Heftroman der

Woche

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Allerhand Geister – Eine dunkle Macht – Teil 1

Allerhand Geister
Geschichten von Edmund Hoefer
Stuttgart. Verlag der I. G. Cotta’schen Buchhandlung. 1876

Eine dunkle Macht

Er ging im Zimmer auf und ab, mit ungleichmäßigem Schritt. Die Kleidung hing ihm unordentlich auf dem Leib, der Knoten des Halstuches war weit zur Seite geschoben, die Wäsche zerknittert, die Weste nur mit einem Knopf und obendrein schief geschlossen. Er hatte, da ich eingetreten war, auf dem Sofa gelegen und schien geschlafen zu haben. Sein Blick traf mich, als ob er mich kaum recht erkenne. Erst, als ich mit einem Scherz über sein Aussehen zum Tisch trat und mir eine Zigarre nahm, blickte er mich klarer an, erhob sich mit einem Ruck, deutete auf die eben verlassene Ecke und sagte: »Das trifft sich gut, Fritz. An dich dachte ich grade. Setz dich, ich muss dir allerhand erzählen.« Aber statt weiterzusprechen, hatte er seinen Gang durchs Zimmer begonnen.

Und dieser Gang währte noch immer fort. Ein paarmal murmelte er etwas vor sich hin, das ich jedoch nicht verstand. Zuweilen fuhr er mit der Hand durch das schöne, sonst so gepflegte und nun so verwirrte Haar. Hin und wieder traf sein Blick auf mich und die Lippen öffneten sich, als wollte er endlich zum Sprechen kommen. Aber der Blick wandte sich von Neuem ab, die Lippen schlossen sich wieder und es wurde kein Wort laut. Von einer besonderen Überraschung war bei mir trotzdem keine Rede, denn ich hatte ihn neuerdings schon öfters in ziemlich ähnlicher Verfassung gesehen. Nur währte es heute länger als sonst, so wurde mir allmählich einigermaßen langweilig. Ich sagte daher zuletzt auch etwas ungeduldig: »Nun werde endlich einmal vernünftig, Eugen, und wenn du mir wirklich etwas zu sagen hast, so schieße los. Vom Sehen habe ich nachgerade genug.«

Er blieb wie mit einem Ruck stehen und schaute mich finster an. »O weiser Daniel!«, sprach er voll Bitterkeit. »Ich möchte wohl wissen, was dein kalter Kopf machte, wenn er sich, wie der meine, mit den schwersten Fragen des Diesseits und Jenseits abzuplagen hätte!« Er wandte sich und schritt gegen das andere Ende des Gemachs.

Ich kann nicht behaupten, dass mich diese Worte ernster stimmten, denn ich, oder vielmehr alle seine Genossen kannten ihn und ähnliche Launen gut genug. Und so fragte ich denn auch nur seelenruhig: »Wo hast du dir aber einen so allmächtigen Katzenjammer?«

Er blieb von Neuem stehen und schaute mich nicht weniger finster an. »Katzenjammer?«, wiederholte er bitter. »Irre dich nicht, Fritz! O, mir ist es ernst genug! Es ist nichts mehr mit der Welt. Am liebsten schösse ich mir eine Kugel vor den Kopf!« Er schritt weiter.

»Suche dir lieber einen Strick,« sagte ich, das Lachen verbeißend, »dann schneide ich dich zur rechten Zeit ab, und deine Beobachtungen über die letzten Lebensregungen würden für die Wissenschaft und mich von hohem Wert sein.«

Er stand und schaute mich mit einer Art von Grimm an, aber ich merkte an dem Zucken in seinen Zügen, dass mein Mittel gewirkt hatte. Und richtig, als er kaum hervorgestoßen hatte, Fritz, du bist ein herzloser Mensch, wandte er sich auf dem Absatz um, brach in ein ungestümes Gelächter aus, kam dann zu mir, wischte sich die Tränen aus den Augen und rief, meine Hand schüttelnd: »O, Medikus, großer Medikus, das war der genialste Einfall deines ärztlichen Gehirns! Aufhängen … abschneiden … Wissenschaft dienen … es ist nicht zu sagen!«

»Na, Gott lob!«, sprach ich kaltblütig und erhob mich, »so bist du denn endlich aufgewacht! Und nun bringe dich auch äußerlich in Ordnung und lass uns gehen. Ich wettete mit Moski um ein paar Flaschen Sekt, dass ich dich trotz aller Selbstmordgedanken in den Wille’schen Garten bringen würde. Komm, sie werden schon alle da sein.«

