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Dämonische Reisen in alle Welt – Kapitel V, Teil 4

Johann Konrad Friederich
Dämonische Reisen in alle Welt
Nach einem französischen Manuskript bearbeitet, 1847.

Kapitel V, Teil 4

Den kommenden Morgen begünstigte das schönste Wetter dieses einzige Volksfest. Asmodi stand früh vor seines Freundes Bett und unterhielt sich wie gewöhnlich mit demselben, während dieser frühstückte und Toilette machte, über Politik und die neuesten Tagesbegebenheiten. Dieses Mal kamen die Polen auf das Tapet, für die Michel wie die meisten Menschen, deren Herz der krasseste Egoismus und Geldgier noch nicht für alles Edlere gefühllos gemacht hatten, eine große Sympathie zeigte. Der Teufel aber meinte, dass sie ihr Unglück doch nicht so ganz unverschuldet trügen und zum großen Teil selbst herbeigeführt hätten.

»Höre, Asmodi, ich begreife dich nicht, ich muss dir offen gestehen, dass ich mich manchmal kaum des Verdachts erwehren kann, dass du ein serviler, ja ein recht knechtisch gesinnter, mitunter auch ein inkonsequenter Teufel seist. Du rühmst Preußen, tadelst Österreich und …«

»Ich habe dir schon gesagt, dass du trotz deiner Höllenreise doch immer noch ein recht kurzsichtiges und befangenes Menschenkind bist«, fiel ihm Asmodi ins Wort. »Ich als Teufel, wenn auch hinkend, muss über alle Parteien der menschlichen Misere erhaben sein und nehme nur für unser Reich Partei. Im Übrigen seid ihr Gabeltiere, welche Färbung und Schattierung ihr auch immer annehmen mögt, vollkommen gleich. Es gibt viele republikanische und servile Schurken in allen Staaten. Und die rechtlichen Leute, die wirklich um der Sache willen und aus Überzeugung eine Meinung haben und für diese streiten, sind dünn gesät. Mit wenig Ausnahmen hat jeder seinen Preis, für den er verkäuflich ist. So zum Beispiel die französischen Polenfreunde der revolutionären Partei. Glaubst du denn wirklich, dass es diesen um das Heil der Polen zu tun sei? Soll ich sie dich abermals mit der Laterne beleuchten lassen? Die Ehrlichsten unter ihnen wollen die Polen ausbeuten, um ihre Umwälzungspläne dadurch zu befördern. Sie benutzen Polen, hoffend mit diesem Vorwand den Hass und die Angriffe gegen ihre eigene Regierung, an deren Sturz sie arbeiten, bemänteln, herbeiführen und dann herrschen zu können. Polens Heil ist das Letzte, an was sie denken. Andere wollen die Polengeschichte für noch weit niedrigere Zwecke gebrauchen usw. Willst du die Laterne ergreifen?«

»Danke«, sagte Michel kopfschüttelnd und setzte hinzu: »Die Menschheit ist doch wahrhaft grauenerregend!«

»Tor! Das fällt dir erst jetzt ein? Was sollte denn aus unserem Reich der Hölle werden, wenn dies nicht wäre«, versetzte er höhnisch grinsend. »Vivat die Welt, so wie sie ist! Lies doch in all diesen feilen französischen Blättern, welche Partei für die armen Polen nehmen, die ihre angebliche Sympathie für diese Unglücklichen in prächtigen, hochtrabenden Phrasen ausdrücken und sich in den herzbrechendsten rührendsten Floskeln Luft machen, und setze, so oft der Name Polen vorkommt, Algerien dafür hin, und sage mir, ob alle diese Artikel nicht auf ein Haar, ja noch besser auf dieses Land als auf Polen passen, denn hier sengen, brennen, morden und schinden die Franzosen noch ganz anders als es je in Polen geschah.«

»Aber dies sind ja nur Barbaren, fast wilde Völker. Wie magst du sie mit den Polen vergleichen?«

