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John Sinclair Classics Band 47

Jason Dark (Helmut Rellergerd)
John Sinclair Classics
Band 47
Der Fluch der schwarzen Hand

Grusel, Heftroman, Bastei, Köln, 18.06.2019, 66 Seiten, 1,90 Euro, Titelbild: Ballestar
Dieser Roman erschien erstmals am 26.07.1977 als Gespenster-Krimi Band 202.

Kurzinhalt:

Der Tod kann viele Gestalten haben, auch die eines hübschen Jungen. Ritchie Parsen – gerade zwölf Jahre, aber schon ein Satan in Menschengestalt. Der Teufel hat sich an ihn gewandt. Er hat Ritchie als sein Kind bezeichnet, und der Junge hat ihm geglaubt. Er ist zu einem willenlosen Werkzeug in der Hand des Satans geworden. Und in dieser Nacht soll er seine erste große Probe bestehen. Ritchies Auftrag heißt Mord!

Leseprobe

Es war eine der kühlen Vorfrühlings­nächte, in denen sich der Winter noch einmal aufbäumte und danach doch dem Kreislauf der Natur Rechnung tragen und abdanken musste.

Seit Stunden schon tobte der Sturm. Er kam von Westen, hatte Schneeregen mitgebracht und die Quecksilbersäule des Thermometers in die Nähe des Null­punktes geschoben.

Der Wind heulte über das Land, rüt­telte an Fensterläden, wirbelte Papier und kleinere Zweige vor sich her und bog die noch kahlen Äste und Zweige der Büsche dem Boden entgegen.

Es war eine Nacht, in der man nicht einmal einen Hund nach draußen jagen würde.

Ritchie Parson ging trotzdem.

Er hatte sich heimlich aus seinem Zimmer geschlichen. Niemand sollte merken, dass er unterwegs war, um eine grausame Tat zu vollbringen.

Ritchie Parson – zwölf Jahre jung, aber schon ein Satan in Menschenge­stalt.

Die Dunkelheit war Ritchies Freund. Er liebte sie. Die Schwärze, die Finster­nis, dort konnte er sich verstecken, und niemand sah ihn und seine schrecklichen Taten.

Ritchie Parson trug eine dunkelgrüne Windjacke. Die Kapuze hatte er sich über den Kopf gestülpt und unter dem Kinn zusammengebunden. Das braune Haar war nicht mehr zu sehen, nur das Gesicht leuchtete wie ein heller Fleck.

Mit raschen Schritten huschte Ritchie auf die hohe Mauer zu, die das Grund­stück seiner Eltern umgab. In einem Gebüsch hatte er eine Leiter versteckt. Er holte sie hervor, zog sie auseinander und lehnte sie gegen die Mauer.

Geschickt stieg Ritchie die Sprossen hoch, blieb auf der schmalen Mauer­krone liegen, zog die Leiter nach und ließ sie an der anderen Seite wieder zu Boden gleiten.

Rasch kletterte Ritchie dem Boden entgegen.

Hinter der Mauer begann ein weites, ebenes Gelände, das sich bis zum Stein­bruch hinzog.

Der Steinbruch – ein wild zerklüftetes Gebiet – lag schon seit Jahren still. Er war ausgebeutet worden, und außerdem wurde die Förderung unrentabel. Die Baufirma hatte alles liegen und stehen gelassen, und so rosteten die Geräte und Förderbänder langsam vor sich hin.

Es gab dort noch ein paar baufällige Hütten. Sie hatten früher den Arbeitern als Unterschlupf gedient, waren aber mittlerweile nur mehr Höhlen und Ver­stecke für lichtscheues Gesindel.

Vom Steinbruch aus war es nicht mehr weit bis zum Dark Forest, einer Mischwaldregion, die die Hänge der Berge bedeckte und der beste Lieferant für die großen Holzfabriken im Norden war.

Ritchie Parson kannte das gesamte Gebiet. Er war dort jahrelang herumge­strolcht, hatte alles ausgekundschaftet, und gerade während dieses Alleinseins waren ihm die bösen und schrecklichen Gedanken gekommen.

Der Teufel hatte sich gemeldet. Er hatte Ritchie als sein Kind bezeichnet, und der Junge hatte daran geglaubt.

Er war zu einem willenlosen Werk­zeug in der Hand des Satans geworden.

