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John Sinclair Classics Band 44

Jason Dark (Helmut Rellergerd)
John Sinclair Classics
Band 44
Der Hexer mit der Flammenpeitsche

Grusel, Heftroman, Bastei, Köln, 07.05.2019, 66 Seiten, 1,90 Euro, Titelbild: Ballestar
Dieser Roman erschien erstmals am 19.04.1977 als Gespenster-Krimi Band 188.

Kurzinhalt:
Mal ehrlich: Haben Sie insgeheim auch schon einmal den Wunsch gehabt, mit dem Jenseits in Kontakt treten zu können?
Nichts leichter als das! Kommen Sie einfach in unsere Schule – die MYSTERY SCHOOL! Hier werden Sie mit unglaublichen Erscheinungen konfrontiert. Einen kleinen Haken hat die Sache allerdings: Ihr Lehrer wird kein normaler Mensch sein, sondern ein Dämon!

Leseprobe

»Darf ich den Verstorbenen noch einmal sehen?«, erkundigte sich die junge Frau in der Trauerkleidung.

Der Friedhofsangestellte nickte. »Aber selbstverständlich, Madam. Kommen Sie, der Sarg ist noch nicht geschlossen worden.«

Die Frau lächelte dankbar. Hinter dem Leichenhallenwächter betrat sie einen dunklen Raum. Eine Leuchtstoff­röhre an der Decke spendete kaltes, grelles Licht.

Der Mann hob den Sargdeckel an. »Bitte, Madam.«

Die Frau trat näher. Im gleichen Au­genblick packte sie das kalte Entsetzen. Die Leiche hatte keinen Kopf mehr!

Ein, zwei Herzschläge lang starrte die Frau unbeweglich auf die grausam zugerichtete Leiche. Dann verzerrte sich ihr Gesicht. Ihr Mund öffnete sich, und ein markerschütternder Entsetzens­schrei gellte auf, der sich schaurig an den kahlen, grüngetünchten Wänden brach.

Dann – und es geschah wie in Zeit­lupe – kippte die Frau nach hinten. Steif wie ein Brett fiel sie zu Boden. Ihr Schrei verstummte.

Der Friedhofsangestellte hörte den harten Aufprall des Körpers, und dieses Geräusch schien ihn aus seiner Starre zu befreien.

Er begann plötzlich zu zittern. Wie im Schüttelfrost schlugen die Zähne aufeinander. Laut, klappernd. Dann machte der Mann auf dem Absatz kehrt, war mit zwei langen Schritten an der Tür, riss sie auf und hetzte schreiend über den gefliesten Flur.

Er lief den anderen Trauergästen in die Arme.

Auch sie hatten den Schrei gehört. Die meisten waren beunruhigt. Ein Mann mit einem dunklen Hut packte schließlich zu und rüttelte den Fried­hofsangestellten an beiden Schultern.

»Was ist denn passiert, zum Teufel?«

Der Friedhofsangestellte konnte vor Entsetzen keinen Ton hervorbringen. Er war schon älter, dazu dünn wie eine Bohnenstange und ziemlich klein. Er hatte einen gekrümmten Rücken, sodass er immer etwas gebückt ging. Der graue Kittel flatterte um seine magere Gestalt wie eine Fahne den Mast.

»So reden Sie doch endlich!«

Der Friedhofsangestellte nickte. »Die – die Leiche«, ächzte er. »Sie, sie …«

Er sprach nicht mehr weiter, denn in­zwischen hatten sich sämtliche Trauer­gäste um ihn versammelt. Eine junge, blondhaarige Frau fiel besonders auf. Sie stach wegen ihrer modischen Trauer­kleidung deutlich von den anderen Leu­ten ab. Auch unter dem Kostüm konnte jeder erkennen, wie gut ihre Figur war. Das Haar fiel wie reifer Weizen bis auf die Schulter, und der Kopf wurde von einer dunklen kleinen Kappe bedeckt.

Der Mann, der den Friedhofsange­stellten gepackt hielt, verlor die Geduld.

»Wenn Sie jetzt nicht sagen, was pas­siert ist, dann …«

Die gut aussehende Frau schob den Mann kurzerhand zur Seite.

»Darf ich mal«, sagte sie. Ihre Stimme klang nicht laut. Es schwang jedoch ein Unterton darin mit, der den Mann zu­sammenzucken ließ.

»Bitte sehr, Miss.«

Die Frau fasste den Friedhofsange­stellten unter, der an der Wand lehnte und dessen Gesicht die Farbe eines Lei­chentuchs hatte. Blass, käsig.

Dann entnahm sie ihrer Handta­sche ein kleines Fläschchen. Geschickt schraubte sie den Verschluss auf. Die rotlackierten Fingernägel wirkten wie in Blut getaucht.

»Trinken Sie«, forderte die Frau und hielt dem geschockten Mann die Flasche hin.

