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Der Fluch von Capistrano – Kapitel 9

Johnston McCulley
Der Fluch von Capistrano
New York. Frank A. Munsey Company. 1919
Ursprünglich in fünf Teilen in der All-Story Weekly ab der Ausgabe vom 9. August 1919 als Serie veröffentlicht.
Kapitel 9
Klingen werden gekreuzt

In der Mitte des Tisches stand ein großer Kerzenständer, in dem ein halbes Dutzend Kerzen hell brannten. Señor Zorro sprang auf diesen zu und warf ihn mit seiner Hand zu Boden, wobei er alle Kerzen im Nu löschte und den Raum in Dunkelheit tauchte.

Er wich dem wilden Ansturm von Don Carlos aus und sprang so leicht durch den Raum, dass seine weichen Stiefel nicht das geringste Geräusch machten, um seinen derzeitigen Standort zu verraten. Für einen Augenblick fühlte Señorita Lolita den Arm eines Mannes um ihre Taille, drückte ihn sanft nach unten, spürte dessen Atem auf ihrer Wange und hörte das Flüstern in ihrem Ohr:  »Bis später, Señorita.«

Don Carlos brüllte wie ein Stier, um die Soldaten zum Ort des Geschehens zu alarmieren. Schon schlugen einige von ihnen an die Haustür. Señor Zorro lief aus dem Raum in den angrenzenden, der die Küche war. Die Bediensteten flohen vor ihm, als wäre er ein Gespenst. Er löschte schnell alle Kerzen, die auch dort brannten.

Dann rannte er zu der Tür, die zum Innenhof führte, erhob seine Stimme und gab einen Ruf von sich, der halb Stöhnen und halb Schreien war – einen eigenartigen Ruf, wie ihn noch niemand auf der Pulido-Hazienda zuvor gehört hatte.

Als die Soldaten durch die Vordertür hereinstürzten und Don Carlos nach einer Fackel rief, mit der die Kerzen wieder angezündet werden sollten, hörte man von der Rückseite des Innenhofs das Geräusch galoppierender Hufe. Ein kraftvolles Pferd machte sich dort auf den Weg, was die Soldaten sofort erkannten.

Das Geräusch der Hufe verstummte in der Ferne, aber die Soldaten hatten die Richtung wahrgenommen, in die das Pferd verschwand.

»Der Schurke entkommt!«, kreischte Sergeant Gonzales, der die Truppe befehligte. »Zu Pferd und ihm nach! Ich gebe dem Mann, der ihn einholt, ein Drittel der Belohnung!«

Der große Sergeant stürmte aus dem Haus, die Männer an seinen Fersen. Sie stiegen in ihre Sättel und ritten wütend durch die Dunkelheit, dem Klang der stampfenden Hufe folgend.

»Licht! Licht!«, schrie Don Carlos durch das Haus.

Ein Diener kam mit einer Fackel, und die Kerzen wurden wieder angezündet. Don Carlos stand in der Mitte des Raumes und schüttelte in ohnmächtiger Wut seine Fäuste. Señorita Lolita kauerte in einer Ecke, die Augen vor Angst weit aufgerissen. Doña Catalina, die sich vollständig von ihrem Ohnmachtsanfall erholt hatte, kam aus ihrem Zimmer, um die Ursache des Aufruhrs zu ergründen.

»Der Lump ist entkommen!«, sagte Don Carlos. »Es ist zu hoffen, dass die Soldaten ihn gefangen nehmen.«

»Zumindest ist er klug und mutig«, sagte Señorita Lolita.

»Das gestehe ich ihm zu, aber er ist ein Wegelagerer und ein Dieb!« Don Carlos brüllte. »Warum muss er mich so quälen, indem er mein Haus aufsucht?«

Señorita Lolita glaubte es zu wissen, aber sie wäre die Letzte, die es ihren Eltern erklären würde. Sie hatte noch eine schwache Röte im Gesicht wegen des Arms, der sie fest drückte, und wegen der Worte, die ihr ins Ohr geflüstert worden waren.