Und in dieser Nacht sollte er seine erste große Probe bestehen.

Der Auftrag hieß Mord!

 

 

Wie lange der alte Fatty eigentlich im Dark Forest hauste, wusste er selbst nicht zu sagen. Auf jeden Fall bestimmt mehr als zwei Generationen lang.

Und Fatty war mit seinem Leben zufrieden.

Die Hütte war aus rohen Baumstäm­men zusammengefügt und lag auf einer kleinen Lichtung. Es gab kein elektri­sches Licht, keine Kanalisation, und trotzdem war Fatty glücklich. Er hatte alles, was er zum Leben brauchte.

Auch Geld.

Er besorgte es sich nicht auf unrechte Weise – nein, er arbeitete dafür. Fatty war in der ganzen Umgebung als hervor­ragender Holzschnitzer bekannt.

Seine geschickten Finger schnitzten aus dem unansehnlichsten Stück Holz die schönste Figur. Über Aufträge konnte sich Fatty nicht beklagen, aber er lehnte die meisten von ihnen ab.

»Stress ist nichts für mich«, pflegte er zu sagen, wobei sich das Wort Stress aus seinem Mund doch ziemlich sonderlich anhörte.

Manche verglichen Fatty mit einem Trapper aus dem letzten Jahrhundert. Und der Vergleich war noch nicht einmal so weit hergeholt.

Fatty ernährte sich von den Tieren des Waldes. Sein Rehbraten, über offe­nem Feuer gegart, war ein Gedicht. Das wussten vor allen Dingen die Kinder zu schätzen, zu denen Fatty ein besonders gutes Verhältnis hatte. In den langen Sommerferien saßen sie oft stundenlang bei dem alten Mann, sahen ihm bei der Schnitzarbeit zu und hörten sich seine Geschichten an, die er so gut erzählte, dass sie bald schon wieder als wahr gel­ten konnten.

Abends hockte Fatty in seiner Block­hütte. Er hatte sich einen Kamin gemau­ert, in dem das Feuer prasselte und den Raum mit einer natürlichen angenehmen Wärme versorgte. Fattys Bett war eine einfache, mit Fellen bedeckte Liegestatt. Sie stand dem hohen Schrank gegen­über, in dem Fatty seine besten Schnit­zereien aufbewahrte. Ein Tisch, zwei Stühle und mehrere Regale – fertig war die Einrichtung. Wasser holte sich Fatty aus dem in der Nähe vorbeifließenden Bach. Das Wasser war kristallklar.

Wie jeden Abend saß Fatty auch am zweiten März wieder vor seinem Kaminfeuer. Er hatte sich eine Bank gezimmert, sie mit einem Fell bedeckt und die Beine ausgestreckt. Zwischen seinen gelben Zähnen steckte eine kurze Stummelpfeife.

Das Stück Holz in seiner Hand nahm langsam eine Form an. Fatty hatte den Auftrag, Krippenfiguren zu schnitzen, und da es sehr viele waren, hatte er schon frühzeitig mit der Arbeit ange­fangen, um sie auch pünktlich abliefern zu können.

Fatty schnitzte an der Krippe. Ge­schickt höhlte er das Stück Holz aus. Hin und wieder gab er einen zufriede­nen Brummton von sich. Ja, die Arbeit machte ihm immer noch Spaß.

Neben dem Hocker stand die Bran­dyflasche. Sie war noch halb voll. Um Nachschub brauchte sich Fatty keine Gedanken zu machen. Im Regal standen noch drei weitere Flaschen.

Draußen heulte der Wind um die Blockhütte. Selbst im Wald war der Sturm zu spüren. Er bewegte die Zweige der Bäume, riss vom letzten Herbst übrig gebliebene Blätter vom Boden hoch und wirbelte sie gegen die Hüttenwand und die dicken Scheiben des Blockhauses.

Manchmal fegte auch eine Bö in den Kamin. Dann stoben die Funken, und die Flammen flackerten besonders hoch auf.

Wieder einmal griff Fatty zur Fla­sche. Mit den Zähnen zog er den Korken heraus, setzte die Buddel an und nahm einen langen Zug.

»Aaaahhh«, stöhnte Fatty, »das tat gut.« Er stellte die Flasche wieder weg und reckte sich.

Mitten in der Bewegung hielt er inne. Seine äußerst scharfen Ohren hatten trotz des draußen heulenden Windes ein Geräusch vernommen.