»Dummer Teufel, hätte ich beinahe wieder gesagt, da guckt die einseitige, kurzsichtige, menschliche Misere wieder aus allen Ecken hervor. Wer hat dir denn gesagt, dass der Araber, der Kabyle, der Maure als Mensch nicht eben den Wert und vor dem Thron des Allmächtigen vielleicht noch einen weit höheren als der Pole, der Franzose, der Engländer, der Deutsche etc. habe? Mit welchem Recht bemächtigen sich die Franzosen dieses Landes und seiner Einwohner, über welche sie das schrecklichste Elend und Jammer verbreiten, die sie auf die grässlichste Weise vertilgen, wenn sie nicht nach ihrer Pfeife tanzen wollen! Danach zu fragen, ist noch keinem jener französischen patriotischen Feder- und Maulhelden eingefallen. Läge Polen a leur portée und sie könnten es verschlingen, so würdest du sehen, was aus ihrer Vorliebe für Polen würde. Wie, weil ein Dey einem anmaßenden Konsul einen mutwilligen Fächerschlag erteilte, maßt sich Frankreich das Recht an, ganze Völkerschaften zu unterjochen und zu vertilgen, und schleppt die edelsten derselben, die wahrer Patriotismus und Religion zum Kampf gegen die Unterdrücker begeistert, gefangen auf eine halb öde Insel seiner Küsten!«

»Aber dadurch machte es dem seeräuberischen Unfug der Raubstaaten ein Ende, welche die geraubten Europäer in Sklavenketten schmiedeten.«

»Als ob es nicht andere Mittel in Händen gehabt hat, diesem Unfug ein Ziel zu setzen. Geh, deine Logik ist keinen Deut wert. Die Polen sind allerdings zu beklagen, aber die Algerien und Nordafrika bewohnenden Araber sind es nichts minder. Und was den Charakter anbetrifft, so wirst du mehr Edelmut, Großmut, Gastfreundschaft, wahre Hingebung, Heldenmut und oft außerordentliche Seelengröße bei diesen Söhnen der Wüste finden als bei den sogenannten nordischen Franzosen, wie man die Polen gerne in Frankreich nennt, die zum Teil eine gute Portion Sinnlichkeit, Leichtsinn, Spiel- und Prachtsucht mit den wirklichen Franzosen teilen, ja sie noch in mancher dieser löblichen Eigenschaften übertreffen und außerdem keine geringe Neigung zum Trunk, zum Hintergehen und zum Überlisten haben, was meistens den Arabern bis auf das Letztere ziemlich fremd ist. Übrigens ist der polnische Bauer und Bürger im Allgemeinen und namentlich in Preußen nun hundertmal besser daran und glücklicher als zu jener Zeit, da Polen noch ein für sich bestehendes Reich war und die Bauern sämtlich Leibeigene der Edelleute, die ungestraft und unverantwortlich über Leben und Tod dieser unglücklichen Herr waren, sie nach Gefallen mit dem Grund und Boden verkauften, mit der Peitsche zur Arbeit trieben usw. Auch die Bürger waren fast gar nicht vertreten und der Adel allein bildete die Nation. Diese Vorzüge und Gewalt, die der polnische Adel noch immer nicht verschmerzen kann, da er nun gleich jedem anderen unter dem Gesetz steht. Im Großherzogtum Posen, mehr als in den anderen polnischen Ländern, sind es, die ihn zu den immerwährenden, zu nichts führenden, Land und Volk immer unglücklicher machenden Empörungen antreiben. Gelänge es heute dem polnischen Adel wieder, die Oberhand zu gewinnen, so würden Bürger und Bauern, Handwerker und Kaufleute und alle Nichtadelige wieder der alten Tyrannei und Sklaverei verfallen. Doch genug davon, es beginnt alles lebendig auf den Straßen zu werden, und du willst dich heute ganz den Karnevalsfreuden hingeben. Wohlan, mein Herr und Gebieter, was beginnen wir? Lass einmal deiner Einbildungskraft freies Spiel. Sie ist fruchtbar genug und hat mich schon mehr als einmal gewaltig in Schweiß und Atem gebracht.«

