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Die Sternkammer – Band 1 – Kapitel 16

William Harrison Ainsworth
Die Sternkammer – Band 1
Ein historischer Roman
Christian Ernst Kollmann Verlag, Leipzig, 1854

Sechzehntes Kapitel

Von dem Zeichen, welches der Puritaner der Versammlung gab

Inzwischen hatte sich eine große Menge unter dem Fenster versammelt. Obwohl man den Redner nicht unterbrach, konnte man doch an den zornigen Gesichtern seiner Zuhörer leicht die Wirkung der Anrede auf sie bemerken. Als Hugo Calveley ausgeredet hatte, faltete er seine Arme über die Brust zusammen und sah die Versammlung streng an.

Er war bereits in vorgerückten Jahren, wie sein ergrautes Haar und Bart bezeichneten, aber seine Stärke hatte nicht abgenommen und das Feuer seiner Augen war nicht getrübt. Kräftig gebaut, mit harten und etwas schweren Zügen, die einen strengen Ausdruck hatten, zeichnete er sich durch militärische Haltung aus, während sein gebräuntes Gesicht, welches mehr als eine Narbe trug, zeigte, dass er in fremden Himmelsstrichen gewesen sein müsse und lange gedient habe. Es war große Entschlossenheit um seinen Mund und in der Physiognomie im Allgemeinen, während zu gleicher Zeit etwas von der Wildheit des Fanatismus in seinen Blicken lag. Er trug eine Jacke von Büffelleder und eine braun lackierte Brustplatte darüber, Beinschienen von ähnlicher Farbe und Material und starke lederne Stiefel. Ein breites Degengehänge, woran ein gewichtiges Schwert hing, zog sich über seine Brust dahin, und um seinen Hals trug er einen einfachen fallenden Kragen. Man konnte Hugo Calveley nicht ansehen, ohne zu fühlen, dass er ein Mann sei, als Märtyrer in jeder Sache zu sterben, der er sich gewidmet.

Ein lauter Ausdruck des Missfallens wurde nun gegen ihn erhoben; aber er bewegte keine Muskel seines strengen Gesichts!

Wegen der drohenden Blicke der Menge begann Jocelyn zu fürchten, dass man eine Gewalttätigkeit gegen ihn unternehmen möchte, und er versuchte, dieselbe zu verhindern.

»Habt Geduld mit ihm, meine würdigen Freunde«, rief er, »er meint es gut mit Euch, wenn er Euch auch etwas zu scharf tadelt.«

»Zum Henker mit dem boshaften Spötter!«, rief ein Müller. »Er verdirbt alle unsere Freude durch seine ärgerliche Laune. Er möchte uns alle so unzufrieden mit der Welt machen, wie er selber es ist – aber wir wissen es besser. Er will uns unsere gesetzlichen Lustbarkeiten nicht gestatten, wie der König selber sie an den Sonntagen erlaubt hat, und nun versucht er unsere Erholungen zu stören. Die Pest über den missgünstigen Kerl!«

»Seine finsteren Blicke sind genug, um allen Rahm im Dorf sauer zu machen«, sagte eine alte Frau.

»Warum geht er nicht in das Konventikel und predigt dort?«, rief der alte Greenford. »Warum will er uns alle diese bitteren Texte aus der Bibel an den Kopf werfen? Warum vergleicht er uns mit den Trunkenbolden von Ephraim, weil wir unser Pfingstbier trinken? Ich habe noch nichts weiter als meinen Morgentrunk gekostet.«

»Warum nennt er unseren Maibaum ein Götzenbild? Beantwortet mir das, mein guter Großvater?«, sagte Gillian.

»Lass den, der ihn so nannte, dir antworten, Kind, denn ich kann es nicht«, versetzte der alte Landmann. »Ich kann nichts Abgöttisches darin sehen.«

»Warum sollte unsere hübsche Maikönigin ihrer Zierden beraubt werden, weil sie seinem fantastischen Geschmack nicht gefallen?«, fragte Dick Taverner. »Ich wenigstens finde keinen Unterschied zwischen einem Puritaner und einem Schelm. Und ich würde beide an den Galgen bringen.«

Dieser Ausfall fand eine günstige Aufnahme bei der Menge und eine Stimme rief: »Ja, an den Galgen mit allen Puritanern.«

