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Der Detektiv – Die tote Lady Rockwell – 4. Kapitel

Walter Kabel
Der Detektiv
Kriminalerzählungen, Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1920
Harald Harst gegen Cecil Warbatty
Des berühmten Liebhaberdetektivs Abenteuer im Orient
Die tote Lady Rockwell

4. Kapitel

Die Tote

Zwei Stunden später stiegen wir in die ausgemauerte Gruft hinab. Das Erbbegräbnis lag mitten in dem terrassenförmigen Parkteil nach den Bergen zu.

Es gab hier im Ganzen fünf Särge. In den anderen vier ruhten die Eltern und Geschwister des Lords.

Harst hob mit meiner Hilfe den Sargdeckel ab; dann auch den Oberteil des Zinkeinsatzes. Ein betäubender Verwesungsgeruch quoll uns entgegen. Der Lord lehnte an der Mauer und hatte die Augen mit der Hand bedeckt. Er schluchzte leise.

Von dem Gesicht der Leiche war nichts mehr zu erkennen. Die Termiten hatten sogar die Schädelhaut so benagt, dass das ganze Kopfhaar nebenbei lag.

Harst beleuchtete das grässliche Bild mit seiner Taschenlampe, nahm nur eine Haarsträhne an sich, wickelte sie in Papier und steckte sie ein. Dann winkte er mir. Wir legten die Deckel schnell wieder auf, folgten dann dem Lord, der bereits in den oberen, kapellenartigen Raum emporgestiegen war. Gerade als Harst die eiserne Falltür schloss, wurde der eine Flügel der Tür des Erbbegräbnisses aufgerissen und drei Herren traten schnell ein. Der Vorderste war der Detektivinspektor Morris aus Colombo, der angeblich schon vor einer Stunde dorthin zurückgekehrt war.

Dieser lange, spindeldürre Herr mit riesiger Hakennase und einer so kurzen Oberlippe, dass sein falsches Obergebiss geradezu als Reklame für Zahnersatz leuchtete, hob sofort gebieterisch den Arm und rief: »Im Namen des Vizekönigs: Sie drei sind verhaftet! Endlich habe ich Ihre Helfershelfer erwischt, Lord Rockwell! Allein konnten Sie diesen Schwindel nicht inszeniert haben! Wer seid ihr beide denn, verfluchtes gelbes Gelichter, he?«

Die schmierigen Kulis hatten jedoch vor Master Morris so wenig Achtung, dass der eine – Harst – ganz gemütlich erwiderte: »Das werde ich Ihnen sofort sagen, Master, wobei ich auf Ihre Verschwiegenheit rechne. Ich sollte Sie von Ihrem Bombayer Kollegen Greazer grüßen. Ich bin nämlich Harald Harst. Vielleicht haben Sie den Namen schon mal gehört …«

Morris machte ein sehr langes Gesicht.

»Die Verhaftung Seiner Lordschaft hat unter diesen Umständen wohl auch noch etwas Zeit«, fuhr Harst fort, »zumal er gänzlich unschuldig ist, was ich beweisen werde.«

Morris war ein anderer Schlag von Mensch als Freund Greazer aus Bombay. Er hatte offenbar ein allzu stark entwickeltes Selbstbewusstsein. Harsts Ton behagte ihm nicht. Das sah man ihm an. Und seine Worte bestätigten dies.

»Ob die Verhaftung Zeit hat, entscheide ich. Haben Sie einen Ausweis bei sich?«

Hm – armer Morris! So mit Harst zu reden – welche Dummheit!

»Gewiss habe ich einen Ausweis.« Harst schraubte den linken Absatz los und zog aus der Höhlung das ganz eng gefaltete Papier hervor. »Bitte, Herr Inspektor …«

Morris las es flüchtig, reichte es zurück.

