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Schauernovellen – Ritter und Nonne Teil 2

Ferdinand Kleophas
Schauernovellen Band 1
Verlag Franz Peter, Leipzig 1843

Ritter und Nonne
oder
Liebe und Verbrechen im Kloster

Bei diesem letzten Teil der Erzählung des Ritters hatte der Pilger seiner inneren Aufregung kaum Herr werden können. Er ballte die Fäuste hinter seinem Rücken, kniff die Lippen zusammen. Als er sprach, bebte seine Stimme.

»Kehrtet ihr denn in Eure Heimat zurück?«, fragte er gespannt.

»Ja, wir kehrten dahin zurück und Adeline wurde, ohne erkannt zu werden, von jedermann als meine Gattin geehrt, als eine schöne Frau bewundert. Wir lebten sechs glückliche Jahre. Die Gnade des Himmels währte lange, aber endlich traf mich der Fluch der bösen Tat. Einst gab ich den Bitten Adelines Gehör und wohnte mit ihr einem glänzenden Turnier bei, das ein benachbarter Reichsfürst veranstaltet hatte. Adelines blendende Schönheit zog aller Augen auf sich und der Fürst wich nicht von unserer Seite. Adeline nahm die dargebotenen Huldigungen mit bescheidener Grazie an und entzückte durch ihr Benehmen die ganze Umgebung. Ich hatte nicht Ursache, eifersüchtig zu werden, so sehr ich auch davor bebte. Aber als wir wieder im traulichen Wohngemach unserer Burg saßen, da gewahrte ich Adeline stiller und sinnender als je. Als unser holdes achtjähriges Töchterlein sie Mutter rief, da traten Tränen in die Augen, welche sie stets von mir abgewendet hielt.

›Adeline‹, fragte ich, ›was hast du?‹

›Nichts, Bruno‹, entgegnete sie. Tränen ergossen sich von Neuem aus ihren Augen. Ich sendete unser Kind hinweg und trat zu der Weinenden.

›Was sinnst und weinst du?‹, fragte ich etwas gereizt, denn die Eifersucht wurde in mir rege. Adeline war zum ersten Mal in so großer Öffentlichkeit aufgetreten.

›Ich denke daran‹, antwortete sie schluchzend, ›wie man mich aufgenommen haben würde, wenn man gewusst hätte, welche geheime Schande auf mir lastet, wenn man gewusst hätte, dass wir in blutschänderischer Ehe leben.‹

›Ja‹, erwiderte ich bitter, ›dann würde der Fürst dir die Huldigungen entzogen haben, in denen du dir so sehr gefielst.‹

In demselben Augenblick fiel mir eine galante Äußerung ein, welche der Fürst getan hatte, meinend, ich würde sie nicht hören.

›Schöne Dame‹, flüsterte er, ›Ihr würdet den kaiserlichen Palast oder wenigstens die Hofburg eines Fürsten besser zieren als die ärmliche Burg eines Ritters.‹

Diese Worte kamen meinem Gedächtnis wieder mit dem Gedanken, dass der Fürst unbeweibt sei.

›So werde die Mätresse des Fürsten‹, rief ich, lief aus dem Zimmer, verließ die Burg auf meinem besten Ross und irrte, Eifersucht und Gewissensbisse im qualvollen Inneren, drei Tage in den Wäldern umher. Am vierten kehrte ich zurück. Es war höchste Zeit. Adeline ließ mich rufen. Ich fand sie leidend, krank, entstellt. Ich vergaß das Geschehene und stürzte zu den Füßen ihres Bettes.

›Adeline, vergib mir‹, rief ich.

