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Die Riffpiraten – Kapitel 11

Heinrich Klaenfoth
Die Riffpiraten
Verlag Albert Jaceo, Berlin, um 1851

Kapitel 11

Marqui von Nasellis Manuskript

Cäcilie las unter großer Rührung Folgendes:

Da eine dunkle Ahnung, dass es mit meinem freudlosen Dasein ein baldiges Ende nimmt, meine Seele unablässlich umspannt hält, so habe ich es unternommen, für dich, mein teures Kind, einige Momente aus
dem Leben deiner Mutter, meiner unvergesslichen Gattin, und aus meinem Leben in Stunden der Anregung dazu aufzusetzen, damit du wenigstens als treue Teilnehmerin unseres Geschicks uns eine wehmütige Träne weinst und über unsere, wie auch deine Verhältnisse Auskunft erhältst.

Für ein gefühlvolles Kind gehört Mut dazu, das zu erfahren, was uns so unglücklich machte. Flehe den Himmel um Kraft an, auch er war mir Trost in allen Widerwärtigkeiten.

Die so seltene als eigentümliche, durch die Umstände merkwürdige Bekanntschaft mit deiner Mutter ist unter dem mexikanischen Volk in dem Maß verbreitet, dass sie unter dem Titel Die Indianer oder Isabella und Naselli zum Gegenstand eines Dramas geworden ist.

Deine Mutter, in Madrid geboren, wo auch meine Heimat war, kam durch einen Missionsgeistlichen nach Südamerika, wo er in dem Ort Aturis am Orinoko stationiert war. Deine Großmutter, welche ihr nicht unbedeutendes Vermögen, das größtenteils in liegenden Gründen bestand, durch einen politischen Prozess verloren hatte, begleitete ihren Bruder, deinen Großonkel, auf dieser Mission. Beide starben kurz nacheinander und das arme Kind wurde eine Waise, geriet unter die Guahibos, eine wilde Indianerhorde, unter denen ich sie, vom Glück auf die seltenste Weise begünstigt, wieder auffand und nach Spanien brachte.

Mit ihrem Erscheinen daselbst und ihrer vollständigen Legitimation als geborene Gräfin von Naselli, die prozessualisch festgestellt wurde, durfte sie ihre sequestrierten Güter, die inzwischen von der Krone wieder freigegeben waren, in Besitz nehmen, und wir, da wir bereits unsere eheliche Verbindung vollzogen hatten, begaben uns nach Madrid, wo ich mich der Regulierung unserer Vermögensangelegenheiten hingab.

Das Auftreten deiner Mutter in den höheren Kreisen, in welchen wir unserem Stand nach gesucht waren, erregte, nachdem ihr Aufenthalt unter den Wilden bekannt geworden war, nicht wenig Aufsehen und man drängte sich förmlich um unsere Bekanntschaft.

Deine Mutter war schlank und edel gebaut. Ihr schöner Körper trug alle weiblichen Liebreize an sich. Ein paar schwarze für mich unwiderstehliche Augen, mein Himmel hiernieden, vollendeten die Schönheit ihres Antlitzes. Ihr Teint von seltener Weiße und Reinheit kontrastierte mit glänzendem schwarz ihrer Haare und ihr majestätischer Gang entzückte und imponierte jeden, der sie sah.

Ihre vernachlässigte Bildung holte sie im Flug nach; man musste über ihren Geist und die nachherige Fülle ihres Verstandes erstaunen, obwohl sie als ein einfältiges Naturkind nach Spanien kam. Von ihrer früheren Wildheit, denn von ihrem fünften bis zu dem achtzehnten Jahr lebte sie unter den Indianern, behielt sie für die Dauer der Lebenszeit, in der ich das Glück hatte, sie zu besitzen, einen seltenen persönlichen Mut. An Tugenden bewahrte sie Keuschheit, Großmut und Freigebigkeit. Sie war ein Muster von Ehegattin und Christin. O, eine Leichtigkeit wäre es für mich, hunderte von Vorzügen aufzuzählen, die diese Gute besaß.

