Heftroman der

Woche

Download-Tipp

Der Welt-Detektiv Band 6

Neueste Kommentare
Archive
Folgt uns auch auf

Die Sternkammer – Band 2 – Kapitel 1

William Harrison Ainsworth
Die Sternkammer – Band 2
Ein historischer Roman
Christian Ernst Kollmann Verlag, Leipzig, 1854

Erstes Kapitel

Das unbesonnene Versprechen

Während des leichten Mahles erklärte Jocelyn auf die Fragen des Puritaners den zweifachen Beweggrund seiner Reise nach London, nämlich den Wunsch, sich an den Feinden seines Vaters zu rächen, und die Hoffnung, eine ehrenvolle Anstellung zu erhalten, wie sie ein Edelmann annehmen könne.

»Meine Erwartungen in der letzteren Hinsicht sind nicht sehr groß«, sagte er, »da ich keine mächtigen Freunde habe, um mir bei meinem Bemühen behilflich zu sein, und ich muss folglich dem Glück vertrauen. Was aber meine Feinde betrifft, so denke ich, wenn ich nur Audienz beim König erhalten und ihm meine Sache vortragen kann, wird er mir Gerechtigkeit nicht verweigern.«

»Gerechtigkeit!«, rief der Puritaner mit tiefer Verachtung. »Jakob Stuart kennt sie nicht. Ein Erzheuchler und ebenso treulos, wie er heuchlerisch ist, behauptet er den Grundsatz, dass Verstellung für einen Herrscher notwendig ist. Er hat die Feigheit und Wildheit einer Hyäne an sich. Er wird dir schöne Versprechungen geben, aber seine Taten werden seine Worte Lügen strafen. Erinnere dich, wie sein Judaskuss Somerset verriet. Erinnere dich seiner Handlungsweise gegen die Gewries. Aber bilde dir nicht ein, weil du übel behandelt und unterdrückt werden bist, dass der König dein Unrecht wieder gut machen und dich in deine verlorene Stellung einsetzen wird. Vielmehr wird er für die Wucherer und Erpresser, die dich deiner Erbschaft beraubt haben, Partei ergreifen. Wie viele arme Unglückliche verurteilt er täglich zu denselben langweiligen Todesqualen und zum gewissen Untergang, wozu er deinen Vater verurteilte. So beklagenswert der gute Sir Ferdinando ist, so steht er doch nicht allein da. Er ist einer von vielen. Und viele, viele werden noch zu der Liste hinzugefügt werden, wenn man diese tyrannische Herodias regieren lässt.«

Von einem quälenden Gedanken angestachelt, der ihn fast wahnsinnig machte, stand Hugo Calveley auf und ging im Zimmer auf und ab. Seine Stirn wurde finsterer und sein Gesicht strenger.

»Habt Geduld mit ihn, guter Herr Jocelyn«, sagte Aveline in leisem Ton. »Er ist vom König ungerecht behandelt worden, und wie Ihr seht, kann er die Behandlung nicht ertragen. Habt Geduld mit ihm, ich bitte Euch.«

Jocelyn hatte keine Zeit, zu antworten. Indem er sich plötzlich Gewalt antat und seinen ernsten Blick auf den jungen Mann richtete, sagte der Puritaner: »Höre mich an, mein Sohn. Wenn ich deine Brust zur Wut gegen diesen Tyrannen entflammen wollte, dürfte ich nur ein Beispiel von seiner Grausamkeit und Ungerechtigkeit anführen. Ich hatte einen Freund – einen sehr teuren Freund«, fuhr er fort, »der nach dem Urteil der Sternkammer in das Fleetgefängnis geschickt wurde. Er war wie ein Bruder für mich, und ihn nach und nach dahinsterben zu sehen, verletzte mich in meiner tiefsten Seele. Stolz von Natur, wollte er sich vor seinem Unterdrücker nicht demütigen und konnte nicht dahin gebracht werden, ein Unrecht anzuerkennen, welches er nie begangen hatte. Begnadigung wurde ihn da her verweigert – nicht nur Begnadigung, sondern auch alle Milderung des Leidens. Mein Freund war reich gewesen, aber schwere Geldstrafen hatten ihn seiner Besitzungen beraubt und ihn fast bis zur Dürftigkeit gebracht. Besitzer einer alten Halle, von Wäldern und Ländereien umgeben, worin er Stunden lang reiten konnte, ohne seine Besitzungen zu verlassen, war sein Gebiet nun auf wenige Ellen beschränkt, während ihn nur ein einziges dunkles und ödes Zimmer eingeräumt war. Da ich bemerkte, dass er notwendig umkommen müsse, wenn er in diesem Zustand bleibe, bewog ich ihn – nicht ohne großes Widerstreben von seiner Seite – eine Bittschrift um Befreiung an den König zu richten, und ich selber wurde der Überbringer davon. Ernstlich für die Sache des unglücklichen Mannes sprechend und seine trostlose Lage darstellend, bat ich um die gnädige Vermittlung Seiner Majestät.

