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Der Welt-Detektiv Band 6

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Eine Geistergeschichte aus Virginia

Eine Geistergeschichte aus Virginia

Es geschah in Virginia, damals, lange bevor die Eisenbahn gebaut wurde und man noch mit einem Wagen fahren musste, um die Waren von einer Stadt in die andere zu bringen.

Zu dieser Zeit geschah es, dass einmal, an einem Nachmittag im Dezember, eine solche Wagenkolonne unterwegs war.

Es war sehr kalt, und je später es wurde, umso stärker begann es zu schneien.

Schließlich erreichte der Wagenzug eine verlassene Siedlung am Straßenrand. Die Kutscher meinten, dies sei ein guter Ort, um Rast zu machen, denn es gab dort nicht nur verlassene Ställe, in denen sie die Pferde unterstellen konnten, sondern auch ein altes, halbverfallenes Wohnhaus, in dem sie selbst Zuflucht vor dem schlechten Wetter fanden.

Als sie gerade dabei waren, ihre Pferde auszuspannen, kam ein Mann daher und sagte, er sei der Eigentümer des Gehöfts. Er hieß sie willkommen und sagte auch, sie könnten so lange hier wohnen, wie es ihnen gefiel.

Doch dann warnte er sie, er sagte, dass es hier spuke, und zwar so gräulich, dass seit fünfundzwanzig Jahren niemand mehr gewagt hat, sich hier längere Zeit aufzuhalten. Als die Kutscher dies hörten, spannten sie ihre Pferde wieder ein und schlugen deshalb ihr Lager eine halbe Meile von dem Spukhaus entfernt in einem Waldstück auf.

Aber einer von ihnen, sein Name war Tabb, und er war weit mutiger als alle anderen, sagte, er fürchte sich nicht vor Gespenstern und er denke nicht daran, mit seinem Pferd die Nacht im kalten Wald zu verbringen.

Also kehrte er in das verlassene Haus zurück, zündete im Kamin ein großes Feuer an, kochte sein Essen und schlief die ganze Nacht, ohne dass ihn jemand störte.

Als er munter und voller Tatendrang gegen Tagesanbruch erwachte, sagte er: »Was für Narren sind doch die anderen. Warum mussten sie in dieser Kälte im Freien lagern? Wären sie so mutig wie ich, so hätten sie jetzt auch ein warmes Lager.«

Doch kaum hatte er ausgesprochen, da sah er unter der Decke einen weißen Mann, der dort schwebte. Tabb wollte sofort aus dem Bett springen, aber der weiße Mann stürzte sich auf ihn und begann mit ihm zu ringen. Dabei entstand ein solcher Lärm, dass die Männer im Wald es hörten. Sie liefen eilig herbei, um zu sehen, was da in dem Haus vor sich ging.

Als sie durch die Fenster in das halb verfallene Gebäude hineinblickten, sahen sie, wie Tabb mit dem Mann in Weiß kämpfte.

Einmal hatte Tabb dabei die Oberhand, dann wieder der weiße Mann.

Einer der Kutscher rief Tabb zu: »Halte ihn fest, Tabb, halte ihn fest!«

»Ich will meine Seele verwetten«, rief Tabb zurück. »Ich will meine Seele verwetten, dass ich mit dem noch fertig werde.«

Da zerrte der weiße Mann Tabb zum Fenster und stieß ihn hinaus.

Draußen aber kämpften beide weiter.

»Halte ihn, Tabb!«, rief wieder einer der Männer.

»Ich will mein Leben verwetten, dass ich mit dem noch fertig werde!«, antwortete Tabb.

Da schleppte der weiße Mann Tabb hinauf aufs Dach.

»Halte ihn, Tabb. Halte ihn!«, riefen die Kutscher.

»Ich will meine Stiefel verwetten«, sagte Tabb. »Ich will meine Stiefel verwetten, wenn ich mit dem nicht noch fertig werde.«

Aber diesmal klang seine Stimme schon ein wenig zaghaft.

Da zog der weiße Mann Tabb vom Dach fort und riss ihn in die Luft.

»Halte ihn, halte ihn!«, riefen die Kutscher.

»Ich halte ihn ja, aber er hält auch mich«, antwortete Tabb.

Dann flog der Mann in Weiß, der ein Gespenst war, mit Tabb davon und nie hat man wieder etwas von ihm gehört.

Nachtrag und Quellenhinweis

Frederik Hermann hat mit viel Interesse und Liebe zum Detail amerikanische Volksbücher, Sagen, Märchen und Lieder gesammelt und diese in dem Buch Amerika Saga veröffentlicht. Die vorliegende Geschichte stammt ebenso aus diesem Buch wie noch viele andere mehr, die wir dem interessierten Leser nicht vorenthalten möchten.

Amerika Saga, von Cowboys, Tramps und Desperados, ist unter der ISBN 3789115649 im Verlag Friedrich Oettinger Hamburg erschienen und wurde übrigens mit dem deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet. Nicht die einzige Auszeichnung, die Frederik Hermann, dessen bürgerlicher Name Hans Christian Kirsch lautet, in seinem Autorenleben bisher bekommen hat. Er erhielt den deutschen Jugendliteraturpreis bereits schon einmal im Jahr 1965, 1976 dann den Friedrich-Gerstäcker-Preis, 1978 den Züricher Kinderbuchpreis und 1984 den Fantasy Preis der Stadt Wetzlar.

(gs)