Inzwischen wurde durch deine Geburt unser kleiner Familienkreis vergrößert. Wir bedurften und suchten nicht die Zerstreuung mehr in gesellschaftlichem Umgang, vor allem deine Mutter, ja im Gegenteil sie, die jene Bildung sich bald zu eigen gemacht hatte, die Damen von Stand und gutem gesellschaftlichen Ton eigen ist, brach so zu sagen gänzlich mit allem fremden Verkehr ab und widmete sich und ihre Aufmerksamkeit dir und mir, während sie mich unerlässlich mahnte, mir ihretwegen keine Freude und kein Vergnügen außer dem Haus zu versagen, wenn ich dergleichen irgendwo finden könnte.

Ihr Wesen wurde immer seltsamer. Sie bekam einen großen Hang zur Einsamkeit, die Wangen erbleichen, der sonst seltene jugendliche Frohsinn ging in Melancholie über und ich war besorgt, dass Isabella krank wäre. Sie leugnete es jedoch, wenn ich mich nach ihrem Befinden erkundigte und meine Besorgnis darüber aussprach.

Ein gefeierter Arzt aber, der sie längere Zeit beobachten musste, erklärte deine Mutter für durchaus krank und wusste auseinanderzusetzen und zu begründen, dass die Grundursache in klimatischen Verhältnissen läge und er kein anderes Mittel wüsste, da nach längerer Zeit sich ihr Zustand bedenklich verschlimmerte, als unseren Aufenthalt zu verändern.

Auf meine ängstliche Frage, da der Arzt mir ihren Zustand als einen höchst bedenklichen schilderte, wohin er zu ziehen riete, schlug er uns Mexiko vor, indem die große Wärme und Reinheit des mexikanischen Himmels für ihre Krankheit ein Heilmittel sei, umso mehr, als sie die letzten siebenzehn gesunden Lebensjahre in einer sehr heißen Zone verbracht hätte.

Isabella, der ich eine Übersiedelung nach Mexiko vorschlug und die nun doch fühlte, dass sie immer leidender wurde, hatte nichts gegen meinen Vorschlag. In dieser Absicht beschloss ich, unsere Güter zu verkaufen, wozu sich zufällig einige zahlungsfähige Käufer fanden. Wir traten die unheilvolle Reise an, von der wir unser größtes Glück erwarteten.

Die Verkaufsangelegenheiten unserer Güter, welche so weit vollzogen worden, als unsere persönliche Anwesenheit dabei notwendig war, wurden einem Rechtsanwalt Fouque in Madrid zur weiteren Besorgung übergeben. Als Vermittler zwischen uns und der Angelegenheit bedienten wir uns des in sehr gutem Ruf stehenden Bankierhauses Abraham Levi in Mexiko und Veracruz, welches die Kaufsumme in Empfang nehmen sollte.

Wir traten hiernach so bald wie möglich unsere Reise an und gingen zunächst nach Lissabon, wo wir am leichtesten Schiffsgelegenheit nach unserem Ziel zu finden hofften.

Nach einem längeren Verweilen daselbst, indem wir zwischen mehreren Reisegelegenheiten wählten, hatte ich das Vergnügen, dass Isabella sich merklich besserte, welchen günstigen Gesundheitszustand ich der Ortsveränderung und der reinen Seeluft, deren wir viel genossen, zuschrieb.

Übrigens war Isabellas Freude darüber, dass wir nun wieder nach Amerika übersiedelten und dass wir uns der Gegend, wo sie ihre Jugend so harmlos verlebt hatte, groß.

