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Gold Band 3 – Kapitel 9

Friedrich Gerstäcker
Gold Band 3
Ein kalifornisches Lebensbild aus dem Jahre 1849
Kapitel 9

Der Abschied

Das Wetter hatte sich am anderen Morgen nicht verändert. Derselbe Nebel lag noch auf dem Tal und die Luft war feucht und kalt. Mühsam nur rang sich auch der Tag Bahn durch die zähen Schwaden, während der Himmel in trübes Grau gekleidet blieb.

Eben nur ließen sich aber die ersten Anzeigen des nahenden Tages erkennen, als Hales Zeltleinwand zurückgeschoben wurde und ein Mann mit einem gedämpft gesprochenen »Hallo Hale!« den inneren Raum betrat.

»Hallo, wer ist da?«, rief der Sheriff, der wohl die Gestalt sah, aber noch weiter nichts erkennen konnte. Unwillkürlich griff er dabei nach seinem zur Hand liegenden Revolver und richtete sich halb im Bett empor.

»Ich muss Euch sprechen«, lautete die halblaut gegebene Antwort.

»Ihr habt es da höllisch eilig, dass Ihr nicht einmal den Morgen abwarten könnt«, brummte Hale verdrießlich. »Wer seid Ihr?«

»Boyles!«

»Alle Teufel!«, rief Hale und sprang mit beiden Füßen zugleich aus seinem Bett. »Was treibt Euch hierher? Doch am Ende nicht Euer Gewissen?«

»Ja«, hauchte der Mann mehr, als er sprach, »ich wollte fort von hier, aber … ich … ich konnte nicht.«

»Ihr habt Johns erschlagen?«, fragte Hale fast erschreckt, denn er hatte den Burschen bisher wohl für leichtsinnig, aber nie für wirklich schlecht gehalten.

»Da behüte mich Gott vor«, rief aber Boyles, zusammenschaudernd, »nein, Menschenblut klebt Gott sei Dank nicht an meinen Händen, seit der arme Teufel von Engländer gestern glücklich dem Strang entgangen ist.«

»Aber Ihr kennt den Mörder?«

»Ich vermute ihn, ja!« flüsterte Boyles.

»Und er heißt?«

»Siftly«, hauchte Boyles und wandte den Blick scheu über die Schulter, als ob er Angst hätte, dass der Gefürchtete hinter ihm stände.

»Habt Ihr das gehört, Sir?«, sagte nun der Sheriff zu der anderen Seite des Zeltes hinüber.

»Ja«, lautete die Antwort von dort.

»Um Gotteswillen, wen habt Ihr hier noch bei Euch?«, fragte Boyles, fast in die Knie sinkend.

»Denselben Mann, den die Geschworenen oder die würdigen Bürger des Paradieses gestern fast gerade jenes Mordes wegen gehängt hätten«, sagte der Sheriff finster. »So hat er auch das Gold von Euch erhalten?«

»Ja«, stöhnte der junge Bursche, »weil ich aber fürchtete, dass mich Siftly über den Haufen schießen würde, wenn ich es gestände, leugnete ich es, aber nun leidet es mich nicht länger. Jener Mann ist unschuldig. Am Tage vorher, ehe der Leichnam gefunden wurde, kam Siftly in das Lager. Und als ich ihm, da ich ihn von früher her kannte, im Gespräch sagte, dass jener Smith hier sei, mit dem er jetzt wieder so eng befreundet ist, borgte er mir in aller Freude darüber einige Unzen Gold …«

»Und er schien auf jenen Mr. Smith nicht besonders gut zu sprechen.«

»Wie es mir vorkam, war er gegen ihn aufgebracht, und ich wunderte mich sehr, als sie am anderen Morgen wieder Compagnie machten.«

»Und bemerktet Ihr damals nicht sonst noch etwas Außergewöhnliches an Siftly?«

»Ja«, sagte Boyles leise, »was mir aber erst später auffiel. Als er mir das Gold gab, sah ich Blut an seiner Hand. Er wollte sich in den Dornen gerissen haben.«

»Und habt Ihr mit ihm darüber schon gesprochen?«

»Ja – über das Blut nicht, aber über das Stück Gold. Er sagte, er habe es von einem Mexikaner im Spiel gewonnen, wollte aber nicht mit in die Geschichte verwickelt werden und drohte mir, wenn ich ein Wort darüber sagte, mit dem Leben. Jetzt ist es heraus, jetzt wisst Ihr alles. Ich habe mein Gewissen frei gemacht, und nun lasst mich fort. Wenn mich Siftly wieder findet, schießt er mich so gewiss nieder, wie Ihr hier vor mir steht. Ihr kennt ihn nicht und ich wäre der Erste nicht.«

