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Die Riffpiraten – Kapitel 12

Heinrich Klaenfoth
Die Riffpiraten
Verlag Albert Jaceo, Berlin, um 1851

Kapitel 12

Die lachende Französin

Nachdem Abu-Trichan mit seinem Geschwader, welches, wie schon bemerkt, aus drei Schiffen bestand, die ganz nach Art der europäischen Kriegsschiffe ausgerüstet waren, ein ziemlich kunsvolles Manöver ausgeführt hatte, ließ er direkt auf die Küste zusteuern und wir liefen nach kurzer Zeit in einen kleinen, sehr versteckten Hafen ein.

Auf dem Landungsplatz war eine bunte Gruppe von Menschen versammelt, welche den Häuptling mit lautem Freudengeschrei empfingen, als derselbe an Land stieg.

Abu-Trichan nahm indessen wenig Notiz davon. Er bestieg einen feurigen arabischen Hengst, den ihm zwei Neger vorführten, während seine vier Begleiterinnen in zwei Sänften Platz nahmen, die zu ihrer Aufnahme bereitstanden.

Jede dieser Sänften wurde von sechs Negern getragen, welche eine geblümte Schärpe um den Leib und ein Messingband um den Hals trugen, im Übrigen aber nackt waren. Ein Mohr befehligte diese schwarzen Träger.

Auf einen Wink des Häuptlings setzten sich die Sänften in Bewegung, an deren Seite er dann einherritt.

Gleich darauf trat ein von der Französin beauftragter Mann zu uns heran, der uns aufforderte, ihm zu folgen.

Ach, mit welchem namenlosen Wehgefühl und zugleich mit welcher Freude über die wunderbare Rettung aus den mörderischen Händen des norddeutschen Kapitäns wir das Festland von Afrika betraten, lässt sich nicht beschreiben! Deine Mutter und ich fielen uns gerührt in die Arme und wir gaben uns in stiller Ergebung dem ferneren Schutz Gottes anheim.

Wir wurden von unserem Führer genötigt, eine Sänfte zu besteigen, welche inzwischen herbeigeholt worden war. Sechs Piraten nahmen dieselbe auf ihre Schultern und wir bewegten uns ohne Aufenthalt vorwärts, um uns den beiden anderen Sänften wieder anzuschließen.

Die Bewegung fand unter dem gleichmäßigen Schritt der Träger statt, welcher von einem eintönigen nationalen Gesang begleitet war, unter welchem wir im Hauptlager der Riff-Piraten ankamen.

Das Lager bestand aus Hunderten von Zeiten, die den Familien teils als Wohnungen, teils zur Aufnahme ihrer Vorräte dienten. Alle standen wild durcheinander. Pferde und Kamele, welche, wie wir später erfuhren, für den Kriegsdienst bereitstanden, waren entweder im Schatten einzelner großer Bäume oder auf der Schattenseite der Zelte untergebracht. Hier und dort loderten einzelne Feuer, an denen Männer und Frauen hockten, die sich Speisen zubereiteten. An anderen Punkten sah man Gruppen dieses Volksstammes, die sich träge und schläfrig auf dem Boden umherwälzten und aus deren Mienen die tötlichste Langeweile sprach.

Das Zelt Abu-Trichans zeichnete sich durch Größe und Einrichtung vor allen übrigen aus.

Es präsentierte sich uns in der Gestalt einer Rotunde und war mit weißem Segeltuch überspannt, das von roten Streifen geziert wurde, die sich oben vereinigten.

Das Innere dieses Zeltes diente dem Häuptling und auch einigen seiner Lieblingsfrauen als Schlafgemach, zum Schutz gegen Hitze und Unwetter und als Speisesaal.

Ich gebe dir, meine liebe Cäcilie, von diesen anscheinend gleichgültigen Dingen einige Notizen, weil sie dir, wenn du diese Blätter zu Ende gelesen hast, in Bezug auf deine Mutter, meiner innig geliebten Frau, gewiss von Interesse sein werden.

Fast gleichzeitig mit den Sänften der Frauen war auch die unsrige im Lager eingetroffen und einer der Piraten, welcher eine höhere Stellung zu bekleiden schien, eilte gleich nach unserer Ankunft in das Zelt des Häuptlings, welches dieser mit seinen Frauen bereits betreten hatte, um unsertwegen weitere Befehle einzuholen.

