Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Schauernovellen – Ritter und Nonne Teil 4

Ferdinand Kleophas
Schauernovellen Band 1
Verlag Franz Peter, Leipzig 1843

Ritter und Nonne
oder
Liebe und Verbrechen im Kloster

Pater Claudin war in das Kloster zurückgekehrt und verbrachte eine schlaflose Nacht, denn das Erscheinen des Ritters hatte ihn mit Entsetzen erfüllt. Er fürchtete ihn noch, wenn er ihn auch hinterlistig und grausam in die Gruft gesperrt hatte, aus welcher sich zu retten, dem Ritter ohne die Gunst des Zufalls unmöglich geworden wäre.

Des anderen Morgens hinterbrachte er dem Prior die Schreckensmär, um zu hören, was dieser für gut finden würde. Dieser aber, der des Abends vorher die Beichte der Äbtissin gehört und ihr ungemein huldvolle Absolution erteilt hatte, vielleicht weil er in ihrem Sündenregister mit inbegriffen gewesen war oder ihre Reue und Tugend durch eine neue Versuchung prüfte, kurz, der fromme Herr stellte dem Pater Claudin alles anheim, indem er hinzufügte, dass es ja seine, des Paters Sache, nun allein und nicht mehr des Klosters Interesse beträfe, den Ritter unschädlich zu machen, denn an eine Rückgabe der Domänen sei nicht mehr zu denken. Der Pater habe nur dafür zu sorgen, dass der Ritter ihm selbst nicht ins Gehege komme.

»Einen besseren Trost hätte ich allerdings von dem Herrn Prior nicht erwarten sollen«, sagte Pater Claudin zu sich selbst, als er wieder in seiner Zelle war und mannigfache Pläne und Entschlüsse in seinem Kopf hin und her wälzte. »Ich bin also auf mich allein beschränkt und will vor allen Dingen sehen, ob ich den Tod des Herrn Ritters auf dem Gewissen haben werde. Ist er der Wolfsgrube entronnen, so wird er der Strafe des Femgerichtes sicher nicht entgehen. Dafür bürge ich mir selbst.«

Während Pater Claudin mit solchen Gedanken umging und mehrere Tage weder das Kloster noch auch seine Zelle verließ, nicht aber vergaß, da- und dorthin horchen zu lassen, ob man etwas von der Anwesenheit des Ritters vernehme, saß Letzterer ruhig auf seiner Burg, die keiner der Bewohner des Tales zu betreten wagte aus Furcht vor dem wandelnden Gespenst der Burgfrau, deren Seele ob ihrer Vergehungen im Leben nicht Ruhe finden konnte und verdammt sein sollte zu rastlosem, nächtlichen Umherirren, bis der Fluch der Kirche von der Burg genommen sein würde, nachdem den Ritter gerechte Strafe ereilt sei. Dem Ritter aber war sie noch nie erschienen, weder in freundlicher noch schreckender Weise. Und doch hätte er es gewünscht, sie einmal zu sehen, selbst wenn ihr Geist ihm gezürnt hätte.

Am Abend des auf das nächtliche Abenteuer folgenden Tages begab sich des Ritters Getreuer auf die Jagd in die nahen Waldungen, um Vorrat für die Küche zu erbeuten. Den Ritter aber sehen wir in die Gruft steigen und den unterirdischen Gang betreten.

Als er in die Gruft unter der Kirche der Nonnen gelangte, war eben die Hora vorüber und die Nonnen entfernten sich langsam, ihre Rosenkränze abmurmelnd. Ritter Bruno stieg, nachdem er vorsichtig gelauscht hatte, auf der Leiter empor, öffnete die Falltür und sah mit unbeschreiblichem Entzücken die schöne Jungfrau betend auf den Stufen des Altars knien. Ihr Gebet war aber heute vielleicht weniger inbrünstig als am vorhergehenden Abend, denn kaum hatte der Ritter einige leise Schritte in die Kirche getan, als sie ihr Gebet mit einem lauten Amen endete, sich rasch nach dem Ritter umwendend, mit freudestrahlendem Antlitz auf ihn zueilte und ihre Arme um seinen Nacken schlang. Er küsste sie auf die Stirn und diese Berührung goss wiederum ein unheimliches Feuer durch seine Adern, sodass er unwillkürlich den süßen Leib der kindlich ergebenen Jungfrau näher an sich zog und seine Lippen auf ihre sich schließenden Augen drückte.

