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Das Gespenst im alten Schloss – Kapitel VI

Das Gespenst im alten Schloss
Oder: Ein Verbrecher verrät sich selbst

VI.

»Umsonst beteuerte mein Vater seine Unschuld. Man schalt ihn einen Betrüger. Alle, besonders der junge Graf behaupteten, dass er den Schmuck und das Gold beiseite gebracht und einen Diebstahl zum Vorwand gebraucht habe, um sich seiner Zeit des Raubes umso sicherer freuen zu können.

Mein armer Vater musste ein Verbrecher sein und kam ins Gefängnis. Der Ausgang konnte nicht zweifelhaft sein, denn mein Vater konnte nicht Aufschluss geben über das Verschwinden des anvertrauten Gutes. Als er seinen Verdacht gegen Förster Simon aussprach, wurde es noch schlimmer. Man untersuchte unvermutet die Försterei und den Angeschuldigten, aber es fand sich kein Beweis und mein armer Vater musste auch noch ein Verleumder sein und seinem Todfeind Abbitte leisten. Das ging ihm ans Leben.

Der entsetzliche Schmerz hierüber zog der Mutter eine schwere Krankheit zu, von der sie sich nicht mehr erholen konnte – und, mein Gott! Sie ist noch im Spital. Mich aber hielt nichts zurück, meinen Vater zu sehen. Ich bat und flehte, bis man mich zu ihm führte. Aber ach! Wie fand ich ihn? Bleich, eingefallen und gebeugt saß er in dem engen dumpfen Gefängnis. Er fiel mir um den Hals, weinte wie ein Kind, segnete mich und nahm dann einen herzzerreißenden Abschied. Mit unaussprechlichem Weh besuchte ich noch meine Mutter, ehe ich mich wieder zu meiner lieben Verwandten begab.

Nach ein paar Wochen schon erhielten wir die Nachricht, dass der Vater gestorben sei. Ich weinte über ihn und betete für ihn, aber der Gedanke, mein guter unschuldiger Vater hatte vor den Augen der Menschen als Verbrecher seinen Lebenslauf vollenden müssen, durchbrannte mich wie Feuer. Mein Gott, bat ich, hilf mir, die Ehre meines Vaters herzustellen und den Schandfleck von seinem Namen abzuwaschen. Das soll nun die Aufgabe meines Lebens sein. Was ich über den Förster von den Eltern gehört habe und was mir mein Inneres zusprach, bestärkte mich, dass er der Urheber alles Unglückes in unserer Familie aus Eifersucht und Rache sei und auch den schrecklichen Diebstahl begangen habe. So habe ich mich aufgemacht aus der Ferne zu der Försterei am alten Schloss, so hast du mich gefunden. Sag nun selbst, Caspar! Wäre es nicht besser, wir hätten uns niemals gesehen. Ehrlos ist mein Name, ich bin die Tochter eines vermeintlichen Verbrechers und einer armen kranken Mutter im Spital.«

Caspar starrte schweigend vor sich hin. Vefe schluchzte, aber vor dem Fenster wurde ein Männerkopf sichtbar, der alsbald wieder verschwand.

»Und noch«, fuhr Vefe wieder fort, »noch bin ich in der Ausführung meines Vorhabens um keinen Schritt vorwärts gekommen. Ich habe nichts entdecken können. Mein Hiersein ist verfehlt! Der Loisl allein ist meine Hoffnung, denn dieser weiß mehr, als er sagen will. Vor ihm fürchtet sich der Förster und lässt ihn und seine Genossen deswegen nach Belieben wirtschaften. Er sieht sich nun nicht mehr sicher hier. Darum will er weit fort übers Meer. Aber es soll ihm nicht gelingen, mir zu entgehen. An seine Schritte will ich mich hängen und ihn verfolgen wie der Schatten. Alles will ich wagen, um meinem unglücklichen Vater seinen ehrlichen Namen wieder zu verschaffen!«

In diesem Augenblicke krachte ein Schuss, es sauste hart an ihrem Ohr vorbei und schlug ihr gegenüber in die Wand ein.