Es wurde uns ebenfalls ein Zelt angewiesen, welches man für uns einräumte und wovon wir sofort Besitz nahmen.

Wir waren den Umständen nach mit unserer Lage zufrieden, obwohlh wir uns über unsere Zukunft ganz im Dunkeln befanden. Was dich betrifft, mein Kind, so machtest du uns noch immer viele Sorge, da du den Verlust deiner Amme durchaus nicht verschmerzen wolltest. Allein auch diesem Übelstand wurde durch die Fürsorge der bereits genannten ewig lachenden Französin abgeholfen, indem sie uns bald darauf aufs Neue, tief verschleiert und in Begleitung von zwei Piraten, einen Besuch abstattete und uns eine Eingeborene zu senden versprach, welche dich an ihre Brust nehmen sollte.

Diese Person, jung und von nicht unangenehmen Äußerem teilte fortan das Zelt mit uns.

Gleichzeitig versprach uns die Französin, der wir unser Dankgefühl nicht genug ausschütten konnten, zur Erleichterung unserer Lage noch mehr zu tun, wenn wir das Lager verlassen und feste Wohnsitze bezogen hätten. Sie schlug mir vor, in den Kriegsdienst einzutreten, wenn ich Geschick und Neigung dazu hätte. Da die Piraten mit den Marokkanern in steten Zank lebten und Reibungen jeden Tag zu erwarten wären, so wolle sie dem Häuptling, welchem mein Antrag sehr willkommen sein würde, sofort Anzeige davon machen.

Ich willigte gern in diesen Vorschlag ein. Auch für Isabella schien es eine Freude zu sein, dass wir künftig die Wohltaten, welche wir genossen, durch meine persönlichen Leistungen aufwiegen würden.

Doch ich gehe über diese Projekte und Entwürfe fort, um zu einem Hauptmoment meines Lebens überzugehen, welcher die stillen, seligen Freuden meines Familienglücks mit einem Schlag vernichtete und mein Inneres zu Eis erstarren machte, da der Schmerz hierüber in dem Augenblick, wo ich diese Zeilen schreibe, sich nur noch in dumpfen Zuckungen kundgibt, die den früheren Schmerzenslaut zu einem eigentümlichen Seufzer in die Kehle zurückdrängen, woran man das gebrochene Herz erkennt.

»O, meine armen Eltern!«, klagte Cäcilie. »Was werden wir hören?«

»Beruhige dich«, entgegnete die Witwe, »sie haben es ja überstanden. Gib her, wir wollen weiter sehen.« Und sie nahm das Handschreiben Nasellis und fuhr fort:

Zwei Tage hierauf wurde Isabella zum Zelt des Hauptmanns beschieden, um an einer Mahlzeit teilzunehmen. Die Einladung geschah durch die Französin, welche uns versicherte, dass dieses eine Auszeichnung sei, die Abu-Trichan natürlich nicht auch auf mich erstrecken könne, indem ich, der Sitte nach, als Mann zu solchen Schmausereien unter den Favoritinnen des Piraten nicht zulässig wäre. Im Übrigen sei nichts für Isabella zu befürchten, da die europäischen monogamischen Ehen dem Häuptling zwar sehr merkwürdig erschienen, aber doch von ihm in Ehren gehalten würden. Isabella solle sich unter ihrem, der Französin, Schutz ohne Besorgnis in das Zelt Abu-Trichans begeben, wo ihrer eine harmlose Zerstreuung harre, die in Anbetracht unserer bekümmerten Gemütsstimmung ja nur erwünscht sein könne.

Isabella nahm leichten Abschied von mir. Sie drückte einen zärtlichen Kuss auf meine Lippen und folgte dann der Französin. Ich schaute ihr sinnend nach, bis sie in dem Zelt Abu-Trichans verschwand. Eine heiße Träne stahl sich unwillkürlich in mein Auge, aber ich ahnte nicht, dass ich meine geliebte Frau nie wiedersehen würde.

Es mochte ungefähr eine Stunde vergangen sein, als einzelne Schüsse der Vorposten unser Lager aufschreckten. Die Männer eilten aus den Zelten und griffen zu den Waffen. Aber sie befanden sich noch in voller Verwirrung, als bereits eine unabsehbare marokkanische Reiterschar sichtbar wurde, die unter wildem Geschrei auf das Lager einstürmte.