›Es ist zu spät, mein Bruder. Als du mich Mätresse nanntest, mich, die ich nur dich geliebt und um dieser Liebe willen das Heil meiner Seele verloren habe, als du dich kalt von mir wandtest, sieh, da öffnete ich jenen Schrank und nahm das Gift, vor dessen Berührung du mich so oft gewarnt hast. Es hat mich gereut diese rasche Tat, ich wollte Hilfe, Rettung bei dir suchen, denn der Sünder hängt mehr am Leben als der Fromme. Ich ließ nach dir forschen, aber du bliebst fern, Seit drei Tagen brennt das Gift in meinem Inneren, ich nahe meiner Auflösung. Küsse mich nicht, rühre mich auch nicht an, es wäre dein Tod. Aber du musst leben für unsere Tochter, musst leben, um unsere Sünde zu sühnen im Kampf für die leidende Christenheit im Gelobten Lande. Ziehe dahin und ich werde ruhig sterben.‹

Als sie so gesprochen hatte, trat der Schaum des Todes vor ihren Mund, ihre Glieder dehnten sich und zuckten konvulsivisch zusammen. Nach wenigen Sekunden hatte sie ausgelitten.«

Hier überwältigte den Ritter die Rührung, seine Stimme bebte, er vermochte nicht weiter zu sprechen.

Auch den Pilger schien trotz seines Hohnes Rührung ergriffen zu haben. Er versank in tiefes Nachdenken gleich dem Ritter; aber dieser weihte dem Andenken seiner unglücklichen Schwester eine stille Träne, während er, der Pilger, neues Unglück brütete.

›Ja, ich habe es‹, sagte er endlich und wandte sich dann mit den Worten zum Ritter: ›Nun, Herr Ritter, Ihr gehorchtet Eurer sterbenden Schwester?‹

›Wie ihr seht, frommer Mann. Ich begrub sie still, gab meine Tochter unter den Schutz eines alten treuen Burgkaplans und zog hierher nach Palästina.‹

›Und wie lange gedenkt Ihr hier zu bleiben?‹

›Wollte ich der Sehnsucht folgen, die mich verzehrt, mein Kind wiederzusehen, am Grab Adelines zu weinen, würde ich heute schon mit Euch ziehen. Aber ich fühle, dass es manches Jahres noch bedarf, um meine Sünde zu sühnen.‹

›Jawohl, um Vergebung Eurer schweren Sünde zu finden, um Eure und Eurer Schwester Seele aus dem Fegefeuer zu retten, um Absolution zu erhalten vom Heiligen Stuhl in Rom und nach Europa zurückkehren zu dürfen, ohne in den Kirchenbann getan zu werden, dürft Ihr die Jahre nicht zählen, die Ihr hier kämpft. Euer Schwert darf nicht eher in der Scheide ruhen, bis das Grab des Erlösers, bis die Heilige Stadt den Händen der Ungläubigen entrissen und im ungestörten Besitz der christlichen Kirche ist. Dann wird der Weltheiland und seine Mutter, die keusche Jungfrau Maria selbst für Euch bitten vor dem Thron des Weltenrichters, erst dann wird der Pabst auch absolvieren und werdet Ihr zurückkehren in Eure Heimat.‹

Der Ritter erschrak ob dieser harten Prüfung; sein Vaterherz blutete; aber er ermannte sich und sprach: ›Es geschehe, wie Ihr wollt, frommer Mann, aber gewährt mir eine Bitte. Wirkt mir um diesen Preis Absolution aus vom Heiligen Vater, damit ich wenigstens nicht geächtet in meine Heimat zurückkehren kann, wenn die schwere Prüfungszeit vorüber ist. Lasst Messe lesen für das Seelenheil meiner Schwester und sorgt für das zeitige und ewige Wohl meines Kindes.‹

›Diese Bitte sei Euch gewährt. Ich will es zur Aufgabe meines Lebens machen, Euch mit dem Himmel zu versöhnen, Euer Kind, auf dem der grässliche Fluch der Blutschande ruht, vom Verderben zu retten und die Qualen des seelenläuternden Fegefeuer für Eure Schwester zu mildern.‹

Jedes dieser scheinbar wohlgemeinten, aber strengen Worte des Pilgers, der wie ein zürnender Cherub vor dem reuigen Sünder stand, fiel schwer in dessen fühlendes Herz.

