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Der Welt-Detektiv Band 6

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Hannikel – 12. Teil

Christian Friedrich Wittich
Hannikel
oder die Räuber- und Mörderbande, welche in Sulz am Neckar in Verhaft genommen und daselbst am 17. Juli 1787 justifiziert wurde
Verlag Jacob Friderich Heerbrandt, Tübingen, 1787

Kaum hatte er sich aber eine halbe Stunde entfernt, so sprang ein Salischer Jäger ganz außer Atem zu den Bauernhäuflein hin und fragte sie, ob sie nicht einen Kerl von der ihnen beschriebenen Postur gesehen hätten.

»Ei ja, ei ja«, sagten sie, »vor einer halben Stunde hat eben derselbe mit uns zu Mittag gegessen und darauf seinen Weg dort hinaus schnell weiter genommen.

Der eifrige Jäger, der bereits in zweimal 24 Stunden wenig Ruhe genoss, spürte nun keine Mattigkeit mehr. Seine Kräfte wurden durch diese gute Nachricht aufs Neue gestählt. Mit einem durch Mark und Bein dringenden Allo! Allo! rief er alle Bauern, die in der Gegend waren, samt ihren Knechten zusammen. Nach einem kurzen Begreiflichmachen, welchem verruchten Bösewicht ihre Tätigkeit gelte, brachte er sie schnell in Bärenjagdordnung. Seine Absicht dabei war, teils dem Flüchtling durch diese Anstalt, wenn er irgendwo liegen sollte, es nicht merken zu lassen, dass man ihn aufsuche, teils auch, um ihn desto besser einkreisen zu können.

Schon war man eine ganze Stunde bemüht, ohne den gewünschten Fang zu tun. Aber nun kam alles auf einmal in freudige Bewegung. Unversehens erblickte man ihn in einiger Entfernung. Mit einer Baumstütze in der Hand lief er immer noch in seinen Teppich eingewickelt über den Wasen hin. Er merkte es zuerst nicht, dass man Jagd auf ihn machte. Erst, da man ihm ganz nahe kam und er sich von allen Seiten her umringt und eingeschlossen sah, gingen ihm die Augen auf.

Des Grafen Jäger, der ihn schon das erste Mal einfangen half, erkannte ihn sogleich und rief den Bauern aus vollem Halse zu: »Er ist es, er ist es, der Mörder!«

In diesem Augenblick stürzten alle wie rasend auf ihn hin.

Kaum merkte Hannikel, wo es hinaus wolle, als er die Bauern in der brutalsten Stellung mit unglaublicher Keckheit anschnarrte. »Ist das auch Manier, so auf einen ehrlichen Mann loszugehen? Ich bin unschuldig und ein gelernter Jäger. Lasst mich passieren oder ihr werdet Wunder erfahren.«

Die Bauern lachten über diese Bedrohung. Einer von ihnen, dem er mit seiner Baumstütze eins auf den Kopf versetzen wollte, schlug ihn mit seinem Prügel so hart auf die Hand, dass er die Stütze fallen ließ.

Nun versuchte er es, sich in größter Eile mit der Flucht zu retten und seinen Weg über einen vier und vielleicht noch mehrere Kirchtürme hohen Berg hinunter zu nehmen. Aber als er eben die Spitze desselben erreicht hatte, packte ihn einer von den nachgesprungenen Bauern noch an der Kehle. Beide purzelten und purzelten aneinander geklammert, immer einer über den andern, über Hecken und Stauden, den Berg hinunter.

Viele Leute, die am Fuße des Berges auf den Wiesen arbeiteten, als sie sahen, was über ihnen herunterrollte liefen hinzu, hielten

die Walze an und machten beide voneinander los.

Zwei von ihnen führten sodann Hannikel jeder an einem Arm fort. Einstmals aber, da sie mit ihm über ein Gräblein schreiten mussten, schleuderte er die Bauern von sich weg, als ob sie ihn nie gehalten hätten. Von einer sichtbaren Angst erlöst, sprang er so schnell, wie er nur konnte, davon. Alles was Füße hatte, rannte hinter ihm drein.

Ein Bauer holte ihn ein, fiel ihm in die Haare und wollte ihn zu Boden reißen. Das Haar blieb ihm aber in der Hand und weg war der Gefangene.

Inzwischen näherten sich doch die letzten Augenblicke seiner Freiheit. Seine Verfolger trieben ihn an einen sehr hohen Zaun, über welchen er hinübersetzen oder sich ergeben musste. Er versuchte das Erstere. Ein von den Bauern noch nie gesehener hoher Sprung sollte ihn retten. Der Ansatz aber war zu kurz, er blieb mit beiden Füßen im Zaun hängen.

