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Der Welt-Detektiv Band 6

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Elbsagen 67

Elbsagen
Die schönsten Sagen von der Elbe und den anliegenden Landschaften und Städten
Für die Jugend ausgewählt von Prof. Dr. Oskar Ebermann
Verlag Hegel & Schade, Leipzig

68. Bischof Odo zu Magdeburg

Zu Magdeburg ging ein Knabe, namens Odo, in die Schule. Dem wurde das Lernen sehr schwer, und alle Strenge seiner Lehrer blieb ohne Früchte. Als er nun einst seiner Unwissenheit wegen in der Schule geschlagen wurde, ging er in die Kirche des heiligen Mauritius, betete voll Andacht zu dem Heiligen und zur Jungfrau Maria, sie möchten ihm einen helleren Verstand verleihen. Über dem Gebet entschlief er, und die Jungfrau erschien ihm im Traum und sagte, sie wolle nicht allein seine Bitte gewähren, sondern ihm die noch größere Gnade ermessen, dass er nach dem Tod des regierenden Erzbischofs zu seinem Nachfolger erwählt werden solle. Wenn er dann gut regiere, so werde er auch einen guten Lohn empfangen. Doch wenn er dem Stift übel vorstehe, solle er mit Leib und Seele des Todes sein.

Als nun Odo wieder in die Schule kam, tat er es bald allen seinen Mitschülern zuvor, und jeder wunderte sich, woher ihm solche Geschicklichkeit gekommen sei. Eine Reihe von Jahren darauf starb der Erzbischof, und Odo wurde an seiner Stelle erkoren. Er führte anfangs ein löbliches Leben, dann aber begann er im Guten abzunehmen, verbrachte Kirchengüter, lebte unzüchtig und wurde bei allen Ehrliebenden verhasst. Da hörte er einst drei Nächte hintereinander eine Stimme, die ihn warnte, in der Sünde nicht weiterzugehen. Er seufzte wohl ein wenig, doch besserte er sich nicht. Drei Monate danach betete ein frommer Domherr, Friedrich geheißen, nachts im Chor der Mauritiuskirche, dass Gott der Kirche einen besseren Vorsteher verleihen und Odo strafen möge. Dieses Gebet wurde sogleich erhört.

Es erhob sich ein mächtiger Wind, der alle Lampen in der Kirche auslöschte, sodass der Domherr erschrak, sich in einen Winkel verkroch und das Beten vergaß. Er sah nun, wie zwei Knaben mit brennenden Wachslichtern in die Kirche kamen und vor den Altar traten. Die ganze Kirche war davon hell erleuchtet. Ihnen folgten zwei andere. Von denen trug einer einen Teppich.

Hierauf folgte einer in Gestalt eines starken Kämpfers mit einem bloßen Schwert in der Hand, der trat mitten in die Kirche und rief mit lauter Stimme. »O, all ihr Heiligen, deren Gebeine allhier in dieser Kirche ruhen, steht auf und kommt zu Gottes Gericht.«

Da erschienen viele Frauen und Männer, unter ihnen Bischöfe und Ritter, im Chor. Nun traten die zwölf Apostel ein und in ihrer Mitte Christus mit Krone und Zepter, heller leuchtend als die Sonne. Alle Anwesenden fielen vor ihm nieder. Er setzte sich auf einen der beiden Stühle, ihm folgte Maria, gleich den Sternen strahlend, mit einer großen Schar Jungfrauen. Christus ging ihr entgegen, empfing sie mit aller Ehrerbietung und führte sie zu dem anderen Stuhl. Zuletzt erschien auch der heilige Mauritius in fürstlicher Gestalt und mit ihm seine Legion. Alle fielen vor Christus nieder und riefen ihn um Recht an. Da gebot Christus, den Bischof Odo zu holen. Als dieser gebracht wurde, trat der heilige Mauritius vor, erinnerte ihn an Marias Gnade, an die Stimme, die ihn dreimal gewarnt hatte, und klagte ihn dann seiner Verbrechen an. Christus, der Richter, fragte die umstehenden Heiligen, was sie darüber dächten. Da rief der erwähnte Kämpfer überlaut, Odo sei des Todes schuldig. Nun besprach sich Christus mit anderen, welchen Tod er erleiden solle. Er fällte das Urteil, dass er das Haupt verlieren müsse. Hierauf ging Christus mit Maria und vielen der Versammelten hinweg. Aber der Kämpfer oder, wie andere glaubten, der heilige Mauritius selbst, trat herzu und enthauptete den Bischof.

Am Morgen erzählte der Domherr, was er gesehen hatte, und man fand Odo in der Kirche enthauptet. Vor dem Altar blieben die Blutflecken noch lange zu sehen. Sie waren gewöhnlich mit einem Teppich bedeckt. Doch wenn man einen neuen Bischof einführte, hob man, während das Tedeum gesungen wurde, den Teppich auf und zeigte dem Bischof das Blut, damit er sich an Odos Schicksal erinnere und besser als er haushalte. Odo soll in der Mitte des 10. Jahrhunderts oder fünfzig Jahre später zur Zeit Kaiser Ottos III. gelebt haben.