›Nun, so kämpft mit Gott für die heilige Sache und erringt die ewige Ruhe für Eurer Schwester Seele.‹ So sprach noch der Pilger, nahm seinen Stab und zog, stumm gegrüßt vom Ritter, seine Straße dahin.«

Lange sah ihn der Ritter nach, und eine geheime Regung seiner Seele ließ ihn wünschen, diesem Mann nicht gebeichtet zu haben.

 

***

 

»Ja, in sechs Jahren wird sie reif sein; reif, die Lust des Mannes zu friedigen, reif meine seit zehn Jahren verhaltene Brunst zu stillen. Sechs Jahre will ich ihr noch geben, dann ist sie Jungfrau. Höhnend will ich dann ihren Leib, den Leib seiner Tochter besudeln, wie er den Leib seiner Schwester mit unkeuscher, verbrecherischer Liebe besudelt hat!«

So rief der fromme Pilger, als er sich dem Ritter entfernt genug glaubte, um nicht von demselben gehört zu werden.

»O, ich will dir alles doppelt und dreifach vergelten, was du mir angetan hast. Du hast mich den Türken verkauft und ich will dich in Palästina halten, bis von deinen Gütern kein Stück mehr übrig, bis deine Tochter eine Metze geworden ist. Ihr werdet Jerusalem nicht so bald nehmen, ich werde bequemlich die Tochter genießen, wie er die Schwester genoss, die ich liebte. Ich werde nicht nach Rom gehen und das kostbare Geheimnis in meine Brust verschließen, um das Schicksal dieses blutschänderischen Ritters nach meinen Rachedurst lenken, um ihn mit aller Macht in Verzweiflung und Wahnsinn stürzen zu können. Das will ich, das soll die Aufgabe meines Lebens sein und nicht die Erlösung ihrer ewig verdammten Seelen, denen ich lieber noch eine hinzufügen will, die Seele ihrer Tochter, wenn ich sie geschändet habe.«

Solche Gedanken füllten die schwarze Seele des rachsüchtigen, lüsternen Mönches während seiner ganzen Reise in das Heimatland.

Eines Abends klopfte an dem Tor des Mönchsklosters, das der Burg des Ritters Bruno benachbart war, ein Pilgrim an. Der Pförtner öffnete und mit einem lauten Schrei der Überraschung rief er: »Seid Ihr es denn wirklich, Pater Claudin?«

»Ich bin es, mein frommer Bruder«, antwortete der Pilger, »aber macht keinen Lärm, führt mich zum Prior.«

Der Pförtner gehorchte. Wenige Minuten später stand Pater Claudin vor dem Prior, der gleichfalls in einen Ruf des Erstaunens ausbrach, als er den längst tot geglaubten Pater lebend und kräftig wieder vor sich sah.

»Ei, ei, Herr Pater«, fragte der Prior »wo habt Ihr Euch denn so lange herumgetrieben? Ihr wolltet nach Rom pilgern, um ein Gelübde zu vollbringen und habt vielleicht ein anderes Gelübde darüber gebrochen. Ich meine das Gelübde der Keuschheit, denn die Italienerinnen haben Euch sicherlich so lange in ihren Garnen gehalten.«

»Oder die ungläubigen Hunde, die Türken«, entgegnete Pater Claudin.

»Was? Wie seid Ihr in türkische Sklaverei geraten?«, fragte erstaunt der Prior, hieß den Pater sich setzen und reichte ihm einen hohen silbernen Pokal duftenden Weines.