»Nein, mein Bursche«, sagte aber Hale, der sich indessen bei der Erzählung vollkommen angezogen hatte, »fortlassen kann ich Euch jetzt nicht, denn ohne Euch fiele unsere ganze Anklage zusammen. Aber darauf könnt Ihr Euch verlassen, dass Euch der Schuft nichts mehr schaden soll. Für Eure Sicherheit bürge ich Euch. Zu Eurer eigenen Rechtfertigung müsst Ihr aber auch jetzt hierbleiben, denn nach Eurem Geständnis, dass der Engländer das Gold wirklich von Euch erhalten hat, würde man Euch den Augenblick für den Mörder halten, sobald Ihr Euch aus dem Staube machtet, und Siftly wäre der Erste, der es auf Euch zurückwälzte. Dass er unschädlich gemacht werden soll, ehe Ihr mit ihm zusammentrefft, dafür lasst mich sorgen. Nachher habt Ihr immer noch Zeit, Eurer Wege zu gehen. Jetzt bleibt einen Augenblick hier bei Golway, ich bin in fünf Minuten wieder da. Ihr geht nicht fort? Ihr versprecht mir das?«

»Ich will hierbleiben«, sagte der junge Bursche und sank zitternd auf den nächsten Stuhl nieder, während Hale, der vorher dem Engländer etwas zugeflüstert hatte, rasch das Zelt verließ. Boyles mochte er aber trotzdem nicht trauen, denn nach kaum zwei Minuten war er schon wieder da und ging nun ungeduldig in seinem Zelt auf und ab. Er hatte nur den im Nachbarzelt schlafenden Cook geweckt und diesen bedeutet, den Alkalden augenblicklich herüberzuholen.

Zehn Minuten später traten beide Männer in des Sheriffs Zelt. Rasch mit dem Vorgefallenen bekannt gemacht, ging Hetson fort, den Distritks-Judge von Golden bottom und dessen Leute zu wecken. Mit diesen wollten sie Siftlys Zelt umstellen und den Mörder verhaften.

Es dauerte nur sehr kurze Zeit, bis die Männer von Golden bottom mit ihren Büchsen auf den Schultern gerüstet vor des Sheriffs Zelt erschienen. Zwei von ihnen wurden übrigens bei Boyles zurückgelassen, eine mögliche Flucht desselben zu verhindern. Die Übrigen schritten rasch und geräuschlos die Straße hinauf, bis sie das von dem Sheriff bezeichnete Zelt erreichten.

Es war indessen eben Tag geworden und die Flat lag totenstill vor ihnen.

Hier und da hatte wohl ein oder der andere Händler neugierig und überrascht aus seinem Zelt herausgeschaut, als er den gleichmäßigen Schritt der Schar draußen hörte. Aber keiner derselben stand ihnen Rede. Siftlys Zelt wurde von den Bewaffneten umzingelt, ehe die Bewohner desselben nur eine Ahnung davon haben konnten.

Unterwegs war übrigens schon verabredet worden, wie sie handeln wollten, denn man erwartete von dem Spieler einen verzweifelten Widerstand – im Fall er sich nämlich wirklich schuldig fühlte. Entkommen konnte er jedoch trotzdem nicht, denn der Platz war vollständig umzingelt und an der einen Seite außerdem von einer breiten und tiefen Grube begrenzt.

Hale schritt nun, von zwei jungen kräftigen Burschen begleitet, auf den Eingang zu. Alle drei hatten ihre Revolver schussfertig in der Hand. Kein Laut war aber im Inneren zu hören, ein leises krampfhaftes Stöhnen ausgenommen.

Sie horchten – nun war alles wieder ruhig, und der Sheriff, die Waffe mit der rechten Hand vorhaltend, warf mit der Linken die Leinwand zurück, die den Eingang verhing.

»Siftly … im Namen des …« Er kam nicht weiter und starr vor Entsetzen blieb er bei dem furchtbaren Schauspiel stehen, das sich seinen Augen bot. Nicht einmal imstande war er, einen Laut auszustoßen, und nur mit der Hand winkte er zurück – ein Zeichen, dass die Übrigen herbeikommen sollten.

