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Im Zauberbann des Harzgebirges – Teil 46

Im Zauberbann des Harzgebirges
Sagen und Geschichten, gesammelt von Marie Kutschmann

Burg Arnstein

Vor vielen Jahren thronte auf hohem Felsenberg die Burg Arnstein. Alle Wanderer, die des Weges kamen, blickten mit Angst und Furcht auf die Feste, denn ihr Herr, der Graf von Arnstein, stand weit und breit in dem übelsten Ruf. Er war ein grausamer, wilder Mann, der nur danach trachtete, seine Reichtümer zu vermehren und deshalb besonders den Kaufleuten höchst gefährlich war.

Seine Gesellen schauten Tag und Nacht ins Tal. Sowie sie Reisende erblickten, wurde ein Zeichen gegeben, und wie die Windsbraut stürzten sie den Berg hinunter, nahmen den Kaufleuten ihre Waren, und wenn ein Lösegeld zu erhoffen war, warfen sie die armen Gefangenen ins Verließ oder töteten diejenigen, welche sich zur Wehr setzten.

Mehrfach war der Versuch gemacht worden, die Räuberburg zu stürmen; aber so viele sich auch daran beteiligten, immer zogen sie erfolglos ab, denn die Mannen des Grafen waren so wild und kühn, wie er selbst und sichere Mauern schützten die Burg vor jeder Einnahme.

So blieb den Edlen der Nachbarschaft, denen das Treiben des Grafen längst ein Gräuel war, nichts weiter zu tun übrig, als dem Arnsteiner möglichst seine Raubzüge zu vereiteln. Dies taten sie auch geflissentlich, und manch guter Fang entging dem Ritter dadurch. Wütend über diese Einmischung in seine Angelegenheiten verfolgte er die Standesgenossen mit furchtbarem Hass; besonders dem Grafen von Falkenstein hatte er blutige Rache geschworen.

Graf von Arnstein gehörte nicht zu den Rittern, denen der heimliche Überfall eines Feindes als ehrlos und eines Edlen unwürdig erschien. Ihm galt alles erlaubt, was ihn zu seinem Ziel führte. Offen wagte er dem Falkensteiner mit seinen, wenn auch kühnen, doch immerhin nur wenig zahlreichen Gesellen nicht zu nähern. Darum verbarg er sich in der Nähe der Burg, um auf diese Weise seinen Zweck zu erlangen.

Leider glückte ihm sein schlechter Plan. Eines Tages ritt der Sohn des Grafen von Falkenstein ohne Begleitung in den Wald. Da schlichen ihm die Arnsteiner unbemerkt nach, überfielen den Ahnungslosen hinterrücks und schleppten ihn gefesselt auf ihre Burg, wo er als Geisel in das schreckliche Gewölbe geworfen wurde.

Die Gattin des Grafen von Arnstein, eine milde, gute Frau, war längst verstorben. Solange sie an seiner Seite lebte, hatte sie alles aufgeboten, um dem Anwesen ihres Gatten zu steuern, aber nur wenig mit ihren Bitten erreicht. So war sie zum Beispiel, von Mitleid getrieben, heimlich in die Gewölbe gegangen, hatte die Unglücklichen getröstet, sie mit Speise und Trank erquickt, um ihre bedauernswerte Lage besser zu gestalten. Plötzlich war die gute Frau erkrankt und starb. Zum Segen der Gefangenen aber ließ sie eine Tochter zurück, auf die sich all ihre Güte und Frömmigkeit vererbt zu haben schien; denn nach dem Tod der Mutter folgte sie ganz deren Spuren. So wie die Burgfrau der einzige Trost der armen Gefangenen gewesen, so war auch ihres barmherzigen Töchterchens Walten bald der einzige Sonnenstrahl, der in die schauerlichen Kerker drang.