»Meine Geschichte ist kurz, aber nicht, wie das Sprichwort sagt, erbaulich. Als ich in Rom und nachdem ich so glücklich gewesen war, den Heiligen Vater zu sehen, hätte ich zurückkehren können; doch tat es mir leid, Neapel nicht besucht zu haben. Ich beschloss daher hinzugehen, um das schöne Land Italien noch länger zu genießen. Dort angelangt, erging ich mich gleich am ersten Abend im Hafen. Während ich alte Bekannte zu finden glaubte, wurde ich plötzlich von zwei türkischen Schiffsknechten angepackt und auf ein Schiff gebracht, wo ich als Christensklave behandelt und nach Konstantinopel gebracht wurde. Dort wurde ich auf dem Sklavenmarkt verkauft und Eigentum eines Kaufmannes, der mich mit auf Reisen nahm. So kam ich in das Gelobte Land und habe am Heiligen Grab für unseres Klosters Gedeihen, für unserer Brüder und Schwestern Seelenheil gebetet.«

»Das habt Ihr recht gemacht, Vater Claudin, dass Ihr die Schwestern nicht vergessen habt, denn was wäre unser Klosterleben, hätten wir in der Nachbarschaft nicht so hübsche Schwestern, mit denen wir schon hienieden des Himmelreiches teilhaftig werden mögen. Aber fahret fort, Claudin.«

»Mein Herr starb in Palästina und Euer Claudin fand für gut, das Erbe seiner Kinder um einen Sklaven zu vermindern, indem er gleich nach seines Herren Tod entlief. Ich kaufte mir diese Pilgerkutte und gelangte ohne Aufenthalt hierher.«

»Noch eine Frage, Claudin«, schloss der Prior, »fandet Ihr die ungläubigen Damen hübscher als unsere christlichen?«

»Herr Prior, die ich gesehen habe, waren schön, aber unsere Nonnen …«

»Ja unsere Nonnen sind doch die besten«, gab der Prior lachend von sich und erzählte dem Pater Claudin, wie auch Ritter Bruno aus Italien zurückgekehrt sei und eine bildschöne Gemahlin mitgebracht habe; wie diese nach mehreren Jahren schnell verstorben und der Ritter nach Palästina gezogen sei.

»Habt Ihr Ihn denn nicht gesehen?«, fragte er den Heimgekehrten.

»Nicht nur gesehen, auch gesprochen habe ich ihn«, entgegnete der Gefragte. »Er hat ein Gelübde abgelegt, nicht eher wiederzukehren, bis Jerusalem und das Heilige Grab wieder in den Händen der Christenheit sei.«

»Dann werden wir ihn wohl für tot erklären können und Besitz von seinen noch übrigen Gütern nehmen, denn die Herren Nachbarn haben schon lustig gewirtschaftet und nicht auf die Drohungen und Verwünschungen des alten Burgkaplans gehört. Wäre das Fräulein Mathilde nur einige Jahre älter, würde die Burg voll Freier sitzen wie das Haus des Ulysses.«

»Die Herrschaft des Ritters muss dem Kloster gehören«, sprach mit Bestimmtheit der Mönch.

»Ja, wenn das Fräulein nicht wäre!«, antwortete der Prior.

»Hm!«, setzte der Mönch dagegen, »das lässt sich machen.«

Einige Tage nach dieser Unterredung, die am Ende in ein leises Flüstern übergegangen war, erschien Pater Claudin in der Burg und verlangte das Burgfräulein zu sehen. Der Kaplan, der ihn als den früheren Beichtiger des Ritters und seiner Schwester wiedererkannte, nahm keinen Anstand, ihn zu ihr zu führen.

Das junge Fräulein empfing den Mönch mit frommer Ehrerbietung und hörte aufmerksam auf seine gleißnerischen Reden. Ihre kindliche Unschuld sah nicht das lüsterne Flimmern seines Auges, das mit schändlicher Lust auf den jungen Reizen des zehnjährigen Mädchens ruhte.