»Jesus, Maria! bist du getroffen?«, riefen beide entsetzt aufspringend und zum Fenster hinausstarrend.

Caspars scharfes Jägerauge hatte eine dunkle Gestalt im Waldschatten verschwinden gesehen. In höchster Aufregung riss er Hut und Gewehr von der Wand und rief: »Ha, das galt mir. Das war der Loisl. Zum schwarzen Turm ist er gelaufen – das soll sein letzter Schuss gewesen sein – er oder ich.«

Umsonst versuchte ihn Vefe aufzuhalten. Er stürmte fort. Mit gefalteten Händen sprach sie: »Mein Gott! Caspar irrt sich – mir hat es gegolten – der Elende hat meine Worte behorcht!«

Zitternd und unschlüssig, was zu tun sei, setzte sie sich in die Ecke der dunklen Stube und betete für Caspar. Wohl eine Stunde war schon vorüber und Caspar noch nicht zurückgekehrt. Da öffnete sich sachte die Tür. Ein todbleiches Gesicht erschien an derselben. Zitternd an allen Gliedern schlich, ohne sie zu bemerken, der Förster herein und stellte sein Gewehr zur Seite. Ein schwacher Lichtstrahl des aufsteigenden Mondes beleuchtete schauerlich seine Gestalt und Schweißtropfen glänzten auf der Stirn. Dann wankte er mehr, als er ging, hinaus und fast keuchend über die Stiege zu seiner Wohnung, die er hinter sich abschloss. Vefe nahm das Gewehr auf, besah es beim Mondschein am Fenster und sprach schaudernd: »Mir hat es gegolten … das Gewehr ist ausgeschossen … der Förster hat uns belauscht … er ist der Dieb des Schmuckes, er ist der Mörder meines Vaters.«

Die Uhr hatte bereits die zehnte Stunde geschlagen und noch immer war Caspar nicht zurück. Eine solche Bangigkeit um ihn überfiel sie, dass sie sich entschloss, sich fortzuschleichen und ihm Hilfe zu bringen.

Die letzten Worte Caspars, zum schwarzen Turm ist er gelaufen, nahm sie zum Wegweiser. Rasch griff sie eine kleine Hauslaterne und Feuerzeug und schlich dem schwarzen Turm am See zu. Schaudernd und angstvoll blickte sie dabei zur öden hellbeschienenen Halle hinauf, durch die sie einmal eine geisterhafte Gestalt wandeln sah. Endlich war sie beim Turm, dessen Tor ihr schwarz und unheimlich entgegengähnte.

»Caspar, Caspar!«, rief sie ängstlich hinein – aber es herrschte lautlose Stille.

Beim schwachen Lichtschimmer der Laterne erkannte sie eine alte, mit Schimmel und Moder bedeckte Stiege, die in den oberen Teil des Turmes führte. Hoch über ihren Kopf hielt sie das Licht, während sie sich mit der einen Hand an der Steinmauer festhielt. Sie glaubte über sich ein Geräusch zu vernehmen.

Ihr Mund hauchte: »Caspar!« Aber niemand antwortete.

Bald kam sie auf einen geräumigen Treppenabsatz. Obwohl voll Angst, triebt sie doch etwas an, von dem sie sich selbst nicht Rechenschaft geben konnte, diesen Raum näher zu besichtigen. Sie nahm das Licht aus der Laterne, leuchtete nahe an die Wände ringsum und siehe da, sie entdeckte einen auffallenden Stein. Sie klopfte daran und glaubte, dass er hohl klang. Sie drückte mit den Händen darauf und er wich. In demselben Augenblick aber strömte ein Luftzug auf sie und verlosch das Licht. Doch dies verursachte nur einen kurzen Schrecken. Vefes Augen sahen dafür einen schwachen Mondstrahl, der einen inneren Raum beleuchtete und zu dem ein Durchlass offen stand. Ohne Zögern schlüpfte sie hinein und stand in einem halbrunden Ort, hoch gewölbt und mit einigen alten kunstvoll gearbeiteten Einrichtungsstücken bestellt. Ein großer Mauerbogen ließ die Aussicht frei in die weite öde Schlosshalle mit den sechs Fenstern auf jeder Seite. Sie war also vor der Halle, in welcher das Gespenst wandelte. Dies bewirkte aber in ihr eine solche Aufregung, dass sie sich auf den alten, bestaubten Lehnstuhl niederlassen musste, der dort, weiß Gott wie lang, gestanden hatte. Eiskalt durchrieselte es sie, und regungslos starrte sie in die Streifen des Mondlichtes und in die schwarzen Schatten der Zwischenwände bei den Fenstern.