Ein jähes Entsetzen bemächtigte sich meiner. Die Amme schrie laut auf, warf dich auf dein Lager und lief davon. Ich nahm dich in meinen Arm, ergriff einen dicken Stab und stürzte aus dem Zelt.

Die Marokkaner befanden sich schon innerhalb des Lagers. Ein Teil von ihnen kämpfte erbittert mit einer Abteilung Piraten, der es inzwischen gelungen war, sich zu sammeln. Ein anderer Teil der Angreifer sprengte wild im Lager umher, um alles zu verwüsten und die Wehrlosen zu ermorden. Es war ein entsetzlicher Anblick!

Auch ich wurde von den Säbeln dieser Barbaren verwundet, während ich bemüht war, mit dir dem Getümmel zu entgehen. Es gelang mir indessen, dein zartes Leben mit meinen treuen Vaterarmen zu schützen, und ich vergaß darüber den eigenen Schmerz.

Endlich hatte ich die Grenze des Lagers erreicht und eilte einem dichten Gebüsch zu, das in geringer Entfernung vor mir lag. Dort waren wir geborgen und konnten den Ausgang des Kampfes unbelästigt abwarten. Ich verband meine Wunden, so gut es eben gehen wollte, und widmete mich hierauf wieder ganz deiner Pflege.

Unterdessen hatten die Marokkaner an allen Punkten des Lagers festen Fuß gefasst. Sie drängten die Piraten vor sich her, welche nach einem letzten verzweifelten Kampf den Rückzug in einer Richtung antreten, welche dem Ort, wo wir uns befanden, entgegengesetzt lag.

Eine Abteilung der Marokkaner verfolgte die Fliehenden, während die Übrigen zum Lager zurückkehrten, um dasselbe zu plündern.

Ich blieb bis zum Anbruch der Nacht in meinem Versteck, das ich aber dann eilig verließ, da ich fürchtete, dass mich dein unaufhörliches Schreien und Weinen verraten würde.

Ich umging das von den Feinden besetzte Lager, indem ich die Richtung einschlug, in der die Piraten den Rückzug angetreten hatten. Es war meine Absicht, mich wieder mit denselben zu vereinigen, weil ich hoffen durfte, bei ihnen meine Gattin zu finden. Aber es war ein unseliger Irrtum, der mich hier leitete, und ich hatte es schwer zu bereuen, mich nicht den Marokkanern in die Hände geliefert zu haben.

Meine Lage war derartig, dass sie unmöglich entsetzlicher gedacht werden kann. Ich befand mich in einer Wüste, von deren Grenze und Ausdehnung ich nicht die geringste Kenntnis hatte. In meiner Brust wütete der Schmerz um die geliebte Gattin, deren Schicksal ich mir zuweilen in den schrecklichsten Farben ausmalte.

Auf meinen Armen trug ich ein weinendes Kind, für welches ich nicht die geringste Nahrung bei mir führte. Ich hörte das Gebrüll der Raubtiere in der Nähe und Ferne und ich besaß keine Waffe, mit der ich mich ihrer erwehren konnte.

In dieser Not tat ich, was vielleicht auch der mutigste und unerschütterlichste Mann getan haben würde. Ich sank auf die Knie und flehte Gott um Schutz und Beistand an.

Da mir bekannt war, dass Kinder in einer äußerst kurzen Zeit den Qualen des Hungers unterliegen, so litt ich während der Nacht, als du in meinen Armen ruhiger wurdest und vor Ermattung endlich einschlummertest, eine wahre Todesangst.

Der Morgen begann soeben zu grauen, als ich auf einen seltenen Einfall kam, den ich sofort ausführte und der mir gute Dienste leistete.

Ich schnitt mit einem Messer, das ich zufällig bei mir führte, in die Spitze eines meiner Finger und ließ dich das hervorquellende Blut aufsaugen.

»Dank dir!«, flüsterte Cäcilie. Tränen der tiefsten Rührung flossen über ihre Wangen. »O, wie weit kann die Liebe eines Vaters zu seinem Kind gehen!«

»Ins Unendliche«, erwiderte die Witwe. Dann fuhr sie fort:

Da du dich hierdurch sehr gestärkt fühltest, so brach ich von Neuem auf, indem ich die alte schon angegebene Richtung einschlug.