Bald, bald wird sie mein sein, dachte der niedrige Heuchler und setzte seine Besuche mehrere Tage lang fort. Nach Verlauf einer Woche erklärte er dem Kaplan, es sei der Wille des Fräuleins, bis zur Rückkehr ihres Vaters im nahen Nonnenkloster zu weilen, um mit der größten Andacht täglich und stündlich für das Leben und die glückliche Rückkehr ihres Vaters bitten zu können am Altar der gebenedeiten Mutter Gottes.

Der alte Kaplan schüttelte den Kopf, wagte aber dem frommen Vorsatz seiner Gebieterin nichts entgegenzusetzen, zumal Pater Claudin denselben gleichzeitig als seinen eigenen Willen ausdrückte.

Einige Tage darauf verließ Mathilde die väterliche Burg und betrat ein Kloster, deren Bewohnerinnen ihren unzüchtigen Lebenswandel nicht sattsam zu Zeiten mit dem Nonnenschleier und ihren weiten faltigen Gewändern verbergen konnten!

Nun aber waren die Besitzungen des Ritter Bruno vollends der Raub- und Jagdlust der Nachbarn preisgegeben. Den alten Burgkaplan, der heftig dagegen eiferte, fanden die Bauern eines Tages von unzähligen Stichen durchbohrt im Wald. Die beiden Klöster fanden auch für gut, von der Herrschaft des Ritters zu nehmen, was ihnen gefiel. Die Burg stand leer und verödet. An die Rückkehr des Ritters dachte kein Mensch.

So vergingen drei Jahre. Mathilde wuchs zur teuflischen Freude des Paters Claudin zu einer blühenden, rosigen Jungfrau heran. Ihre Reize entfalteten sich unter seinen Augen, denn er war ihr Beichtiger, und die Beichtiger waren sehr oft im Kloster der Nonnen, deren sündige Bekenntnisse zu hören, die sie schon wussten und zu deren baldiger Erneuerung sie selbst in der Beichte den Anlass gaben.

Man suchte zwar diesen gottlosen Lebenswandel vor ihr geheim zu halten, allein Mathilde sah mit Erstaunen, wie die Mönche vertraut mit den Nonnen sprachen, wie sie in deren Zellen gingen, wie selbst der Prior stundenlang bei der Äbtissin verweilte und hörte mit Entsetzen, wie der Pater Claudin diesen Wandel einen Gott wohlgefälligen nannte, die Eintracht der Mönche und Nonnen pries und ermahnte, doch ja mit Eifer den Worten eines frommen Bruders Gehör zu geben, wenn er sie durch nähere, innige treue Freundschaft den Weg zum Himmel leiten wolle.

»O nein«, entgegnete einst die Jungfrau, »ich will lieber die Rückkehr meines Vaters in der verödeten Burg erwarten als hier den Verführungen preisgegeben sein, die unter dem Schein der Frömmigkeit doppelt gefährlich sind.«

»Ihr wollt die Rückkehr eueres Vaters erwarten?«, fragte der Mönch, der über die Rede des dreizehnjährigen Mädchen nicht wenig erschrocken war und einen schnellen Entschluss fasste. »Dann müsst Ihr umso mehr an das Jenseits denken, denn Euer Vater ruht schon seit Monden im Grab. Ihr werdet also das einstige Wiedersehen erwarten müssen, und das sollte ich meinen, erwarte sich am besten unter dem Nonnenschleier.«

Diese schändliche Lüge versetzte das arme Kind in einen trostlosen Zustand; aber unter den bittersten Tränen, versicherte sie mit Festigkeit, dass, wenn sie den Schleier auch nehme, sie doch in ein anderes Kloster treten werde. Nun aber verlange sie in die väterliche Burg gelassen zu werden. Sie hasse den verpesteten Aufenthalt in diesem Kloster.

»Ja!«, sagte der Mönch mit vor Zorn bebender Stimme, »Ihr sollt die Burg Eurer Väter bewohnen, solange Ihr wollt.« Er entfernte sich rasch und ließ Mathilde mit ihrem Schmerz allein.