Schritte! Da schlich jemand um die Hütte.

Fatty stand auf. Er hatte keine Angst. Zu lange schon lebte er allein. Getan hatte ihm bisher noch niemand etwas.

In seinem gebückten Gang und dem etwas nachziehenden Bein wirkte Fatty wie ein Waldgeist. Dazu kamen der graue Bart, die von Runzeln und Falten bedeckte Haut und die langen, eisgrauen Haare, die bis auf die Schul­tern fielen.

Fatty öffnete den Schrank und holte ein Gewehr hervor.

Es war eine alte Flinte, die er auch zur Jagd benutzte. Fatty hatte sie von seinem Vater bekommen und immer hoch in Ehren gehalten. Die Waffe war sehr gepflegt, mancher Soldat hätte sich daran ein Beispiel nehmen können.

Neben der Tür stellte sich Fatty auf. Er stand im Schatten, der Feuerschein aus dem Kamin drang kaum bis zu ihm. Hin und wieder tanzten Schatten über sein Gesicht und machten es zu einer dämonischen Fratze.

Fatty hatte Zeit – und er war sicher, sich nicht geirrt zu haben. Er hatte die Schritte gehört.

Fünf Minuten verstrichen, zehn Mi­nuten – eine Viertelstunde.

Die Flammen wurden kleiner, sanken zusammen. Fatty hätte Holz nachwerfen müssen, doch er dachte gar nicht daran, seinen Platz zu verlassen. Wie eine Sta­tue stand er in der Nähe der Tür.

An den Ecken der Hütte fing sich der Wind. Fatty kannte die singenden Ge­räusche, sie wirkten auf ihn irgendwie beruhigend.

Und da hörte er wieder die Schritte. Jetzt sogar dicht vor der Tür.

Fatty senkte den Blick und sah die eiserne Klinke an. Sie wurde plötzlich nach unten gedrückt.

Fatty grinste. Der Einbrecher – wenn es einer war – war naiv. Die Tür der Blockhütte war nachts immer abgeschlossen. Und den Schlüssel ließ Fatty von innen stecken.

Jetzt war er aber doch gespannt, wer ihm da zu ziemlich später Abendstunde noch einen Besuch abstatten wollte.

Wie gesagt, Fatty hatte keine Angst …

Mit Daumen und Zeigefinger fasste er den Schlüssel und drehte ihn lautlos nach links.

Jetzt war die Tür auf.

Zwei Schritte ging Fatty vor, dabei hielt er die Flinte in Anschlag.

Sekunden verrannen.

Da wurde die Tür aufgestoßen.

Auf der Schwelle stand ein Junge.

Ritchie Parson!

Augenblicklich heulte der Wind in den Raum, wirbelte Laub hinein und fegte durch die Flammen im Kamin.

»Komm rein, und mach die Tür zu!«, forderte Fatty.

Ritchie Parson gehorchte. Mit dem Fuß trat er die Tür ins Schloss. In seinen Augen stand ein seltsames Glitzern. Er riss die Verschnürung der Kapuze auf, streifte sie vom Kopf und schüttelte das braune Haar.

Ritchie Parson sah älter aus, als er in Wirklichkeit war. Man hätte ihn gut und gern auf fünfzehn Jahre geschätzt. Er war hochgewachsen, hatte ein schmales Gesicht und eine lange gerade Nase. Die Augenbrauen wuchsen in Nähe der Nasenwurzel fast zusammen und gaben dem jungen Gesicht einen etwas ver­schlagenen Ausdruck.

»Was willst du?«, fragte der alte Fatty.

Ritchie grinste nur.

»Was du willst, habe ich dich ge­fragt!«

Der Junge sah sich um. »Dich einmal besuchen, Alter!«

Er sprach wie ein Erwachsener. Seine Stimme klang lauernd und kalt zugleich. Fast schien es, als spräche aus seinem Mund ein anderer.

Fatty senkte den Lauf der Waffe. Er hatte eingesehen, dass ihm von diesem Jungen keine Gefahr drohte, obwohl ihn Ritchie am gestrigen Tag noch mit einer Luftpistole beschossen hatte.

»Du hast mich ja noch nie besucht«, sagte Fatty.