Über den Spieler aber hatten sie die Macht verloren. Dessen Seele stand in diesem Augenblick vor einem anderen Richter, doch dessen Körper war auf eine Weise entstellt, selbst die sonst wahrlich nicht zartfühlenden und gegen manchen Schrecken abgehärteten Amerikaner mit Entsetzen zu erfüllen.

Halb aufgerichtet hing der zerfetzte Leichnam über seinem Bett, auf dem ihn die Mörder überrascht hatten, und jede einzelne der Hunderte von Wunden wäre tödlich gewesen. Mit einem langen Haarzopf war ihm aber die Kehle zugeschnürt, und nur von diesem auch wurde er nun noch an einem dort in den Pfosten steckenden Nagel aufrecht gehalten.

Auf dem anderen Bett aber lag sein Compagnon Smith, mit zusammengeschnürten Händen und Füßen, fest dabei geknebelt und dermaßen an die in den Boden gerammten Bettpfosten angebunden, dass er weder imstande war, ein Glied zu rühren noch einen Laut auszustoßen. Sonst aber schien er vollkommen unbeschädigt. Wie sich die herbeidrängenden Männer nur von dem ersten Entsetzen erholt hatten, befreiten sie den armen Teufel von seinen Banden.

Trotzdem aber, dass er ein unmittelbarer Zeuge des Ganzen gewesen, war er nicht imstande, auch nur das Geringste über die Täter anzugeben.

Mitten in der Nacht etwa, wie er glaubte, hatten ihn raue Fäuste gepackt, und wie er nur den Mund öffnete, Siftly zu Hilfe zu rufen, ihm einen Knebel zwischen die Zähne geschoben, der jeden Aufschrei verhinderte. Wie er meinte, habe das ganze Zelt von dunklen Gestalten gewimmelt, und er möchte fast darauf schwören, dass es Chinesen gewesen waren. Ein über sein Gesicht geworfenes Tuch hatte ihn aber gehindert, weiter etwas zu sehen, als dass sie Licht machten. Dann habe er das Stöhnen und Ächzen Siftlys gehört – und dann war plötzlich alles ruhig geworden – das Licht verlöschte wieder und die Feinde verschwanden geräuschlos, wie sie gekommen waren.

Die Amerikaner sollten nicht lange darüber in Zweifel bleiben, wer die Tat verübt hatte und weshalb sie verübt worden war. Hale kannte genau die Vorgänge jenes Tages, an dem diese bei den Burschen, die nun rasch hintereinander ihr Schicksal erreicht, jene armen Teufel von Chinesen überfallen, misshandelt und vertrieben hatten. Es schien auch gar nicht in ihrer Absicht gelegen zu haben, ihre Tat zu verheimlichen, denn mit dem von ihm selber abgeschnittenen Zopf des einen war Siftly erwürgt und dann daran halb aufgehangen worden.

Ein Teil der Amerikaner wollte nun allerdings gleich den Mördern nach. Hale hielt sie aber noch zurück, erst die Untersuchung im Zelt vorzunehmen, und erzählte ihnen dabei, wie die Chinesen gerade ganz unverantwortlicher Weise von Siftly und Briars überfallen und beraubt worden wären.

Dass sie hier weiter nichts gewollt hatten, als Rache für den erlittenen Schimpf zu üben, bewies auch das zurückgelassene Gold der beiden Spieler, das sie nicht angerührt und nach dem sie sich wahrscheinlich gar nicht umgesehen hatten. Als Hale aber, von Hetson und Cook dabei unterstützt, das Siftly Zugehörende nun untersuchte, fanden sie in der Tat Boyles’ Verdacht bestätigt und noch zwei Stücke darunter, die Cook augenblicklich als früher Johns gehörig erkannte. Ein kleines kreuzförmiges Stück war dabei und ein anderes mit drei Quarzstücken, die ein regelmäßiges Dreieck bildeten.

Smith war allerdings losgebunden, aber noch nicht freigelassen, um vielleicht von ihm noch mehr über seinen früheren Compagnon zu erfahren. Es bedurfte kaum einer Aufforderung an den armen Teufel, dem hier in der letzten Zeit gar so übel mitgespielt worden, denn er war körperlich und geistig ganz gebrochen. Bleich, und nicht einmal mehr imstande, aufrecht zu stehen, saß er zusammengeknickt auf seinem Bett. Und wenn er auch von dem durch Siftly verübten Mord keine Ahnung hatte, gestand er doch nun freiwillig, dass dieser das frühere Feuer in San Francisco gelegt habe, um dabei und in der Verwirrung des Augenblicks, das im Parker-Haus aufbewahrte Gold seiner Mitspieler beiseite zu schaffen.