Ich will nicht von den Beschwerden einer Wanderung in der Wüste reden. Mit meinem Stab in der Hand schleppte ich mich den ganzen Tag vorwärts, ohne auf meinem Weg die geringste Nahrung zu finden. Am Nachmittag machte ich eine kurze Rast, um dich von Neuem mit meinem Blut zu stärken. Als ich wieder aufbrach, erschreckte mich das Gebrüll eines Löwen, der in einiger Entfernung an uns vorüberstreifte. Ich schaute dem Tier zitternd nach, welches uns zu unserem Glück nicht bemerkt hatte.

Als die Nacht hereinbrach, stellte ich meine Wanderung ein. Ich konnte nicht weiter, der letzte Rest meines Mutes und meiner Kraft war dahin. Fast bewusstlos sank ich auf den heißen Sand der Wüste. Ich vermochte nichts mehr, als mein Kind fest an meine Brust zu drücken. Ein tiefer Schlaf ließ mich meine namenlosen Leiden vergessen.

Als ich die Augen wieder aufschlug, fiel mein Blick auf einen Panther, der kaum zehn Schritte von uns wie zum Sprung auf dem Sand lag.

Die blutgierigen Augen des Tieres funkelten und es stieß ein dumpfes Gebrüll aus, während es mit seinem Schweif den Boden peitschte.

Instinktmäßig erriet ich, dass dies das Zeichen des Angriffs sei, und die Verzweiflung verlieh mir die nötige Geistesgegenwart. Ich ließ dich leise auf den Boden gleiten, sprang blitzschnell auf die Füße und stürzte mich, meinen Knittel schwingend, auf den Panther. Mein Angriff hatte einen günstigeren Erfolg, als nur immer zu erwarten stand. Das Tier wich erschreckt zurück und ergriff im nächsten Moment in großen Sätzen die Flucht.

Ich dankte Gott auf den Knien, dass er uns aus so drohender Gefahr gerettet hatte. Dann beschloss ich, an diesem Tag keine neuen Marschanstrengungen zu machen, sondern nur darauf bedacht zu sein, für mich Nahrung aufzufinden, deren ich so sehr bedurfte.

Gegen Mittag hatte ich das Glück, auf eine Wasserquelle zu stoßen, aus der ich in vollen Zügen schlürfte und dann auch deinen Durst stillte. Ich fühlte mich sehr erquickt, obwohl der Hunger sich zugleich empfindlicher geltend zu machen begann.

Mein Blick irrte suchend umher. Er fiel endlich auf ein strauchartiges Gestrüpp, an welchem kleine Beeren hingen. Ich kostete einige davon, fand sie reif und wohlschmeckend und hielt darauf eine tüchtige Mahlzeit. Nachdem ich einige Zeit gewartet hatte, um zu sehen, ob der Genuss der Beeren ohne nachteilige Folgen für mich sein würde, flößte ich, als dies der Fall war, auch dir den Saft einer Anzahl derselben in den Mund, worauf du zu meiner unaussprechlichen Freude wie neu belebt um dich schautest.

Ich blieb mehrere Tage an diesem Ort, obwohl ich während der Nacht sehr wachsam und vorsichtig sein musste, um den Raubtieren aller Art zu entgehen, die hier um diese Zeit zur Tränke kamen.

Als die Früchte des Strauches fast zur Hälfte aufgezehrt waren, las ich den Rest der Beeren sorglich ab, band die Ärmel meines Rockes mit Bast zu und füllte dieselben mit dem kostbaren Mundvorrat. Nach einem letzten Trunk aus der Quelle machte ich mich wieder auf den Weg, um neue Beeren und eine neue Quelle zu suchen.

Ich fand beides, nur nicht deine gute Mutter, nach der sich mein armes Herz vergebens sehnte.

Ich übergehe meine fernere Wanderung durch die Wüste, um dir von anderen Ereignissen zu berichten, die auf mich einstürmten.

Nachdem ich vierzehn Tage in der Wüste untergeirrt war, gelangte ich plötzlich in ein anmutiges Tal. Da ich in ziemlicher Entfernung menschliche Wohnungen entdeckte, so war ich der Meinung, die Riffpiraten zu treffen. Meine Eile, dorthin zu gelangen, war unmäßig.