»Zuerst will ich zum heiligen Herzen fahren und meinen beiden Zöglingen einen Besuch abstatten. Ich will, dass sie ebenfalls den Karnevalsfeierlichkeiten als Zuschauer beiwohnen sollen, und werde sie in einer schönen Equipage die große Tours auf den Boulevards machen lassen. Es ist ohnehin schon einige Zeit her, dass ich Rosa-Maria nicht sah.«

»Aha, das heilige Herz zieht dein menschliches an. Wohlan, lass uns gehen.«

Beide fuhren zu dem Sacré-Coeur, wo sie, wie man sich denken kann, auf das Freundlichste empfangen wurden und Rosa- Maria errötend dem liebenswürdigen Michel die Freude gestand, die ihr dessen Besuch verursachte, während der Teufel ihrer Schwester Artigkeiten sagte. Aber wie groß war die Freude der Mädchen, als sie hörten, dass sie in einer prächtigen Equipage den Karneval sehen würden. Es wurde nun ein Stündchen verplaudert, da die Mädchen nicht fertig werden konnten, zu fragen und sich nach den bevorstehenden Lustbarkeiten und Vergnügungen zu erkundigen, die, wie ihnen Michel und der Teufel versicherten, diesmal alles übertreffen würden, was man je der Art zu Rom, Venedig, Köln und Paris gesehen hatte.

Anderthalb Stunden waren im Sacré-Coeur verplaudert, als sich die Beschützer Rosa-Marias entfernten, sie versichernd, dass um zwei Uhr die versprochene Equipage vorfahren und die Mädchen nebst ihrer Aufseherin abholen würde.