»Danke! Ihre Einmischung hier ist nicht erwünscht«, sagte er recht unhöflich. »Wenn Kollege Greazer Sie nötig hatte – das ist seine Sache. Ich brauche keine fremden Herren zu meiner Unterstützung.«

»Ganz verständlich«, erwiderte Harst. »Jeder muss wissen, was er kann. Übrigens wollte ich auch gar nicht Ihnen, sondern dem Lord helfen. Und dazu brauche ich Ihre Erlaubnis nicht. Sollten Sie mir aber hier dadurch Schwierigkeiten machen, dass Sie oder Ihre beiden Beamten da verraten, wer diese zwei chinesischen Kulis in Wahrheit sind, so dürfte Ihnen das teuer zu stehen kommen. Sie wissen, dass ich Cecil Warbatty nachsetze. Er ist in Colombo oder doch hier in der Nähe. Ich hoffe, ihn abfangen zu können. Vereiteln Sie dies durch Ihr Verhalten mir gegenüber irgendwie, so genügt ein Brief von mir an den Vizekönig von Indien, und Sie sind Inspektor gewesen. So, das wollte ich Ihnen in aller Freundschaft sagen. Ich füge noch hinzu, dass ich mich dafür verbürge, dass Lord Rockwell völlig unschuldig ist. Seine Verhaftung wäre insofern ein Durchkreuzen meines gegen Warbatty gerichteten Feldzugplans, als dass ich Warbatty nur dann Ihnen in die Hände spielen kann, wenn der in Kurzem ohne Zweifel gegen den Lord erfolgende Mordanschlag nicht gänzlich eben durch die Festnahme unmöglich gemacht wird.«

Der Lord und Morris riefen nun in einem Atem: »Mordanschlag?«

»Allerdings. Doch das können wir nachher besprechen. Wünschen Sie nun mit mir gemeinsam gegen Warbatty vorzugehen, Herr Inspektor, oder verzichten Sie darauf? Ich denke, wir arbeiten lieber Hand in Hand.«

Morris war Nun sehr verlegen. Harst hatte ihn derart in die Enge getrieben, dass er mit hochrotem Kopf hastig entgegnete: »Oh! Sehr gern, Master Harst, sehr gern. Ich bin etwas nervös. Entschuldigen Sie meine ein wenig kurz angebundene Art von vorhin.«

Zehn Minuten darauf saßen wir zu viert in Rockwells Arbeitszimmer. Wir galten weiter als Händler und Harst hatte so allerhand kleine Scherze zur Täuschung der Dienerschaft durchgeführt, die denn auch ganz ahnungslos blieb. Morris Beamten hatten feierlich Schweigen geloben müssen und haben dies auch gehalten.

Der Inspektor wollte nun Harst mit allerlei Fragen bestürmen. Er kam damit aber an den Unrechten.

»Ich rede stets erst dann, wenn es unbedingt nötig ist, Master Morris«, sagte Harst ganz freundlich. Kennen Sie Doktor Rouvier genauer?«

»Ja.«

»Sein Ruf?«

»Hm – nicht der beste. Er spielt und trinkt, lebt wohl weit über seine Verhältnisse.«

»Wo wohnt er? Er ist Junggeselle, nicht wahr? Sein Haus wird außerhalb der Stadt liegen, denke ich mir; ziemlich einsam. Hält er viel Dienerschaft?«

Morris machte große Augen. »Sie haben sich schon über Rouvier erkundigt, sonst könnten Sie …«

»Gut, schon gut. Also meine Vermutungen sind richtig. Auch hinsichtlich der geringen Dienerschaft. So, nun meine Vorschläge. Sie, Master Morris, kehren nach Colombo zurück, eilen zu Rouvier und teilen ihm mit, Seine Lordschaft seien erkrankt. Er möchte sofort hier zu der Plantage kommen. Lord Rockwell aber legt sich ins Bett und spielt vor seiner Dienerschaft den schwer Leidenden. Sobald Rouvier bei Ihnen erscheint, Mylord, bieten Sie ihm eine größere Summe, wenn er Ihnen bescheinigt, dass Sie zurzeit aus Gesundheitsrücksichten nicht verhaftet werden dürfen. Noch eins: Es wäre zweckmäßig, Master Morris, wenn Sie Rouvier gegenüber Andeutungen machten, dass Ihnen Lord Rockwells Erkrankung sehr ungelegen käme, da Sie ihn eigentlich heute hätten festnehmen wollen.«

Morris und der Lord bewiesen durch ihre Mienen, dass sie den Zweck dieser merkwürdigen Verhaltungsmaßregeln durchaus nicht verstanden hatten.