»Ein paar Flaschen? Das ist eigentlich nicht verlockend!«, meinte er achselzuckend und trat zum Spiegel, um sich das Haar zu bürsten. »Aber ich weiß ja, es werden wohl einige mehr werden. Und da kann ich dich deine Wette doch nicht verlieren lassen. Du würdest stets mit Missmut an den armen Eugen denken! Sieh, so macht das Leben bis zum letzten Augenblick Ansprüche an uns!« Damit kehrte er zu mir zurück, schob sich Zigarren in die Tasche, drückte sich den Hut aufs Ohr. »Zu deinen Diensten, mein Lieber!«

Die Leser dürfen nicht glauben, dass meine Schilderung eine übertriebene ist. Die Szene spielte sich wirklich ab, wie ich angegeben habe, und war keineswegs die einzige ihrer Art. Eugen war von jeher ein ausgelassener und meisterloser Patron gewesen, dem gegenüber selten etwas wie eine Vorausberechnung zutraf – ein Mensch, den man zu jeder Zeit zu jedem tollen Streich aufgelegt fand und zum Kameraden dabei hatte. Er war von Jugend auf in den glücklichsten Verhältnissen gewesen, der Sohn eines reichen, nicht gar zu strengen Vaters, des Medizinalrats Heine, und einer fast nur allzu zärtlichen Mutter. Verdenken konnte man ihr diese Liebe für den einzigen Sohn umso weniger, wie sich in der Tat gar kein frischerer, gesunderer, schmuckerer Bursche denken ließ und er obendrein von einer unbesieglichen Fidelität, einer so zu sagen geistvollen Lustigkeit und einer Liebenswürdigkeit war, der niemand zu widerstehen vermochte, auf dessen Besiegung er es anlegte, und die, wo er es in irgendetwas oder mit jemand einmal versehen hatte, alles spielend wieder gut machte. Ebenso ging es auch anderwärts. Seine Begabung war eine ungewöhnliche und seine Fähigkeiten waren die glänzendsten: Die eine wie die anderen ersetzten und glichen stets wieder aus, was Nachlässigkeit und Leichtsinn versäumt und verloren hatten. Und wiederum kam dazu, dass sich zwischen seine zahllosen wilden, ausgelassenen, törichten oder auch wohl einmal dummen Streiche, meines Wissens nicht ein einziger schlechter mischte, der ihn die Achtung und das Vertrauen der seinen gekostet hätte; und endlich, dass er nie und nirgends in eine Klemme geriet, sondern stets lachend herauszuschlüpfen verstand und, wo ein anderer beinahe den Hals gebrochen haben müsste, mit katzenhafter Gewandtheit und eben solchem Glück auf seine Füße fiel.

Kurz, ärgern musste man sich oft über ihn und an Kopfschütteln fehlte es zu keiner Zeit, aber ihm böse zu bleiben, vermochte niemand, und wo es jemand ein-mal recht ordentlich ernst mit ihm meinte, seine Eltern, seine Vorgesetzten einen großen Tadel- und Strafakt in Aussicht genommen hatten, löste sich alles gewöhnlich in das reine Wohlgefallen und ein kaum zu verbeißendes Lachen über den unverbesserlichen und unwiderstehlichen Wildfang auf.

Von Sorgen und Entbehrungen, wie das Leben sie den meisten nur allzu häufig aufzuerlegen pflegt, hatte er im Grunde niemals etwas erfahren. Die bittere Notwendigkeit, sich etwas versagen zu müssen, an dem das Herz hängt, war ihm stets erspart worden, und wo er ging und stand, bei allem, was er trieb oder auch einmal nicht trieb, fand er das Glück auf seinen Wegen. Dass er, wie bei aller Welt, auch bei den Frauen beliebt war, brauche ich nicht erst zu versichern. Sie lachten über ihn und mit ihm, sie zankten mit ihm und schmollten mit ihm, gern aber hatten sie ihn alle, und ich glaube nicht, dass er sich, wo er einmal Ernst gemacht hätte, damals leicht einen Korb geholt haben würde. Aber von einem solchen Ernst hatte bisher kein Mensch jemals etwas bemerkt: Er liebte sozusagen alle und nicht eine, und wo er sich trotzdem irgendeinmal einer einzelnen augenblicklich angelegentlicher widmete, konnte man mit Sicherheit darauf rechnen, dass er nur umso schneller und lustiger zu einer anderen hinüberflattern würde – wohlverstanden, ohne es darum mit der Ersteren zu verderben. Ich muss es wiederholen: Man konnte ihm nicht böse sein.