Auf meine in Scherz gestellte Frage, ob sie unter den wilden Guahibos lieber lebe, als unter den Granden Madrids, antwortete sie: »Allerdings, mein teurer Gemahl, ich fand in der Residenz unter ihnen mehr Wildheit und Gefahren als in den Wäldern des Orinoko, wo sich freilich körperliche Gefahren zeigten, denen zu begegnen wir Gewandtheit und Übung hatten, wo wir aber von dem tödlichen Hauch der Wollust nichts wussten, wodurch die ganze Residenz verpestet ist. Wer einen allgütigen Gott kennt, der hat in den Wäldern des südlichen Amerikas wenigstens Muße, ihm zu dienen, während man in Spanien alle Anlagen zum edlen und schönen Herzen im Geräusch der Welt erstickt, gegen sich selbst und gegen andere misstrauisch wird und im Überfluss des verfeinerten Genusses jeder Geschmack für geistige wie leibliche Gaben abgestumpft wird. Führe mich dortin«, sagte sie mit großer Zärtlichkeit zu mir, »wo ich wieder die reine Natur und in ihr den erhabenen Gott sehen darf, und ich bin gesund.«

Von hier ab glaubte ich, dass sie am Heimweh litt und beschloss, in meiner Seele aus Liebe zu der Trefflichen, selbst, wenn ihre mir teure Gesundheit davon abhängig sei, mit ihr zu den wilden Guahibos zu gehen, sobald ich nur Gelegenheit dazu hätte, und stellte mit verdoppelter Aufmerksamkeit täglich Nachforschungen an, um ein Schiff, welches nach Südamerika ging, aufzutreiben.

Mittlerweile lief ein Schoner aus dem Norden ein, der Getreide aus Lissabon verladen hatte. Der Kapitän ließ nur noch zu größeren Fahrten im Weltmeer das Schiff mit einem kupfernen Boden belegen, was in unglaublich kurzer Zeit beschafft wurde. Ich hatte mit ihm einen Kontrakt abgeschlossen, uns nach Veracruz zu bringen, und er war vollkommen zufrieden, so bald wie möglich ohne Ladung abzugeben, die es für ihn am Platz doch nicht gab, wie er meinte, die er aber auf Kuba mit großem Vorteil anzunehmen, angeblich die besten Empfehlungsschreiben besitzen wollte. Über unsere Effekten erfuhr er, dass wir eine bedeutende Summe in Silber mit an Bord nehmen würden, und späterhin wurde mir seine geheime Freude hierüber klar, als die Handlung des verschmitzten Räubers und Verräters zutage lag.

Wir mussten es uns gefallen lassen, von diesem Menschen, dem ich mein ganzes Dasein und Glück anvertraute, uns täglich Besuche machen zu lassen. Endlich kam die Zeit heran, wo wir unter Segel gingen. Noch an demselben Tag, da wir frühmorgens die Anker lichteten, verloren wir das Festland von Portugal aus dem Blickfeld und befanden uns auf offener See.

Auf ausdrücklichen Wunsch deiner Mutter begleitete uns keine Dienerschaft, die wir in Lissabon wohl beschenkt entlassen hatten, außer deiner Amme, welche sich nicht von uns trennen wollte und welche ihr Los an das unsrige knüpfte.

Wie oft habe ich den Himmel dafür gedankt, dass wir nicht noch mehr Seelen unglücklich machten, da uns unsere zahlreichen Untergebenen sämtlich in die Neue Welt folgen wollten.

Der Schoner, welcher wie ein Handelsschiff ausgerüstet zu sein schien, hatte im Verborgenen vier Kanonen an Bord, welche zu meiner größten Verwunderung nach einer kaum vierundzwanzigstündigen Fahrt aufs Deck gebracht und auf Seelafetten gestellt wurden. Selbst ich wurde hierbei auf eine plumpe Weise von dem Kapitän aufgefordert, an der Aufstellung der gewichtvollen Geschütze, welche nur mit bedeutender Schwierigkeit auszuführen war, teilzunehmen, trotzdem ein Anmuten der Art, meinem Verhältnis nach, unangemessen erschien.

Von nun an war das Betragen dieses Betrügers gänzlich wie umgewandelt gegen uns.

Seine sonst einschmeichelnde Geschmeidigkeit verwandelte er in eine rohe Brutalität und jede einer Frau gebührende Achtung in Unarten und empörende Zudringlichkeit gegen Isabella. Unter solchen Umständen wurden wir bald die ärgsten Feinde, sodass ich mir ein scharfes Messer zu verschaffen suchte, welches ich vorläufig nicht wieder ablegte und womit ich den Schurken zu durchbohren drohte, sobald er sich Ungehörigkeiten gegen uns erlaubte.