Welchen Anteil er selber dabei gehabt hatte, verschwieg er allerdings, bat aber nun flehentlich die Männer, ihn ziehen zu lassen. Er wolle die Minen verlassen und heilig versprechen, nie hierher zurückzuzukehren.

Gegen Smith lag allerdings kein weiterer Verdacht vor. Den übrigen Amerikanern gegenüber vermied man es auch am liebsten, gegen Landsleute – wo es nicht eben dringend notwendig wurde – zu feindlich aufzutreten. Nach kurzer Beratung nahm man ihn deshalb beim Wort. Sein Pferd wurde ihm gebracht. Es bedurfte für ihn keiner weiteren Andeutung, dass es vielleicht das Beste sein könne, was er tue, sich hier nicht länger aufzuhalten. Eine Viertelstunde später, ohne Frühstück, ohne von jemandem Abschied zu nehmen, saß er im Sattel und trabte, so rasch ihn sein Tier fortbringen konnte, Stockton und San Francisco wieder zu.

Das bei Siftly gefundene Gold, eine keineswegs unbedeutende Summe, beschloss man übrigens einstimmig der Mutter des ermordeten Johns nach Missouri zu senden. Hetson wurde die Ausführung dieses Auftrags überwiesen.

Durch den grausamen Mord empört brachen allerdings einige der jüngeren Amerikaner auf, die Chinesen irgendwo zu überholen, obwohl ihnen Hale versicherte, er sei ihnen außerordentlich dankbar, das Richteramt übernommen zu haben. In dem Nebel war aber an eine ordentliche Verfolgung nicht zu denken, und mit dem Vorsprung, den sie hatten, kam man ihnen nicht wieder auf die Spur. Die Verfolger kehrten nach drei Tagen unverrichteter Sache wieder zurück.

Niemand war den Chinesen aber wohl dankbarer für die genommene Rache als Boyles, der sich dadurch aller Sorge hinsichtlich Siftlys enthoben fühlte. Mit dessen Tod erledigte sich auch die ganze Klage; aber die besseren Amerikaner sahen doch nun auch ein, was sie von diesem Spielergesindel, wenn sie es zwischen sich duldeten, zu erwarten hätten. Smiths rasche Flucht, die allerdings kein besonderes reines Gewissen verriet, bestärkte sie noch mehr darin. Am nämlichen Morgen beschloss man in einer ruhig gehaltenen Versammlung, sämtliche Spieler aus dem Paradies, aus Golden bottom auszuweisen und den Trinkzelten zu verbieten, fernerhin in ihren Räumen diese betrügerischen Hasardspiele zu gestatten.

Die meisten der Burschen warteten keine an sie ergehende Aufforderung ab. Briars’ und Siftlys Tod sowie Smiths rasches Verschwinden hatte sie dermaßen eingeschüchtert, dass sie, als sie kaum das Resultat der Versammlung erfuhren, auch schleunig ihre paar Habseligkeiten auf ihr Pferd warfen und damit, gleichviel wohin, den nächsten Weg entlang ritten. Minenplätze, wo sie ihr Geschäft noch ungestraft und unbelästigt fortsetzen durften, fanden sie überall.

Baron Lanzot und sein Sekundant Graf Beckdorf hatten indessen, ohne Ahnung des Vorgegangenen, ihre nötigen Anstalten zu dem beabsichtigten Zweikampf getroffen. Eben wollten sie hinaus zu dem bezeichneten Platz gehen, als sie die Kunde von Siftlys Ermordung hörten.

»Gott sei Dank«, rief da Beckdorf, »so brauchst du mit dem Schuft keine Kugeln zu wechseln. Es ist mir ein widerlich Gefühl gewesen, dich jenem Buben da so gleich zu stellen.«

»Und doch hätte ich es nicht vermeiden können«, sagte Lanzot.

»Unsere Ansichten über ein ehrliches Duell würden wohl schwerlich hier in den Minen Geltung finden, und man hätte das für Feigheit gehalten, was nur Ekel an dem Menschen gewesen wäre. Jetzt ist er tot, und unschädlich, und ich glaube fast, die Chinesen haben mich einer schwierigen und dabei sehr schmutzigen Arbeit enthoben – die verschiedenen Pläne dieses Buben zu vereiteln.