»Nun wird das Unglück ein Ende haben!«, rief Cäcilie.

»Oder noch größer werden, wie ich befürchte«, meinte die Witwe Madachais mit einem Seufzer.

»Ich werde weiter lesen«, versetzte Cäcilie. »Gib mir die Blätter.«

Und sie fuhr fort:

Ich überzeugte mich leider nur zu bald, dass ich mich getäuscht hatte. Es war eine Negerkolonie, die ich antraf. Die schwarzen Kolonisten waren gute, friedliebende Menschen, unter denen ein europäischer Missionar einen segensreichen Wirkungskreis hatte. Durch ein günstiges Geschick der Sklaverei entrissen, hatten diese Menschen sich hier vereinigt und feste Wohnsitze aufgeschlagen. Die Lehren des frommen Mannes, der sich zu ihnen gesellte, hatten ihre Sitten geläutert und sie zu wahren Christen herangebildet. Alle waren glücklich in dem Besitz der Menschenrechte, die ihnen einst eine schändliche Missachtung derselben entzog.

Ich trat in die erste Hütte ein und bat unter demütigen Gebärden um ein Obdach, das mir dienstfertig und gern gewährt wurde. Man setzte mir Milch, Käse und eine brotähnliche Speise vor, woran ich mich sehr labte. Für dich sorgte eine Negerin, die dich auf ihren Schoß nahm und dir einen Milchbrei einzuflößen begann. Doch bald schien sie sich eines Besseren zu besinnen. Sie gab dich wieder in meine Arme, eilte hinaus und kehrte gleich daraus mit einer jungen Frau zurück, die dich an ihre Brust legte und säugte. Meine Freude war unbeschreiblich, umso mehr, da du anscheinend wohl warst und ich den Weg zu den Riffpiraten von den Kolonisten zu erfahren hoffte. Doch da ich mich auf keinerlei Weise mit diesen verständigen konnte, so musste ich mich vorläufig in Geduld fassen.

Nachdem ich gegessen und auf einem Lager aus Moos genügend geschlafen hatte, wurde ich durch Zeichen aufgefordert, dem Besitzer der Hütte zu folgen. Vor derselben empfingen mich Gruppen von Männern, Frauen und Kindern, die mich neugierig betrachteten und nach einer größeren und besser gebauten Hütte begleiteten, in der ich das Oberhaupt der Kolonie zu finden erwartete.

Bei meinem Eintritt in die Hütte sah ich mich von dem bereits erwähnten Missionar empfangen, der mich herzlich willkommen hieß und sich bereit erklärte, für die Dauer meines Aufenthaltes in der Kolonie uns bei sich zu behalten, was ich dankbar annahm.

Ich teilte ihm meinen Plan mit, die Riffpiraten aufzusuchen. Aber auch er konnte mir keine genügende Auskunft geben und meinte, dass es mir schwerlich gelingen würde, meinen Zweck zu erreichen. Das war sehr niederdrückend für mich, aber ich gab dennoch die Hoffnung noch nicht auf und beschloss, alles aufzubieten, um wieder in den Besitz meiner teuren Frau zu gelangen.

Aber ich musste mich von den gehabten Anstrengungen gründlich erholen, bevor ich mich ans Werk begeben konnte. Ich befand mich nach Ablauf einer Woche noch immer in der Negerkolonie, wo wir beide unausgesetzt die liebevolle Pflege genossen.

Welch ein friedliches Zusammenleben und welch ein reines Glück unter diesen Menschen! Wehe dem Verbrecher, der dieser Stätte des Friedens durch Mord und Brand unheilbare Wunden zufügte!

Es war in der achten Nacht meines Aufenthaltes unter den Negern, als ein düsteres Verhängnis über die Kolonie und mich hereinbrach, das uns ungeahnt genaht war.

Wie ich inzwischen ermittelt hatte, befand sich die Kolonie nur ungefähr eine halbe deutsche Meile vom Meeresstrand und ich war in jener Nacht gerade mit dem Plan beschäftigt, eine Wanderung längs der Küste anzutreten, um so endlich an den Hafen zu gelangen, wo ich mit den Piraten gelandet war.