Dann aber wand sie sich aus seinen umstrickenden Armen und rief: »Herr Ritter, Ihr habt eine Tochter gehabt und sie geliebt. Könnt ihr die Gefühle Eures Herzens von der Tochter, die nun tot ist und Eure Liebe nicht erwidern kann, nicht auf eine Lebende übertragen, die Euch liebte, ehe sie Euch sah; die Euch vertraut und Euch mit einem zärtlicheren Namen nennen möchte, als Herr Ritter. Darf ich Euch Vater rufen?«

»Nennt mich nicht Vater, holde Jungfrau, denn ich kann und darf Euch nicht Vater sein. Ich liebe Euch, ja fürwahr, ich liebe euch! Aber …«

»Nun, wenn Ihr mich nur liebt, wenn Ihr mich nur recht herzlich und innig liebt, dann werdet Ihr auch mein Beschützer sein und mich nicht Nonne werden lassen, wovor mir Tag und Nacht graut. Ich möchte wohl mit Euch aus diesem Kloster fliehen und Euch mein ganzes Leben lang angehören.«

»Ich will dich befreien aus diesem Klosterzwang, mein holdes Kind«, sagte der Ritter, »aber einige Tage werden hingehen, bevor ich die nötigen Anstalten zur Flucht getroffen habe.«

»Das wollt Ihr, Ritter? O, dann soll ich bei Euch bleiben, soll Euch begleiten, wohin Ihr auch geht? Aber wenn ich Eure Tochter nicht sein kann und Euch doch liebe, und ihr sagt, dass ihr mich wieder liebt. Was werde ich Euch dann sein dürfen?«

»Es gibt noch ein Band, das die Liebe zweier Wesen heiligt«, sagte der Ritter, mit unsicherer Stimme, denn er zitterte vor dem Gedanken, den er aussprechen wollte.

»Und wie heißt dies Band?«, fiel ihm die Jungfrau begierig ins Wort.

»Das Band der Ehe«, stieß der Ritter heraus, denn es war ihm, als solle er mit diesen Worten die engelgleiche Jungfrau ins ewige Verderben ziehen.

»Das Band der Ehe?«, fragte die Jungfrau sinnend und fügte mit errötenden Wangen hinzu, »dann würde ich Eure Gattin werden?«

Der Ritter antwortete nicht. Die Glut, die durch seinen Körper fieberte, nahm seine Besonnenheit gefangen. Als der schleppende Schritt der alten Klosterschwester im Gang hörbar wurde, trennten sich die glühenden Lippen des Ritters von dem bebenden Rosenmund der Jungfrau.

Die Einsamkeit seines Gemaches, die Ruhe und Stille der Nacht erweckten in Ritter Bruno bei seiner Rückkehr ein reiferes Nachdenken, als man von ihm, nachdem er sich von seiner Sinnenglut so sehr hatte hinreißen lassen, hätte erwarten sollen. Die trüben Gedanken, welche sowohl heute als auch gestern Abend die Särge seiner Lieben in ihm aufgeregt hatten, suchte Ritter Bruno dadurch zu bannen, dass er sich überreden wollte, er werde nun an diesem unglücklichen Opfer offenbar trauriger Verhältnisse wiedergutmachen, was er an seiner Gattin verschuldet, an seiner Tochter vernachlässigt hatte, und wenn er auch fühlte, dass vor der strengen Moral sein Tun viel von dem Wert verliere, den er ihm beizulegen trachtete, so verfehlte doch die reizende Aussicht in eine schönere Zukunft nicht, ihn zu trösten und zu Anstalten zu ermutigen, welche ihn und die Jungfrau der Rache des Klosters entziehen sollten.

Während er noch in tiefes Sinnen versunken in die Gegend hinausstarrte und mit den Augen die Entfernung maß, in welcher das Nonnenkloster von seiner Burg lag, erschallte plötzlich das Klopfen eines Hammers am Burgtor, und dann ein dreimaliger, in kurzen Pausen wiederholter dröhnender Schlag mit dem eisernen Klöpfel des Tores.

Gleich darauf trat sein treuer Leibknappe ein und rief mit todblassem Gesicht: »Habt Ihr es gehört, gestrenger Ritter? Ihr seid vor den Stuhl der Feme geladen!«

»Geh hinab, Siegbert«, entgegnete der Ritter, »und reiße die Ladung herab, wirf sie in den Graben und rüste dich zur geheimen Flucht. Wir werden ihrer drei sein und morgen Abend aufbrechen.«

»Wäre es nicht besser noch diesen Abend?«, ermahnte der Knappe, »mir bangt vor der Feme.«

»Lass dir nicht bangen«, sagte der Ritter, »drei Tage und drei Nächte gibt sie Frist, dann erst rächt sie sich an dem Ungehorsamen. Unsere Begleiterin aber wird morgen eintreffen.«

»Begleiterin?«, wiederholte der Knappe, der unter jetzigen Verhältnissen wohl ein Wort mehr sagen durfte als sonst, wo auf seine Kühnheit vielleicht das Burgverließ gefolgt wäre.