Aber da kommt Doktor Rascher. Was? Schon wieder reisefertig? Doktor, wo wollen Sie hin?«

»Haben Sie schon die Vorfälle der letzten Nacht gehört.?«

»Alles, soweit es die beiden amerikanischen Spieler betrifft. Aber das treibt Sie doch nicht etwa fort von hier?«

»Ja und nein«, sagte der alte Mann, »ich bin nicht mehr in den Jahren, mich an einem solchen wilden abenteuerlichen Treiben zu erfreuen, sondern eher an einer Periode angelangt, wo ich mich nach einem mehr ruhigen Leben sehne, soweit sich das nämlich mit meinen Forschungen vereinigen lässt. Wie das jetzt aber hier in der Nachbarschaft mit herumschweifenden Mexikanern, Indianern und ausgetriebenen Spielern – die Letzten vielleicht die Schlimmsten von allen – aussieht, würde ich mich in den Bergen nicht vollkommen wohl fühlen und will lieber wieder eine Zeit lang an den unteren Calaveres zurück, wo ein reizender, noch lange nicht ausgebeuteter Blumenflor steht.«

»Und heute schon wollen Sie in der Tat fort?«

»Da ich einen so vortrefflichen Reisegesellschafter gefunden habe, ja. Ich werde mit Mr. Golway reiten. Wir erwarten nur Mr. Hetsons Rückkehr, der in jenes Siftly Zelt noch einige Anordnungen zu treffen hat. Wie wär’ es, lieber Baron, wenn Sie uns begleiteten?«

»Ich?«, rief Lanzot, ordentlich erschreckt.

»Nun? Sagten Sie mir nicht gestern Abend, dass Sie die Minen verlassen würden, sobald Sie jenen Burschen abgefertigt hätten, den heute sein Geschick auf eine allerdings unerwartete und furchtbare Weise ereilt hat?«

»Ja, allerdings«, stotterte Lanzot, »ich … hatte die Absicht, aber … ich bin doch erst so kurze Zeit hier oben und möchte mich lieber länger umsehen.«

»Wollen Sie mir die Bemerkung erlauben, dass ich glaube, Sie sind schon zu lange hier geblieben?«. sagte der Doktor.

Lanzot errötete, aber er erwiderte kein Wort, sondern sah still und schweigend vor sich nieder.

»Haben Sie auch bedacht, lieber Lanzot«, fuhr da der alte Mann freundlich, ja herzlich fort, »dass Sie nach diesem Minenleben auch einmal wieder in die Heimat zu Ihrer Familie zurückzukehren gedenken? Sie werden nie etwas tun – davon bin ich überzeugt – weshalb Sie sich selber je einen Vorwurf zu machen hätten. Sie kennen aber auch – besser als ich imstande wäre, es Ihnen zu sagen – die Vorurteile der alten Welt und ihre hergebrachten Sitten, in denen Sie doch einmal Ihr Leben beschließen wollen. Haben Sie sich auch all das reiflich und wohl überlegt?«

»Noch nicht, bester Doktor«, erwiderte da Lanzot, indem er ihm die Hand entgegenstreckte, »aber ich werde es tun.«

»Schön, dann glauben Sie mir aber auch, dass dazu in dem gegenwärtigen Augenblick kein Platz unpassender wäre als eben das Paradies. Kommen Sie mit mir nach San Francisco zurück. Sollte es Ihnen an Reisegeld fehlen, meine Kasse steht Ihnen vollständig zu Gebote. Sie haben nur darüber zu verfügen.«

Aus einem der nächsten Zelte tönte in diesem Augenblick der leise zitternde Ton einer Violine – so leise, dass er von den kaum berührten Saiten nur eben wie ein Hauch zu ihnen herüber drang. Und doch fühlte der Doktor, wie schon bei dem ersten Klang der Melodie die Finger des jungen Mannes seine Hand krampfhaft umspannten, während er ihr mit angehaltenem Atem lauschte.

Höher und voller aber schwollen die Töne an und gossen endlich in einem zauberisch süßen Lied den ganzen Schmelz von Leidenschaft und Schmerz

über die Hörer aus.