Der Vater kümmerte sich wenig um sein liebliches Töchterlein, welches ihm daher ihr Tun und Treiben leicht verbergen konnte. Nach dem Tod seiner ersten Gemahlin hatte er die Beschließerin der Burg geheiratet, eine böse Frau, die, anstatt ihn von seinen Freveln abzuhalten, ihn nur zu immer schrecklicherer Gräueltaten anspornte. So wurde denn schlimmer als je dort gehaust, und die Raubzüge hielten den Grafen und seine Gesellen oft tagelang fern.

An einem solchen Tag war Beate wieder hinabgestiegen, um den Schmachtenden Trost zu bringen, als sie im Gewölbe den Ritter von Falkenstein erblickte, der auf Befragen dem jungen Mädchen sein Leid anvertraute. Tiefes Mitleid bemächtigte sich ihrer bei seinen Worten, und so oft sie es wagen konnte, stieg sie hinab zu ihm, der ihr Erscheinen wie das eines Engels begrüßte. Er sah, mit welcher Güte Beate den Gefangenen entgegentrat, er hörte, wie sie für jeden einen Trost, für jeden ein teilnehmendes Wort hatte. Innige Liebe zu diesem frommen, herrlichen Mädchen zog in sein Herz.

Auch Beate fand bald großes Wohlgefallen an dem jungen Ritter, denn der Mut und die Ergebenheit, mit denen er alles Ungemach erduldete, zwang ihr die größte Bewunderung ab. Diese verwandelte sich gar bald in die innigste Liebe.

Dass der Geliebte nun in diesem finsteren, schaurigen Verließ schmachten musste, machte sie tief unglücklich. Tag und Nacht sann sie, wie Mittel und Wege zu finden seien, um ihn zu befreien. Endlich hatte sie einen Entschluss gefasst und wartete nur auf den günstigen Augenblick, denselben auszuführen. Sie brauchte nicht allzu lange zu harren.

Ihr Vater kehrte einst schwer verwundet von einem Raubzug heim. Seine Gattin war um ihn beschäftigt, und die Gesellen des Grafen benutzten die augenblickliche Freiheit, um ihre eigenen Wege zu gehen. Beate bemerkte dies und wusste sich heimlich des Schlüssels zu einem Pförtchen zu bemächtigen, welches ins Freie führte.

Ihr Plan gelang. Unbeobachtet führte sie den Ritter Bruno von Falkenstein über den Hof und drängte ihn eilig durch die Pforte. Doch der edle Jüngling erfasste ihre Hand, zog sie mit sich hinaus und bat sie, mit ihm zu fliehen, um in der Burg seiner Eltern Schutz vor der Rache ihres Vaters zu finden. Denn dass der Graf und die Gräfin das Entfliehen ihres ärgsten Feindes an ihrem eigenen Kind furchtbar rächen würden, daran war kein Zweifel.

Wie gern wäre Beate mit ihm gegangen! Aber der Gedanke, dass dann die armen Gefangenen ohne jeden Trost, ohne jede Hilfe wären, ließ sie seinen Bitten widerstehen. Immer heftiger drang er in sie, aber immer entschiedener weigerte sie sich.

Endlich rief er: »Nun, dann teile ich dein Schicksal und bleibe bei dir!«

Erschreckt vernahm sie seine Worte, denn schon hörte sie in der Ferne Waffengeklirr, ein Zeichen, dass man die Flucht bemerkt hatte. In der furchtbaren Angst, in der Furcht, den Geliebten wieder in den rohen Händen seiner Verfolger zu sehen, die ihn wegen des Fluchtversuches nun ärger denn je misshandeln würden, drängte sie ihn mit übermenschlicher Kraft hinaus und bat ihn noch einmal, zu eilen. Nur wenn er selbst frei sei, könne er ihr Hilfe senden.

