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Nick Carter – Das Entführungssyndikat – Kapitel 9

Nick Carter
Das Entführungssyndikat
oder: Nick Carter gegen das Syndikat
Kapitel 9

Die Falle schnappt zu

»Ah«, rief Nick Carter leise aus. »Eine Frau in dieser Situation. Sie kommt, um das Netz zu spannen.«

Nick saß an diesem Freitagmorgen an seinem Schreibtisch und sah seine Post durch. Der Brief, den er noch immer las und der die obigen Kommentare hervorrief, trug den Namen einer Frau, Nancy Gibson, und war ordentlich mit einem Stift geschrieben. Sie teilte dem Detektiv mit, dass sie ihm eine sehr wichtige Angelegenheit vorzutragen habe und dass sie ihn an diesem Tag um zwei Uhr besuchen werde.

Nick legte den Brief beiseite und nahm seine Tätigkeit wieder auf.

Um zehn Uhr wurde er durch einen Telefonanruf von Nancy Gibson unterbrochen, die angab, sie habe ihn angerufen, um sich zu erkundigen, ob er ihren Brief erhalten habe und ob sie ihn um Punkt zwei Uhr aufsuchen könne.

Nick bejahte beide Fragen.

Kurz vor der vereinbarten Stunde setzte er sich in sein Arbeitszimmer und postierte Patsy in einem angrenzenden Raum. In der Wand zwischen ihnen befand sich jedoch eine geschickt abgeschirmte Öffnung, durch die Patsy all das sehen und hören konnte, was gesagt wurde.

Pünktlich um zwei Uhr hielt ein Auto vor Nicks Wohnung, und Joseph ließ die erwartete Dame herein, führte sie in das Arbeitszimmer des Detektivs und schloss die Tür hinter sich.

Nick befragte sie mit beträchtlichem Interesse und war sofort überzeugt, dass sie die Frau war, die Claudia Morton so erfolgreich getäuscht hatte.

Sie war eine gut gebaute, attraktive Brünette, etwa dreißig Jahre alt und trug ein dunkelblaues Kleid, einen Hut in der gleichen Farbe und eine eng anliegende Pelzjacke. Sie hatte einen Hauch von Sanftmut, ein entschlossenes Auftreten und die Ausstrahlung einer nervösen Frau; denn trotz ihres teuflischen Auftrags zeigte sie nicht das geringste Anzeichen von Beklommenheit.

»Sie sind Mr. Carter, der Detektiv«, sagte sie forschend, mit einem subtilen, metallischen Klang in ihrer ruhigen Stimme.

»Ja.« Nick verbeugte sich. »Bitte setzen Sie sich. Ich nehme an, Sie sind Miss Gibson.«

»Mrs. Gibson.« Sie korrigierte ihn, ohne den Schatten eines Lächelns. »Ich bin eine Witwe.«

»Ah!« Nick entschuldigte sich. »Verzeihen Sie meinen Fehler. Was ist die wichtige Angelegenheit, die Sie in Ihrem Brief erwähnt haben?«

»Ich bin froh, dass Sie sofort darauf zu sprechen kommen«, sagte Nancy mit einem zustimmenden Kopfnicken.

»Meine Zeit ist kostbar, gnädige Frau.«

»Ich werde mich auf Wesentliche konzentrieren. Das Problem betrifft einen Mann, der mir ein Unrecht angetan hat. Er hat Versprechungen gemacht, die er sich weigert, zu erfüllen. Er ist für mich ein Betrüger. Ich möchte es ihm mit eigener Münze heimzahlen.«

»Ein solcher Fall ist für mich uninteressant, Mrs. Gibson«, sagte Nick. »Das liegt nicht in meiner Kompetenz.«

»Im Gegenteil, Herr Carter, er wird Sie zutiefst interessieren und entspricht genau Ihrer Branche«, sagte Nancy mit finsterer Überzeugung.

»Warum glauben Sie das?«

»Denn der Mann, mit dem ich eine Rechnung begleichen möchte, indem ich Verrat mit Verrat vergelte, ist einer, den Sie unbedingt finden sollten.

»Wie heißt er?«

»Leopold Duchane.«

Nick setzte sich auf seinen Stuhl und tat so, als sei er nicht nur überrascht, sondern auch zutiefst interessiert, wie die Frau vorausgesagt hatte.

»Was wissen Sie über Leopold Duchane?«, fragte er.