Der Inspektor wagte denn auch etwas schüchtern die Frage: »Herr Harst, entschuldigen Sie schon, wozu das alles?«

»Sehr einfach! Ich will Warbatty zum Losschlagen zwingen, will nicht warten, bis er den Zeitpunkt für geeignet hält, sondern ihm diesen Zeitpunkt aufdrängen. So, meine Herren, jetzt kann die Sache eingeleitet werden. Mylord, Sie ins Bett und Morris zu Rouvier! Wir beide aber werden durch die Güte Seiner Lordschaft hier im Schloss ein bescheidenes Zimmer angewiesen erhalten, wozu ein Vorwand schon noch gefunden werden wird …«

Morris verabschiedete sich. Als er gegangen war, ließ Harst sich Rockwells Schlafzimmer zeigen. Das benachbarte Schlafgemach der Gattin des Lords war verschlossen.

»Ich habe dort nichts verändern lassen«, erklärte Rockwell. Seine Stimme zitterte. Er glaubte fest daran, dass seine Frau tot sei. Er musste sie sehr geliebt haben.

Harst legte ihm nun mitfühlend die Hand auf den Arm. »Mylord«, sagte er weich, aber tief ernst, »so leid es mir tut: Gewöhnen Sie sich an den Gedanken, dass Ihre Frau Ihrer nie würdig war – nie! Reißen Sie ihr Bild aus Ihrem Herzen, wappnen Sie sich beizeiten gegen furchtbare Überraschungen, die auf Sie einstürmen werden!«

»Mein Gott … was … heißt das …«

»Mann sein, heißt das! Bitte öffnen Sie nun das Schlafzimmer Ihrer Frau. Ich habe mir die Sache anders überlegt. Schraut und ich werden uns dort verbergen. Besorgen Sie uns heimlich einige Lebensmittel, bevor Sie sich als Kranker niederlegen und auch einen Bohrer von etwa Bleistiftstärke.«

Der Lord schloss uns in das Nebenzimmer ein und ging dann das Gewünschte holen. Der Dienerschaft sollte er erklären, die beiden Händler hätten sich anscheinend auf und davon gemacht.

Er kehrte nach einer Viertelstunde zurück, brachte das Verlangte und gab uns den Schlüssel des Zimmers, sodass wir nötigenfalls von innen die Tür öffnen konnten. Dann entkleidete er sich.

Inzwischen hatten wir uns in dem halbdunklen Raum, dessen Fensterjalousien und Vorhänge verschlossen waren, bereits eingehend umgeschaut. Dieses Damenschlafzimmer war geradezu mit raffiniertem Luxus eingerichtet. Ich hatte etwas Derartiges von Luxus noch nie gesehen. Eine kleine Tür führte in einen Baderaum, der ganz mit Marmor ausgelegt war. Die vertiefte Badewanne zeigte in Steinmosaik Liebesszenen aus dem Leben der Singhalesen.

»Und all das einer gemeinen Betrügerin wegen!«, meinte Harst bei der Besichtigung. »Armer Lord Rockwell! Das Schwerste steht dir noch bevor.«

Während der Lord sich zu Bett begab (das Bett stand so, dass wir es durch das Schlüsselloch sehen konnten), bohrte Harst in Kniehöhe in die Tür zwei Löcher, glättete die Ränder sehr sauber und versuchte, ob wir nun das andere Zimmer ganz überschauen könnten. Es war leicht, und Harst flüsterte mir zu, wir könnten uns nun getrost in die Seidensessel setzen und ein wenig frühstücken.

Wir taten es. Dabei hörten wir, wie nebenan Rockwells Kammerdiener, der ein Singhalese wie auch die Übrigen war, sich um seinen Herrn bemühte, wie er ab und zu eilte, wie gesprochen wurde und wie der Lord dann jämmerlich zu stöhnen begann.

So vergingen reichlich drei Stunden. Dann vernahmen wir das Rattern eines Kraftwagens.

»Aha, Rouvier!«, flüsterte Harst.

Sofort bezogen wir unsere Beobachtungsposten an der Tür.

Der Doktor trat ein, ganz in Weißleinen gekleidet. Er war klein, quecksilbrig, von lautem Wesen.

Wir verstanden zunächst jedes Wort.

»Mein teurer Lord«, begrüßte Rouvier den Patienten, »wo fehlt es denn?! Hoffentlich nur ein kleines Fieberchen …« Nach einer Weile begann Rockwell dann flüsternd auf Rouvier einzureden. Fraglos versuchte er ihn nun zu bestechen.

Der kleine Doktor spielte zunächst den Entrüsteten. Als ihn der Lord dann aber ein Päckchen Banknoten in die Hand drückte, nahm er es ruhig an.

Abermals sprachen die beiden nun leise. Dann verabschiedete Rouvier sich. Wir hörten das Auto gleich darauf davonfahren.