Bald, nachdem die Mittagsstunde geschlagen hatte, füllten sich die Boulevards von der Bastille bis zur Madelaine allmählich mehr und mehr, und das Gedränge wurde von Minnte zu Minute größer. Die Wagen, Reiter und Fußgänger, im Kostüm, maskiert und unverlarvt, strömten aus den Hunderten von Straßen, die von beiden Seiten auf die Boulevards führen, hinzu, die bald einem Strom glichen, den Überschwemmungen und sich in ihn ergießende angeschwollene Seitenflüsse zu alles mit sich fortreißenden rauschenden Fluten machen. Alle Fenster der Tanzende von Häusern, deren Fassaden auf die Boulevards gehen, waren bis in das siebente und achte Stockwerk mit unzähligen Köpfen garniert, unter denen manches wunderliebliche Amoretten-Gesichtchen zwischen Fratzen und Karikaturen der widerlichsten Gattung freundlich strahlend hervorleuchtete. Die stattlichen Munizipal-Garden zu Pferd, in großer Uniform und mit den glänzenden römischen Helmen behauptet, hätten nebst ihren nicht minder imponierenden Kameraden zu Fuß die ganze, eine gute Stunde lange Strecke der Boulevards, der Straßen la Paix und Rue Royal besetzt, um die nötige Ordnung zu erhalten. Nur noch im Schritt konnten die Fiaker jeder Art, Generale, Lutetien, schwerfällige Sylphiden, Cabriolet Mylords, gewöhnliche Cabrioletts, Cittadinen und wie die Pariser Mietfuhrwerke alle heißen mögen, wohl besetzt und oft wunderbar seltsam geschmückt, die eine Seite hinauf und die andere hinabfahren, und mussten dabei nicht selten einen Halt von einer Viertel oder halben Stunde Dauer machen, wobei dann die drolligsten, aber oft auch unsaubersten Späße zwischen den Fußgängern und den in den Wagen setzenden Masken vorkamen, die gewöhnlichen Damen gewiss die Glut ins Gesicht getrieben haben würde, welche aber die Pariser Karnevalsdamen nur zu einem fast berstenden Lachen veranlassen. Nur den eleganten Equipagen des Hofs, der Minister, Deputierten der Diplomatie und anderer privilegierten Personen, nebst den offenen vier-, sechs- und achtspännigen Maskenwagen sowie auch den eleganten und nicht eleganten, guten und schlechten Reitern auf edlen Raçerossen und sommerlichen Mietkleppern und Rosinanten war es gestattet, den inneren freigelassenen Raum der Boulevards zu benutzen. Hier fuhren auch Rosa-Maria und ihre Schwester, die eine vierspännige offene Kalesche zur bestimmten Stunde abgeholt hatte, spazieren. Welch ein Geschrei, welch ein Tumult, welch ein Lärmen und Getöse! Wohl eine halbe Million Menschen wogte die Boulevards auf und nieder, mehrere Hunderttausende hatte die Eisenbahn, Messagerien etc. auf 50 und 100 Stunden weit herbeigeführt. Seit 50 Jahren war der Karneval zu Paris nicht so belebt wie dieses Mal, und der Himmel und die Hölle, denn der Teufel hatte allerdings sein Spiel dabei, begünstigten ihn mit dem herrlichsten Wetter. Havre, Rouen, Orleans, Pontoise, Versaille, St. Germain, Mantes, Corbeil, Melun etc. nebst all den zwischen diesen und Paris liegenden Städten und Ortschaften hatten den Kern ihrer Bevölkerung zu Frankreichs Hauptstadt entsendet. In den letzten Jahren war der Fastnachtsdienstag zu Paris eintönig, fast stumm gewesen. Man hatte wenig Masken, wenig heitere Laune und Humor bemerkt. Eine düstere Stimmung schien die ganze Feier in ein Florgewebe zu hüllen. Diess Mal war es anders; die seit Jahren aufgesparte Freude, Munterkeit und Ausgelassenheit schien sich nun auf einmal Luft machen zu wollen. Die Zahl der Masken wuchs mit jeder Minute, und die Wagen, die mit solchen angefüllt waren, wunden immer zahlreicher. Die Botschaften der ganzen Welt schienen Abgeordnete geschickt zu haben. Amerikanische Rothäute, afrikanische Schwarzhäute, chinesische Mandarinen und Kaufleute, Perser und Ostindier, Araber und Marokkaner, silber- geharnischte Ritter und allerliebste Pilgerinnen, Tongusen und Samojeden, Harlekine, Scapins, Columbinen, Pierrots, Magier und die verführerischsten Hexen, der halbe Olymp und die ganze Unterwelt, Himmel und Hölle waren vertreten. Das Gedränge war bald so groß, dass es den Fußgängern wie den Wagen erging, sie konnten nicht von der Stelle. Aus vielen Wagen, man zählte deren 30.000, besonders aus den Maskenwagen regnete es Konfetti und oft zierliche Süßigkeiten. Die Waffelbäcker, Gerstenzucker-, Honigkuchen-, Apfelsinenverkäufer etc., denen es gelungen war, sich an einem soliden Plätzchen auf den Boulevards zu etablieren, machten die vortrefflichsten Geschäfte, ebenso die niedlichen Blumen- und Sträußemädchen, maskiert oder nicht, gleichviel.

»Da kommt er, dort seht, er nähert sich!«, ertönte es nun

aus tausend und abermals tausend Kehlen zumal.

»Was? Wer?«

»Wer? Dagobert, der gehörnte und gekrönte Götze dieses Festes, dessen Schlachtopfer er zu gleicher Zeit ist, mit einem Wort, der fetteste Ochse Frankreichs, den der unermesslich reiche Fleischer Roland liefert, dessen köstliches Fleisch nur auf königlichen Tafeln verspeist wird, und von dem die Königin Viktoria so glücklich war, ein ganzes Viertel zum Geschenk zu erhalten, welche ihre Dankbarkeit durch ein Gegengeschenk kund gab, das wenigstens einen ebenso großen Wert hatte wie das Viertel des trefflichen Ochsens, dieses Pariser Apis, der, wenn auch jedes Jahr geschlachtet und verspeist, Dank der französischen Mastkunst jedes Jahr zur rechten Zeit wieder neu ersteht. Aber welche Pracht, welcher Glanz! Ein halbes hundert Strauße musste ihren schönsten Schmuck herleihen, um das goldgereifte gehörnte Haupt des Königs des Festes würdig zu zieren. Die Decke, die seine unmäßige Dickleibigkeit verhüllt, wäre zur Not würdig, den Leibelefanten eines Großmoguls zu zieren. Und dann seine Begleitung, seine Umgebung, sein Gefolge, seine Beschützer und seine Schlächter, zu Ross, zu Fuß und zu Wagen, alle im reichsten Kostüm aller Völker, aller Zeiten und der seltsamsten Fantasie. Seht doch diesen Tambourmajor, der fast 10 Fuß hoch, seinen Federbusch inbegriffen, diese prächtige Musikbande anführt, die dem Götzen des Tages voranschreitet und durch ihre wildrauschenden und doch harmonischen Töne das arme Schlachtopfer ermutigt, seinen mühsamen sauren letzten Marsch mutig zu vollenden. Und nun dieser haushohe goldene Wagen von 10 prächtig aufgezäumten, befederten und bebänderten Rossen gezogen, auf dem die merkwürdigsten Götter der Heidenwelt prangen und hoch über alle auf dem erhabensten Sitz der gefährlichste und schelmischste aller Götter, der liebliche Amor in der Gestalt eines rotwangigen frischen Fleischerkindes.1 Hoher trug nun der Stier und sein ganzes Gefolge das Haupt, denn sie hatten soeben dem König und der königlichen Familie ihrer Aufwartung in den Tuilerien gemacht.2