Dankbar nahm dieser einen Schluck. Der Whisky rann über seine Lippen, brachte Farbe zurück in das Gesicht. Er setzte die Flasche ab. Seine mage­ren Finger umklammerten das Glas. Die Frau musste ihm die Flasche aus der Hand winden.

»So, und jetzt sagen Sie mir bitte, was geschehen ist.«

Der Mann schluckte. »Ja. Jemand wollte den Verstorbenen noch einmal sehen. Ich hatte nichts dagegen. Der Sargdeckel war noch nicht verschraubt. Ich zog ihn zur Seite – und …«

»Was und?«

Der Mann senkte den Blick. »Die Leiche – sie hatte keinen Kopf mehr. Jemand hat ihn abgeschnitten. Alles war voll Blut!«

»Neiiinnn!« Eine ältere Frau bekam einen hysterischen Anfall, als sie die Worte hörte. Schreiend fasste sie sich an den Kopf, schüttelte ihn wild.

Auch die anderen Trauergäste waren durch die Worte des Friedhofsange­stellten geschockt. Niemand machte Anstalten, der Schreienden zu helfen.

Die Blonde handelte. Sie sprang vor und schlug der Frau zweimal mit der flachen Hand ins Gesicht.

Der Schrei verstummte. Die Ge­sichtszüge versteiften zur Maske.

Die Blondhaarige führte die Frau zu einem Stuhl. »Bitte setzen Sie sich.« Dann ging sie wieder zu dem Friedhofs­wächter. »Wo steht der Sarg?«, erkun­digte sie sich.

»Ich – ich gehe nicht mehr dahin.«

»Das brauchen Sie auch nicht.«

Der Mann streckte den Arm aus. »Den Gang hier hoch. Dann die dritte Tür rechts.«

»Danke.«

Die Blondhaarige ging los. Verfolgt von den Blicken der Trauergäste. Die Menschen bewunderten die Frau. Sie hätten nie den Mut aufgebracht, so et­was zu tun. Aber niemand wusste, dass diese blondhaarige Frau einen beson­deren Beruf hatte.

Sie war Detektivin.

Mit vollem Namen hieß sie Jane Col­lins, stammte aus London, wo sie auch ihr Büro hatte, und Kollegen behaupte­ten, sie wäre die hübscheste Detektivin Englands, was gar nicht mal so über­trieben war. Jane Collins konnte sich wirklich sehen lassen.

An dieser Beerdigung nahm sie teil, weil der Verblichene ein entfernter Ver­wandter von ihr gewesen war, der ihr vor Jahren mal einen großen Gefallen getan hatte. Damals war sie noch Stu­dentin gewesen und hatte sich in Geld­schwierigkeiten befunden. Da hatte ihr der Onkel einen großzügigen Betrag geschickt.

Jane Collins hatte die Tür der kleinen Kammer erreicht. Sie stand halb offen.

Janes Herz begann hart zu klopfen, als sie den kleinen Raum betrat. Obwohl sie auf den Anblick gefasst war, hatte sie doch das Gefühl, der Magen würde ihr in die Kehle steigen.

Der Anblick war schrecklich, so grau­enhaft, dass sich Janes Gehirn weigerte, die Einzelheiten aufzunehmen.

Die Detektivin schloss die Augen. Als sie sie wieder öffnete, wandte sie den Blick der Frau zu, die ohnmächtig auf dem Boden lag. Die Frau hatte eine Platzwunde am Hinterkopf. Geronnenes Blut klebte in den Haaren.

Jane Collins hob die Frau behutsam an. Dann schleifte sie sie aus dem klei­nen Raum und schloss die Tür.

Als die Detektivin auf den Gang trat, kamen drei männliche Trauergäste an­gelaufen, die sich um die Bewusstlose kümmerten.

Inzwischen schien sich herum­gesprochen zu haben, was geschehen war. Immer mehr Menschen hatten sich angesammelt. Auch vom Friedhofsper­sonal waren einige Männer gekommen. Und Jane entdeckte den Pfarrer, der die Trauerfeier zelebrieren sollte.

Der Geistliche kam mit raschen Schritten auf Jane zu.

»Miss …«, sagte er.

»Collins, mein Name ist Collins«, stellte Jane sich vor.

Der Pfarrer nickte. Er war schon äl­ter, sein verbliebenes Haar schlohweiß.

»Stimmt es, dass dieser Verstor­bene …«

»Ja.« Jane Collins nickte. »Man hat der Leiche den Kopf abgetrennt.«

Der, Pfarrer wankte zurück. »Schrecklich«, flüsterte er. Instinktiv umklammerte er mit seiner rechten Hand die Kehle. »Wer kann so etwas nur tun?«

Jane hob die Schultern. »Ich weiß es auch nicht. Aber das herauszufinden, ist Sache der Polizei. Wir müssen die Mordkommission in Sheffield anrufen. Tut mir leid, aber die Beerdigung wird wohl nicht stattfinden können.«

Der Pfarrer senkte den Kopf. »Ja, das habe ich mir auch schon gedacht.« Er wischte sich über die Stirn. »Entschul­digen Sie, Miss Collins.«

Der Geistliche wandte sich um und ging.