Keiner der Männer wagte einen Laut, selbst der alte Mann stand regungslos, bis das Ganze endlich, wie es begonnen hatte, in einen leisen Hauch verschwamm.

»Wer war das?«, fragte da endlich Beckdorf, der in staunender Bewunderung dem Instrument gelauscht hatte. »Etwas Ähnliches habe ich in meinem Leben nicht gehört.«

»Manuela«, flüsterte Lanzot. »Wollen Sie noch, Doktor, dass ich das Paradies verlassen soll?«

Der Doktor seufzte tief auf: »Ich sehe schon, da ist nicht mehr zu raten noch zu helfen. Und wenn Sie nun nach Hause kommen und Don Alonso in Ihrer Begleitung ist?«

»Ich gebe Ihnen mein Wort, Doktor, dass ich nicht leichtsinnig handeln werde«, sagte da der junge Mann ernst. »Ich weiß, Sie nehmen Anteil an meinem Schicksal. Sie wissen aber vielleicht nicht, dass ich vollkommen unabhängig in der Welt stehe und Rechenschaft von meinen Handlungen keinem zu geben habe. Lassen Sie mir also Zeit, nur mit mir selber einig zu werden. Lassen Sie mir Zeit, erst das Mädchen noch näher kennen zu lernen. Don Alonso stammt außerdem von einem, wenn auch heruntergekommenen, doch edlen Geschlecht ab, selbst unseren alten Vorurteilen zu genügen und derartige Einwände zu beseitigen, und dann, zum Henker, weiß ich ja auch noch nicht einmal, ob mich das Mädchen will.«

»Da habe ich meine Zeit schön verschwendet«, entgegnete der Doktor gutmütig. »Ja, mein lieber Baron, wenn Sie erst einmal soweit mit sich sind, dann ist auch Hopfen und Malz an Ihnen verloren. Und ich kann weiter nichts tun, als Ihnen Heil und Segen zu dem Unabänderlichen wünschen.«

»Aber bester Doktor …«

»Wir wollen uns wiedersprechen«, sagte der alte Mann.

»Das ist nicht übel«, sprach da Beckdorf, »und gestern Abend hätte nicht viel gefehlt, dass er sich die junge Dame durch mich hätte vorstellen lassen.«

Draußen und im Nachbarzelt wurden Stimmen laut. Hetson war zurückgekehrt und Dr. Rascher rüstete sich zum Fortgehen.

»Wir sehen uns doch noch?«, sagte er freundlich.

» Vor dem Zelt sage ich Ihnen noch Lebewohl. Hoffentlich suche ich Sie bald selber in San Francisco auf.«

Der Doktor winkte den beiden jungen Leuten noch freundlich zu und verließ dann rasch das Zelt, sein eigenes Maultier herbeizuholen.

 

***

 

»Ich habe Sie lange warten lassen, Sir«, sagte Hetson, als er des Sheriffs Wohnung betrat und Golway die Hand entgegenstreckte, »das aber, was mich abhielt, wird auch Ihnen als Beruhigung dienen, denn es zerstreut den letzten Verdacht gegen Sie, den doch noch einer oder der andere der Leute hätte hegen können.«

»Sie haben, wie ich höre, den wirklichen Mörder entdeckt.«

»Ja und in einem Zustand«, sagte Hetson schaudernd, »der eine Bestrafung von unserer Seite nutzlos macht. Der Elende steht jetzt vor Gottes Richterstuhl, seinem Urteil entgegenharrend. Nach den heutigen Vorfällen würde auch Ihrem längeren Hierbleiben nicht das Geringste im Wege stehen. Ich garantiere Ihnen, dass …«

»Mein Pferd ist gesattelt, Sir«, unterbrach ihn Golway, »und die nächste Stunde schon findet mich weit von hier. Glauben Sie mir, Sir, es ist für uns beide besser, und Ruhe und Frieden wird in unsere Herzen wiederkehren.«

»Das gebe Gott«, sagte Hetson leise, »und ist es begründet, dass Dr. Rascher Sie begleiten will?«

»Ich freue mich seiner Gesellschaft. Er sucht eine ruhigere Nachbarschaft, als sie das Paradies ihm bieten kann, seinen Studien und Forschungen obzuliegen. Aber ist es Ihnen recht, Sir, so begleite ich Sie jetzt in Ihre Wohnung, Ihrer Gattin das letzte Lebewohl zu sagen.«

Hetson erwiderte kein Wort, aber er nahm des Mannes Arm. Beide schritten schweigend des Alkalden Zelt zu.

