle seine Einwendungen gegen eine mögliche Rückkehr in die Hauptstadt des Landes erschöpft – ja der Assessor hatte sich sogar schon die Zeit ausgemalt, wo er imstande sein werde, nach Europa zurückzukehren, und doch dann wie ein Verbrecher durch San Francisco schleichen musste, von dieser entsetzlichen Frau nicht entdeckt und wieder eingefangen zu werden.

Während er aber noch dastand und sich die Sache überlegte, hatte die Erinnerung an San Francisco auch in Herrn Hufners Seele misstönende und schmerzliche Saiten angeschlagen. Mit leiser, ängstlicher Stimme sagte er: »Herr Justizrat, ich habe diese Nacht einen furchtbaren Traum gehabt.«

»Indianer? Hals durchschneiden? He?«, riet der Justizrat auf gut Glück.

»Nein«, sagte Herr Hufner, »mir träumte, die Madame Schneidmüller wäre hier heraufgekommen, und …«

»Schneidmüller? Schwiegermutter?«

»Ja – und hätte sich hier aus Verzweiflung ins Wasser gestürzt.«

»Unsinn«, brummte aber der Justizrat, »schon einmal gehört, irgendeine Schwiegermutter ins Wasser gestürzt? Praxis noch nicht vorgekommen.

Apropos! Noch nichts gefunden?«

»Nein«, stöhnte Herr Hufner und goss dabei etwas kaltes Wasser in die rasch vom Feuer genommene Kaffeekanne, den Satz dadurch zu Boden sinken zu machen. »Wenigstens noch keine Idee, dass ich ans Heiraten denken könnte. Ich bin der unglücklichste Mensch auf Erden, und doch auch wieder unschuldig. Lieber Gott, ich arbeite ja wie ein Pferd, aber kann ich etwas dafür, dass ich nichts finde?«

»Hallo, kommt jemand«, sagte der Justizrat, der eben bemerkte, wie ein Fremder unten von der Straße durch einen der Leute aus dem Städtchen hier herauf beschieden wurde und nun geraden Weges über den kahlen und offenen Hang auf sie zukam.

Der Assessor und Herr Hufner sahen hinüber und bemerkten nun auch einen Reisenden, der mit einem Maultier am Zügel langsam auf sie zuschritt, und erst bei dem vor dem Zelt angeschürten Feuer stehen blieb, sehr artig den Hut abzog und in deutscher Sprache sagte: »Könnten Sie mir vielleicht sagen, ob der Herr Justizrat zu Hause ist?«

Herr Hufner hatte sich den Fremden, der ihm so bekannt vorkam, aufmerksam betrachtet, wusste aber nicht gleich, wo er das Gesicht hintun sollte.

Der Justizrat sagte: »Ja wohl … hier … bin ich selber.«

»Sehr angenehm, Ihre werte Bekanntschaft zu machen«, erwiderte da der Fremde. »Wie ich sehe, ist auch der Kaffee gerade fertig. Bitte, Herr Hufner, sagen Sie doch dem Mädchen, dass es noch eine Tasse hereinbringt.«

»Herr Ohlers, bei allem, was lebt!«, rief da Hufner erstaunt aus, der nun den früheren Reise- und Schiffsgefährten an der Stimme erkannte.

»Ohlers? Wahrhaftig«, sagte auch der Justizrat erstaunt. »Hm, großen Bart jetzt … nicht wieder erkannt.«

»Herr Ohlers, in der Tat!« rief nun auch der Assessor, der den alten Bekannten eine ganze Weile verdutzt betrachtete. »Das freut mich wirklich herzlich, Sie einmal wieder begrüßen zu können. Sie kommen gerade recht zu unserer … hihihi … zu unserer Henkersmahlzeit, wie man so zu sagen pflegt, denn der Herr Justizrat will eben heute Morgen die Minen verlassen.«