Diese Worte verfehlten nicht den Eindruck, den sie machen sollten. Bruno gab Beates Bitten nach, ergriff noch einmal ihre Hand, steckte einen Ring, den er bisher getragen hatte, an ihren Finger und bat sie, in höchster Not der wunderbaren Kraft desselben zu gedenken, von der er ihr einst im Kerker erzählt hätte. Dieser Ring war ein Vermächtnis des Geschlechts der Falkensteiner. Eine gütige Fee hatte denselben aus Dankbarkeit der Mutter des jungen Grafen gegeben und dabei bemerkt, dass der Träger desselben, wenn er einst in höchster Not sich befände und menschliche Hilfe nicht mehr ausreiche, denselben nur dreimal am Finger drehen solle. Dann werde sie sofort erscheinen, um Rettung zu bringen.

Beate sah den jungen Ritter in der Dunkelheit verschwinden, die ihn den Augen der Verfolger entziehen musste, und beruhigt schloss sie die Pforte. Da traten ihr auch schon die Knechte des Vaters entgegen und ihnen voran – o Schrecken – schritt die Gräfin, die grausame Frau, der Beate ohnehin ein Dorn im Auge war und die innerlich frohlockte, eine so schwere Anklage gegen das arme Mädchen erheben zu können. Sofort eilte die Boshafte zum Grafen und erzählte ihm das Vorgefallene. Als er zornig emporfuhr, wusste sie seine Wut in solchem Maße zu steigern, dass er befahl, man solle Beate in den Kerker werfen, aus welchem sie Bruno soeben befreit hätte.

Der Mutter schien diese Strafe zu gering und eigenmächtig fügte sie den Befehl hinzu, Beate des Hungertodes sterben zu lassen. Schon lange hatte sie gewünscht, von der lästigen Tochter befreit zu sein. Nun wollte sie ihren Zweck erreichen.

Wie entsetzlich war für Beate der Aufenthalt in dem schaurigen Gewölbe, wo kein lebendes Wesen sich ihres Jammers annahm, wohin keiner kam, ihr Trost zu bringen, wie sie es so oft für die anderen getan hatte. Aber die Gräfin hatte selbst den Schlüssel in Händen, wohl wissend, dass jedermann die gute Beate liebte und mit eigener Gefahr versucht haben würde, sie zu befreien oder wenigstens durch Speise und Trank zu erquicken. Nur ein matter Lichtstrahl drang durch die einzige kleine Öffnung des Gemäuers. Mit Schaudern sah sie dort, wo dieser Schimmer die sie umgebende Finsternis erhellte, all die Gräuel eines solchen Gefängnisses. Obwohl ihre Frömmigkeit ihr half, das schreckliche Leid anfangs ergeben zu tragen, so erlag sie nach Verlauf zweier Tage doch fast der Verzweiflung. In ihrem Elend und Kummer hatte sie den Hunger zunächst kaum verspürt, aber nun, als zum dritten Mal die Nacht hereinbrach, quälte derselbe sie so entsetzlich, dass sie sterbensmatt in die Knie sank und Gott bat, sie zu sich in den Himmel zu nehmen. Wie Beate so händeringend am Boden lag, umgab sie plötzlich ein heller, goldiger Lichtstrahl, liebliche Düste erfüllten den dumpfen Raum des Kerkers und eine silberhelle Stimme drang an ihr Ohr.

,,Du hast den Ring an deinem Finger gedreht, und was ich einst versprochen habe, das halte ich. Deshalb komme ich auch zu dir. Was du duldest, sehe ich, und was du wünschst, weiß ich. Darum harre geduldig auch du Arme, ich werde dich erretten.«

Der leuchtende Schimmer entschwand, mit ihm die liebliche Gestalt, die wie ein Engel herniedergeschwebt war und Trost in Beates Herz gebracht hatte. Wie hatte sie nur in ihrer großen Not dieses Talismans vergessen können, der ihr nun ungeahnte Hilfe brachte! Neue Hoffnung zog in ihr Herz und ein inbrünstiges Dankgebet sandte sie zu Gott. Da ließ sich in der Stille der Nacht ein leises Picken an ihrem Fenster vernehmen und gleich darauf hörte sie die Worte:

Lass mich ein, lass mich ein, schön Jungfäulein,
tu auf, tu auf dein Fensterlein,
mich sendet der Ritter von Falkenstein.