»Ja, eine Begleiterin werden wir haben«, entgegnete der Ritter »und zwar aus dem Kloster da unten.«

»Eure Tochter?«, fragte freudig erschreckt der alte Diener.

»Meine Tochter! Nein! Die schläft den ewigen Schlaf.«

»Gestrenger Herr, so wollt Ihr neuen Fluch auf Euch laden und eine Nonne entführen?«

»Geh, reiße die Ladung des Femgerichtes vom Tor und tue, was sonst von Nöten«, sprach nun der Ritter und wendete sich ab von dem redlichen Diener, durch dessen Schwätzerei er sich nicht in einem Entschluss wankend machen lassen wollte, von dem er glaubte, dass er ihn um der Jungfrau willen gefasst habe, an dessen kühner Ausführung aber die Erwartung eines reizenden Glückes tätig half.

Siegbert tat wie ihm geheißen. Ritter Bruno widmete einige Stunden der Ruhe und der kommende Tag verging unter Zurüstungen zur Reise. Endlich erschien der Abend, vom Ritter heiß ersehnt, vom Diener bang gefürchtet.

Unter dem Vorwand, seiner Gattin Sarg noch einmal zu besuchen, begab sich der Ritter in die Totengruft. Hier schlug mächtiges Entsetzen durch seine Glieder; der Sarg Adelines stand nicht mehr am gewohnten Ort, stand – welche geheime Kraft der Vorsehung mochte ihn bewegt haben – quer vor der eisernen Tür, welche den unterirdischen Gang zum Kloster verschloss.

Der Ritter versuchte eine Gebetsformel zu sprechen, aber die Worte verließen seinen Mund nicht, sie erstarben auf der Zunge.

»Die himmlischen Mächte lassen mein Gebet verstummen. So helfe mir eine andere Macht, der ich vielleicht schon jetzt mit Leib und Leben angehöre«, rief der Ritter in fürchterlicher Entschlossenheit.

Da erschütterte ein schwerer Schlag das Gewölbe, ein feuriger Schein erleuchtete es, die Särge seiner Vorfahren öffneten sich, ihre Gebeine richteten sich drohend empor und aus dem Sarge Adelines rief eine geisterhafte Stimme: »Bruno!«

Dann verschwand der Schein. Beim matten Leuchten seiner Kerzen, sah Ritter Bruno den Sarg seiner Adeline an der gewohnten Stelle, die Särge der Voreltern geschlossen und die Tür des Ganges weit geöffnet.

Das Haar des Ritters hatte sich gesträubt, die Stimme des Grabes ihn durchbebt, aber dennoch nahm er die verhängnisvolle Richtung zur Tür. Noch einmal rief die Stimme lauter und warnender seinen Namen, aber er stürzte sich in den Gang und erreichte schweißgebadet das Grabgewölbe des Klosters. Hier hatte er Zeit, sich zu erholen, denn die Hora war noch nicht zu Ende.

Endlich nahte der Augenblick, wo er die geliebte Jungfrau sehen und sprechen, wo er sie mit sich nehmen sollte, um sich nie wieder von ihr zu trennen.

Er stieg hinauf zur Kirche und fand die freudig Wartende. Er schloss sie in seine Arme, ihre zarten Glieder bebten vor Wonne, als er ihr verkündete, dass sie in diesem Augenblick mit ihm gehen solle. Er trug die süße Bürde die Leiter hinab, ließ der bangen Jungfrau nicht die Zeit, im Totengewölbe forschend zu weilen und eilte mit ihr durch den unterirdischen Gang. Hier aber konnte er es nicht verhindern, dass Blanka die schauerlichen Zeichen barbarischer Klosterstrafen sah und fragte, was wohl hinter dem frischen Mauerwerk verborgen sei.

»Unglückliche Opfer der Klosterstrenge«, erwiderte flüchtig der Ritter und schritt rasch vorüber.