Wieder erhob Hugo Calveley seine Stimme: »Denkt nicht, mich zu schrecken«, rief er. »Ich habe mit Kühnheit bewaffneten Herren gegenübergestanden in einer schlimmeren Sache als diese, und es ist nicht wahrscheinlich, dass ich vor einem Pöbelhaufen weichen werde, da ich jetzt ein Krieger Christi geworden bin und seine Schlachten kämpfe. Ich wiederhole meine Warnungen und will nicht eher schweigen, als bis Ihr mir Gehör gebt. Bleibt nicht in den Sünden der Heiden, damit ihre Strafe nicht über Euch komme. Dies sind schreckliche Zeiten, in welchen wir leben. London ist ein zweites Ninive geworden und wird von Flammen verschlungen werden, gleich jener großen Stadt. Es ist voll Gräuel und Ausschweifung, voll Diebstahl und Betrug. Mit dem Propheten Nahum rufe ich: Wehe der Stadt, sie ist voll Lügen und Räuberei! Wucher und Erpressung wird darin geübt! Welcher Betrug, welche Ungerechtigkeit, welche Missbräuche! Aber der Zorn des Herrn wird sich dagegen erheben. Die Paläste der Könige sind in seinen Augen nicht größer als die Hütten der Landleute. Er führt die Fürsten zur Demuth, er ist schrecklich gegen die Könige der Erde. Er kennt keinen Unterschied zwischen denen, die auf Thronen sitzen und denen, die von Tür zu Tür gehen. Denn was sagt der Prophet Jesaias? Ich will bestrafen, das stolze Herz des Königs von Assyrien und seinen Hochmuth herunterbringen. Die Großen des Landes mögen sich warnen lassen, wie die Niedrigen, oder es wird ein Gericht über sie ergehen.«

»Das scheint nach Hochverrat zu schmecken«, rief Dick Taverner und fügte dann zu Hugo Calveley gewendet hinzu: »Ihr würdet nicht wagen, solche Worte in Gegenwart des Königs auszusprechen.«

»Du irrst, Freund«, versetzte der andere. »Es ist meine Absicht, ihn in ebenso starken Ausdrücken, wie die, welche ich eben angewendet habe, zu warnen. Warum sollte ich schweigen, da ich eine Botschaft von oben zu erfüllen habe? Ich werde zum Könige reden, wie Nathan zu David redete.«

»Er spricht wie ein Prophet«, rief der Müller, »und ich beginne an ihn zu glauben. Ohne Zweifel sind die Verbrechen in London sehr groß.«

»Wenn er gegen Wucherer und Erpresser predigt, bin ich für ihn«, sagte Dick Taverner. »Wenn er London von Sir Giles Mompesson und seinesgleichen befreit, so tut er genug – und noch mehr, wenn er der Bestechlichkeit und Ungerechtigkeit der Sternkammer ein Ende macht – nicht wahr, Herr Jocelyn Mounchensey?«

Bei Erwähnung dieses Namens schien der Puritaner sehr überrascht zu werden und sah sich um, bis sein Blick auf den jungen Mann fiel. Nachdem er ihn eine Sekunde starr angesehen, fragte er: »Bist du Jocelyn Mounchensey?«

Der junge Mann bejahte es ebenso überrascht.

»Der Sohn Sir Fernando Mounchenseys aus Massingham in Norfolk?«, fragte der Puritaner.

»Derselbe«, antwortete Jocelyn.

»Dein Vater war mein bester und teuerster Freund, junger Mann«, sagte Hugo Calveley, »und deines Vaters Sohn soll willkommen sein in meiner Wohnung. Tritt ein, ich bitte dich. Doch warte noch einen Augenblick. Ich habe diesen Leuten noch ein Wort zu sagen. Ihr achtet nicht auf meine Worte und spottet über mich«, fuhr er fort, indem er die Versammlung anredete, »aber ich will Euch ein Zeichen geben, dass ich die Wahrheit gesprochen habe.«

»Er wird den Teufel unter uns bringen, vermute ich«, rief Dick Taverner.

»Hoffentlich wird er den Maibaum nicht mit einem Blitz spalten«, sagte der Müller.

»Noch unser Pfingstbier verderben«, rief der alte Greenford.

»Noch unser Steckenpferd lahm machen«, sagte einer von den Darstellern.

Noch mich meines Kranzes und meiner Flittern berauben«, sagte Gillian.

»Das soll er nicht, so viel verspreche ich Euch, schöne Maikönigin!«, entgegnete Dick Taverner galant.

»Ich will nichts dergleichen tun. Ich würde Euch nichts zu Leide tun, auch wenn ich die Macht dazu hätte«, sagte der Puritaner. »Aber ich will einen Pfeil auf die Spitze Eures Götzen abschießen«, fügte er hinzu, indem er auf die blumengekrönte Spitze des Maibaumes deutete. »Und ich will sie herunterbringen, sodass Ihr gestehen sollt, eine höhere Hand als die meine, leite den Pfeil, und das abgöttische Symbol dürfe nicht stehen bleiben.«

»Was wir auch tun oder anerkennen mögen, ein Versprechen wollen wir nicht geben, Master Hugo Calveley«, versetzte der alte Greenford. »Aber lasst Euren Pfeil fliegen, wenn Ihr wollt.«

Es wurde einiger Widerspruch gegen diesen seltsamen Vorschlag erhoben, aber die Mehrzahl der Stimmen beseitigte ihn. Sich einen Augenblick entfernend, kehrte Hugo Calveley mit einer Armbrust zurück, die er bedächtig vor der Menge spannte und einen Pfeil darauf legte.