Aber dort, was nähert sich da von der entgegengesetzten Seite für ein Zug? Welche finstere düstere Gestalten sind der Hölle entwischt, um den Parisern die derzeitige Lust zu vergällen oder ihren Humor wenigstens mit düsteren Gedanken zu schwängern? Ha, der Sohn des Teufels ist es, der nebst den drei Bastarden Bluthaupts naht. Sie sind in blutrote Mäntel gehüllt und enorme breitrandige Filzhüte bedecken ihre Köpfe. Sie halten das nackte Schwert in der Hand. Auf einem mit sechs Pferden bespannten Riesenwagen sitzt eine wohlbeleibte Schöne oder liegt vielmehr nachlässig ausgestreckt auf Samtkissen. Vor ihr steht ein schwarzer geheimnisvoller Unbekannter. Dem Wagen voraus reitet der Teufel an der Spitze von fünfzig Unterteufeln unter dem Schall der infernalisch blasenden Hornisten. Hinter dem Wagen sieht man Pluto seinen Zweizack schwingen, mit noch einigen fünfzig anderen Personagen der Unterwelt. Vor und hinter diesem seltsamen Zug war das Gedränge ungeheuer, zum Erdrücken, ja lebensgefährlich.

Was mochte wohl diese sonderbare Maskerade zu bedeuten haben? Nichts als eine ungeheure Marktschreierei, ein von dem Gaskogner Granier Cassagnac erfundener Scharlatanismus, eine Anzeige, eine Reklame im großartigsten Stil. Auf Fahnen und Standarten, die aus der Mitte dieses Zuges hervorragten, las man mit schuhhohen Buchstaben die Aufschrift: Lisez l’Epoque (Lest die Epoche).