Das alles war so fortgegangen von seiner frühesten Jugend an, während der Studienjahre und der folgenden – man darf wohl sagen: Examinationszeit, ja auch als er zu Amt und Würden gelangte, mit denen er es selbst-verständlich nicht gar zu schwer nahm. Er war seine sieben- oder achtundzwanzig Jahre alt geworden, das heißt, zu der Zeit gelangt, wo jedermann allmählich ernster zu werden beginnt und nicht mehr bloß für die lustige Gegenwart, sondern auch hin und wieder einen, keineswegs immer heiteren Blick für die Vergangenheit und Zukunft übrig zu haben pflegt. Eugen blieb der Alte, er ward nicht satt und nicht müde, er erinnerte sich nicht und er sorgte nicht, er hatte niemals Mangel an übermütigen Einfällen und stets Lust und Geschick zu ausgelassenen Streichen und blieb nach wie vor die Seele seines Kreises.

Da – mit einem Mal ging eine auffällige Veränderung mit ihm vor, ja es schlug sein gesamtes Wesen und Treiben von Zeit zu Zeit und für eine Weile sozusagen in das Gegenteil um. Seine bisher unverwüstlich gute Laune war nun nicht selten die übelste und verdrießlichste von der Welt. Statt zu scherzen, erging er sich in Grobheiten, und wo er sonst geneckt hatte, verletzte er nun. Er, der sauberste, ja eleganteste Mensch, wurde in Ansehung seiner äußeren Erscheinung häufig genug mehr als nachlässig; er, der Geselligste, floh plötzlich die Gesellschaft und den Kreis der Bekannten; er, der allen in Lust und Lärm und Beweglichkeit vorangegangen war, hockte nun oft träumerisch oder melancholisch, verstummt in der Ecke und konnte einen Aufmunterungsversuch auf das Bitterste übel nehmen; er, der Gesundeste, den man finden konnte, plagte sich und andere mit hypochonderen Vorstellungen von Gott weiß welchen Leiden und Krankheiten; und er endlich, der Zufriedenste und Leichtlebigste, der von keiner Schwierigkeit etwas wusste, der alles umher im rosigsten Licht sah, er gebärdete sich zuweilen wie ein wahres Unglückskind. Er verzweifelte schier an allem Glück und behauptete, keinen Stern mehr in der Nacht seines Daseins entdecken zu können. Von irgendeiner Veranlassung hatte niemand auch nur eine Ahnung. Wo man einmal auf etwas wie eine Erklärung verfiel, erwies sich dieselbe stets alsbald als nicht stichhaltig. Und er selber ließ sich niemals zu einer genügenden Antwort auf neugierige oder besorgte Fragen der seinen herbei.

Genug, er hätte einen angst und bange machen können, wäre sein ganzes gegenwärtiges Behagen und Gebaren nicht ein so gewaltsames und übertriebenes gewesen, dass man kaum jemals recht an den Ernst desselben, geschweige denn an eine wirkliche Gefahr für ihn glauben konnte. Wo er einen zuweilen im ersten Augenblick beinahe erschreckte, zwang er ihn im nächsten schon zu einem erleichternden Lachen; die Leser waren ja Zeugen einer solchen Szene. Und was noch viel mehr beruhigte, war, dass die verzweifelnde, weltverachtende und sterbenslustige Stimmung nichts weniger als vorzuhalten pflegte, vielmehr häufig auf den geringsten Anstoß hin in das Gegenteil umschlug und den tollen Menschen ganz und gar in seiner altbekannten Weise erscheinen ließ.