Als ich aber das königliche Ohr mit Bitten ermüdet hatte, war die heftige Antwort: ›Unterwirft er sich? Will er sein Vergehen bekennen?‹ Und da ich nur behaupten konnte, dass er keines Verbrechens schuldig sei und also auch keines bekennen könne, gab mir der König die Bittschrift zurück und bemerkte kalt: ›Die Würde unseres Gerichtshofes, der Sternkammer, muss vor allen Dingen aufrecht gehalten werden. Er hat sich der Verachtung derselben schuldig gemacht und muss sich von dem Vergehen reinigen.‹

›Aber der Mann wird sterben, Sire‹, fuhr ich dringend fort, ›wenn er nicht aus dem Fleetgefängnis entfernt wird. Sein Kerker gleicht einer schnulzigen Grube und er liegt am Fieber krank. Auch kann er keine Arznei oder Pflege haben, wie es sein Fall erfordert.‹

›Umso mehr Ursache, sich durch eine baldige Anerkennung der Gerechtigkeit seines Urteils Erleichterung zu verschaffen‹, sagte der König. ›Die Sache hängt nicht von uns, sondern von ihm selber ab.‹

›Aber er ist ein Gentleman, Sire‹, beharrte ich, ›dem die Wahrheit teurer ist, als das Leben, und der lieber dreimal so lange im Elend schmachten, als seine Selbstachtung durch ein Zugeständnis der Lüge und Ungerechtigkeit zu verwirken.‹

›Da mag er in seinem Stolz und in seiner Widersetzlichkeit umkommen‹, rief der König ungeduldig. Und hierauf entließ er mich.«

»O Herr!«, rief Jocelyn aufstehend und den Puritaner umarmend, »Ihr wart also der Freund, der in den letzten Augenblicken für meinen Vater sorgte! Der Himmel segne Euch dafür!«

»Ja, Jocelyn, ich war es, der deines Vaters letzten Seufzer hörte«, entgegnete der Puritaner, seine Umarmung erwidernd, »und dein eigener Name wurde zugleich mit ausgesprochen. Seine Gedanken waren bei seinem entfernten Sohn – zu jung noch, um seinen Kummer zu teilen oder nur zu begreifen.«

»Ach! Ach!«, rief Jocelyn traurig.

»Deinen Vater nicht, Jocelyn«, sagte der Puritaner feierlich, »er erntet die Belohnung für seine irdischen Leiden im Himmel! Tröste dich, sage ich. Der Tyrann kann ihn nicht länger unterdrücken, er ist außer dem Bereich seiner Bosheit. Er kann nicht mehr von ungerechten Tribunalen verurteilt werden. Er ist, wo keine grausame oder treulose Fürsten, keine ungerechte Richter, keine habsüchtigen Erpresser je hinkommen werden.«

Jocelyn versuchte zu reden, aber seine Gemütsbewegung überwältigte ihn.