Tiefe Stille herrschte um mich her. Ich konnte ungestört meinen Gedanken nachhängen. Plötzlich drang der Ton einer mir wohlbekannten Stimme in mein Ohr und zugleich vernahm ich die Schritte einer Anzahl von Männern und Waffengeklirr. Erschreckt fuhr ich von meinem Lager auf und stürzte aus der Hütte.

Eine Schiffslaterne leuchtete mir ins Gesicht und ich erkannte meinen Feind, den norddeutschen Schonerkapitän, der seinen Matrosen zurief: ›Seht den Schurken! Streckt ihn nieder!‹

In demselben Augenblick erhielt ich einen Schlag auf den Kopf, dass ich zu Boden und in die Hütte zurücktaumelte. Als ich wieder zum Bewusstsein erwachte, sah ich mich vor der Tür der Hütte gefesselt am Boden liegen, welches Los auch meinen Wirt betroffen hatte, den ich an meiner Seite erblickte.

Dieser mörderische Überfall wurde also von der Mannschaft desselben Schoners ausgeführt, mit dem wir die Fahrt von Lissabon gemacht hatten. Nachdem sie den Riffpiraten glücklich entronnen waren, hatten die Elenden ihren abscheulichen Plan, Sklavenhandel zu treiben, dadurch verfolgt, dass sie an einem geeigneten Punkt der Küste anlegten und ihr Schiff behufs der Aufnahme der unglücklichen Opfer, auf deren Raub sie ausgehen wollten, einrichteten. Hierauf war die sämtliche Mannschaft unter Anführung des Kapitäns zur Ausübung ihres unmenschlichen Gewerbes ausgezogen, während der Steuermann, der Bruder des Kapitäns, mit einigen zuverlässigen Matrosen auf dem Schoner als Besatzung zurückblieb.

Ein finsteres Geschick lenkte die Schritte der Barbaren zu der friedlichen Negerkolonie. Sie überfielen die Hütten der in tiefem Schlaf liegenden Kolonisten, die durch nichts gegen einen solchen Angriff gesichert waren, und mordeten schonungslos diejenigen der Männer, welche Widerstand zu leisten nannten. Die Übrigen dagegen wurden gefesselt und dann aus den Hütten geschleppt.

O Schande über die Menschheit! Die wilde Wut der Matrosen und des Kapitäns näherte sich den äußersten Grenzen der Verworfenheit Sie artete in die roheste unmenschliche Sittenlosigkeit aus. Die Scham, ein vom Himmel verliehenes Erbteil, wurde von den wilden Barbaren auf die ausschweifendste Weise mit Füßen getreten.

Über diese unmenschliche Tat stieg die Sonne majestätisch und prachtvoll, wie ich sie selten gesehen hatte, empor und beleuchtete die herzzerreißendste Niederlage, welche je das irdische Glück erleiden konnte.

Sämtliche Neger, ungefähr zweihundert an der Zahl, und auch ich wurden sodann wie Hunde aneinandergekoppelt. Wer irgendein Zeichen zum Widerstand machte, wurde mit einem Schlag niedergestreckt.

Mein Schmerz um dich, da du in der Hütte zurückgeblieben warst und dein klägliches Geschrei in meine Ohren drang, war unaussprechlich. Ich bat den milder gesinnten Matrosen, den schon früher erwähnten Steuermann, mir mein zurückgebliebenes Kind zu holen. Er tat es und du lagst wieder an meiner Brust.

›Wirf den unnützen Balg fort!‹, brüllte der Kapitän, als er dich gewahrte.

Ich war dem Umsinken nahe, und um eine Bitte für dich einzulegen, war ich zu zerknirscht und erbittert. Allein der genannte Matrose und noch ein Zweiter protestierten gegen diesen Befehl. Sie drangen durch und ich durfte mein geliebtes Kind behalten. Doch konnte ich deutlich sehen, wie von Zeit zu Zeit die Basiliskenblicke des Unmenschen auf mich schossen, wie er damit umging, mir Arges zuzufügen.

