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Im Zauberbann des Harzgebirges – Teil 43

Im Zauberbann des Harzgebirges
Sagen und Geschichten, gesammelt von Marie Kutschmann

Die vier Hufeisen zu Ellrich

Es war an einem Sonntagmorgen. Lieblicher Friede lag auf Tal und Höhen, heller Glockenton rief die Andächtigen ins Gotteshaus des Städtchens Ellrich. Bald aber wurde die feierliche Stille unterbrochen. Von mehreren Seiten sprengten ungestüm auf ihren Rossen wilde Ritter daher und ihr lautes Rufen und Lachen schallte durch die Straßen. Vor einem Haus wurde Halt gemacht. Da immer mehr Reiter hinzukamen, so war des lauten Willkommens kein Ende, bis endlich die Versammelten lärmend und tobend ins Innere des Hauses traten.

Dort lagen schon in einem Saal zwei mächtige Weinfässer bereit. Es hatten nämlich die Ritter für den Tag ein großes Gelage angesetzt, bei welchem sie ihre Tüchtigkeit als Trinker erproben wollten. Dem Sieger war als Dank eine schwere goldene Kette bestimmt, doch musste er, um dieselbe zu erlangen, alle übrigen Zecher dergestalt unter den Tisch trinken, dass keiner mehr imstande war, ihm zu wehren, die Kette zu nehmen, sie umzuhängen und sich damit dem Volk als Sieger zu zeigen.

Als alle Eingeladenen vollzählig erschienen waren, begannen die Diener die Humpen zu füllen, und ohne Aufhören machten dieselben die Runde. Um Mittag fiel der Erste der Zecher unter wildem Lachen und Hohngeschrei der Übrigen sinnlos betrunken zu Boden. Nun währte es nicht mehr lange, dass einer nach dem anderen der Ritter von den bereitstehenden Dienern aufgehoben und an die Seite des Gemaches gelegt werden musste. Als es zur Vesper läutete, saßen nur noch vier Trinker aufrecht vor den Weinfässern. Als sie sich aber erheben wollten, musste dreien die Wand als Stützpunkt dienen, damit sie nicht ihrer Kumpane gleich zu Boden stürzten. Nur der wilde und berüchtigte Graf Ernst von Klettenburg hatte noch die Kraft, vorwärts zu schreiten. Triumphierend blickte er auf die besiegten Freunde, ging zum Tisch und nahm sich den Preis, woran ihn keiner zu hindern vermochte.

Mit der prächtigen Kette geschmückt, wollte er sich dem Volk als Sieger zeigen, aber da fühlte auch er, dass seine Füße ihn nicht mehr lange tragen könnten. Schnell befahl er daher, sein Ross vorzuführen. Mit größter Anstrengung hoben vier Knappen den Trunkenen in den Sattel. Sowie der Ritter auf seinem Pferd saß, fühlte er sich wieder sicher und sprengte in wildem Galopp, von dem Gelächter und Zuruf des Volkes geleitet, durch die Stadt.

Als er bei der Kirche des heiligen Nikolaus vorbeiritt, wurde gerade die Vesper gesungen. In seiner Trunkenheit kam ihm der sündige Gedanke, sich auch dort dem versammelten Volk als Sieger zu zeigen. So lenkte er denn sein Pferd durch die offen stehende Kirschentür. Erschreckt hielten die Andächtigen in ihrem Gesang inne und blickten strafend auf den Frevler. Diesen aber belustigten nur die warnenden und entsetzten Blicke der Gemeinde. Im tollsten Übermut trieb er seinen Rappen an, ihn bis zum Altar zu tragen. Da plötzlich zuckte aus heiterem Himmel ein greller Blitz. Getroffen sank der Ritter mit seinem Pferd zu Boden. Starr vor Schreck blickten die Versammelten auf den Altar, vor dem dieses Himmelswunder geschehen und vor welchem nur die vier Hufeisen des samt seinem Herrn vernichteten Pferdes lagen.

Lange konnte man dieselben an der Kirchentür in Ellrich sehen, wo man sie zur Erinnerung an den so furchtbar gerächten Frevel des Grafen von Klettenburg angenagelt hatte. Erst nach Jahrhunderten, bei einem Kirchenbrand, kamen diese Hufeisen auf das Inspektorat, wo sie noch heute zu sehen sind und alle Beschauer durch ihre Größe in Staunen versetzen.