»Ich habe dir gesagt, dass dein Vater mir einen Dienst geleistet hatte, den ich unmöglich vollständig vergelten konnte«, fuhr der Puritaner fort. »Worin dieser Dienst bestand, werde ich dir einst mitteilen. Für jetzt mag es hinreichen zu sagen, dass er mich fest an ihn band. Bereitwillig hätte ich mein Leben für ihn aufgeopfert, wenn er es gewünscht hätte. Gern würde ich seinen Platz im Fleetgefängnis eingenommen haben, wenn ihm das seine Freiheit hätte verschaffen können. Nicht imstande, das eine oder das andere zu tun, überwachte ich ihn, während er lebte, und begrub ihn, als er starb.«

»O Herr, Ihr habt mich so fest an Euch gebunden, wie Ihr an meinen Vater gebunden wart«, rief Jocelyn. »Wegen der Anhänglichkeit, die Ihr ihn gezeigt habt, sehe ich mich auf ewig als Euren Schuldner an.«

Der Puritaner betrachtete ihn einen Augenblick fest. »Wie, wenn ich diese Beteuerungen auf die Probe stellen wollte?«, fragte er.

»Tut es«, entgegnete Jocelyn lebhaft. »Mein Leben gehört Euch.«

»Dein Leben!«, rief Hugo Calveley, fast wild seinen Arm ergreifend, während seine Augen strahlten. »Bedenke, wozu du dich erbietest.«

»Dabei ist nichts zu bedenken«, versetzte Jocelyn. »Ich wiederhole, mein Leben gehört Euch, wenn Ihr es fordert.«

»Vielleicht werde ich es fordern«, rief Hugo Calveley. »Und es kann bald geschehen.«

»Fordert es, wann Ihr wollt«, sagte Jocelyn.

»Vater!« fiel Aveline ein, »bindet den jungen Mann nicht durch dieses Versprechen. Sprecht ihn frei davon, ich bitte Euch.«

»Das Versprechen kann nicht zurückgenommen werden, mein Kind«, versetzte der Puritaner. »Aber ich werde die Erfüllung nie in Anspruch nehmen, außer zu einem hohen und heiligen Zweck.«

»Seid Ihr gewiss, das Euer Zweck wirklich heilig ist, Vater?«, fragte Aveline in leisem Ton.

»Was meinst du damit, Kind?«, rief Hugo Calveley mit finsteren Augenbrauen. »Ich bin nur ein Werkzeug in den Händen des Himmels, bestimmt, sein Werk zu tun; und wie mir befohlen wird, muss ich handeln. Der Himmel kann mich zu einer Geißel für den Unterdrücker und Übeltäter machen. Ich kann als Märtyrer für meinen Glauben sterben oder mit irdischen Waffen für denselben streiten. Zu dies allen bin ich bereit und füge mich in den Willen Gottes. Denkst du, es sei für nichts, dass dieser junge Mann – der Sohn meines teuren dahingeschiedenen Freundes – gerade zu dieser Zeit hierher geführt worden ist? Ist es für nichts, dass er gänzlich unaufgefordert sein Leben zu meiner Verfügung gestellt und sich so einer großen Sache gewidmet hat? Gleich mir selber hat er Unrecht zu rächen und der Herr der Heerscharen wird seinen Vorsatz gelingen lassen.«

»Aber nicht in der Weise, wie Ihr es beabsichtigt, Vater«, versetzte Aveline. »Der Himmel wird Euch beiden Genugtuung für das Unrecht geben, welches Ihr erduldet habt; aber er muss sein eigenes Mittel und seine Zeit wählen.«

»Er hat bereits das Mittel gewählt und die Zeit kommt rasch herbei«, rief der Puritaner, dessen Blick wieder von fanatischem Licht entflammte. »Der Herr wird Israel vernichten von Grund aus.«

»Diese Dinge sind Rätsel für mich«, sagte Jocelyn, der mit großer Unruhe zugehört hatte; »ich möchte um eine Erklärung bitten.«

»Du sollst sie haben, mein Sohn«, versetzte Hugo Calveley; »aber nicht jetzt. Meine Stunde des einsamen Gebetes und des Umganges mit mir selber ist gekommen und ich muss mich in mein Zimmer begeben. Geh in den Garten hinaus, Jocelyn – und begleite du ihn, Aveline. Ich will zu Euch kommen, wenn meine Andacht beendet ist.«

So redend verließ er das Zimmer, während das jugendliche Paar, seinem Wunsch gemäß, hinausging.