Nachdem wir der Art, wie gesagt, aneinandergekoppelt und gefesselt, zu zweien nebeneinander aufgestellt waren, kam es darauf an, diesen Zug in Bewegung zu setzen. Die Barbaren hatten sich schlanke Stöcke aus dem niederen Gehölz geschnitten und mit diesen bekamen wir vorläufig zum erneuerten Zeichen ihrer Macht der Reihe nach einzelne Hiebe. Dieses war die erste körperliche Züchtigung, die ich in meinen Leben erlitt. Bei jedem Streich dieser Bösewichter, wobei sie sich unter den rohesten Scherzen an Grausamkeit zu übertreffen suchten, floss Blut. Sodann ging der Zug unter Vortritt eines Führers in gleichmäßigem Tritt vorwärts.

»Genug davon, ein anderes Mal mehr, es gibt keinen gerechten Gott, mir wird ohnmächtig«, klagte Cäcilie.

»Und doch, armes Mädchen!«, sagte die Witwe Madachais wehmütig, »noch neuerlich predigte der ehrwürdige Geistliche in unserem Gotteshaus, dass alle Leiden der Menschen von Gott erwogen und beschlossen wären, und dass eine himmlische Belohnung sie versüßen und verherrlichen würde.«

Sie war genötigt, der kleinen Buckligen zu Hilfe zu kommen, die diesen Augenblick in eine lange Ohnmacht verfiel. Mit dem Weiterlesen des Manuskripts wurde längere Zeit inne gehalten, um sich der vollständigen Erholung hinzugeben. Dann fuhr die Witwe später, wie folgt, fort:

Wir gelangten unter kläglichen Umständen am Strand an, wo unsere Einschiffung in den Schoner schleunigst bewerkstelligt wurde. Noch an demselben Nachmittag lichteten wir die Anker und verließen das Festland von Afrika, wo ich so Unheilbringendes in einem so kurzen Zeitraum erlebt hatte.

Man hatte uns an große Balken, die zu dem Behuf im Schiffsraum angebracht waren, einzeln angekettet. Jedem von uns war nun mehr Muße genug vergönnt, seine Lage zu überdenken. In einiger Entfernung von mir befand sich eine Negerin, welche in Absicht deiner Ernährung mir freundliche Zeichen gab. Du wandertest von Hand zu Hand dieser armen Gefährten und lagst bald an ihrer Brust. Diese Arme war während der Schiffsreise deine Mutter und zärtliche Pflegerin.

Zur Erhaltung unseres Lebens und unserer Gesundheit, da den Händlern jeder Kopf von uns wegen seines bedeutenden Preises teuer war, befolgte man eigene dieserwegen von einem der Matrosen, der schon auf Sklavenraub und Transporten derselben sich früher hin tätig bewiesen hatte, entworfene Maximen.

Vor allem bekamen wir gute Schiffsnahrung und klares Trinkwasser. Stündlich wurde anfangs eine Abteilung aufs Deck gelassen, um frische Luft zu schöpfen, die sich aus einen Haufen zusammenbegeben mussten, wo sie sodann reichlich mit Meerwasser als Bad übergossen wurden. Doch fühlten die Bösewichter sich veranlasst, diese Wohltat, obwohl die durch die unmäßige Hitze und Ausdünstung der Menge verdorbene Luft in dem Schiffsraum lebensgefährlich war, zu beschränken, weil es vorkam, dass einige dieser Unglücklichen in ihrer Verzweiflung über Bord sprangen, um in den Fluten des Ozeans Erlösung zu finden.

Dieserwegen wurde unter uns eine Auswahl der Bedürftigsten getroffen, welche später in ihren Ketten an die Luft geführt wurden. Da wir wegen Mangel an Raum und Unzulänglichkeit unserer Fesseln nur kniend schlafen konnten, so lässt sich unsere erbarmungswürdige Not ermessen, besonders die der Neger, welche an eine bequeme Häuslichkeit gewöhnt waren. Deshalb erlagen viele, zum großen Verdruss der Räuber, diesen Beschwerden während des Transportes, indem sie tot in ihren Ketten hinsanken.

Die anderen beneideten sie um ihre Erlösung aus der unwürdigen Schmach, die ihre unmenschlichen Peiniger ihnen antaten.