Wenige Tage darauf öffneten Klosterknechte die Totengruft in der Burgkapelle. Man bereitete sie zur Aufnahme eines neuen Ankömmlings. Am Abend sahen die Bauern beim Schein der Fackeln einen Sarg auf die Burg hinauftragen. Mönche und Nonnen folgten ihm, stille Gebete murmelnd. Er wurde beigesetzt, und als die Messe verlesen wurde, hieß es, Fräulein Mathilde, Tochter des Ritter Bruno sei plötzlich am Fieber verstorben.

Jahre vergingen und man hatte den Ritter Bruno und seine Tochter, die nun an der Seite der unglücklichen Mutter ruhte, gänzlich vergessen. Die Burg stand leer und verödet. Die Besitzungen hatten sich die Klöster und benachbarten Ritter geteilt. Die Mönche und Nonnen führten ein lustiges Leben. Oft geschah es, dass Frauen oder Mädchen in halb weltlichen, halb klösterlichen Gewändern nachts an die Türen der Bauern klopften, für Pilgerinnen sich ausgaben, aber erst nach acht oder vierzehn Tagen die ärmliche Hütte wieder verließen und der Obhut und Pflege der Bäuerin einen Schreihals übergaben, dessen Gesichtszüge sich gewiss als die Kopie eines im Mönchskloster befindlichen Originales erwiesen hätten, wenn jemand da gewesen wäre, dieses zu erforschen. Pater Claudin musste auch etwas Liebes im Nonnengewand haben, denn immer noch hörte er fleißig die Beichte bei den frommen Sünderinnen und kehrte des Abends oft spät genug in seine einsame Zelle zurück. Es herrschte eine sybaritische Ruhe über dem Tal und den beiden Klöstern, die hierin eine Bestätigung zu finden meinten, dass ihr Wandel ein Gott wohlgefälliger sei.

Da erscholl plötzlich die Nachricht durch Europa und drang auch in dieses verborgene Tal, dass Jerusalem genommen und das Grab des Erlösers in den Händen der Christenheit sei. So groß auch der allgemeine fromme Jubel war, so hatten doch die Bewohner des Tales einen wichtigen Grund, ihren Jubel zu mäßigen. Am meisten aber erschrak Pater Claudin, denn nun musste er die Rückkehr Ritter Brunos fürchten, den er hinterging. Er hatte weder Absolution für ihn erwirkt noch für das Wohl seiner Tochter gesorgt, wie er versprochen hatte. Auch dem frommen Herrn Prior war es nicht angenehm, dass so schönes Land, welches sie bereits für ihr unbestreitbares Eigentum angesehen hatten, den Klöstern wieder verloren gehen sollte. Warum hatte man denn die Tochter des Ritters mit erheuchelter Trauer begraben, wenn man nun seine eigene Rückkehr fürchten musste?

Es ward Rat gepflogen zwischen dem Prior und dem Pater Claudin. Das Resultat dieser Beratung war, dass man einen Boten sendete an den Bischoff, und dieser einen Boten sendete nach Rom und dass dann plötzlich kund wurde im Land, dass Ritter Bruno in blutschänderischer Ehe gelebt mit seiner leiblichen Schwester, dass er sie auf seiner Burg verführt habe, und dann nach Rom gegangen sei, um sie zu ehelichen. Er habe die Kirche schändlich betrogen und nach seiner Rückkehr noch volle sechs Jahre mit ihr in verbrecherischem Umgang gelebt und endlich die Verführte nach einem Zwist durch Gift gemordet. Auch habe er in Italien einen frommen Pilger um schnödes Gold an die Türken verkauft und so einen Christen in langjährige, heidnische Sklaverei gebracht.

