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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Detektiv – Die Zauberhand der Matani – 1. Kapitel

Walter Kabel
Der Detektiv
Kriminalerzählungen, Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1920
Harald Harst gegen Cecil Warbatty
Des berühmten Liebhaberdetektivs Abenteuer im Orient
Die Zauberhand der Matani

1. Kapitel

Das treibende Boot

Wir saßen in bequemen Liegestühlen auf dem Achterdeck des Küstendampfers King Edward unter dem stets nass gehaltenen Sonnensegel und gaben uns die redlichste Mühe, durch keine überflüssige Körperbewegung die Schweißabsonderung in dieser Backofenhitze noch zu vermehren.

Das Meer lag da wie flüssiges Blei. Eine träge Dünung brachte in regelmäßigen Zwischenräumen etwas wie einen flachen Wellenberg hervor. Die Maschine des alten Steamers keuchte und pustete. Möwen und andere Seevögel umkreisten das Schiff. Unten aus dem kleinen Salon drang Klaviergeklimper herauf.

Wir waren unterwegs nach Madras, fuhren also, von Ceylon kommend, die Koromandelküste entlang, deren flache, von Lagunen zerrissene Ufer ein so überaus eintöniges Bild darbieten.

Harst schien zu schlafen. In seinem linken Mundwinkel hing die längst erloschene Zigarette genauso träge herab, wie alles ringsum in dieser erschlaffenden Sonnenglut den Eindruck des Faulen, Übermüdeten machte, — alles, selbst der Rauch aus dem Dampferschlot, der so dick und so dicht hinter uns auf dem Meer lagerte.

Ob mein Brotherr und Freund wirklich schlief, war schwer zu entscheiden. Wenn irgendjemand die Fähigkeit besitzt, seinen Körper zu absoluter Bewegungslosigkeit zu zwingen, dann ist es Harst. Er nennt das Ausschalten der störenden Leibesmaterie zum Zwecke allerschärfsten Denkens.

Also — vielleicht wanderte sein Geist auch nun nur wieder ganz abgelegene Pfade, auf die sich ein Durchschnittssterblicher nie verirrt.

Ich schaute mir sein schmales Gesicht an. Um den Mund lag ein müder Zug, etwas, das ich bisher nicht an ihm bemerkt hatte, mehr noch als Müdigkeit, geradezu Verzagtheit.

Ob er vielleicht nun eingesehen hatte, dass er dem Verbrechergenie Cecil Warbatty doch nicht gewachsen war, gegen den wir nun schon seit vielen Wochen einen bisher nur insofern erfolgreichen Kampf führten, als wir Warbattys Pläne stets vereitelt hatten. Ihn selbst dauernd unschädlich zu machen, war uns nicht gelungen. Und das, was wir bisher bei diesem Ringen erlebt hatten, war mit blutigen Spuren gezeichnet – mit dem Blut der Opfer, die dieser Unhold mit einer Brutalität und einer Raffiniertheit hinschlachtete, die etwas Dämonisches an sich hatten.

Auf der Insel Ceylon war er uns abermals entwischt. Nun hofften wir ihn in Madras an der Ostküste Vorderindiens wiederzufinden. Auch dort musste er Helfershelfer haben und einen neuen Streich planen. Dafür besaßen wir sogar schriftliche Beweise. Doch was er in der bekannten Hafenstadt vorhatte, wussten wir nicht. Und erraten ließen sich Warbattys Pläne nicht; dazu waren sie zu vielseitig.

Abermals streiften meine Blicke Harald Harsts Gesicht. Und da begegneten sie seinen weit offenen, klaren Augen, da stellten sie fest, dass alles Müde, Verzagte aus den Zügen des Mannes verschwunden war, der in Kurzem als Liebhaberdetektiv auf der ganzen Welt berühmt geworden.