Überrascht von dieser Anforderung tat sie, wie ihr geheißen. Alsbald schlüpfte ein Edelfalke durch die Eisenstäbe und legte fest zusammengeschnürte Speisen vor ihr nieder, indem er sie mit klugen Augen zutraulich anblickte, seinen Schnabel öffnete und abermals sprach:

Zag nicht, zag nicht, es rettet dich
der Ritter Bruno sicherlich.

Freudig erzitterte ihr Herz bei dem Gedanken so naher Rettung. Freudig trug auch sie dem Falken ihre Grüße auf und sprach ihm vor:

Ich grüße dich, Ritter von Falkenstein,
ich grüße dich, Treugeliebter mein,
Gott nur und dein
will ich ewig sein.

Der Falke zwängte sich wieder durch die Stäbe, und Beate genoss die ihr gesandten Speisen, die ihr neue Kraft und frischen Mut zum Ausharren gaben. Jede Nacht kehrte der Falke wieder mit reicher Sendung und innigen Grüßen, endlich mit der Botschaft, dass der Graf von Falkenstein mit großer Macht herannahe, die Burg zu stürmen und sie zu befreien.

Auch der Ritter von Arnstein hatte Kunde von dem Unternehmen der Falkensteiner erhalten. Sein Zorn kannte keine Grenzen bei dem Gedanken, dass er nun müßig auf dem Lager ruhen solle, anstatt die Reihen der Kämpfenden anzuführen und die gehassten Falkensteiner zu vertilgen. Denn dass diese unterliegen würden, daran war für ihn kein Zweifel. Seine feste Burg konnte kein Feind bezwingen, am wenigsten der von ihm verachtete Falkenstein. Die Gräfin aber war so mutig wie grausam und leitete mit großer Umsicht die Vorbereitungen zur Verteidigung. Um den jungen Falkenstein recht zu höhnen und sich seiner ohnmächtigen Wut freuen zu können, befahl sie ihren Knechten, sie sollten Beates Leiche aus dem Gewölbe holen und sie dem anziehenden Heer entgegenwerfen. Wie erschrak sie aber, als sie von den Gesellen vernahm, dass Beate lebe und noch frisch und kräftig sei. Sie musste sich erst selbst von der Wahrheit dieser Aussage überzeugen, um das Unmögliche zu glauben.

Nun galt es, ein anderes Mittel zu finden, um sich von diesem lästigen Mädchen zu befreien. Die Wahl wurde der grausamen Frau nicht allzu schwer. Nach kurzem Entschluss sandte sie Beate stark vergiftete, verführerisch schöne Speisen und die Botschaft, dass die Qualen ihrer Tochter sie rührten und sie ihr verzeihen wolle. Schon wollte die gute Beate arglos die Speisen zu sich nehmen, als mit großer Hast der Falke in das Gefängnis stürmte und mit furchtbaren Flügelschlägen ihre schon erhobenen Hände traf, dass der Weinkelch zu Boden fiel und der Inhalt verschüttet wurde. Nun entriss er mit seinen Klauen ihr die übrigen Speisen und ver­schwand schleunigst damit. Staunend sah Beate diesem unerklärlichen Vorgang zu, denn noch immer stieg keine Ahnung von der Falschheit der Gräfin in ihrem arglosen Gemüt auf.

Am nächsten Morgen sah diese selbst nach Beate. Noch größer als tags zuvor war ihr Staunen, als sie die verhasste Stieftochter abermals lebend antraf. Nun wagte sie nicht noch einmal Hand an Beates Leben zu legen, denn sie sah, dass diese von einer höheren Macht geschirmt wurde. Aus ihren Augen aber sollte und musste das Mädchen. So wollte sie denn versuchen, den Vater zu solcher Wut gegen die Tochter zu reizen, dass er sie mit eigenen Händen tötete.