Die ganze Schiffsmannschaft bestand aus siebzehn Köpfen, welches für einen Kauffahrer, der nur sechs bis acht Mann höchstens bedurfte, eine enorme und verdächtige Bemannung ausmachte, wovon gegen zehn dieser Matrosen erst in Lissabon engagiert waren, die aus Franzosen, Italienern und Angehörigen anderer Nationen bestanden; lauter Abenteurer, wie man leicht erkennen konnte.

Ein Bruder des Kapitäns, der, wie wir später erfuhren, seines Standes ein Kaufmann war, ein gewandter und ziemlich feiner Mann, zugleich das Haupt dieser weiterhin aufzuklärenden Unternehmung, verschaffte uns für die Folge mehr Ruhe vor dem rohen Menschen, indem er ihm sein ungebührliches Betragen mit Nachdruck unter den Einwirkungen seines persönlichen Mutes verwies, ohne dass wir den Grund dazu erkennen konnten.

Die Fahrt ging unter günstigem Wind äußerst rasch vor sich, umso mehr, da der Schoner ein guter Segler war. Wir hatten in wenigen Tagen eine ansehnliche Tour hinter uns.

Ich konnte es wieder wagen, Isabella aus unserer Kajüte auf das Deck zu führen. Ich merkte bald, dass wir nicht diejenige Richtung nahmen, welche nach Amerika führte, sondern vielmehr, dass das Schiff seine Fahrt nach Süden nahm. Ich wandte mich deswegen in meiner Besorgnis an den Steuermann, einem jungen Menschen mit einem offenen, ehrlichen Gesicht, und erfuhr, dass Afrika das vorläufig Ziel unserer Reise sei.

Am anderen Tag erfuhr ich weiter von dem Steuermann, dass der Kapitän ihm den Zweck ihrer Fahrt und die Bestimmung des Schoners mitgeteilt habe: Sie hatten die gemeine Absicht, zwischen Afrika und Westindien Sklavenhandel zu treiben, jedoch, fuhr er nach einiger Zeit fort: »Wir werden den Schurken zu schaffen machen, da fünf Matrosen, welches die Alten sind, sich mit mir gegen dieses strafbare Unternehmen auflehnen werden.«

Aus den sukzessiven Mitteilungen dieses braven Menschen entnahm ich, dass diese sträfliche Idee lediglich das Projekt des schon genannten Bruders des Kapitäns war und dass die alte Mannschaft keine Ahnung von diesen Absichten gehabt hatte, sich auch denselben nicht fügen würde.

Diesem Komplott schloss ich mich an, doch ohne Isabella im Geringsten eine Mitteilung davon zu machen. Wir mussten natürlich erwarten, was da kommen werde.

Doch der Verräter pflegt nicht zu schlafen. Schon erblickten wir das Festland von Afrika, welches sich anfangs wie ein dunkler Streifen vor uns entfaltete. Bald lag die Küste, da wir mit dem günstigsten Wind segelten, mit ihren Bergen und Wäldern deutlich vor unseren Augen.

Ich befand mich mit Isabella in unserer Koje, als plötzlich der Kapitän, gefolgt von mehreren der neu angeworbenen Matrosen, die uns wegen ihrer Banditenphysiognomien am wenigsten gefallen hatten, ungestümen Schrittes bei uns eintrat. Er trug in der rechten Hand einen Säbel und in der anderen einen Strick.

»Da bist du, Schurke!«, rief er, sobald er mich erblickte, und stürzte auf mich zu. »Dich wollen wir zuerst haben.«

Da ich mich mit Isabella, die eine seltene Gegenwart des Geistes und viel Kraft und Gewandtheit entwickelte, auf das Äußerste verteidigte, so wurde den Angreifenden der Sieg über mich sehr erschwer, bis ich endlich, von einem gewaltigen Schlag auf den Kopf getroffen, unterlag.