Er schaute mich so eigen an, sagte dann langsam, als ob er jedes Wort betonen wollte: »Wir werden die Kampfesweise gegen Warbatty völlig ändern müssen, lieber Schraut. Das ist es, was ich mir soeben überlegt habe. Bisher haben wir aus Angst um unser eigenes kostbares, angeblich kostbares Leben stets uns hinter irgendeiner Maske verkrochen, haben dadurch sowohl sehr viel an Bewegungsfreiheit eingebüßt als auch viele Gelegenheiten vorübergehen lassen, wo wir ihn bei einem Anschlag auf unser Leben hätten fassen können. Er hat uns den Tod zugeschworen, hat es immer wieder versucht, uns durch geradezu meisterhaft ersonnene Fallen in seine Gewalt zu bekommen. Aber diese Gelegenheiten, wo er sich an uns heranwagte, waren eben zu selten. Ich verzichte fortan auf jedes Versteckspiel. Ich trete offen in Madras als Harald Harst auf. Natürlich werde ich alle nur irgend erdenklichen Vorsichtsmaßregeln anwenden, um mich gegen heimtückische Attentate zu schützen.«

Eine kurze Pause. Dann: »Es tut mir leid, mein lieber Kampfgenosse, dass wir uns trennen müssen. Von diesem Moment an bist du nicht mehr mein Privatsekretär. Ich werde dir die Kosten der Rückreise nach Berlin vergüten, dir für den Rest des Jahres dein Gehalt auszahlen und dann werde ich allein den Kampf weiterführen. Jede Bitte deinerseits um Änderung dieses Entschlusses wäre zwecklos. Es bleibt dabei. Wir wollen als gute Freunde auseinandergehen. Vielleicht – vielleicht feiern wir mal in Berlin ein vergnügtes Wiedersehen; vielleicht hört die Welt plötzlich auch nichts mehr von Harald Harst. Dann modern meine Gebeine eben irgendwo als Opfer Cecil Warbattys …«

Ich saß regungslos vor Schreck da. Endlich brachte ich dann über die Lippen: »Ist das alles dein Ernst?«

»Mit solchen Dingen scherzt man nicht. Ich entlasse dich ungern. Aber es muss sein! Bisher durfte ich dich noch an mich fesseln. Jetzt, wo ich Warbatty nach der neuen Methode angreifen will, wäre es von mir gewissenlos, dein Leben jeden Augenblick mit aufs Spiel zu setzen.«

Er rieb sein Feuerzeug an und steckte die Zigarette wieder in Brand.

»Gut«, erklärte ich. »Herr Harald Harst, ich nehme die Kündigung an. Von diese Sekunde bin ich also mein freier Herr und nicht mehr Ihr Sekretär.«

»Was soll das?«, warf er unsicher ein.

»Lieber Harald, ich bin jetzt also nur noch dein Freund. Und als Freund bitte ich dich, mich dir fernerhin anschließen zu dürfen. Lehnst du dies ab, so wäre dies der schwärzeste Undank. Du weißt, wie sehr ich an dir hänge, weißt, dass ich auf dem ganzen Erdenrund keinen einzigen Menschen mehr habe, der mir näher steht – eben nur dich.«

»Ah«, rief er halblaut, »das … das ist fast hinterlistig. Du vergewaltigst mich! Unter diesen Umständen ziehe ich meine Kündigung doch lieber zurück …«

»Bedaure! Ich verzichte auf die Anstellung bei dir. Ich bin fortan nur dein Freund …«

Er sprang auf, stellte sich an die nahe Backbordreling. Ich merkte: Er ärgerte sich nun über sich selbst! Er hatte es mit der Kündigung nur gut gemeint. Aber er hatte mich unterschätzt. Und dieser Fehler in der Beurteilung meines Charakters verstimmte ihn schwer, nicht nur deshalb, weil ihn seine Menschenkenntnis im Stich gelassen hatte, sondern weil er mich gekränkt zu haben fürchtete.

Auch ich stand auf, trat hinter ihn, legte ihm die Hand auf die Schulter.