»Alles.«

»Dann sollten Sie auch wissen, dass dies nicht sein wirklicher Name ist.«

»Auch Manuel Vasca ist nicht sein tatsächlicher Name«, sagte Nancy etwas schroff. »Er hat mehr Namen, als Sie sich merken können. Sein Name bedeutet wenig, Mr. Carter, da Sie wissen, auf wen ich mich beziehe.«

»Wie hat er Ihnen Unrecht getan?«

»Er versprach mir Liebe, Heirat und Reichtum. Ich habe den absoluten Beweis, dass er mir all dies nicht geben wird. Er ist ein Verräter.«

»Wenn Sie den Mann so gut kennen und über seinen bösen Eigenschaften informiert sind, sollten Sie solche Dinge nicht von ihm wollen«, sagte Nick. »Sonst müssen Sie selbst bösartig sein.«

»Ich bin nicht hierhergekommen, um über meinen Charakter zu sprechen oder um Enthüllungen über mich preiszugeben«, erwiderte Nancy. »Ich bin nur hierhergekommen, um Ihnen ein Angebot zu machen.«

»Was erwarten Sie als Gegenleistung?«

»Nichts«, sagte Nancy. »Wenn Sie mein Angebot annehmen, wird mich die Rache, die ich erlangen werde, besser bezahlen als Gold. Ich verlange nichts von Ihnen.«

»Und wie lautet Ihr Angebot, Mrs. Gibson?«, hakte Nick nach. »Ich werde mir anhören, was Sie zu bieten haben.«

»Ich kann es kurz fassen«, antwortete Nancy schnell. »Ich weiß, was Vasca seit seiner Flucht aus Sing getan hat. Ich weiß alles über sein Entführungssyndikat. Vorgestern war ich seine Assistentin bei der Entführung des Millionärs George H. Morton. Ich weiß, wo sich Vasca in diesem Augenblick aufhält, wo seine Opfer gefangen gehalten werden, und ich weiß, dass er noch heute Abend ein Treffen seines sogenannten Syndikats abhalten wird. Ich werde sie bloßstellen, Mr. Carter, und sie in Ihre Hände spielen.«

»Das werden Sie?«

»Ja – unter einer Bedingung.«

»Und zwar?«

»Es soll so arrangiert werden, wie ich es anordne.«

»Und warum das?«

»Ich muss an Selbstschutz denken und habe Geheimnisse, deren Enthüllung ich nicht dulden werde«, sagte Nancy nachdrücklich. »Ich habe einen Weg geplant, auf dem dies realisiert werden kann und der es mir ermöglicht, mich so zu schützen, wie ich es wünsche, und Ihnen Vasca und seine ganze Bande auszuliefern. Ich werde jedoch auf keine andere Weise zustimmen, und das ist alles, was zählt. Es liegt an Ihnen, Mr. Carter, dies zu akzeptieren oder abzulehnen.«

»Und was ist Ihr Plan, Mrs. Gibson?«

»Obwohl ich davon überzeugt bin, dass Vasca für mich ein Verräter ist, habe ich meine Meinung nicht geändert. Er glaubt immer noch, dass ich ihm und seinen Verbündeten gegenüber loyal bin. Ich habe ihn gestern überredet, einen Verwandten von mir in seine Bande aufzunehmen, wie ich ihm sagte; ein Cousin, der arbeitslos ist. Vasca willigte ein, dass ich ihn heute vorstellen dürfte, und versprach, ihn heute Abend in das Syndikat einzubeziehen.

»Was geht mich das an?«

»Sie, Mr. Carter, sind der Mann, den ich mir auserkoren habe.«

»Ah, ich verstehe«, sagte Nick. »Sie wollen mich offenbar inmitten dieser Geier aussetzen.«

»Genau«, erwiderte Nancy kühl nickend. »Ich weiß natürlich, dass Sie bis heute Abend nichts erreichen können. Was Sie später erreichen, wird von Ihnen selbst abhängen.«

»Und Sie?«

»Ich werde das meine erledigt haben. In der Zwischenzeit wird es mir gelingen, das Land zu verlassen und mich im Ausland in Sicherheit zu bringen. Der Dienst, den ich Ihnen erweise, Mr. Carter, wird mir Straffreiheit geben.«

»Ich stimme Ihnen zu«, sagte Nick. »Wann und wo muss ich mich einfinden, um dieses Angebot annehmen zu können?«

»Sie müssen sofort mit mir kommen.«

»Warum die Eile?«

»Wenn ich nicht innerhalb einer angemessenen Zeit zurückkehre, könnte Vasca misstrauisch werden. Eine Enthüllung würde uns unser Leben kosten.«

»Kein Zweifel. Trotzdem …«

»Ich habe mich klar und deutlich ausgedrückt, Mr. Carter.« Nancy unterbrach. »Nichts, was Sie sagen, würde mich dazu bringen, von den Plänen abzuweichen.  Es liegt an Ihnen, diesen sofort zu akzeptieren, denn meine rasche Rückkehr ist unerlässlich. Ich habe einen Wagen vor Ihrer Tür, und wenn Sie nicht …«

Nick erhob sich und musterte sie mit einem Blick.

»Wir werden uns nicht durch unnötige Verzögerungen verdächtig machen«, sagte er entschlossen. »Ich nehme Ihr Angebot an und werde in drei Minuten bereit sein. Ich muss noch in eine Verkleidung schlüpfen und meinen Mantel holen.«

»Ich werde warten«, sagte Nancy schlicht, doch in den Tiefen ihrer finsteren Augen schimmerte ein geheimnisvoller Triumph.

Nick verließ den Raum und gab Patsy ein Zeichen, ihm nach oben zu folgen.