Schnell führte sie ihren abscheulichen Vorsatz aus, ging zum Grafen und klagte ihm, sie wisse zwar nun ein Mittel, ihn zu heilen, aber sie könne es nicht erlangen, weil der Trotz seiner Tochter sie daran hindere. Der Graf wurde von heftigem Grimm erfasst und verlangte alles zu wissen. Beates Trotz wolle er schon mit Leichtigkeit brechen. Darauf erzählte die Gräfin, dass ihr von einer kundigen Frau der Rat gegeben worden war, Spinnweben zu einem einzigen langen Faden spinnen zu lassen, um aus diesem ein Gewebe zu fertigen, welches, auf die Wunde gelegt, dieselbe sofort heilen werde. Beate aber wäre die Einzige, die diese Arbeit vollbringen könne, da große Geschicklichkeit dazu gehöre, denn sowie der Faden reißen würde, wäre das Leben des Kranken gefährdet. Sie habe sogar schon manchen schwer Verwundeten heimlich damit geheilt; aber sie weigere sich entschieden, ihrem eigenen Vater diesen Dienst zu erweisen. Bei diesen lügenhaften Worten stieg des Grafen Zorn auf das Höchste und er brüllte, dass das Schloss erdröhnte: Wenn Beate nicht in drei Tagen ihm den Verband brächte, so werde er sie mit eigener Hand erdolchen. Die Gräfin ließ Beate aus dem Gewölbe holen und hieß sie, sich in die Kemenate an die Spindel zu setzen, um das erwähnte Gespinst zu fertigen. Überrascht lauschte diese den Worten der Mutter, da sie von einem solchen Gewebe nie gehört hatte und nicht denken konnte, dass es möglich sei, die zarten Spinnweben zu einem festen, unzerreißbaren Faden zu formen. Doch gern war sie bereit, den Versuch zu machen, besonders als sie hörte, dass es für ihren Vater sei.

Mit großem Fleiß begann sie ihre Arbeit, und welch Wunder, mit schönen, glänzenden und festen Fäden füllte sich die Spindel mehr und mehr. Zwei Tage hatte Beate unablässig gesponnen, war dann aber, von Müdigkeit überwunden, in tiefen Schlaf gesunken. Hierauf hatte die Gräfin, die längst mit Schrecken sah, dass auch ihr neuer Plan misslingen würde, nur gewartet. Leise zerschnitt sie die Fäden des Gespinstes und eilte damit zum Grafen, jammernd und klagend über Beates Schlechtigkeit, die, obwohl ihr die Arbeit so gut gelungen sei, dieselbe zerschnitten habe, um ihrem Vater den Tod zu bringen, offenbar, damit er dem Falkensteiner nicht mehr gefährlich werden könne.

Diese Worte brachten den Grafen außer sich. Obwohl schwer krank, flog er doch pfeilschnell vom Lager empor und schrie mit heiserer Stimme, dass man ihm die Tochter bringen solle. Man stürzte fort, sie zu holen, die noch, von lieblichen Träumen umfangen, sanft schlummerte. Erschreckt fuhr sie bei dem lauten Rufen auf, trat dann aber ohne Furcht vor ihren Vater, da sie in der Eile nicht einmal die Zerstörung ihrer Arbeit bemerkt hatte.

Aber grässlich war der Anblick, der sich ihr darbot. Mit rollenden Augen und wutverzerrtem Gesicht trat der Vater ihr entgegen, in der hoch erhobenen Hand sein Schwert, das er der Ahnungslosen mit furchtbarer Wucht entgegenschleuderte.