Don Carlos warf die Haustür weit auf und stellte sich lauschend hinein. In seine Ohren drang erneut das Geräusch galoppierender Hufe.

»Meinen Degen!«, rief er einem Diener zu. »Jemand kommt – es könnte der Schurke sein, der zurückkehrt! Es ist nur ein Reiter, bei den Heiligen!«

Das Galoppieren hörte auf; ein Mann ging über die Veranda und eilte durch die Tür in den Raum.

»Den guten Heiligen sei Dank!«, keuchte Don Carlos.

Es war nicht der Straßenräuber, der zurückkam; es war Capitano Ramón, Comandante des Presidi0 von Reina de Los Angeles.

»Wo sind meine Männer?«, rief der Capitano.

»Weg, Señor! Sie verfolgen das Schwein von einem Straßenräuber!«, antwortete Don Carlos.

»Er ist entkommen?«

»In der Tat, obwohl Ihre Männern das Haus umstellt hatten. Er warf die Kerzen auf den Boden, rannte durch die Küche …«

»Die Männer folgten ihm?«

»Sie sind ihm auf den Fersen, Señor.«

»Ha! Es ist zu hoffen, dass sie diesen feschen Vogel fangen. Er ist den Soldaten ein Dorn im Auge. Wir fangen ihn nicht, und weil wir ihn nicht fangen, schickt der Gouverneur sarkastische Briefe durch seinen Boten. Dieser Señor Zorro ist ein schlauer Caballero, aber er wird noch gefangen werden!«

Capitano Ramón ging weiter in den Raum hinein, er blickte die Damen, nahm seine Mütze ab und verbeugte sich vor ihnen.

»Verzeihen Sie meinen kühnen Auftritt«, sagte er. »Wenn ein Offizier im Dienst ist …«

»Die Vergebung wird frei gewährt«, sagte Dona Catalina. »Sie haben meine Tochter schon kennen gelernt?«

»Ich hatte noch nicht die Ehre.«

Die Doña stellte sie vor, Lolita zog sich wieder in ihre Ecke zurück und beobachtete den Soldaten. Er war nicht übel anzusehen – groß und schlank, in einer glänzenden Uniform und mit einem Degen an der Seite baumelnd. Was den Capitano betraf, so hatte er Señorita Lolita noch nie zuvor gesehen, denn er war erst seit einem Monat auf dem Posten in Reina de Los Angeles, nachdem er von Santa Barbara dorthin versetzt worden war.

Aber nun, da er sie einmal gesehen hatte, sah er sie ein zweites und drittes Mal. Da war ein plötzliches Leuchten in seinen Augen, das Doña Catalina erfreute. Wenn Lolita nicht Don Diego de la Vega ihre Gunst erweisen wollte, würde sie vielleicht mit Wohlwollen auf diesen Capitano Ramón blicken. Sie mit einem Offizier verheiratet zu haben, würde bedeuten, dass die Familie Pulido einen gewissen Schutz hätte.

»Ich werde meine Männer in der Dunkelheit nicht finden können«, sagte der Capitano, »und so werde ich, wenn es nicht zu viel verlangt ist, hier bleiben und auf ihre Rückkehr warten.«

»Auf jeden Fall«, sagte Don Carlos, »werde auch ich hier bleiben und auf ihre Rückkehr warten. Setzen Sie sich, Señor, ich lasse einen Diener Wein bringen.«

»Dieser Señor Zorro ist so gut wie erledigt«, sagte der Capitano, nachdem der Wein gekostet und für ausgezeichnet befunden worden war. »Hin und wieder taucht ein Mann seiner Art auf und übersteht gerade mal einen Tag und hält nie lange durch. Am Ende wartet sein Schicksal auf ihn.«

»Das ist wahr«, sagte Don Carlos. »Der Kerl prahlte heute Abend vor uns mit seinen Heldentaten.«