Als sie den inneren Raum betraten, saß Jenny an dem einen Tisch allein. Wusste sie, dass Golway kam, auf immer von ihr Abschied zu nehmen? Sie sah bleich und angegriffen aus und schritt den Männern entgegen.

»Jenny«, sagte da Hetson. Ein eigenes, wehmütiges Lächeln spielte um seine Lippen, »hier bringe ich dir den Mann, der mir Monate lang den Schlaf geraubt und mein Hirn fast zum Wahnsinn getrieben hat, wenn ich mir je dachte, dass er dir noch einmal in diesem Leben so gegenüber stehen sollte. Wie schwer ich mich dabei nicht allein an mir selber, nein auch an dir, an ihm versündigt habe, sehe ich jetzt ein – spät – doch vielleicht noch nicht zu spät für uns beide.«

»Mr. Golway …«

»Er kommt dir Lebewohl zu sagen«, fuhr aber Hetson fort, »sag ihm ein freundliches

Wort auch mit für mich, dass er unserer nicht in Groll gedenkt. Ich muss doch sein Schuldner bleiben all mein Leben lang.« Ehe einer von ihnen ein Wort erwidern konnte, wandte er sich und verließ das Zelt.

Jenny sah ihm ängstlich nach, aber sie vermochte keine Silbe über ihre Lippen zu bringen oder nur den Arm nach ihm auszustrecken. Schweigend standen sich die beiden wohl eine Minute lang gegenüber.

Golway sammelte sich zuerst. Mit leiser Stimme sagte er: »Mrs. Hetson, ich bin Ihrem Gatten unendlich dankbar, dass er mir gestattete, Sie noch einmal zu sehen, ehe ich auf meine Heimat – das Meer – zurückkehre. Ich hatte mich vor einem Zusammentreffen mit ihm – mit Ihnen gefürchtet, und doch segne ich jetzt den Zufall – wenn wir überhaupt auf dieser wunderbaren Welt einen Zufall wollen gelten lassen – der mich Ihnen zugeführt hat. Ich scheide beruhigter – ich scheide ruhig von hier, denn ich sehe Sie an der Seite eines wackeren, braven Mannes; eines Mannes, der das Glück zu schätzen weiß, das er in Ihrem Besitz empfinden muss. Unsere Bahnen liegen von nun an getrennt, wer weiß, ob sie im Leben sich wieder kreuzen. Nehmen Sie aber die Versicherung, dass ich das Bewusstsein dieser Stunde segnen und Sie nie vergessen werde. Leben Sie wohl!«

Er nahm ihre Hand, die sie ihm willenlos überließ und zog sie an seine Lippen.

»Leben Sie wohl, Charles«, flüsterte da die Frau, »Gott segne Sie für Ihre treue Liebe, die Sie mir bewahrt. Nehmen Sie auch von mir die Überzeugung mit, dass ich Ihrer stets mit Liebe denken werde. Gott schütze und führe Sie und gebe Ihrer Seele Frieden! Die Zeit lindert jeden Schmerz, sie wird auch den Ihren lindern.

Wie ich Sie kenne, werden Sie schon darin Beruhigung finden, dass ich mich an Hetsons Seite glücklich fühle. Er wusste sich erst meine Achtung zu gewinnen – später lernte ich sein treues, ehrliches Herz auch lieben. Da gerade mit Ihrem Erscheinen der Schatten von seiner Seele gewichen ist, der, durch die Furcht vor Ihrem Begegnen genährt, auch mir manche trübe Stunde bereitete, hoffe ich für uns alle noch von der Zukunft Heil und Frieden. Ihnen danke ich das, wie so manches Liebe und Gute aus früherer Zeit. Ich werde es nie vergessen. Leben Sie wohl!«

Vor dem Zelt scharrte das Pferd, das Cook selber dem Fremden geholt und gesattelt hatte.

Noch einmal berührten seine Lippen ihre Hand, und der nächste Augenblick fand ihn draußen vor dem Zelt im Sattel.

Hetson stand dort und reichte ihm noch einmal die Hand zum Abschied. Der feste Druck derselben war aber ihre einzige Sprache. Kein Wort wurde mehr zwischen ihnen gewechselt.