»Mensch! Sie gehen doch nicht in diese Falle, Chef, oder?«, fragte Patsy ängstlich, als sie außer Hörweite waren.

»Ja.«

»Tolle Knarren! Sie hat ein Auto mit Chauffeur, Chief, und ich kann Ihnen so schnell nicht folgen.«

»Das wird nicht nötig sein. Ich möchte, dass Sie genau hier bleiben.«

»Aber Sie könnten außer Gefecht gesetzt werden, bevor Sie mir sagen können, wohin man Sie bringt.«

»Nicht, wenn das Huhn nach Hause zum Schlafen kommt, Patsy«, sagte Nick spitz. »Hören Sie auf mich und befolgen Sie meine Anweisungen buchstabengetreu.«

Nancy Gibson hatte genau drei Minuten gewartet, als der Detektiv, sorgfältig verkleidet und mit einem schweren Überzieher versehen, die Treppe hinuntereilte und sich ihr anschloss.

»Bereit«, sagte er kurz.

»Sie sind schnell«, antwortete Nancy Gibson. »Kommen Sie.«

Sie verließen das Haus, Nick ging voraus. Beide stiegen in ein Automobil. Nick Carter warf dem Chauffeur einen Blick zu. Nur einen Augenblick später fuhren sie unter Missachtung der Geschwindigkeitsbegrenzung nach Norden.

Es war halb vier, als sie an ihrem Ziel ankamen – einem abgelegenen Herrenhaus aus vergangenen Tagen, mit grauen Steinen gemauert, das sich in einem der hügeligen Abschnitte von Westchester County befindet und durch den Park auf dem weitläufigen Gelände vor allgemeiner Beobachtung verborgen liegt. Der Chauffeur fuhr den Wagen vor eine Porte-Cochère. Die Tür des Hauses wurde kurz danach von Manuel Vasca geöffnet.

»Ah, Nan, wieder zurück?«, rief er mit einem finsteren Blick. »Und du bringst deinen Cousin mit, wie ich sehe.«

»Ja«, antwortete Nan und stieg aus dem Wagen. »Er ist Dugan. Gib Herrn Vasca die Hand, Tom.«

»Sehr erfreut, Sie kennen zu lernen, Mr. Vasca«, sagte Nick ehrlich.

»Gleichfalls, Mr. Dugan«, gab Vasca lächelnd zurück. »Kommen Sie ins Haus. Draußen ist es etwas kalt. Drinnen ist es sehr angenehm warm.«

Zweifellos, dachte Nick, ohne zu antworten.

»Setzen Sie sich in die Bibliothek, Mr. Dugan. Ich bin gleich bei Ihnen, nachdem ich mit Nancy gesprochen habe.«

»Nur keine Eile«, sagte Nick gleichgültig. »Ich werde warten.«

Er betrat die Bibliothek, einen großen, altmodischen Raum, und nahm am Fenster Platz. Während einiger Minuten blickte er sich aufmerksam um, konnte aber keine Anzeichen eines Aufpassers erkennen.

Er schrieb, ohne jede Möglichkeit einer Observation, mit einem kurzen Bleistift ein paar Worte auf einen Zettel. Dann glitt seine rechte Hand in eine versteckte Tasche unter dem Stoff seines Mantels.

Etwa eine Minute lang hantierte er geschickt in der Tasche herum, dann erhob er sich und ging mit dem Rücken zum Fenster – die Augen ständig auf die offene Flurtür gerichtet.

Lautlos, mit den Händen auf dem Rücken, hob er das Fenster etwa fünf Zentimeter an.

Ein schwaches Flattergeräusch war für einen Augenblick zu hören; danach blieb nur noch Stille.

Nick Carter schloss das Fenster und setzte sich auf einen Stuhl.

Eine halbe Minute später ertönten in der Halle schwere Schritte sich nähernder Personen. Vasca betrat mit zwei seiner Gefolgsleute den Raum – Hobart, dem Chauffeur, und dem drahtigen Mr. Murdock.

Ich möchte Ihnen meine Freunde vorstellen, Mr. Dugan«, sagte er mit einem Grinsen.

»Ich freue mich, sie kennen zu lernen«, sagte Nick herzlich.

»Ziehen Sie Ihren Mantel aus, Dugan. Ich sagte bereits, dass es hier sehr warm sei.«

»Ja, so ist es«, erwiderte Nick mit einem Blick auf die brennenden Holzscheite im Kamin, während er sich erhob, um der Aufforderung nachzukommen.

»Gleichzeitig«, fügte Vasca mit einer schnellen Geste hinzu, »nehmen Sie Ihre Maskierung ab, Mr. Carter, und heben Sie Ihre Hände hoch. Wagen Sie es nicht, noch mehr zu tun. Sie werden es hier angenehm genug finden, das verspreche ich Ihnen.«

»Gefangen, ich bin vom Donner gerührt!«, rief Nick mit Entsetzen aus, obwohl er nicht im Geringsten überrascht war.

Er starrte in die tödlichen Mündungen von drei auf ihn gerichteten Revolvern in den Händen seiner Entführer.