Als ich meiner Sinne wieder mächtig wurde, befand ich mich, an Händen und Füßen mit Stricken gebunden, im unteren Schiffsraum. Da ich nichts über das Los meiner Familie wusste, so brach ich in die maßloseste Verzweiflung aus, die sich bald in einen dumpfen Stumpfsinn umwandelte, bald in die rasendsten Ausbrüche der Wut überging.

Als die kleine Bucklige bis hierher unter allen Zeichen der Wehmut gelesen hatte, forderte die Witwe sie auf, ein wenig innezuhalten, um sich zu erholen.

»Aber«, sagte Cäcilie, »mein armer Vater verlangt Mut von mir, um seine Handschrift zu lesen, und ich muss ihm doch gehorsam sein, da es vielleicht der einzige Befehl ist, den er an mich richtete.«

»So will ich dich ablösen«, entgegnete die Witwe Madachais und las:

In einem solchen Zustand befand ich mich. Ich wusste meine treue Gattin mit dem Kind, unserem Abgott, in den teuflischen Händen der rohsten Banditen und Mörder; aber wie weit ihre Frechheit gegen die Ärmste gehen konnte, lag außer dem Kreis meiner Berechnung. O, die Ungewissheit geht mit ihrer Höllenqual noch über die schrecklichste Wahrheit hinaus!

Ich hoffte, die meinen möchten unter den mörderischen Händen der Banditen gefallen sein, denn dieses war ein tröstlicher Gedanke für mich, da sie sodann nicht mehr misshandelt werden konnten. Gleichzeitig beklagte ich das Los des besseren Teils der Mannschaft.

Ungefähr sechs Stunden hatte ich nach meinen Berechnung in diesem herzerschütternden Zustand zugebracht, als ich durch einen Kanonenschuss aus der Ferne, dem bald ein zweiter und dritter folgte, aufgeschreckt wurde. Gleich darauf antwortete der Schoner durch vier Kanonenschüsse, die wiederum aus der Ferne erwidert wurden.

Ich schloss nicht mit Unrecht, dass ein Schiff sich in feindlicher Absicht unserem Schoner nahe. Meine darniederliegende Seele erhob sich dabei zu neuer Hoffnung.

Meine Vermutung bestätigte sich bald. Wir hatten uns inzwischen der Küste immer mehr genähert und waren nicht sobald einem gutbewaffneten Schiff der Riffpiraten in Sicht gekommen, als dasselbe auch bereits auf uns Jagd zu machen begann.

Da die Piraten, weil sie sich anfangs nicht feindlich stellten, uns den Wind abgewonnen und mithin die Fahrt abgeschnitten hatten, so war an ein Entkommen des Schoners nicht zu denken. Es blieb nichts übrig, als sich in einen Kampf mit den Piraten einzulassen, wenn man das Schiff ihnen nicht gutwillig in die Hände liefern wollte.

Die Kanonade dauerte von beiden Seiten längere Zeit fort und ich hörte mehrere Kugeln des groben Geschützes in unser Schiff einschlagen, bis sich dann der Kanonendonner allmählich in ein Kleingewehrfeuer und endlich in ein allgemeines Kriegsgeschrei und Getöse verwandelte. Die Riffpiraten hatten geentert.

In diesem Augenblick öffnete sich die Luke und meine treue Gattin erschien auf der Treppe, um sie in fliegender Hast hinabzusteigen. Sie eilte auf mich zu und durchschnitt mit einem Messer die Stricke, die mich fesselten. Dann warf sie sich in meine Arme und sagte: »Jetzt sind wir hoffentlich gerettet, mein Gemahl. Der allgütige Gott wacht über die seinen. Die Riffpiraten sind soeben im Begriff, den Schoner zu nehmen. Komm, lass uns auf das Deck eilen. Wir wollen uns unter den Schutz des Kapitäns der Piraten stellen.«

Ich war so entkräftet, dass ich kaum die Treppe ersteigen konnte. Als wir das Verdeck betraten, waren die Piraten bereits an unserem Bord. Sie trieben die Mannschaft des Schoners vor sich her, die sich ihnen gleich darauf ergab.