Das Entsetzen über diese Nachricht war groß im Land. Der Ritter wurde geächtet, die Burg verflucht, die Herrschaft den Klöstern zugesprochen. Und die Frommen bekreuzigten sich schon von fern beim Anblick der Zinnen der Burg. Der Prior hieß den Pater Claudin die Stütze seines Klosters und versprach ihm in Erfüllung seiner ferneren Rache gegen den Ritter beizustehen, wenn dieser sich unterfangen sollte, trotz Kirchenbann in die verödeten, verfluchten Mauern der Burg zurückzukehren. Pater Claudin war aber durch dies alles noch nicht zufriedengestellt. Eine geheime Unruhe, eine gewisse Ungeduld peinigte ihn und ließ ihn im Kloster wenig Ruhe. Er irrte im Tal, in den nahen romantischen Bergen umher und schaute oft zur Burg, öfters zum Kloster der Nonnen. Es war keine Unruhe des Gewissens, die ihn peinigte, es war vielmehr die Ungeduld, ein vorgestecktes Ziel nicht erreichen zu können, die ihn weder ruhen noch rasten ließ.

Pater Claudin war ein außerordentlicher Mensch. Ein Bösewicht, unfehlbar! Aber mit energischer Kraft. Kein Wollüstling, wie die übrigen Mönche seines Klosters. Er wusste seine Begierden zu zähmen, die Befriedigung der erwachenden Sinneslust Jahre lang hinauszuschieben, auf einen einzigen fernen, vielleicht unerreichbaren Gegenstand zu richten. Er hatte die Schwester und Gattin des Ritter Bruno wahrhaft und mit jener brennenden Leidenschaft geliebt, die nicht wie flüchtiges Verliebtsein verraucht, die nur mit dem Tod stirbt. Aber je brennender seine Liebe gewesen war, desto unversöhnlicher sein Hass, desto glühender sein Rachedurst, seit er an jenem Abend durch das Schlüsselloch gesehen und gehört hatte, wie der Gegenstand seines jahrelangen Sehnens den Zärtlichkeiten des Bruders unterlag. Seit jenem Augenblick füllte nur noch Rache sein Inneres, und diese Rache sollte dem grässlichen Gefühl gleichstehen, was ihn in jener Nacht die Brust zerrissen hatte. Denn furchtbar ist es, die Frau, nach dem sich unser ganzes geistiges und körperliches Sein kehrt und wendet, girrend in den Armen eines anderen zu sehen und zu wissen.

Pater Claudin, den seine lange Pilgerschaft nicht hatte von seinem verzehrenden Fieber heilen können, fand die Nonnen widerlich, weil sie so leicht ihm das boten, was langes Streben ihm noch nicht in dem Maße geboten wurde, wie er es begehrte. Er wollte nicht Liebe aus Sinnlichkeit, er suchte Sinnlichkeit aus Liebe, so wie sein gehasster Nebenbuhler selbst in den Armen der Schwester Sinnlichkeit aus Liebe gefunden hatte. Seine Klosterbrüder musste es daher Wunder nehmen, dass er dem ungeachtet häufiger die Beichte hörte bei den Nonnen als jeder andere.

Auf Pater Claudins einsamen Wanderungen kam ihm eines Tages der wunderliche Gedanke, die Burgkapelle und die Familiengruft des Ritters, wo Adeline ruhte, zu besuchen, auch das Gemach zu sehen, wo Adeline als reine Jungfrau gewohnt hatte. Dieser Gedanke hing wohl mit dem geheimen Streben zusammen, das alle, welche einen Verlust erlitten, fühlen, das Andenken der verlorenen Lieben durch Anschauen von Gegenständen lebhaft zu vergegenwärtigen, welche denselben im Leben gehörten. Darum halten wir so wert, was den Verstorbenen eigen war, und besuchen so gern die Gräber der Geschiedenen. Der flüchtige Gedanke Pater Claudins festigte sich zum Entschluss. Was dieser Mann einmal beschlossen hatte, führte er aus. Furcht kannte er nicht, und mit dem Nötigen versehen, betrat er eines Abends den Weg zur Burg in dicker Finsternis, aber mit festem Mut, jedwedes Abenteuer zu bestehen.