Der Zug stellte nämlich die Hauptpersonen vor, welche in dem neuesten Feuilleton dieser Zeitschrift, des Teufels Sohn betitelt, eine Rolle spielen. Ob das Feuilleton diesen ungeheuren Aufwand und große Teilnahme verdient, steht dahin, da es kaum begonnen hatte, doch soll diese neue Art von Anzeige dem Riesenjournal einige Dutzend Abonnenten mehr eingetragen haben! Nun haben sich der Ochsenzug und der Teufelszug gekreuzt. Aufs Neue erschallt ein Ah! Oh! Seht! Seht! Was ist es, was die Aufmerksamkeit nun fesselt? Ha, ein wandelnder Garten mit den seltensten Gewächsen, Blumen, Stauden und Bäumen nähert sich, in welchem man die niedlichsten Gärtnermädchen mit Gießen sowie mit Sträuße- und Kränzewinden beschäftigt sah. Schäferinnen und Nymphen bargen die Gebüsche. Ein Palmbaum mit Datteln ragte aus der mittleren Gruppe hervor. Unter Kaffeebäumen und zwischen Zuckerrohr saßen Pflanzer; eine Krone goldener überreifer Ananas umgab ein Rosengebüsch. Girlanden von Camelias festonierten die Stämme der Bäumchen, Bukette der seltensten Prachtblumen reichten die grün gemiederten und rosa geschürzten Gärtnerinnen den Vorübergehenden zum Atzi hin. Dieser Zug war eine von den Unternehmern des Wintergartens veranstaltete Maskerade, auch eine Art Anzeige.3 Andere weniger bedeutende Züge und Maskenwagen, unter denen auch manche der Hallendamen, der Seine und anderer Nymphen, folgten in mehr oder minder großen Zwischenräumen. So kam die Dämmerung und mit ihr der Abend herein, ohne dass die geringste Störung oder irgendein Unheil vorgefallen wäre. Seltsames Volk, die Franzosen, das, sobald es sich zu irgendeinem politischen Zweck vereinigt und auch nur zu zwanzig bis dreißig Köpfen angewachsen ist, sich kaum mehr zähmen lässt und von nichts als Umwälzungen, Revolutionen, Rebellion und Empörung träumt und spricht, während Hunderttausende zu einem Possenspiel, einer Gafferei vereinigt, es sich auch im Traum nicht einfallen lassen, ihre nun ungeheure Gewalt zu einem politischen Zweck in Bewegung zu setzen, so lange man ihren Tollheiten nichts in den Weg legt, sowohl selbst zur Verhaftung der sich zu ungebührlich Benehmenden beitragen. Indessen war dieser Tag eine ungeheure Ernte für die Taschendiebe. Man rechnete, dass für ein paar Mal hunderttausend Franken an Geld und Geldeswert gestohlen wurde. Einige dreißig dieser Vögel, auf frischer Tat ertappt, wurden eingefangen. Man fand Uhren, Armbänder, mit Gold gefüllte Börsen etc. in großer Menge bei ihnen. Mehr denn hunderttausend Gas-, Lampen- und Laternenlichter ersetzten bereits das Tageslicht auf den Boulevards. die Nacht war sternenhell und die Luft so milde wie in der anmutigsten Mainacht. Die Sterne schienen dem bunten Treiben zuzulächeln, das so arg wurde, dass man hätte glauben sollen, ganz Paris sei toll oder wahnsinnig geworden. Plötzlich erschien auf dem Bastillenplatz ein neuer Maskenzug von dem Schein unzähliger Fackeln beleuchtet, die ihn begleiteten, und machte dreimal die Runde um die Julisäule, worauf er sich gegen die Boulevards in Bewegung setzte. Seltsame, nie gesehene Gestalten und Masken sah man mitunter in demselben paradieren. Ein ungeheurer, fast einem Berg ähnlicher Wagen erhob sich in dessen Mitte, sechzehn Riesentiere, die einige Naturforscher für Mammuts erkennen wollten, zogen denselben an goldenen Strängen. Jedes dieser Tiere wurde von einem kleinen gehörnten Belzebübchen geleitet. Auf der Mitte dieses Wagens sah man sich, von einem runden Altar umgeben, einen ungeheuren Ochsen von gediegenem Gold erheben. Über demselben las man mit strahlender Schrift die Worte Der mächtige und nichtige Götze der albernen Menschheit. Rings um den Altar, auf dem schwer gefüllte Geldsäcke lagen, sah man eine Menge Individuen jedes Standes, Alters und Geschlechts, aller ganz und halb zivilisierten Nationen knien. Sogar gekrönte Häupter, die höchstgestellten Staatsmänner, Minister, Kardinäle, Erz- und gewöhnliche Bischöfe, Geistliche aller Religionen, mit Orden behängte Wechsler, Lords, Pairs und Deputierte, Feldmarschälle und Generale aller Heere, Richter und Advokaten, Ärzte und Philosophen, Dichter und Prosaiker, Kaufleute und Künstler, Krämer und Handwerker, der höchste wie der niedrigste Adel, Bürger und Bauern, Gelehrte und Unwissende, Prinzessinnen und Fürstinnen, Hofdamen und Buhldirnen etc. richteten hier ihr eifrigstes Gebet an den Götzen, boten und brachten demselben jedes Opfer, selbst das der Ehre, der Gesundheit, der Rechtlichkeit, ja sogar der ewigen Seligkeit. Man sah sie dafür einen größeren oder kleineren Teil des aufgehäuften Mammons von dem ebenfalls mit Dekorationen behängten Kassierer des Stieres in Empfang nehmen und ihm dafür Hände und Füße und sonst allerlei belecken.