Da ich sehr schwach war, so unterstützte mich mein gutes Weib, das Kind im Arm, und bewog mich, mit ihr das Piratenschiff zu ersteigen, was wir auch glücklich vollführten.

Als wir an Bord desselben traten, fällte einer der Seeräuber das Gewehr, um mich niederzustoßen, doch Isabella stürzte ihm in die Arme und es gelang ihr, ihn zu besänftigen. Ich war für den Augenblick gerettet.

Die Folgen des Sieges der Piraten bestanden darin, dass der Kapitän des Schoners, ohne eine vollständige Plünderung zu erleiden, eine bedeutende Summe an die Piraten zahlen musste, wozu er, wie ich deutlich bemerkte, unser Geld in Anspruch nahm. Isabella machte mich darauf aufmerksam und versuchte dann, einem der Piraten hierüber Mitteilung zu machen, in der Hoffnung, den Kapitän wegen seiner verruchten Handlungen und Mordversuche vor den Richterstuhl der Piraten zu ziehen; allein es war ihr unmöglich, sich verständlich zu machen.

Schließlich versuchte der Kapitän, da er unserer auf dem afrikanischen Schiff ansichtig wurde, uns zu reklamieren, indem er angab, dass wir entlaufene Sklaven seien, wobei seine Blicke voll teuflischer Wut und glühenden Hasses auf uns ruhten.

Allein Isabella, deine gute Mutter, eilte zu dem Piratenkapitän, welcher der Häuptling seines Volkes war und den Namen Abu-Trichan führte, warf sich vor ihm auf die Knie und drückte ihm durch die sprechendsten Gebärden ihre Bitte aus, uns mit sich zu führen. Der Häuptling vermochte nicht, die verzweifelte schöne Frau von sich zu weisen und entschied, dass wir an Bord seines Schiffes bleiben sollten.

Den übrigen Teilnehmern unserer missglückten Auflehnung hatte der Kapitän, wie Isabella mir erzählte, verziehen, und der junge Steuermann, dessen er wegen seiner seemännischen Kenntnisse nicht gut entbehren konnte, stand wiederum am Steuer, als die beiden Schiffe sich trennten, und winkte mir einen wehmütigem herzlichen Abschiedsgruß zu.

Unsere Behandlung seitens der Piraten, zur Schande der Christenheit sei es gesagt, war, dem Angehörigen eines zivilisierten christlichen Staates gegenüber, human und menschenfreundlich zu nennen. Es tat uns leid, unseren Dank nicht ausdrücken zu können, da wir den Häuptling vergebens in spanischer, französischer und englischer Sprache anredeten.

Nachdem das Schiff unter Segel gegangen war, wurden wir mit Speisen und einem Honigtrank, ähnlich dem norddeutschen Met, reichlich versehen. Zugleich wies man uns eine Kajüte an, die mit allen Bequemlichkeiten ausgestattet war und in der wir uns ungestört der Ruhe überlassen konnten, welcher wir so sehr bedürftig waren.

Das Schicksal unserer Amme, deren Abwesenheit uns inzwischen aufgefallen und die im Drang der Ereignisse leider von unserer Seite gekommen war, trübte sehr die Freude über unsere zeitweilige Rettung. Wie sich fernerhin unser Los gestalten würde, konnten wir natürlich nicht im Entferntesten wissen, doch tröstete uns die erträgliche Gegenwart und wir sendeten heiße Dankgebete zum Himmel, dass wenigstens unser kleiner Familienkreis nicht zerrissen war, dass wir dich, unser geliebtes Kind, an unser Herz drücken konnten.

Meine gute, kräftige Natur unterlag den ungeheuren Anstrengungen und Gemütsbewegungen. Ich verfiel in einen langen und erquickenden Schlaf, nachdem Isabella mich mit einem wohltuenden Balsam, den der Häuptling uns gesandt hatte, an den verletzten Stellen meines Körpers eingerieben hatte.

Unsere Fahrt ging längs des Ufers in der Entfernung von etwa einer halben Meile unausgesetzt fort, bis wir endlich auf zwei andere Schiffe stießen, welche ebenfalls die Flagge der Riffpiraten führten.