»Ich war Comandante in Santa Barbara, als er seinen berüchtigten Besuch dort machte«, erklärte der Capitano. »Ich besuchte eines der Häuser zu der Zeit, zu der es vielleicht eine andere Geschichte gegeben hätte. Und heute Abend, als der Alarm kam, war ich nicht im Presidio, sondern in der Residenz eines Freundes. Deshalb bin ich auch nicht mit den Soldaten ausgeritten. Sobald ich benachrichtigt wurde, machte ich mich sofort auf den Weg. Es scheint, dass dieser Señor Zorro über meinen Aufenthaltsort Bescheid weiß und darauf achtet, dass ich nicht in der Lage bin, mit ihm aneinanderzugeraten. Ich hoffe, dies eines Tages nachholen zu können.«

»Sie glauben, Sie könnten ihn besiegen, Señor?«, fragte Dona Catalina.

»Zweifelsohne! Ich glaube, er soll wirklich eine ganz gute Klinge führen. Er hat meinen Korporal zum Narren gehalten, aber das ist eine andere Geschichte – und ich glaube, er hielt auch eine Pistole in einer Hand, während er focht. Ich sollte mit dem Kerl kurzen Prozess machen.«

In einer Ecke des Raumes befand sich ein Schrank, dessen Tür nun einen Spaltbreit geöffnet wurde.

»Der Bursche verdient den Tod«, fuhr Capitano Ramón fort. »Er ist brutal im Umgang mit Menschen. Er tötet mutwillig, habe ich gehört. Man sagt, er habe im Norden, in der Nähe von San Francisco de Asis, eine Schreckensherrschaft verursacht. Er tötete Männer ohne Rücksicht auf eigene Verluste, beleidigte Frauen …«

Die Schranktür wurde aufgestoßen und Señor Zorro betrat den Raum.

»Ich werde Sie für diese Äußerung zur Rechenschaft ziehen, Señor, denn es handelt sich um eine Lüge«, rief der Straßenräuber.

Don Carlos wirbelte herum und staunte nicht schlecht. Doña Catalina fühlte sich plötzlich schwach in den Knien und brach auf einem Stuhl zusammen. Señorita Lolita fühlte einen gewissen Stolz auf die Aussage des Mannes und eine große Angst um ihn.

»Ich dachte, Sie wären entkommen«, stöhnte Don Carlos.

»Ha! Es war nur ein Trick. Mein Pferd ist weggelaufen, aber ich bin nicht geflohen.«

»Dann gibt es für Sie nun kein Entkommen mehr!« Capitano Ramón zog seinen Degen und fing an zu schreien.

»Zurück, Señor!«, rief Zorro und zog plötzlich eine Pistole. »Ich kämpfe gern gegen Euch, aber der Kampf muss fair sein. Don Carlos, nehmen Sie Ihre Frau und Ihre Tochter zu sich und ziehen Sie sich in die Ecke zurück, während ich mit diesem Lügner die Klingen kreuze. Ich habe nicht die Absicht, mich vor der Tatsache verunsichert zu sehen, warum ich noch hier bin!«

»Ich dachte … Sie sind geflohen!«, keuchte Don Carlos wieder. Er schien, an nichts anderes denken zu können, und tat, was ihm Señor Zorro empfohlen hatte.

»Ein Trick!«, wiederholte der Wegelagerer lachend. »Das ist ein edles Pferd, das ich habe. Vielleicht haben Sie den seltsamen Schrei gehört? Das Tier ist darauf trainiert, auf diesen zu reagieren. Es galoppiert wild und lautstark davon, und die Soldaten folgen ihm. Und wenn es eine gewisse Strecke zurückgelegt hat, kehrt es um und bleibt stehen. Nachdem die Verfolgung vorüber ist, läuft es zurück und wartet auf mein Zeichen. Ohne Zweifel befindet es sich jetzt draußen im Innenhof. Ich werde diesen Capitano bestrafen, dann aufsteigen und davonreiten.«

»Mit einer Pistole in der Hand!«, rief Ramón.