»Einmal muss es ja sein – oder?«

»Nur finde ich den Zeitpunkt etwas ungünstig. Du müsstest an sich schon im Bett liegen. Wissen deine Eltern Be­scheid?«

»Die haben Besuch.«

»Hm.« Der Alte überlegte. Mit der linken Hand strich er sich durch seinen Bart. »Es ist ja klar, dass du nicht bei mir bleiben kannst. Du kannst mich gerne besuchen, aber tagsüber. Außerdem möchte ich, dass du dich entschuldigst.«

»Wofür?«

Verständnislos schüttelte der Alte den Kopf. »Du hast schließlich auf mich ge­schossen.«

»Na und?«

Dem alten Fatty platzte der Kragen. »Verschwinde jetzt, sonst jage ich dich aus der Hütte.«

Der Junge begann zu lachen. Es war ein widerliches Gelächter. Höhnisch und herausfordernd zugleich.

Der alte Fatty bekam plötzlich ein ungutes Gefühl. Er wusste, dass er den Jungen nicht so einfach abwimmeln konnte, dass Ritchie Parson sehr wohl einen Grund gehabt hatte, ihn zu besu­chen. Der Junge hatte irgendetwas vor.

Aber was?

Herausfordernd steckte Ritchie beide Hände in die Hosentaschen und tat so, als wolle er mit lässigen Schritten an Fatty vorbeigehen. Als er mit dem Alten auf gleicher Höhe war, wirbelte er auf einmal herum und schlug mit der Faust auf Fattys rechten Unterarm.

Der Alte hatte gar nicht mitbekom­men, wie rasch Ritchie seine rechte Hand aus der Hosentasche herausgezogen hatte. Er spürte nur einen sengenden Schmerz, konnte das schwere Gewehr nicht mehr halten und ließ es fallen.

Ritchie trat dagegen. Dicht neben dem Kamin blieb die Waffe liegen.

Der Alte hielt sich den rechten Arm. Sein Gesicht war schmerzverzerrt. Er stand gebückt und blickte Ritchie von unten her an.

»Was – was willst du?«, keuchte Fatty.

Ritchie gab ihm einen Stoß, dass er bis gegen die Wand fiel. Auch sein Gesicht war verzerrt, aber nicht vor Schmerzen, sondern die Mordlust zeichnete sich darin ab.

Und der alte Fatty verstand.

»Nein«, flüsterte er, »du – du wirst das doch nicht machen. Ich bin nicht reich. Ich …«

Ritchie Parson griff unter seine Jacke und zog ein Messer hervor. Es hatte eine breite Klinge und wurde meist von Fall­schirmjägern benutzt. Der Widerschein des Feuers tanzte auf dem Stahl.

Keuchend lehnte der alte Fatty an der Wand. Ungläubigkeit stand in seinen Blicken zu lesen.

»Das – das wirst du doch nicht ma­chen, Ritchie«, sagte er. »Du willst doch nicht…«.

»Doch, ich will!« Beinahe gelassen sprach Ritchie Parson die Worte aus, während er auf den Alten zuging. »Satan will es so!«, flüsterte er. »Satan will es so!«

Er hob den rechten Arm.

»Neiiinnn!«, brüllte der Alte.

»Doch!«, schrie Ritchie und stieß zu …

Personen

  • Ritchie Parson, 12-jähriger Junge, Lady Parsons Sohn
  • Fatty, Einsiedler, Holzschnitzer
  • Lord Averell und Lady Dorothy Parson
  • James, Butler der Parsons
  • Spencer Harris, schwerreicher Industrieller und Rennstallbesitzer
  • Gladys, Harris’ Ehefrau
  • Doc Rainford, Arzt
  • Konstabler Gilmoore
  • Pfarrer
  • Sargträger
  • John Sinclair, Oberinspektor bei Scotland Yard
  • Bill Conolly, Reporter
  • Suko, Chinese, Johns Freund
  • Max Winter, Verleger von CRIME AND HORROR
  • Jo Brown, Reporter
  • Sir James Powell, Superintendent
  • Wirtsehepaar, Gasthaus in Bodmin

Orte:

  • Bodmin, Cornwall
  • London

Quellen:

  • Jason Dark: John Sinclair Classics. Geisterjäger John Sinclair. Band 46. Bastei Verlag. Köln. 18.06.2019
  • Thomas König: Geisterwaldkatalog. Band 1. BoD. Norderstedt. Mai 2000