Jedes der Schiffe grüßte in der Ferne durch einen Kanonenschuss und der Donner der Geschütze weckte mich aus dem Schlaf, der mich sehr gestärkt hatte. Auch Isabella fühlte sich wohl und wir gaben uns ganz der Freude über unsere wunderbare Rettung hin. Nur du, mein Kind, machtest uns einige Sorge, indem du so lebhaft nach deiner Amme verlangtest, dass du nur mühsam zu beschwichtigen warst.

Noch an demselben Tag hatte ich Gelegenheit, den Piratenhäuptling, welcher am Bugspriet stand und zu den heransegelnden Schiffen schaute, ungestört zu beobachten.

Abu-Trichan war ein Mann von höchstens vierzig Jahren, kräftig und wohlgebaut. Das weiße Gewand – eine Art Bluse ohne Ärmel – welches er wie allen Piraten trug, war aus seidenen Stoffen und mit Gold- und Silberstickereien versehen. Isabella, die mich auf diese Letzteren aufmerksam machte, und ich wunderten uns, Kunsterzeugnisse solcher Art bei diesem Volksstamm anzutreffen, der, isoliert von der zivilisierten Welt, in einem halbwilden Zustand lebt. Späterhin erfuhren wir, dass eine Französin sich in der Gefangenschaft der Piraten befand, die jene Stickereien angefertigt hatte.

Auf seinem Kopf trug der Häuptling ein Käppchen, das sein goldblondes Haar wohlgestutzt hervorquellen ließ. Es war ebenfalls mit kunstvoller Stickerei und außerdem mit mehreren Diamanten geschmückt und wurde durch einen Riemen um das Kinn gehalten.

Eine hohe, edle Stirn und  himmelblaue lebhafte Augen verschönten die Züge des Antlitzes dieses Mannes, welches durch einen goldgelben Bart, der bis über den Gürtel reichte, geziert war. Um den Hals lag ein Perlenhalsband von großer Seltenheit und auf den Schultern glänzten zwei Goldspangen, die das Oberkleid hielten. Zwei Rubinen-Armbänder schlossen sich um die Handgelenke der nackten Arme. Ein Paar Halbstiefeln aus rotem Gemsleder, die bis an die entblößte Wade reichten, vollendeten den Anzug dieses Mannes, der mit einem kurzen Säbel und einem Dolch, von einem Wehrgehänge gehalten, bewaffnet war.

Seine ganze Aufmerksamkeit war auf vier verschleierte Frauen gerichtet, die auf dem Verdeck eines der anderen Schiffe standen und die sich durch Zeichen und Winken mit den Händen und weißen Sacktüchern mit dem Häuptling unterhielten.

Bald darauf wurde von jenem Schiff ein elegantes Boot ausgesetzt und die vier Frauen bestiegen dasselbe.

Vier Neger saßen an den Rudern und ein Pirat nahm den Platz am Steuer ein. Gleich darauf senkten sich die Ruder ins Wasser und das Boot glitt durch die Wellen, die Richtung auf unser Schiff nehmend.

Dasselbe war mit weiß-roten Wimpeln geschmückt. Ein kostbarer Teppich lag in demselben ausgebreitet, auf dem vier Samtsessel standen, die von den Damen während der Fahrt eingenommen wurden.

Abz-Trichan begrüßte das Boot durch einige Kanonenschüsse, das nach wenigen Minuten uns seitlängs lag. Die Damen stiegen aufs Deck, wobei der Häuptling ihnen in eigener Person behilflich war, was nach unseren europäischen Begriffen auf eine ziemlich plumpe Weise geschah.

Die Damen waren noch immer tiefverschleiert. Sie schienen sehr jung zu sein, so viel wir aus dem Klang ihrer mädchenhaften Stimmen schließen konnten. Ihre Unterhaltung mit dem Häuptling war sehr lebhaft und hatte jedenfalls die jüngst gemachte Beute zum Gegenstand.

Endlich schritt Abu-Trichan in Begleitung der Damen auf uns zu, um uns denselben vorzustellen.