Dieser Wagen war mit einem Dutzend gehörnten Trabanten auf schwarzen Riesenböcken reitend umgeben, welche unaufhörlich scheußliche, grinsende Gesichter schnitten. Die Federbüsche ihrer Hüte waren rote Flammen. An der Spitze ihrer Lanze flammte ein feuriges Fähnlein, auf dem zu lesen war: Mammons Leibgarde. Auch trugen sie sämtlich rote Schilder an ihrer linken Seite, auf deren Mitte ein mit Talern gefüllter vergoldeter schwerer Geldsack abgebildet war. Diese Mammonknechte waren samt ihrem Anführer transparent, sodass man das Innere ihrer Körper durch und durch sehen und bemerken konnte, dass von Herz und Nieren keine Spur in demselben zu entdecken war, sondern wo diese bei anderen Geschöpfen in der Regel liegen, waren sie durch eine versteinerte zähe Masse, in einem unförmlichen Klumpen zusammengeballt, ersetzt. In ihren Köpfen sah es noch wüster aus: Inmitten einer großen Leere bewegten sich nur Zahlen und unzählige Nullen, die fortwährend durcheinander flackerten und wirrten und häufig große Kapitalsummen bildeten. Es war eine Art Rechenmaschine, die den ganzen Schädel so in Anspruch nahm, dass auch nicht das kleinste Plätzchen für irgendeinen anderen Gedanken übrig blieb. Dagegen waren Magen und Bäuche dieser Rotschilder von ungewöhnlicher Größe und die Verdauungswerkzeuge so vortrefflich, dass sie Metalle jeder Art, sogar Stein und Eisen zu einem weichen Brei verarbeiteten.

Hinter diesem Götzenwagen kam ein anderer, auf dem ein ungeheurer Kessel mit einer gelb sprudelnden Flüssigkeit angefüllt war, die fortwährend von rußigen Gesellen umgerührt wurde. Die dieselben umgebenden Kameraden nahmen alle die in Empfang, welche von Zeit zu Zeit vom Altar des goldenen Ochsens mit dem erbeuteten Mammon herabstiegen, welche sie nun ohne Weiteres in den sprudelnden Kessel warfen, in dem sie spurlos verschwanden, worauf sich dann jedes Mal auf der Oberfläche desselben eine große Blase bildete, die nach einigen Augenblicken platzte und sich dann in einen sich in nichts verlierenden Dunst auflöste. Diesen beiden Wagen folgten noch viele andere, mit allerlei artigen lebendigen Bildern beladen. So sah man unter anderen auf einem derselben ein ganzes Ballett von den niedlichsten Operntänzerinnen aufführen, auf einem anderen war ein Konzert organisiert, in dem sich ein zweiter Paganini, ein anderer Liszt und Thalberg, eine zweite Catalani und Malibran hören ließen. Ein dritter Wagen stellte ein großes Büro vor, in welchem viele Schreiber beschäftigt waren, unter den Angaben krausköpfiger und dickleibiger Bürochefs Romane der tollsten Gattung zu schmieden. Und so waren noch viele Künste, Gewerbe und Hantierungen auf verschiedenen Wagen repräsentiert und mit den passenden Attributen umgeben, sämtlich dem goldenen Götzen folgend. Der ganze Zug schloss abermals mit einer Schar Bockreiter, deren Reittiere die possierlichsten und ergötzlichsten Sprünge machten. Die Reiter selbst unterschieden sich von den anderen nur dadurch, dass sie schwarze Schilder trugen und anstatt der vergoldeten Geldsäcke beinerne, grässlich grinsende Totenköpfe hatten. Man kann sich denken, welche Aufmerksamkeit die Masse der Zuschauer diesem seltsamen, nie gesehenen Schauspiel widmeten. Der ungeheure, fast endlose Zug bewegte sich langsam längs den Boulevards hinauf, dabei von Zeit zu Zeit rechts und links einige Abstecher machend, damit der goldene Stier, seinem fetten Kameraden gleich, gewissen Hotels und Palästen ebenfalls seine Huldigung bringen konnte.