»Ich verstehe Euch nicht«, sagte Blanka, »aber geträumt hat mir vorige Nacht von diesem Ort und ich befand mich hinter solcher Mauer, wie in einem Sarg, und hörte die Grabgesänge meiner Schwestern.«

Dem Ritter schauerte bei diesen Worten, die absichtslos und ohne Furcht von den Lippen der Jungfrau flossen. Alles, selbst die Unbefangenheit dieses Mädchens, schien sich zu vereinigen, ihm seinen Mut zu rauben. Ihm bangte vor dem Totengewölbe seiner Burg, je mehr sie sich dem Ausgang näherten.

Was konnte sich noch ereignen!

Sie traten hinein. Der Sarg Adelines stand offen. Blanka sah hin und rief: »Eine schöne, bleiche Dame, in diesem Gewand, erschien mir öfters im Fieber, und seit zwei Nächten im Traum.«

Der Ritter drängte die zögernde Jungfrau zur Leiter und hob schnell den Deckel auf den Sarg.

Aber kaum hatte Blanka oben den Ausgang erreicht und der Ritter die Leiter betreten, um ihr zu folgen, als der Deckel vom Sarge wieder herabflog und der Leichnam der Burgfrau, in seiner ganzen Länge sich emporrichtend, mit der Rechten dem Ritter winkte.

»Bruno!«, schallte es hohl durch das Gewölbe.

»Bruno!«, rief es zum zweiten Mal, als der Ritter bebend die letzte Sprosse erreicht hatte.

»Bruno!«, tönte es noch einmal kläglich, als dieser die Tür dröhnend hinter sich zuwarf.

Die Altarkerzen, die er vor seinem Hinabsteigen angezündet hatte, waren verloschen und nur noch spärlich brannte eines der mitgenommenen Lichter. Er verließ mit seiner Schutzbefohlenen die Burgkapelle und stieg in das wohnliche Zimmer, das früher Adeline gehört hatte, als sie noch nicht in den Armen des Bruders auf jenem Ruhebett, das heute wie damals einladend entgegenwinkte, eine Liebe kostete, die sie um die Seligkeit eines anderen Lebens betrog.

»Blanka, in diesen Klostergewändern dürfen wir nicht fliehen. Du musst sie ablegen und dich mit Gewändern schmücken, die dich auch weit besser zieren werden«, sagte der Ritter zu Blanka, die ihre Augen in dem wohlgehaltenen, schönen Zimmer umherstreifen und sich mit wenigen Worten überreden ließ, gleich zur Umkleidung zu schreiten. Der Ritter brachte aus seiner Gattin Kleiderkammer herbei, was Zeit und Motten verschont hatten und sich für Blanka zur Reise schickte.

Blanka, welche nur mit den einfachen, klösterlichen Gewändern umzugehen wusste, geriet beim Umkleiden in nicht geringe Verlegenheit. Der Ritter hatte sich aus Achtung vor der unbefangenen Unschuld der Jungfrau und der Schwäche seines sinnlichen Wesens misstrauend, auf so lange Zeit aus dem Gemach entfernt, wie er zur Vollendung der Toilette hinreichend glaubte. Allein bei seiner Rückkehr fand er Blanka noch nicht zur Reise gerüstet. Sie begehrte seine Hilfe. Aber auch der Ritter verstand besser, einen Panzer umzuschnallen, als ein Korsett anzulegen. Ach! Und leider war das Misstrauen, das er vorhin in sich selbst gesetzt hatte, nur zu gerecht gewesen.

Blanka, die reine, keusche Jungfrau meinte eine Pflicht der Dankbarkeit zu erfüllen, wenn sie sich den Liebkosungen des Mannes ergab, der sie zu retten und glücklich zu machen versprach. Sie ahnte nicht das Ziel, wohin die Glut der Zärtlichkeit führen musste, welche auch in ihr ein Feuer anfachte, das sie mit einem unbekannten Entzücken erfüllte und ihren Widerstand schwächte, als sie auf das seidene Ruhebett sank, welches dem Ritter schon einmal in verbrecherischem Taumel die höchste Wonne der sinnlichen Liebe gegeben hatte.

Da erhellte plötzlich ein feuriger Glanz das Zimmer, eine Gestalt schwebte in ihm. Die Trunkenen sahen nichts; es war Adelines warnender Geist.

»Bruno!«, rief es leise und zärtlich im Gemach, doch der Ritter hörte nichts.

Das Schreckliche geschah.

Adelines Geist verschwand mit den Zeichen höchsten Entsetzens. Grabesluft wehte durch das Gemach und löschte die Kerzen.