So war es also auch nun gegangen, und was im Zimmer begonnen hatte, vollendete sich, um mich so auszudrücken, auf der Straße. Seinen Arm in den meinen geschoben, die Zigarre zwischen den Lippen, das Augenglas eingekniffen, den Hut, wie gesagt, aufs rechte Ohr gedrückt, mit dem Stöckchen in der Lust umherfuchtelnd, ließ er sich von mir nicht fortziehen, sondern zog mich davon, als der kreuzfidelste und sorgloseste Mensch von der Welt. Wo bisher ich der Spötter und Necker gewesen war, da übernahm nun er diese Rolle gegen mich und alle Welt, mit der besten Laune und in unwiderstehlich komischer Weise. Er plauderte, er witzelte, er lachte und erging sich in den lustigsten Einfällen, er band sozusagen, mit jedem Begegnenden an. Es gab in der Stadt keine Katze, geschweige denn einen Menschen, den er, oder der ihn nicht gekannt hätte. Die umherspringenden Kinder, die ehrbaren, vor ihrer Tür feiernden Handwerker, das Mädchen am Brunnen, ein hübsches Kind am Fenster, sie alle bekamen ihr Teil – einen Scherz, eine derbe Neckerei, einen Gruß, einen koketten Blick. Und wer uns von Bekannten auf dem Weg selber entgegenkam, musste Rede stehen.

Kurz, es war etwas wie ein Rennen mit Hindernissen und für ein so ruhiges Menschenkind, wie ich, eine schwere Geduldsprobe. Ich atmete daher auch, als wir endlich das Tor passiert hatten, ordentlich erleichtert auf und sagte einigermaßen verdrießlich: »Was zu toll ist, ist zu toll, Eugen! Mit dir gehe ich im Leben nicht wieder. Das ist ja, als ob du den hellen Teufel im Leibe hast!«

Da blieb er stehen, packte meinen Arm mit krampfhaft festem Griff, schaute mich mit einem schier leuchtenden Blick an und sprach hastig: »Fritz, du bist ein großer Mann! Das ist eine glänzende Diagnose! Den Teufel im Leibe – ja, das ist es! Na, Gottlob, jetzt, da wir den Feind kennen, werden wir seiner doch wohl Herr werden. Fritz, ich ernenne dich feierlich zu meinem Leibdoktor!«

Ich schaute ihn von oben bis unten an – was war das? Als Witz war es zu ernst gesagt und zugleich allzu geschmacklos; als lustigen Einfall verstand ich es nicht. Es ging mit ihm, wie es schien, wirklich und bedenklich bergab! So schüttelte ich, ohne eine Bemerkung zu machen, nur den Kopf und trat an seiner Seite in den eben erreichten Garten, wo wir allerwärts Bekannte sahen und zu grüßen hatten. Denn es war ein beliebter Vergnügungsort der besten Gesellschaft. Nachmittags traf man während des Sommers stets Kaffee- oder Teeezirkel, und wenn ein so schöner Abend kam, wie der heutige, pflegten viele hier sogar im Freien zu Nacht zu speisen. Der Garten war groß, mit gut gepflegten Rasenplätzen, duftigen Blumenpartien, lustigen Buschgruppen und prächtigen alten Bäumen, am Ufer des weiten Sees gelegen, der in Kriegszeiten die Festungsgräben speisen musste. Die Wirtschaft genügte allen billigen Ansprüchen, und zu allem Übrigen hatte man noch ein paarmal in der Woche Gelegenheit, sich an der sehr guten Militärmusik zu erfreuen.

Als wir gegen das Haus zu kamen, sahen wir links, ein wenig abseits vom Weg, einen Tisch, der von dem geschäftigen Kellner augenscheinlich für eine größere Gesellschaft geordnet wurde. Von dieser waren jedoch nur ein paar Damen da und ein halb erwachsener Knabe, der eifrig die nötigen Stühle herbeitrug. Die Leute waren mir nur oberflächlich bekannt, da die Familie erst seit dem Herbst hierher gezogen war, wo der Gatte und Vater, der Regierungsrat Rudneck, eine neue Anstellung gefunden hatte. Sie waren vom Rhein gekommen und von dem sehr veränderten Klima böse heimgesucht worden, sodass sie an der größeren Geselligkeit gar nicht teilgenommen hatten und nur in einem beschränkten Kreis bekannt geworden waren. So war ich ihnen, weil ich obendrein Trauer gehabt hatte und fast gar nicht in der großen Welt verkehrte, kaum jemals begegnet – mit Ausnahme des Mannes, mit dem ich abends in der Harmonie häufig zusammengetroffen war. Das war ein zugleich gediegener und liebenswürdiger Mensch, der hier in Kurzem sich der gleichen Achtung und Beliebtheit erfreute, deren er an seinem früheren Wohnort genossen haben sollte. Und seiner Familie rühmten die näheren Bekannten das gleiche nach: Die Frau sei voll Anmut und Güte, voll Heiterkeit und Frische; die eben erwachsene eben erwachsene Tochter, ein sehr hübsches oder vielmehr schönes Mädchen, ein unwiderstehliches Geschöpf, keck und fröhlich, sprudelnd von lustigen Einfällen, voll Schelmerei und graziösen Übermuts, strahlend von Jugendglück und Jugendlust. Ein paar weitere, noch jüngere Kinder wusste man als heiter und wohlerzogen zu bezeichnen. Kurz, es war eine durchaus angenehme Familie und eine sehr willkommene Akquisition für unsere städtische Gesellschaft, wenn sie sich erst bei uns eingewohnt hatte und der neuen Heimat froh werden konnte.