Endlich dachte sie, wieder den Ausweg zu suchen – da wurde die Stille der Halle durch einen nur einen Augenblick dauernden Ton gestört. Entsetzt blickte sie an das Ende der Halle, die eine Mauerwand schloss und woher der Ton gekommen war. Die Wand schien sich geöffnet zu haben und eine Gestalt zeigte sich, genau wie sie schon das Gespenst gesehen hatte! Ein langes faltiges Gewand flatterte um die Gestalt, deren Füße entblößt und deren Kopf unbedeckt war. Gebleichtes Haar hing um die Schläfe herab. Lautlosen Schrittes, langsam schwankend schritt diese Gestalt weiter in der Halle vor. Nun stand sie im vollen Licht des sechsten Fensters zunächst der erschrockenen Vefe, flüsterte ohne Unterlass leise Worte, starrte mit dem gläsernen Ausdruck der Todesaugen vor sich hin. Vefe erkannte den Förster und die schreckliche Wirklichkeit, dass er im Schlaf wandle. Des Nachtwandlers Auge gewahrte Vefe nicht, obwohl er ganz nahe zu ihr kam, und auch sie regte sich nicht, um den im Schlaf Wandelnden nicht zu wecken.

Sie wusste nun, wer das Gespenst im alten Schloss war. Dies gab ihr wieder ihr volles Leben und die klare Beobachtung.

Der Nachtwandler ging gerade auf den alten Wandschrank zu, öffnete ihn und einige Schlösser desselben mit Leichtigkeit, zog eine verborgene Lade heraus, beschaute einen Schmuck, spielte mit Edelsteinen und wühlte in Goldmünzen herum, ohne zu erwachen. Vefe aber stand hinter ihm, sah diesem Treiben mit gespannter Aufmerksamkeit zu und erkannte den Schmuck, den ihr der arme Vater genau beschrieben – die Edelsteine und das Gold, von dem der Vater geredet hatte. Heiße Glut drang gegen die Schläfe des Mädchens. Aufregung, Freude und Verachtung des Försters durchtobten ihr Herz. Da begann der Nachtwandler die Lade zurückzuschieben, wollte sie wieder verschließen. Dieses aber konnte Vefe nicht mehr geschehen lassen.

Sie gab ihm einen Schlag auf die Schulter und rief ihm ins Ohr: »Also Simon, der Förster, ist der Dieb des Schmuckes und der Mörder meines Vaters.«

Der Nachtwandler schreckte auf, zitterte, griff um sich, schöpfte nach Atem und schmetterte mit einem Schrei nieder auf die Steine der Halle.

In demselben Augenblicke eilte Caspar die Holzstiege hinauf, drang in des Försters Zimmer, sah den Wandschrank zur Seite gerückt, eine Öffnung in die Halle und stand auf einmal neben Vefe. Er hatte den Schrei des Försters gehört, der umso mehr ihn antrieb, zu Hilfe zu eilen, als die Förstersfrau abwesend war, um im nächsten Ort Vorbereitungen für die nahe Auswanderung zu treffen. Es gelang beiden, den Förster wieder aufzurichten und in seine Wohnung zu bringen, aber sein Bewusstsein erhielt er nicht wieder.

Der Förster und nicht Loisl war es, welcher Caspar und Vefe in der Wohnstube flüstern hörte. Mit aufsteigender Wut und Angst vernahm er, was ihm von der Magd her, der Tochter dessen, den er zu Grunde gerichtet hatte, drohte.  Ein Schuss sollte ihn von der Verräterin befreien. Aber es gelang ihm nicht, seine Zeit war um, sein Maß voll.