Da erscholl plötzlich das Klopfen wieder am Tor und weckte den Ritter aus seinem Taumel. Er sprang auf und rief nach Siegbert, seinem Getreuen. Der erschien schnell und murmelte, die Lichter anzündend: »Habt Ihr die zweite Mahnung der Feme gehört?«

»Ich habe sie gehört, Siegbert; drum lass uns aufbrechen und fliehen.«

»Ihr nehmt Eure Braut auf den Knopf Eures Sattels?«

»Ja. «

Siegbert schielte nach Blanka, die verschämt ihre Gewänder ordnete.

»Herr Ritter! Verzeiht!«, rief er plötzlich, »dort, dort, Eure Braut?« Seine Stimme bebte.

»Ja, Siegbert! Was fehlt dir?«

»Eure Braut? Eure Braut? O nein, nein! ich täusche mich nicht, mich hat Satan nicht geblendet. Es ist Eure Tochter!«

»Siegbert!«, rief der Ritter, denn eine grässliche Ahnung, überkam ihn. »Meine Tochter ruht in der Gruft des Klosters, ich selbst habe sie gesehen.«

»Du hast ihr Bild in Wachs gesehen«, rief eine Stimme hinter ihnen und Pater Claudin zeigte sich zornglühend ihren Blicken.

»Es ist Eure Tochter Mathilde«, rief Siegbert.

»Ja, Mathilde hieß ich ehedem«, sagte mit bebender Stimme die Jungfrau.

Da erscholl furchtbar drohend, wie der Donner des Himmels, die Stimme des Mönches: »Sie ist geschändet vom leiblichen Vater. Die Gnade des Himmels möge ihr werden. Ihn trifft ewige Verdammnis. Auf ihn lastet der Fluch der Blutschande, der er zweimal schuldig geworden ist.«

Ein leiser Schrei tönte aus schwer beengter Brust. Mathilde, denn sie war es, des Ritters leibliche Tochter, knickte wie eine weiße Lilie zusammen. Siegbert fing sie auf.

»Siegbert«, sagte der Mönch, »helft die Unglückliche ins Kloster zurückbringen. Hier darf sie nicht verweilen.«

Die beiden Männer trugen die Ohnmächtige davon. Der Ritter ließ es geschehen. Er war vernichtet. Das Gewicht seines Verbrechens, die Schwere seines Fluches drückte ihn zu Boden, er versank in eine tiefe Ohnmacht.

Acht Tage nach diesem Ereignis trug man sich im Tal mit der schrecklichen Mär, es sei eine junge, schöne Nonne im Kloster eingemauert worden, weil sie ihrem himmlischen Bräutigam untreu geworden und mit ihrem leiblichen Vater in verbrecherischem Umgang gelebt habe.

»Das Letzte ist wohl sehr große Sünde«, sagten die Bewohner des Tales, »doch um des Ersten willen müsste das ganze Kloster vermauert werden. Sie rächen aber diese Abtrünnigkeit einer Nonne nur dann, wenn sie mit einem anderen als einem der lüsternen Mönche des benachbarten Klosters ein sündiges Einverständnis gehabt hatte.«

So urteilte man im Tal und schimpfte auf die Unzucht der Nonnen und Mönche, während man sich bekreuzigte und segnete und das grässliche Ende der armen Sünderin bedauerte.

Siegbert kehrte nicht mehr zum Ritter zurück. Er floh von der Burg und aus dem Tal, denn es war ein alter frommer Mann, der nicht teilhaben mochte an solchem blutschänderischen Fluch.

Ritter Bruno aber hatte die Feme zum dritten und letzten Male geladen und er war nicht erschienen. Man erklärte ihn für vogelfrei und setzte einen Preis auf seinen Kopf und sein Leben. Niemand aber wagte sich an dem unglücklichen Ritter zu vergreifen, der mit irrem Blick des Nachts in den dichten Waldungen umherschweifte und am Tage in den Hallen seiner Burg schallenden Trittes umherging.