Meine Gattin und ich erhoben uns zu einer respektvollen Verbeugung. Zu unserer nicht geringen Freude wurden wir von einer der Damen in französischer Sprache angeredet, die sich nach unserem Vaterland, nach unserem Stand und der Art und Weise, wie wir in diese Lage gekommen, erkundigte.

Wir gaben eine wahrheitsgetreue Auskunft über alle unsere Verhältnisse, welche die Dame dem Häuptling verdolmetschte und uns dann Mut zusprach, indem sie unsere Lage für die Zukunft zwar als eine sehr abhängige, aber als eine erträgliche schilderte.

»Nunmehr fasse ich wieder Mut«, sagte Cäcilie zu der Witwe Madachais, indem sie ihrer Freundin froh die Hand drückte. »Gib mir die teuren Blätter zurück, ich werde weiterlesen.«

Und sie nahm das Handschreiben und fuhr fort:

Wir bemerkten mit verbindlichen Worten, dass, wenn sie sich unserer annehmen wolle, wir es zu Gott hofften, dass unsere Lage eine erträgliche sein würde. Isabella sagte, dass wir auf sie wie auf einen Schutzengel blicken würden und dass sie unserer unendlichen Dankbarkeit gewiss sein könne.

»So viel in meinen schwachen Kräften steht«, erwiderte die Dame und drückte Isabella mit warmer Teilnahme die Hand, »werde ich für Sie sorgen. Ich habe auf Abu-Trichan einigen Einfluss, allein ich bin ebenfalls seine Untergebene, seine Gefangene, die von seinen Launen abhängt. Ich selbst leide unter ihnen nicht viel, denn ich bin gewohnt, auch schweren Tagen eine leichte Seite abzugewinnen. Ein heiterer Frohsinn begleitet mich durchs Leben und ich danke es meiner Mutter, dass sie ihn mir zum Erbteil gegeben hatte. Auch sie zeigte stets ein frohes, unbekümmertes Gesicht, und man erzählte mir, dass sie mich unter Lachen geboren hat. Als ich erst lachen konnte, lachte ich mit ihr, und so bin ich in Paris unter Lachen erzogen worden. Meine Lehrer bestraften mich oft wegen meines ungebührlichen Lachens; allein als sie endlich einsahen, dass mit mir nichts anzufangen war, ließen sie mich lachen und lachten zuletzt selbst, denn das Lachen ist ebenso ansteckend wie das Gähnen.

Später machte ich eine Seereise von Bordeaux nach Sizilien und wurde im mittelländischen Meer von diesen Riffpiraten geraubt, die unser Schiff kaperten. Aber als ich die Küste von Afrika betrat, konnte ich schon wieder lachen.

Wenn der Häuptling Böses von mir will, lache ich, und so halte ich ihn schon seit zwei Jahren mit meinem Frohsinn von mancher Ungebühr fern. Doch kann ich mir die Erlaubnis zur Reise nach Paris nicht erlachen. Man hält mich fest wie in einer Zange, da ich den Riffpiraten im Interesse der allgemeinen Heiterkeit unentbehrlich bin.«

Bei diesen Worten nahm sie dich, mein liebes Kind, aus den Armen deiner Mutter, ließ dich hüpfen und springen und tanzte unter Lachen mit dir auf dem Verdeck umher. Dann gab sie dich an deine Mutter zurück, ergriff den Häuptling und zerrte ihn neckend mit sich herum, worauf beide in die Kajüte hinabgingen.

Dass ich diese merkwürdige Lachepisode, geliebte Cäcilie, die mit dem unendlichen Kummer, der mich in diesem Augenblick erfüllt, so sehr im Widerspruch steht, hier niederschreibe, geschieht, allein, um dir durch sie eine Lehre zu geben: Mögst du erkennen, dass man in der Tat Leiden aller Art leichter erträgt, wenn man sich zur Heiterkeit zwingt, dass ein erzwungener Frohsinn imstande ist, trübe Schicksale endlich in einem milderen Licht erscheinen zu lassen.