Auch Doktor Rascher saß schon im Sattel und nahm Abschied von seinem Freund, als Lanzot, – von Beckdorf hatte Golway schon Abschied genommen und ihm für seine treue Hilfe gestern gedankt – eine Spitzhacke und Schaufel auf der Schulter mit Don Alonso und Beckdorf aus seinem Zelt trat.

Der Doktor schüttelte lächelnd mit dem Kopf, als er ihn sah. »Also Sie bleiben wirklich hier?«

»Als wackerer Goldwäscher, ja«, sprach der junge Mann lachend, seine Hand dabei auf des Spaniers Schulter legend. »Don Alonso und ich wollen es miteinander versuchen. Wenn wir unser Reisegeld zusammen haben, packen wir auf und ziehen nach Deutschland an den schönen Rhein.«

»Aber Reisegeld, bester Baron«, rief der alte Mann, »Sie wissen doch, was ich Ihnen gestern angeboten habe. Es sollte mir unendlich leidtun …«

»Es muss selbst verdient werden, Doktor«, erwiderte aber der junge Mann, »sonst habe ich keine Freude daran. Selbst verdientes Brot schmeckt am besten, und erst seit ich in Kalifornien bin, habe ich das gelernt. Lassen Sie mir also die Freude! Aber wo finde ich Sie, wenn ich nach San Francisco komme?«

»Im United States Hotel, so Gott befohlen, und lassen Sie bald etwas Gutes von sich hören.«

Noch einmal winkten sich die Männer grüßend zu, und fort trabten die munteren Tiere, die kleine Zeltstraße entlang, zu den Bergen hinüber.

Als Hetson in sein Zelt zurückkehrte, fand er Jenny noch allein. Langsam wandte sie den Kopf, die verräterische Träne zu verbergen, die ihr im Auge glänzte. Da ging ihr Gatte auf sie zu und legte seinen Arm um sie. Als sie sich nun an seine Brust warf und ihn umschlang, da sagte der Mann, ihre Stirn küssend und ihr Haupt fester an sich drückend, dass seine Lippen auf ihren Locken ruhten: »Weine dich aus, mein armes Kind. Ich fühle wohl – und in diesem Augenblick stärker als je – wie unrecht ich gehandelt, wie weh ich dir getan habe, und dass ich, statt dir zu erleichtern, was dich niederdrückte, die Last dir noch mutwillig fast erschwerte. Das ist vorbei, von nun an soll kein solcher Schatten mehr zwischen uns treten. Weine dich aus und trauere um den Mann, an dem einst dein Herz hing. Schütte auch in meine Brust deinen Schmerz aus, ich will ihn mit dir tragen; aber dann lass mich auch wieder deine lieben Augen klar und heiter dem Leben entgegenlachen sehen. Ich will versuchen, dir den Verlorenen zu ersetzen – hilf mir darin!«

»Frank, mein lieber, lieber Frank«, rief da die Frau, »was ich auch verloren habe, reichlich gibst du es mir ja wieder mit diesen Worten.«

»Und mehr noch will ich dir geben, mein süßes Herz«, sagte der Mann. »Ich sehe, wie ich schon an dir gesündigt habe, dich in dieses raue wilde Land zu führen, das wohl in späteren Jahren einmal die ruhige Stätte häuslichen Glückes werden kann, das aber nun für zarte Frauen eine Hölle sein muss, mag es die Natur noch so verschwenderisch mit ihren reichsten Gaben ausgestattet haben. Nur noch kurze Zeit harre hier bei mir aus; wenige Wochen nur, bis ich den Leuten, die mich zu ihrem Alkalden gewählt, gerecht geworden bin und meine Pflicht erfüll habe. Dann kehren wir zurück in mein schönes Vaterland, an das Ufer des Ohio, in den Kreis meiner Lieben, die dich, mein Herz, mit offenen Armen empfangen werden. Vergessen sollst du dort dann allen Gram, allen Kummer, und wie ein schwerer Traum mag für uns beide später die ganze letzte böse Reise sein.«

»Es war ein Traum, Frank«, sagte da leise die Frau, »es war ein böser, böser Traum, und Gott sei Dank, der dich erwachen ließ. Ich fürchte jetzt nichts mehr. Genüge hier deiner Pflicht, wenn du fühlst, dass es eben eine Pflicht geworden ist. Dann ziehe ich mit dir in deine Heimat, Frank. Meine Eltern haben versprochen, uns dahin zu folgen. Ich sehe von jetzt an, auf unseren Pfad die Sonne scheinen.«