 

*

 

In dem nahen Wald gab es eine wildschöne, romantische Stelle. Zwei hohe, steile Felsen bildeten eine Pforte, durch die sich ein rauschender Bergstrom ergoss, aber ihre Gipfel berührten sich nicht. Die Hand der Menschen hatte einen schmalen, schwankenden Steg darüber hinweggelegt, einen Steg, den nur die verwegenen Wildschützen passierten, wenn sie, verfolgt, sich um den Preis des Lebens zu retten versuchten. Hier war der Lieblingssitz des Ritters. In mondhellen Nächten sah man ihn diesen Steg wie eine Gämse sicher und ruhig betreten. Er setzte sich in dessen Mitte und starrte hinab in die Tiefe, wie um Trost und Beruhigung für sein hart gequältes Herz heraufzubeschwören. Er saß auch auf diesem Steg, wenn gräuliches Wetter durch die Natur stürmte und der Orkan den Schauersitz erbeben ließ, wie das flüchtige, zitternde Laub des Baumes. Der Ritter glich dann einem Aar in den sausenden Gipfeln der Eichen, der sich von dem brausenden Sohn der Natur, dem Sturm, schaukeln lässt.

Pater Claudin war sein Gefährte. Ihn litt es wenig in seiner dumpfigen Zelle. Er musste hinaus in das Freie und Zerstreuung suchen in den wildromantischen Teilen des Thales und der Berge. Auch er wählte oft diesen schauerlichen Sitz und schaute hinab in die Tiefe, die ihn wie eine Pforte der Hölle angähnte. In seinem Busen wühlte das peinigende Gefühl unbefriedigter Rache, gleich dem ewig quälenden Durst, dem kein süßer Trank Linderung verheißt. Er hatte sich an dem keuschen Leib der Tochter des Ritters rächen wollen. Jahrelang hatte er das Feuer seiner Begierden gebändigt, hatte das Kind zur Jungfrau reifen lassen, sie geschützt gegen die Verführungen des Klosters, um sie sich rein und keusch zu erhalten. An jenem Abend hatte er sehen müssen, wie sein gehasster Feind die Frucht seiner Mühen im Taumel der Sinne pflückte, hatte sehen und hören müssen, wie die Tochter in den Armen des teuflisch verblendeten Ritters girrte, wie einst Adeline an derselben Stelle, von seinem Arm umstrickt, gefallen war.

Der ganze Hass der Hölle kochte in seinem Busen. Nur einen einzigen Tropfen Linderung für den brennenden Rachedurst begehrte er zu finden und fand ihn auf seinen Wanderungen. In einer stürmischen Nacht wählte er jenen Steg zum Sitz. Der Sturm brauste durch die Gipfel der Bäume. Das Gewand des Mönches flatterte in der Luft, um sein entblößtes Haupt trieb sich das welke Laub und wirbelte dann hinab in die schauerliche Tiefe.

Da nahte der Ritter, seinen Ruhesitz zu suchen und fand ihn besetzt vom feindlichen Mann.

»Heuchlerische Brut des Klosters, wollt Ihr Euch da hinabstürzen – he! Dann sagt mir erst, wo Ihr meine Tochter habt?«, rief er dem Mönch zu und trat mit einem Fuße auf den Steg. Der Steg wankte, aber der Mönch blieb ruhig sitzen und sagte: »Komm her, du edler Ritter, edel und mutig die Schwester zu verführen und die Tochter zu schänden. Komm her, du Sohn des Teufels, ich will dir sagen, wie deine Tochter dich verfluchte, und wie sich gebärdete, als man sie einmauerte, und wie ein von Verwesung und Gift zerfressener Kadaver in reichen Grabgewändern erschien und dem Maurer Hammer und Kelle entriss, als er den letzten Stein einsetzen wollte, und deine Tochter jämmerlich weinte und um Rettung flehte. Aber ein wenig Weihwasser entfernte den Schatten der Unterwelt und bald tönte hohl und hohler das Schluchzen, das Schreien und …«

»Halte ein, Scheusal!«, donnerte der Ritter und stürzte auf den Steg, der fürchterlich schwankte. »Mächte der Hölle steht mir bei, diesen Gesellen euch zu senden, öffnet eure grausige Pforte da unten.«

Er packte bei diesen Worten den Mönch, aber dieser fasste ihn wieder; die Verzweiflung lieh ihm Kraft. Sie rangen um Leben und Tod. Das morsche Brett bog sich tiefer und tiefer und bei einer zweiten Kraftanstrengung der verzweifelnden Kämpfer brach der Steg, Ritter und Mönch verschwanden in der schauerlichen Tiefe.

Die Hand des Menschen hat keinen Steg wieder über den Abgrund gelegt. Allnächtlich aber sitzt ein Gespenst auf luftiger Brücke; in einer Nacht gleicht es einem Ritter, in der anderen einem Mönch.

In dem unterirdischen Gang aber hört man allnächtlich ein trauriges Wimmern, ein klägliches Rufen. Es find die Geister Adelines und Mathildes, die nach Erlösung schmachten.