Es war gerade Mitternacht, als diese Maskerade endlich auf dem Concordienplatz ankam, nachdem sie noch vorher einen Umgang um die Deputiertenkammer gemacht hatte und über die Eintrachtsbrücke zurückgekehrt war. Die sie umgebenden Fackelträger schlossen nun einen ungeheuren Kreis, in welchem alle bei dem Zug mitwirkenden Personagen sowie die Wagen, Reiter eingeschlossen wurden, worauf das brillanteste Feuerwerk, das man je gesehen hatte, und das weit schöner und prächtiger war als die, welche jemals an Napoleons-, Ludwigs-, Philipps- oder den Julifesten abgebrannt wurden, aus dessen Mitte sich erhob und mit einem Riesenbukett schloss, das so großartig war, dass man hätte glauben sollen, der Krater des Ätna habe sich in seiner gewaltigsten Kraft geöffnet. Statt ausgespiener Steine sah man jedoch allerlei komisch zappelnde, obwohl feurige, doch meist sehr bekannte Gestalten und Fratzen in der Luft wirbeln. Das Ganze endete mit einem so schrecklichen Knall, dass man hätte glauben sollen, die Erde wolle bersten. Als aber das Bukett auf diese Weise geendet und sich in Dampf und Rauch aufgelöst hatte, da sah man, o Wunder, keine Spur mehr von dem ganzen Schauspiel. Eine große Leere, ein stummes Nichts füllte den weiten Raum. Dies war eine Phantasmagorie Philippis oder gar des Herrn Comte in der Passage Choiseuil, meinten die guten, sich nun zur Ruhe begebenden Pariser. Michel aber meinte, der ganze Spuk würde nichts bessern, denn niemand denke mehr an die Ewigkeit und alle handelten und trieben ihr Wesen, als sollten sie ewig leben, obwohl sie der unerbittliche Tod jeden Tag, jede Stunde, jeden Augenblick eines anderen belehrt.

»Nächstens müssen wir eine Sternenreise antreten und dann auch dein Reich wieder einmal besuchen, um einige Abwechslung in das irdische Einerlei zu bringen, das mich mitunter langweilt und meistens anekelt. Die Menschheit liegt doch grässlich im Argen, sie könnte mir als fürchterlich erscheinen, wenn sie weniger albern, lächerlich-dumm und befangen wäre«, sagte Michel.

»Gute Nacht, Herr Moralist«, höhnte der Teufel.

Die beiden Gefährten begaben sich jeder in seine Ruhe.

Show 3 footnotes

  1. Früher, bis zum Jahr 1822, ritt dieses Kind, der König der Fleischer auf dem Rücken des Stiers, dem es nun auf dem Prachtwagen folgt. Diese Zeremonie ist noch ein Überbleibsel aus den Zeiten der alten Gallier, die dadurch dem Stier des Tierkreises ihre Verehrung bezeigen wollten, und das auf demselben reitende Kind den König der Metzger nannten. Während der Revolution und der Republik unterließ man diese Zeremonie. Erst unter Napoleon wurde der fette Ochse wieder in seine Rechte eingesetzt.
  2. Im Jahr 1739, nachdem der ganze Zug beim König und den Prinzen gewesen war und er hierauf den Parlamentspräsidenten nicht in seinem Hotel gefunden hatte, begab er sich in den Justizpalast. Hier ließ man den Ochsen die Treppe der heiligen Kapelle hinaufsteigen. Nachdem man ihn dem Präsidenten vorgestellt hatte, führte man ihn durch alle Säle dieses Themistempels und endlich die Treppe hinab, die auf den Platz der Dauphine geht.
  3. Die bisher treu beschriebenen Züge fanden sich alle in der Wirklichkeit am Fastnachtsdienstag des Jahres auf den Boulevards ein.