In der höchsten Aufregung war er in sein abgesondertes Zimmer geschlichen, wo er immer allein schlief, weil er vor jedermann verbergen wollte, dass er an dem Übel des Nachtwandelns leide, sobald der Mond hell und klar am Nachthimmel stand. Vielfach hatten sich seine Seelenkräfte im wachen Zustand mit den gestohlenen und gut verborgenen Kostbarkeiten beschäftigt, und so mochten sie auch im Traumleben unwillkürlich seinen Leib hintreiben zu dem Schmuck, den Edelsteinen und dem Gold, wodurch er an sich selbst zum Verräter wurde. Sein mörderischer Schuss auf Vefe befreite ihn nicht von ihr, sondern führte sie zunächst an ihn als Zeugen seines Verbrechens.

Als die Förstersfrau nach Hause kam, fand sie ihren Mann in stillem brütenden Irrsinn, statt in der Bereitschaft zur Auswanderung. Die Ärzte gaben keine Hoffnung zum Aufkommen. Da nun aber bewies sich die gute Frau als ein wahrhaft christliches Weib. Obwohl sie größtenteils nur Bitterkeit und wohl auch Beleidigungen von ihrem Mann in gesunden Tagen erfuhr, weil er sie nie liebte, so pflegte sie ihn dennoch unermüdlich und betete für ihn um Versöhnung mit Gott und den Menschen, und es wurde ihr auch gegeben, dass er in lichten Augenblicken zu dem Beistand des Priesters gelangte.

Caspar übernahm es, zum jungen Grafen zu reisen, und ihm über den entdeckten, ihm abhanden gekommenen Schatz Bericht zu erstatten. Der Graf nahm alles selbst in Augenschein und fand auch kein Stück abgängig von dem, was in dem Verzeichnis stand, das ihm von dem unglücklichen Vater der Vefe zugekommen war. Er ließ diese vor sich kommen, bedauerte vor ihr das Unglück ihres Vaters und versprach es überall öffentlich zu sagen, dass ihr Vater, ein braver Mann, unschuldig ins Gefängnis gekommen und dort gestorben sei.

Mit Tränen in ihren schönen Augen schluchzte Vefe: »Gott sei es gedankt, der ehrliche Name meines unglücklichen Vaters ist wieder zutage gekommen. Dies zu erreichen war das Ziel meines Lebens und Inhalt meines Gebetes.«

Den Caspar nahm der Graf als Gutsverwalter unter den besten Bedingungen in seine Dienste. Auf die Hochzeitsfeier des Caspars und der Vefe kam von dem Grafen eine Aussteuer gesendet, die ihres Gleichen suchte.

Förster Simon und die Mutter der Vefe hatten diese Feier nicht mehr erlebt. Die Förstersfrau aber trennte sich nicht mehr von diesem glücklichen Ehepaar und half und sorgte für ihren Haushalt, wie und wo sie konnte, sodass sie ein wahrer Segen der Familie wurde. Erst nach dem Tod des Försters hatte es der Loisl laut bezeugt, dass derselbe das neu errungene Glück des zurückkehrenden Vaters der Vefe erfahren habe. Um ihn und Anna aufs Neue ins Elend zu stürzen, die anvertrauten Kostbarkeiten gar schlau zu entwenden wusste, dass er den Förster mit seinem Raub ertappt und ihm gedroht habe, es anzuzeigen. »Das Entsetzen des Försters habe ich auf der Stelle benutzt», gestand Loisl dann ohne Scheu, »ihm den Pakt abzunötigen, dass er zu meinem Treiben im Wald und mit dem Wild die Augen zudrücke.«

Gott ließ es zu, dass der Förster einem Traumleben verfiel, das ihn unwillkürlich zu dem verborgenen Schrank hinzog, wodurch der Verbrecher sein eigener Verräter werden sollte.

In dem Stricke, den sie verbargen, ward gefangen ihr Fuß …
in den Werken seiner Hände ward gefangen der Sünder.

Psalm 9, 16, 17