»Aha«, sagte Ohlers, nachdem er den Männern die Hand geschüttelt hatte, seinem Tier den Zügel ließ und sich dann ohne Weiteres mit zum Feuer niedersetzte. »Der Herr Justizrat haben ihren Haufen Gold wahrscheinlich sauber gewaschen im Beutel und werden jetzt nach Deutschland zurückgehen, um dort an irgendeinem der Höfe Minister der auswärtigen Angelegenheiten zu werden – wie? Empfehle mich nur in diesem Fall zu Gnaden als Obervergifter bei einer der medizinischen Fakultäten; bin auch zugleich dazu bereit, gegen ein entsprechendes Honorar als irgendein Ehrenmitglied bei den verschiedensten gelehrten Gesellschaften zu fungieren.«

»Haufen Gold«, brummte der Justizrat und blies den blauen Dampf in starken Puffen von sich. »Bald was gesagt … Hundeleben … gar nichts finden … nirgends.«

»Gar nichts finden?«, fragte Ohlers erstaunt. »eigentlich wäre das auch nicht so wunderbar, denn der Herr Justizrat haben hier auch nichts verloren. Im Ganzen herrscht aber doch die vielleicht irrige Meinung, dass in Kalifornien Gold liege.«

»Selber graben, versuchen«, knurrte der Mann des Gerichts an der fest zwischen die Zähne gebissenen Pfeifenspitze vorüber.

»Ich danke Ihnen«, sagte aber Ohlers, »ich bin keineswegs in der Absicht hier in die Minen gekommen, den Erdboden zu belästigen, sondern ich suche vielmehr kranke Menschen, denen ich mit meiner schlechten Medizin ihr gutes Geld abzulocken gedenke. Wie mir nur scheint, sind hier dazu keine besonderen Aussichten, denn alle Welt erfreut sich einer höchst zweckwidrigen Gesundheit. Etwas gelbes Fieber, Cholera oder Blattern wäre da weit besser am Platz.«

»Ja das fehlte uns noch«, sagte da der Assessor, »dass man hier in Kalifornien auch noch krank würde. Nur allein der Gedanke ist schon furchtbar. Was sollte man da anfangen?«

»Ach, bester Herr Assessor, ich habe Ihnen auch tausend herzliche Grüße von der werten Frau Siebert zu sagen«, unterbrach ihn da plötzlich Ohlers.

»Ich … ich danke Ihnen sehr«, stotterte der Assessor. »Sie … befindet sich doch hoffentlich wohl mit ihren Kindern? Sollte mich freuen, zu hören.«

»Vortrefflich … in der Tat vortrefflich … verdient sich auch hübsches Geld mit Waschen und Plätten – sehr hübsches Geld in der Tat, und scheint ihren Mann nicht besonders zu vermissen. Sie hat mir aber noch ganz vorzüglich aufgetragen, ihr ja gleich Ihre Adresse zu schreiben, sollte ich Ihnen zufällig einmal in den Minen begegnen. Ich hatte nämlich keine Ahnung, dass ich Sie hier finden würde, und habe nur eigentlich den Abstecher gemacht, Herrn Hufner aufzusuchen, und ihm einige wichtige Familiennachrichten zu bringen.«

»Mir?«, rief Herr Hufner erschreckt und wurde leichenblass. Aber auch dem Assessor hatten die Worte des kleinen boshaften Apothekers einen ordentlichen Stich ins Herz gegeben, denn wenn die Frau Siebert erfuhr, dass er hier, selbst auch nur für die nächste Zeit, seinen bleibenden Wohnsitz aufgeschlagen hatte.

Die Frau war zu allem fähig – und dasselbe glaubte Herr Hufner von der Schwiegermutter.

Ohlers, der seine Leute kannte, hatte solcher Art, zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Während er sich innerlich hätte ausschütten mögen vor Lachen, saß er äußerlich vollkommen kalt und ruhig, nahm einen der dort stehenden Blechbecher auf und hielt ihn dem Assessor zum Einschenken hin.

»Bester Herr Ohlers«, sagte der Assessor dabei, während er mit zitternder Hand dem Verlangen willfahrte, »ich … ich möchte Sie doch … ich möchte Ihnen nur bemerken, dass ich mich heute Morgen fest entschlossen habe, diesen Platz wieder zu verlassen, und dass es … dass es noch sehr unbestimmt ist, wohin ich mich von hier aus wende.