Beate zuckte zusammen, dem Wurf zu entgehen; das aber hätte sie nicht retten können, da der Wurf zu gut gezielt war. In dem Augenblick jedoch, in welchem die Waffe sie treffen musste, flog dieselbe, wie von unsichtbarer Hand geleitet, zurück und fiel auf das Haupt der Gräfin, die schwer getroffen zu Boden sank. Zugleich erhellte der goldige Schimmer, der einst in Beates Kerker drang, das Gemach, derselbe liebliche Duft durchzog den Raum und aus dem strahlenden Licht trat abermals die liebliche Engelsgestalt, die gütige Fee hervor.

Freundlich blickte sie auf Beate, die vor Schreck in die Knie gesunken war, und sprach mit ihrer klaren Stimme: »Erhebe dich, mein Kind, und gehe von dieser Stätte des Lasters. Du sollst glücklich werden, wie du, Gute, es verdienst. Ihr aber,« sprach sie mit harter, dröhnender Stimme zu dem sie furchtsam anstarrenden Grafenpaar, »Ihr aber sollt büßen für Eure Schlechtigkeiten und sterben. Auch im Tode sollt Ihr keine Ruhe finden. Du, böses Weib, magst das Gespinst vollenden, das Beate auf dein Geheiß begonnen hat. Du magst spinnen, solange noch Spinngewebe an diesen Mauern haften, und nicht eher ruhen, bis der Faden reißt. Und du,« rief sie dem Grafen zu, »sitze hier mit deinem Schwert zur Strafe für alle damit begangenen Gräueltaten, bis der Rost der Blutspuren, die dasselbe trägt, einst schwinden wird.«

Ein sanftes Wehen zog durch den Saal, der goldene Schimmer war entschwunden. Starr saß das unselige Paar sich gegenüber. Ein furchtbares Getöse schallte durch die Burg – sie hörten es nicht: Aus ihren Augen blickte der Tod. Die Falkensteiner hatten das Schloss gestürmt, der Widerstand war schwach gewesen, denn die ganze Bemannung hatte ein panischer Schrecken ergriffen, als sie von dem im Saal Vorgegangenen Kunde erhielten.

Mit Leichtigkeit hatten die Feinde Besitz von der Burg genommen und Bruno eilte sofort durch alle Räume, um Beate zu suchen. Endlich fand er sie weinend in der Kemenate. Doch ihre Blicke erhellten sich, als der Geliebte ihr tröstend nahte, um sie von dem Ort des Schreckens und des Lasters in seine Burg fortzuführen. Da wurde sie bald die Gemahlin des edlen Falkensteiners.

Noch heute blicken wir in das schauerliche Verließ, in dem einst Beate und Bruno schmachteten, in dem mancher brave Ritter sein Leben aushauchen musste. Nun herrscht friedliche Stille hier oben, und aus den Mauern, durch welche einst Jammer und Klagen erschallte, schlägt nun nur das leise Huschen der aufgestörten Fledermäuse an unser Ohr, und unsere Augen erblicken nur die schimmernden Farben kleiner Eidechsen und goldener Käfer. Doch aus den Überresten des großen Saales sollen allnächtlich bange, schwere Seufzer durch die Stille hallen; denn das Grafenpaar harrt noch immer der Erlösung. Mit stieren Augen blickt der Graf auf sein Schwert, das die vielen hundert Jahre noch nicht von dem Blut zu reinigen vermochten, und seine Gattin sitzt ihm gegenüber. Die Hände spinnen unablässig an dem feinen Gespinst, dessen Faden nicht reißen und nicht enden will; denn überreich sind die Trümmer der Burg mit Spinnweben behaftet.

Wann werden sie die ersehnte Ruhe erlangen? Wann werden ihre Seufzer nicht mehr durch die stillen Nächte hallen?

Wohl manches Jahr mag noch vorüberziehen, bis ihnen die Erlösungsstunde schlägt; denn noch manches Jahr wird die herrliche Ruine, der Zeuge einstiger Macht und schwerer Schuld, in das herrliche Tal hinabblicken.