Die Bauern, immer noch in der Hitze, ereilten ihn, ehe er sich losgemacht hatte, und hielten ihn fest. Da er sich aber auch da noch wehren wollte, schlug ihn einer von ihnen so hart auf die Nase, dass ihm auf einige Zeit Hören und Sehen verging und er ganz betäubt auf der Erde lag.

Inzwischen kamen auch des Grafen Jäger mit den übrigen Leuten hinzu, banden dem Bösewicht Hände und Füße, dass er sich nicht mehr rühren konnte, und führten ihn auf einem Karren vor die Obrigkeit nach Ragaz.

Den guten Anstalten des verdienten Grafen von Salis hatte man also Hannikels neue Arretierung zu verdanken. Inzwischen wetteiferte der vortreffliche Baron von Gugelberg mit ihm um gleichen Ruhm, denn auch dieser ließ durch sein ansehnliches Grenadierkommando, das sich in Bauernhabit umkleiden musste, Wälder und Felder durchstreifen, und visitierte selbst die Zoll- und Rheinbrücke.

Während all diesen Veranstaltungen trat Herr Oberamtmann Schäfer mit den übrigen Verhafteten seine Rückreise nach Sulz an; von den feierlichsten Versicherungen begleitet, dass man ihm Hannikel, sobald man ihn wieder erwischen sollte, wohlverwahrt nachschicken wolle.

Der Abschied von dem menschenfreundlichen edlen Grafen von Salis und Baron von Gugelberg war schön und rührend.

Als er mit seiner Bedeckung in Vaduz ankam, besuchte er den dortigen Landvogt Gilm von Rosenegg, der ihn nicht nur sehr liebreich empfing, sondern ihm auch sehr viele Ehre erwies. Sie hatten sich eine ganze Stunde miteinander unterhalten, als der Landvogt einen Reiter mit verhängtem Zügel auf sein Haus zu galoppieren sah.

»Ah«, sagte er mit lachender Stimme, da reitet der Postmeister von Balzers im Flug auf uns zu. Ich wette, er bringt uns Nachricht von Hannikels Gefangennahme!«

Es war an dem. Der Postmeister kam an, machte weitläufige Erzählungen, dass und wie der Entwichene wieder handfest gemacht worden sei und entfaltete dadurch die Gesichter aller Anwesenden.

Oberamtmann Schäfer schickte hierauf seinen beherzten und getreuen Amtsdiener Graun sogleich nach Sargans, wohin Hannikel gebracht wurde, mit Ketten ab, um sich über seine gute Verwahrung beruhigen zu können. Er saß aber durch die sorgfältige Veranstaltung des Landvogts von Mohr schon so fest, dass an keine weitere Flucht mehr zu denken war. Hände und Füße waren ihm gebunden, und von den vier Wächtern mussten ihn immer zwei auf beiden Seiten an einem Strick halten; und zwei Männer innerhalb der Tür, ihrer vier aber außerhalb derselben die ganze Nacht hindurch die Wache versehen.

Damit man ihn nun nicht vor den in Chur entsprungenen Hannikel halten sollte, gab er bei dem Verhör auf dem Schloss zu Sargans an, er heiße Johannes Lagarell und sei ein kaiserlicher Deserteur. So verschlagen war der Betrüger.

Die Umstände erforderten Herrn Oberamtmanns eigene Gegenwart in Sargans. Ungesäumt eilte er dahin zurück und fand bei seiner Ankunft die meisten Hindernisse wegen Hannikels neuer Auslieferung von dem edlen Grafen von Salis schon aus dem Weg geräumt. Der Gefangene wurde ihm übergeben und dessen Abführung bescheinigt. Beim Eintritt der Sulzer Mannschaft in den Kerker kam Hannikel aus aller Fassung. Mut und Sprache entfielen ihm ganz, denn er hatte sich beredet, man werde ihn nun nicht mehr ausliefern. Er wandte auch alles an, um solches zu bewerkstelligen und Aufruhr unter dem Pöbel zu erwecken.

Bei seinem Transport auf das Schloss rief er demselben im weinerlichen Ton zu: »O, ihr heiligen Schweizer, behauptet doch Eure Rechte und Freiheit und erbarmt Euch eines Unschuldigen, der niemand beleidigt hat. Mein Blut wird einst nach Rache über Euch schreien, wenn Ihr mich in fremde Hände kommen lasst. Ich bin ein gelernter reisender Jäger und habe Euch immer lieb gehabt.«

Allein das Volk, schon hinlänglich durch den wackeren Pfleger Matthis von seinem schwarzen Charakter unterrichtet, blieb bei seinem Geheul ungerührt. Ein hitziges Bäuerlein kam sogar zum Landvogt und fragte ihn, ob er nicht geschwind in das Gefängnis laufen, dem Schelm ohne weitere Umstände das Messer in den Leib stoßen und den Garaus machen dürfe. Der Kerl sei ein Mörder, und Mörder müssen umgebracht werden.