Sie wissen auch wahrscheinlich wohl selber, welche unsichere Sache das dann ist, jemanden in den Bergen aufzufinden. Selbst Briefe gehen so häufig verloren.«

»Aber einige Zeit bleiben Sie doch gewiss noch hier?«, fragte Ohlers teilnehmend, indem er sich Zucker in seinen Becher warf, »und die Frau Siebert würde sich gewiss unendlich freuen …«

»Es ist möglich, dass ich den Platz selbst in den ersten Tagen der nächsten Woche verlasse«, unter brach ihn der Assessor schnell, »aber ich werde dann selber der Frau Siebert meinen Aufenthalt angeben. Bitte, bemühen Sie sich also deshalb nicht.«

»Oh, bester Assessor, gar keine Mühe«, sagte Ohlers, »aber tun Sie das; ja, Sie werden der armen Frau dadurch eine große Freude machen. Und die braucht sie nötig, denn mit den Kindern hat sie doch in der letzten Zeit viel Sorge und Ärger gehabt.«

»Sie hatten mir etwas mitzuteilen, mein guter Herr Ohlers«, sagte aber nun Herr Hufner, der die Zeit über wie auf Kohlen saß. »Sie sprachen von … von Familienangelegenheiten, wenn ich nicht irre.«

»Ich? Ja so – Sie wissen wohl noch gar nicht«, rief Ohlers mit freudigem Ton, »dass Ihr Fräulein Braut glücklich in San Francisco gelandet ist und die Zeit kaum erwarten konnte, in die Arme ihres liebenden Bräutigams zu eilen.«

»Doch … doch Herr Ohlers. Ich hatte schon früher Nachricht von dem … dem glücklichen Ereignis … aber ich war nicht imstande …«

»Sie glauben gar nicht, wie sie sich nach Ihnen gesehnt hat«, sagte der Apotheker, »und es ist gar so ein liebes Mädchen, so sanft, so unschuldig – und die Mutter – Wetter noch einmal, das ist eine prächtige Frau – so resolut.«

»Schwiegermutter«, sagte der Justizrat. »Resolut? Hm? So?«

»Ja, die zukünftige, Herr Justizrat«, versicherte Ohlers. »Sie glauben es gar nicht; ein wahres Prachtexemplar von einer Schwiegermutter, die ich selber heiratete – wenn sie mich wollte, heißt das – und ich überhaupt beabsichtigte den Stand eines ledigen Apothekers mit dem eines verheirateten Mannes zu tauschen.«

»Hübsches Mädchen?,« fragte der Justizrat.

»Wer? Fräulein Schneidmüller? Prächtig – so zart, so sanft, so züchtig. Ich sage Ihnen, sie hat Aufsehen in San Francisco gemacht. Zu zart nur fast für irgendeine Arbeit.«

»Ach mein Gott, ja«, seufzte der arme Hufner aus vollem Herzen, während es ihm bei den Worten wie ein zweischneidiges Schwert durch die Seele ging. »Zu zart, viel zu zart – aber was kann ich unglückseliges Menschenkind denn dafür, dass ich kein Glück habe, und … und dass sie so entsetzlich früh nach Kalifornien gekommen ist. Ich will arbeiten, arbeiten wie ein Pferd. Ich halte es für meine übernommene Pflicht, aber um Gotteswillen, was soll aus ihr werden?«

»Aus der Schwiegermutter?«, fragte Ohlers.

»Nein, aus Leonora?«

»Wenn ihr weiter nichts übrig bliebe«, meinte achselzuckend der Apotheker, »so würde sie wahrscheinlich auch ums Morgenrot fahren müssen. Für ein junges Mädchen ist es aber freilich ein missliches Land dies Kolofonium, wie es Ballenstedt immer nannte – apropos, weiß niemand von Ihnen, was aus dem geworden ist? Nicht? Hm, komischer Kauz war es. Ja, was ich gleich sagen wollte, für ein junges Mädchen ist es ein missliches Land, aber eine verheiratete Frau hat nichts mehr zu fürchten, und darin muss ich der Schwiegermutter ganz recht geben.«

»Aber ich kann mich selber nur mit größter Not hier ernähren«, stöhnte Herr Hufner.«

»Das gebe ich zu«, sagte Ohlers, indem er dem Assessor seinen Becher zum zweiten Mal hinhielt. »Darum hat auch wahrscheinlich Fräulein Schneidmüller einen anderen geheiratet.«

Der Assessor schenkte nicht ein, der Justizrat rauchte nicht mehr, und Herr Hufner sprang von seinem Sitz in die Höhe, als ob er auf heißem Blei gesessen hätte.