»Harst«, sagte ich leise, »du hast mein Leben nicht unbekannten zukünftigen Gefahren aussetzen wollen. Sehr rücksichtsvoll, ohne Zweifel! Aber ich bin eben als dein früherer Sekretär bereits so stark auf den Geschmack für Detektivabenteuer gekommen, dass ich ohne diese nicht mehr leben kann.«

Er erwiderte nichts, starrte unausgesetzt zur Küste hinüber.

Der Kapitän kam vorbei rief uns zu: »In einer Stunde sind wir in Madras …«

Auch das ging spurlos an Harst vorüber.

Plötzlich eilte er davon, die Haupttreppe hinab, kehrte sehr schnell mit seinem Fernglas zurück, stellte es ein, schaute ein paar Sekunden hindurch, reichte es mir dann.

»Dort, ein treibendes Boot …«

Er hastete nun der Kommandobrücke zu. Als er dann wieder neben mir auftauchte, meinte er: »Fünfzig Pfund hat Farinpay sich für den kleinen Umweg bieten lassen! Die reine Erpressung! Er versteht sein Geschäft als Kapitän und Eigentümer dieses alten Kastens von Dampfer …«

Ich sah, dass der King Edward den Kurs änderte und auf das Boot dort drüben zuhielt.

Wir näherten uns dem offenbar leeren plumpen Bretterkahn sehr schnell.

»Weshalb bist du denn so begierig, dir gerade das Boot dort genauer anzusehen?«, fragte ich.

»Oh, du weißt ja, mein Lieber, ich leide manchmal an Vorahnungen. Ich bilde mir steif und fest ein, in jenem Kahn müsste irgendetwas Interessantes sich befinden …«

Die Küste war in leichte, dunstige Schleier gehüllt. Trotzdem bemerkte ich deutlich das Anschwemmungsgebiet eines Flüsschens. Diese Flussmündungen an der flachen Koromandelküste zeigen alle dasselbe Bild: Sie haben Sand, Schlamm, Strauchwerk, Gräser an ihrer Einmündungsstelle abgesetzt und so im Laufe der Zeit ein weit ins Meer vorspringendes Delta mit zahlreichen Armen entstehen lassen.

Der King Edward glitt nun dicht an dem Boot vorüber. Die Fahrgäste standen alle um uns herum an der Reling. Dann ein vielfacher Schrei!

Mit Recht kreischten ein paar Damen entsetzt auf, riefen die Männer wild durcheinander.

In dem plumpen, großen Nachen lag auf einem Haufen trockenen Seetangs eine farbige Frau, der nur über die Lenden ein Stück Leinwand geworfen worden war.

Der rechte Arm der braunen Frau aber ruhte auf dieser schmutzigen Leinwand inmitten einer Blutlache. Und diesem Arm fehlte die Hand; sie war etwas über dem Gelenk glatt abgehauen.

Kapitän Farinpay schimpfte nun in allen Tonarten.

»Nette Scherereien wird das geben, Master Peakwoord«, brüllte er Harst zu. »Nun kann ich den verd… Kahn ins Schlepptau nehmen und …«

»Beruhigen Sie sich!«, rief Harst zurück. (Wir reisten als Kaufleute Peakwoord und Hastings) »Mein Freund Hastings und ich werden das Boot nach Madras bringen. Leihen Sie uns nur ein Paar Ruder und lassen Sie unsere Koffer in den Nachen schaffen.«

Farinpay war sprachlos. Harst nahm ihn etwas beiseite.

»Wenn Sie mir Ihr Wort geben, nicht zu verraten, wer ich bin, nenne ich Ihnen meinen richtigen Namen, und dann begreifen Sie sofort alles«, flüsterte er.

»Hm … gut … mein Wort also …«

»Ich bin der Detektiv Harald Harst …«

»Nicht möglich?! Harst … Harst, der in Bombay …«

»Ja … ja … derselbe! Vorwärts nun! Ruder her und das Gepäck hinein …«

Fünf Minuten darauf saßen wir in dem Nachen, während der King Edward qualmend davondampfte.