»Im Namen des Herrn, der das goldene Götzenbild niederwarf, welches Aaron und die Israeliten gemacht haben, sende ich diesen Pfeil ab«, rief er, indem er zielte und abdrückte.

Der kurze Pfeil mit eiserner Spitze pfiff durch die Luft und schien durch das Unheil, welches er anrichtete, als er sein Ziel traf, des Puritaners Verkündigung zu bestätigen. Die Spitze des Maibaumes treffend, erschütterte er das Holz und brachte die Blumenkrone und die obersten Flaggen mit herunter. Die Zuschauer sahen mit starren Blicken zu.

»Lasst Euch dadurch warnen«, donnerte Hugo Calveley mit finsterem Triumph. »Euer Götze ist getroffen – nicht von meiner Hand, sondern von dessen Hand, der Eure Bosheit bestrafen wird.«

Hierauf schloss er das Fenster und entfernte sich. Gleich darauf wurde die Tür von einem alten, ernsthaft aussehenden, anständig gekleideten Diener geöffnet.

Jocelyn anredend, der bereits abgestiegen war und sein Pferd demselben Burschen übergeben hatte, dem schon Dick Taverner denselben Auftrag erteilt hatte, lud ihn jener Mann im Namen seines Herrn ein, ins Haus zu treten. Des Jünglings Herz klopfte vor Gemütsbewegung, als er eintrat. Der Zufall begünstigte ihn in einer Weise, die er nie hätte vermuten können. Er hoffte, nun zu einer Unterredung mit Aveline zu gelangen.

Sein Führer geleitete ihn durch einen Gang zu einem großen Zimmer im Hintergrund, dessen Fenster auf einen Garten hinausgingen. Das Zimmer war mit dunklem, glänzendem Eichenholz getäfelt, hatte einen polierten Fußboden, einen ungeheuren Kamin und eine Gipsdecke. In demselben waren einige Stühle mit hohen Lehnen und einige schwere Hausgeräte, während auf einem eichenen Tisch zur Seite das einfache Frühstück des Puritaners und seiner Tochter stand. Aber alle diese Dinge gingen für Jocelyn verloren, denn er hatte nur für einen Gegenstand Augen. Sie war da, und wie liebenswürdig erschien sie! Wie graziös ihre Gestalt – wie fehlerlos ihre Züge! Eine geringe Verlegenheit war in ihrem Benehmen zu entdecken, als der junge Mann eintrat, doch verschwand dieselbe sogleich.

Ihr Vater war bei ihr, und auf Jocelyn zugehend, fasste er freundlich seine Hand und hieß ihn willkommen. Dann, ohne ihn loszulassen, stellte er den jungen Mann seiner Tochter vor und sagte: »Dies ist Jocelyn, der Sohn meines teuren dahingeschiedenen Freundes Sir Fernando Mounchensey. Eine unerforschliche Fügung der Vorsehung hat ihn hierhergeführt, und sehr erfreut bin ich, ihn zu sehen. Vor Jahren leistete mir sein Vater einen wesentlichen Dienst, den ich vergalt, so gut ich konnte, und es gibt nichts, was ich nicht freudig für den Sohn eines solchen Freundes tun würde. Du wirst ihn in gleichem Grade zu schätzen haben, Aveline.«

»Ich werde es an meiner Pflicht nicht fehlen lassen, Vater«, versetzte sie leicht errötend.

Jocelyn hielt diese Worte für die lieblichsten, die er je hatte aussprechen hören.

»Ich würde dich bitten, mit uns zu frühstücken, wenn ich erwarten könnte, dass du mit unserer einfachen Kost zufrieden sein würdest«, sagte Hugo Calveley, auf den Tisch deutend.

»Ich bin nicht allzu delikat und werde allem, was mir vorgesetzt wird, volle Gerechtigkeit antun«, entgegnete Jocelyn lächelnd.

»Es ist gut«, sagte der Puritaner. »Es ist mir lieb, zu bemerken, dass der Sohn meines alten Freundes nicht der Sklave seines Appetits ist, wie die meisten jungen Leute dieser Generation.«

Hierauf näherten sie sich dem Tisch. Nachdem Hugo Calveley ein langes Gebet gesprochen hatte, setzte sich Jocelyn an Avelines Seite nieder, kaum imstande, an die Wirklichkeit seines Glücks zu glauben – so ähnlich schien es einem Traum.

 

Ende des ersten Bandes