»Einen anderen geheiratet?«, rief er dabei und traute seinen eigenen Ohren kaum.

»Ja«, sagte Ohlers so ruhig, als ob er die allergewöhnlichste Geschichte erzählte. »Bitte noch einen Becher, Herr Assessor. Ihr Kaffee ist ganzausgezeichnet; einen jungen sehr hübschen Amerikaner, der sich in sie vergafft hat – noch dazu, ohne die Schwiegermutter kennen zu lernen, denn die lag im Bett und war krank.«

»Aber das ist ja gar nicht möglich, Herr Ohlers«, rief auch jetzt der Assessor aus. »Die junge Dame ist, soviel ich weiß, höchstens fünf Wochen in San Francisco, Ihren Bräutigam aus den Minen zu erwarten.«

»Ihre Berechnung trifft vollkommen zu, Herr Assessor«, sagte Ohlers. »Nach eingezogenen Erkundigungen konnte ihr Bräutigam aber – bitte, geben Sie mir einmal den Zucker herüber – in spätestens sechs Tagen in San Francisco bei ihr sein. Sie hat dagegen das Außerordentliche geleistet und volle vierzehn Tage auf ihn gewartet. Nach dieser Zeit hielt sie sich an nichts mehr gebunden und gab, da sich der Amerikaner sehr gefällig gegen sie zeigte und sie eben nichts anderes zu vergeben hatte, dem jungen Mann ihre Hand.«

Hufner war auf seinen Sitz zurückgesunken, faltete die Hände auf den Knien und sah still und schweigend eine ganze Weile vor sich nieder.

»Ach, mein guter Herr Hufner«, sagte da der Assessor teilnehmend, »ich fühle wohl, dass das ein harter Schlag für Sie ist; aber geschehene Dinge sind nun einmal nicht zu ändern, und am Ende ist es doch auch ein Glück für das arme Mädchen – wie für Sie selber.«

Herr Hufner erwiderte kein Wort, aber er stand langsam auf und ging hinauf in das Zelt, dessen Leinwand er hinter sich fallen ließ.

»Sie haben doch nicht etwa Dolche oder Pistolen da oben liegen?«, fragte Ohlers besorgt.

»Um Gotteswillen!«, rief der Assessor, »der unglückliche junge Mann.«

»Pst«, sagte Ohlers, indem er den beiden winkte, ruhig zu sein. Auf den Zehen schlich er dabei zu dem Zelt hin, den Unglücklichen im Inneren desselben zu beobachten – und er fand sich reichlich dort belohnt.

Ohne einen Laut auszustoßen, aber mit ordentlich Freude leuchtendem Angesicht suchte Herr Hufner keineswegs nach irgendeiner versteckten Waffe, sich das junge Leben zu nehmen, sondern tanzte – zu seiner Schande muss ich es gestehen – tanzte auf einem Bein, rieb sich die Hände, schnalzte mit den Fingern und machte eine Menge anderer Kapriolen, seiner innerlichen Freude so heimlich wie nur irgend möglich Luft zu gönnen.

Ohlers, vollständig beruhigt, dass sich der Mann da drinnen kein Leides antun würde, hätte sich unbemerkt zurückziehen können. Daran aber lag ihm nichts; im Gegenteil schob er die Leinwand noch etwas weiter auseinander und den Kopf hinein und sagte: »Aber mein bester Herr Hufner, Sie müssen sich die Sache nicht so entsetzlich zu Herzen nehmen. Es ist nun einmal nicht mehr zu ändern, und auch am Ende am besten für …«

»Pst, um Gotteswillen«, rief aber Herr Hufner, der wie mit einem Zauberschlag wieder steif und ernst vor ihm stand und ein möglichst trauriges Gesicht schnitt. »Mein guter Herr Ohlers, ich bitte Sie um alles in der Welt …«

»Tut mir leid«, sagte Ohlers, »das können Sie nicht bekommen.«

»Verraten Sie mich nicht«, bat aber Hufner, »bitte kommen Sie herein. Sehen Sie,

Sie werden es gerechtfertigt finden, wenn ich …«

»Froh bin …« fuhr Ohlers fort.