»Geh nur weiter, Fritz«, sprach Eugen, als wir die Damen gegrüßt hatten. »Ich will hier nur guten Abend sagen und komme dir sogleich nach.« Damit schwenkte er gegen den Tisch zu, wo er auf das Freundlichste empfangen wurde. Der alte Medizinalrat war der Hausarzt der Familie und hatte sich nebst seiner Gattin derselben auch sonst warm angenommen. Eugen hatte mir mehr als einmal von diesen Menschen erzählt, und zwar in einer so ernsten und teilnehmenden Weise, wie man es nicht oft von ihm zu hören bekam.

So ging ich denn weiter und traf die Freunde richtig schon beieinander in einem grünen Laubengang jenseits des Hauses. Meine Ankündigung, dass ich Eugen wirklich herausgerissen habe und er demnächst auftreten werde, wurde mit allgemeinem Beifall aufgenommen. Als ich unseren Gang durch die Stadt beschrieb, übertönte das Gelächter die herüberschallende Musik. Nur Hauptmann Moski, mit dem ich, wie gesagt, gewettet hatte, zuckte die Achseln und meinte schmunzelnd: »Na, wenn ich spitzfindig sein wollte, könnte ich mit dir über die Wette noch streiten, Fritz. Denn ob du ihn losgeeist hast mit der Aussicht auf unsere Kneiperei oder ob … aber wir wollen es bewenden lassen«, brach er ab. »Schau mich nur nicht so holdselig fragend an. Du bist noch viel zu jung, um alles zu wissen. Tue deine Augen selber auf, Medicus, und prüfe Herz und Nieren. Vielleicht geht dir ein Licht auf.«

Ich schüttelte den Kopf, denn ich konnte mir nicht denken, was er meinen mochte. Aber der gegenwärtige Augenblick war wenig zum Grübeln geeignet. Man war in der fidelsten Stimmung umher, alles plauderte und lachte und scherzte durcheinander. Als kurz darauf Eugen wirklich ankam und sich sogleich in seiner übermütigsten Weise einführte, war es sozusagen mit allen Privatgedanken überhaupt vorbei. Er war in seiner glänzendsten Laune und wie früher stets, und auch nun noch immer, wenn er sich aufraffte, die Seele unseres Kreises. Alles an ihm war Geist, Leben und Lust. Nur das eine trat mir, der ich vermutlich allein ihn beobachtete, als bemerkenswert zuweilen entgegen, dass in allem, was er vorbrachte, ja selbst in seinem ganzen Wesen ein gewisser höherer Ton anklang: Er war nicht der wilde, unbedächtige und schrankenlose Geselle, der im Grunde doch nur Männer zu unterhalten und amüsieren vermag, sondern ganz und gar von der Art, dass alle Welt an ihm hätte Freude haben dürfen.

Es war ein schöner Tag gewesen und ein prachtvoller Abend geworden, wo alles sich vereinte, es den Menschenkindern gut werden zu lassen: Der Sternenglanz und der Blumenduft, die milde Luft und die friedvolle Dämmerung, die sich ringsumher ausbreitete, die hie und da unter den Gebüschen aufleuchtenden Tauwürmer und die oben durch die Zweige geisterhaft schwebenden Nachtfalter – man hätte nichts davon entbehren mögen und nichts weiter verlangen können, so umfing und durchdrang es einen mit vollem Genügen und wohligem Behagen. So empfanden nicht wir es allein in unserer Klause, hätte ich bald gesagt, sondern auch draußen im Garten waren zahlreiche Gesellschaften sitzen geblieben, weit über die gewöhnliche Zeit hinaus. Denn es lag für alle etwas Schreckhaftes in dem Gedanken an die heißen Straßen der Stadt und die schwülen Zimmer.