Zweimal nur während der langen Seereise traf mich das Glück, auf das Verdeck geführt zu werden. Das zweite Mal sah ich den Steuermann. Da wir beobachtet wurden, so konnte ich nur durch Blicke mit ihm reden und in einem günstigen Augenblick ihm zuflüstern, ob er nicht zur Erleichterung meiner Lage etwas beitragen könne. Ich war fast nackt, denn ich hatte die zerrissenen Stücke meiner Kleider zu deiner Reinigung verwandt, und mein trauriger Anblick rührte den braven Mann bis zu Tränen.

Es sei dem Verfasser vergönnt, hier das Schreiben Nasellis zu unterbrechen, Um zu bemerken, dass der nun aufgeführten Begebenheit wirkliche, wenn auch anders modifizierte Tatsachen zu Grunde liegen. Der Steuermann, ein nun allgemein geachteter Schiffskapitän, welcher dem Verfasser persönlich bekannt ist und dessen häufigen interessanten Erzählungen er diese Skizze fast wörtlich nachgeschrieben hatte, wurde mit zwei Matrosen, die nach einem hier nicht vorzuführenden Schicksalswechsel das Schiff von Amerika wieder nach Europa herüberbrachten und der betreffenden Reederei zustellten, von einem heimischen Seegericht nach vorangegangener strenger Untersuchung von dem Verbrechen des Sklavenhandels freigesprochen. Bei einer späteren Gelegenheit wird sowohl der Name des Steuermanns als auch der des verräterischen Kapitäns, der sich später in New York durch einen Pistolenschuss entleibte, genannt werden.

Das Schreiben Nasellis lautete weiter:

Die Folgen der Verwendung des Steuermanns für mich bestanden darin, dass das Ungeheuer von Kapitän am anderen Tag zu mir in den Schiffsraum trat und mir mit der geballten Faust zwei Schläge in das Gesicht versetzte, die mich zu Boden streckten.

›Warte‹, brüllte der Unmensch dabei im Ausdruck der höchsten Wut, ›ich will dich lehren, Bittgesuche an meine Leute zu richten und Komplotte mit ihnen zu machen!‹

Ich hielt es nicht für Wert, ihm zu antworten; auch tat ich klug daran, ihn nicht weiter zu reizen, denn ein roher Mensch kennt keine Schranke, wenn er sich einem Wehrlosen gegenüber befindet.

Aber mein Ingrimm gegen den norddeutschen Bösewicht glimmte von Neuem mächtig in meiner Brust auf und ich entwarf einen Racheplan, der darauf hinausging, einen Aufstand anzuzetteln, die ihn und seine schurkischen Kumpane mit einem Schlag vernichten sollte. Das war ein schöner Plan, der alle meine Lebensgeister wach rief; allein seine Ausführung wurde mir unmöglich.

Die armen Neger ergossen sich teils in einen stillen Tränenstrom, teils verharrten sie mit gebrochenem Herzen in stillem Hinbrüten. Keiner hatte von dem ihnen bevorstehenden Los eine Ahnung, da wohl nie ein Negersklave aus Amerika in seine Heimat zurückgekehrt war.

Auf diese traurige Weise brachten wir eine lange Zeit auf der Reise zu. Der einzige Anker meiner Hoffnung war endlich noch der, dass eines der Kriegsschiffe, die in diesen Breiten kreuzten, um die Sklavenschiffe aufzufangen, auf unseren Schoner stoßen und uns erlösen würde. Doch da der Schoner ein sehr guter Segler war und sich daher leicht einem Verfolger entziehen konnte, so war auch hierauf wenig zu rechnen.

Der Schoner erreichte ungefährdet seinen Bestimmungsort, einen westindischen Hafen, dessen Name mir bis heute unbekannt geblieben ist.

Nach einem eintägigen Aufenthalt wurde der größere Teil der Neger ausgeladen, als Händler zuvor den Schiffsraum betreten und sich ihren Bedarf an Sklaven unter den Unglücklichen ausgesucht hatten. Wir verweilten noch mindestens acht Tage. Es stellten sich hin und wieder Sklavenkäufer ein, aber der Absatz war nur unbedeutend. Endlich gingen wir wieder unter Segel.

Ich hatte gezittert, dass sich ein Kaufliebhaber für dich, liebes Kind, oder für die Negerin, die dich nährte, finden würde. Aber wir hatten das Glück, für jetzt noch vereinigt zu bleiben.

Deine schwarze Amme liebte dich bereits wie ihr eigenes Kind.