»Leonora«, sagte Hufner.

»Los zu sein«, sagte Ohlers.

»Versorgt zu wissen«, rief aber der frühere Bräutigam. »Ich habe hier keine Aussicht sie und die …«

»Schwiegermutter«, half ihm der Apotheker ein.

»Ja«, seufzte Hufner, »sie und die Schwiegermutter zu ernähren, und bis jetzt habe ich mir die bittersten Vorwürfe gemacht, das arme Mädchen in dieses unselige Land gelockt zu haben. Ich glaubte aber, dass sie so an mir hing, um sich unglücklich und elend zu fühlen, wenn sie ohne mich leben sollte – aber ich sehe, ich habe mich darin geirrt. O, die Weiber, die Weiber.«

»Na, tun Sie mir den einzigen Gefallen, mein guter Herr Hufner«, sagte Ohlers, »und werden Sie nicht sentimental. Das wäre gegen die Abrede. Die Sache ist abgemacht und der Kaffee wird kalt.«

»Aber Sie verraten nicht, dass …«

»Keine Sterbenssilbe – auf Parole«, sagte Ohlers. Ohne ihm weitere Zeit zu lassen, schob er seinen Arm in den des unglücklichen jungen Bräutigams und führte ihn zu dem Feuer zurück.

»So meine Herren«, sagte er, als er dort an kam, »er hat sich jetzt gesammelt; der erste Schmerz ist vorüber. Geben Sie ihm eine Tasse Kaffee, Herr Assessor, und das wird den letzten Rest von Verzweiflung hinunterspülen.«

Der Justizrat, der indessen die Zeit benutzt hatte, sein Frühstück zu verzehren, wollte eben etwas erwidern, denn er hob den Becher, den er noch in der Hand hielt, in die Höhe, als ein Reiter den Hang heraufsprengte und gleich darauf Graf Beckdorf neben ihrem Lagerplatz hielt.

»Hallo Justizrat«, rief er diesem zu, »in den Sattel – die Kavalkade wird gleich vorüberkommen und Ihr Gepäck muss dort unten an die Straße geschafft werden.«

»Alle Wetter«, rief der Justizrat, in die Höhe springend und nach seiner Pfeife greifend. »So früh? Gar nicht gedacht.«

»Wo ist Ihr Maultier?«, fragte Beckdorf über die Eilfertigkeit des Mannes, der dabei nicht von der Stelle kam.

»Maultier? Weiß nicht«, sagte der Justizrat: »im Busch.«

»Das ist eine schöne Geschichte. Sie werden heilig zurückgelassen oder die Damen müssen eine Stunde auf Sie warten; eines so schlimm wie das andere. Nach welcher Richtung ist es ungefähr?«

Der Justizrat beschrieb mit seiner Pfeifenspitze einen Bogen, der etwa den vierten Teil der Erdkugel umfasste, und Beckdorf lachte laut auf.

»Ist es ein Maultier, dem das halbe linke Ohr fehlt?«, mischte sich da Ohlers in das Gespräch.

»Jawohl«, rief der Justizrat.

»Sehr schön – das lehnt gleich da drüben am Weg, etwa fünfhundert Schritt von hier an einer Eiche und schläft«, versicherte der Apotheker, »ich glaubte erst, es wäre ein ausgestopftes, das da hingestellt und halb umgefallen wäre.«

Beckdorf schüttelte den Kopf und rief: »Nun gut, Justizrat, dann raffen Sie nur Ihre Habseligkeiten zusammen und schaffen Sie die Effekten an den Weg hinunter; die Herren helfen Ihnen vielleicht dabei. Ich will indessen hin reiten und Ihr Tier holen.« Und mit den Worten warf er sein Pferd herum und sprengte an dem Abhang hin, weiter oben den Pfad wieder zu treffen und das also bezeichnete und leicht kenntliche Maultier aufzufinden.