»Ich lege die Pistole auf den Tisch. Dort bleibt sie, wenn Don Carlos mit den Damen in der Ecke bleibt. Nun, Capitano!«

Señor Zorro zog seinen Degen. Mit einem freudigen Schrei kreuzte Capitano Ramón ihn mit seinem eigenen. Capitano Ramón hatte einen guten Ruf als Fechtmeister, und Señor Zorro wusste das offensichtlich, denn er war anfangs vorsichtig, ließ keine Gelegenheit aus und verteidigte sich eher, anstatt anzugreifen.

Der Capitano drängte ihn zurück, seine Klinge leuchtete wie ein Blitz an einem aufgewühlten Himmel. Nun stand Señor Zorro fast an der Wand in der Nähe der Küchentür. In den Augen des Capitano begann das Licht des Triumphes bereits zu glühen. Er focht schnell, ließ dem Wegelagerer keine Atempause, behauptete sich und drängte seinen Widersacher immer wieder an die Wand.

Auf einmal kicherte Señor Zorro, denn nun hatte er die Art des Kampfes des anderen erkannt und wusste, dass alles gut werden würde. Der Capitano gab ein wenig nach, als die Defensive des Feindes in einem Angriff überging, der ihn verwirrte. Señor Zorro begann heftig zu lachen.

»Es wäre eine Schande, Sie zu töten«, sagte er. »Sie sind ein ausgezeichneter Offizier, wie ich gehört habe, und die Armee braucht solche. Aber Sie haben in Bezug auf mich die Unwahrheit gesagt. Dafür müssen Sie einen Preis bezahlen. Ich werde Sie nun vernichten, aber so, dass Ihr Leben nicht zu Ende geht, wenn ich meine Klinge zurückziehe.

»Aufschneider!«, knurrte der Capitano.

»Das werden wir gleich sehen. Ha! Fast hätte ich Sie erwischt, mein Capitano. Sie sind geschickter als Ihr dicker Sergeant, aber nicht halbwegs clever genug. Wo lassen Sie sich lieber streicheln – auf der linken oder der rechten Seite?”

»Wenn Sie so sicher sind, dann durchbohren Sie mich durch die rechte Schulter«, sagte der Capitano.

»Hüten Sie sich gut, mein Capitano, denn ich werde tun, was Sie sagen. Ha!«

Der Capitano drehte sich im Kreis und versuchte, dass der Wegelagerer vom Licht der Kerzen geblendet wurde, aber dafür war Señor Zorro zu gerissen. Er ließ den Capitano im Kreis gehen, zwang ihn zum Rückzug und drängte ihn in eine Ecke.

»Jetzt, mein Capitano!«, rief er.

Er stieß seinen Degen durch die rechte Schulter, wie der Capitano es gewünscht hatte, und verdrehte die Klinge ein wenig, als er sie herausholte. Er hatte ein wenig zu tief gestoßen, denn Capitano Ramón fiel zu Boden. Eine plötzliche Schwäche überkam ihn.

Señor Zorro trat zurück und steckte seinen Degen in die Scheide.

»Ich bitte die Damen für diese Szene um Verzeihung«, sagte er. »Und ich versichere Ihnen, dass ich dieses Mal tatsächlich verschwinde. Sie werden feststellen, dass der Capitano nicht schwer verletzt ist, Don Carlos. Er kann noch heute in sein Presidio zurückkehren.«

Er zog seinen Sombrero und verneigte sich tief vor ihnen, während Don Carlos stotterte und ihm nichts einfiel, was gemein und verletzend genug wäre. Für einen Moment trafen Zorros Blicke auf die der Señorita Lolita, und er war froh, dass in ihren Augen keine Abneigung zu spüren war.

»Buenas noches«, sagte er und lachte wieder. Dann lief er durch die Küche in den Innenhof und fand das Pferd, das ihn dort erwartete, wie er es gesagt hatte, war schnell aufgestiegen und ritt davon.