Jane rief die Mordkommission an.

 

 

Chef der Mordkommission war Chie­finspektor Sherman. Er war ein ruhiger Typ, der wenig sagte, viel zuhörte, aber dann die richtigen Fragen stellte.

Sherman war Pfeifenraucher, hatte ein rosiges Gesicht und zwanzig Pfund Übergewicht, was ihn allerdings nicht störte. Zwanzig Jahre lang versah er seinen Job schon, doch als man ihn mit dem Toten konfrontierte, stieg ihm die Galle hoch. So etwas hatte er in seiner Laufbahn noch nie erlebt.

Seinem jungen Assistenten wurde es schlecht, und er musste sich über­geben.

Sherman führte die ersten Verhöre durch. Nacheinander ließ er die Trauer­gäste zu sich kommen, doch niemand konnte ihm auf seine Fragen konkrete Antworten geben. Keiner hatte den oder die Täter gesehen, der ganze Fall blieb ein Rätsel.

Auch der Friedhofswärter konnte kaum etwas aussagen. Der Mann hieß Victor Lanning und stand noch immer unter Schock.

»Also, Mr. Lanning«, sagte der Chie­finspektor, »wer alles besitzt einen Schlüssel zu dem Raum, in dem die Leichen vor der Beerdigung aufbewahrt werden?«

»Den habe ich, Sir.«

»Sonst niemand.«

»Wieso?« Sherman schüttelte den Kopf.

»Überall gibt es einen Zweitschlüssel. Wenn Sie den richtigen mal verlieren, was geschieht dann?«

»Ein Zweitschlüssel befindet sich noch im Rathaus.«

Sherman räusperte sich. »Na, das sind vielleicht Aussichten.«

Lanning hob die Schultern. »Sie müssen verstehen, Sir. Wir sind hier nur ein kleiner Ort. Knapp dreihundert Einwohner. Und hier ist die Zeit eben etwas stehen geblieben.«

»Für Mörder aber wohl nicht«, erwi­derte der Chief Inspektor bissig. »Fassen wir also noch einmal zusammen. Sie können sich also nicht erklären, wie der Mörder in den Raum gekommen ist.« »Nein.«

Sherman wandte sich an seinen As­sistenten, der mit käsigem Gesichtsaus­druck in der Ecke saß. »Haben Sie alles mitgeschrieben, Tanner?«

»Ja.«                                     .

»Was sagt denn der Arzt? Er hat die Leiche doch untersucht. Um welche Zeit könnte man der Leiche wohl den Kopf abgeschnitten haben?«

»Das kann der Doc nicht feststellen, Sir.«

»Mist, verdammter. Sind denn alle Zeugen gefragt worden?«

»Bis auf eine.«

»Und wer ist das?«

»Diese Detektivin, die die Ohnmäch­tige aus dem Raum geholt hat.«

»Ach so, ja. Lassen Sie die Frau doch kommen, Tanner. Und Sie, Mr. Lanning, können jetzt gehen.«

»Danke, Sir. Der Friedhofsange­stellte stand auf, nickte den Männern zu und verschwand.

Chief Inspektor Sherman zündete sich seine Pfeife wieder an.

»Das wird ein Fall«, brummte er kopfschüttelnd und stieß dicke, blau­graue Qualmwolken gegen die Decke. »Ich glaube, Tanner, daran können wir uns die Zähne ausbeißen. Ich habe ja schon viel erlebt – aber so etwas. Sind das überhaupt noch Menschen, Tanner?«

»Ich weiß nicht, Sir.« Tanner war ein schmaler Typ mit dunkler Horn­brille und langem braunem Haar, das die Ohren bedeckte. Er stand jetzt auf und trat ans Fenster. »Wenn man so die Fachzeitschriften studiert, Sir, da …«

»Ach, hören Sie mir doch mit Ihren Zeitschriften auf.«

Tanner blieb jedoch hartnäckig. »Werfen Sie das nicht so weit weg, Sir. Erst in der vergangenen Woche habe ich einen Bericht über Sektenunwesen und Teufelsanbeter gelesen. Diese Leute ha­ben schreckliche Riten. In dem Bericht stand auch, dass jemand eine Leiche gestohlen hat und sie durch finstere Be­schwörung wieder zum Leben erwecken wollte.«

»Das ist doch Unsinn.«

»Natürlich, Sir. Aber die Dinge sind nun einmal nicht wegzuleugnen.«

»Gut, Tanner. Bleiben Sie bei Ihren Zeitschriften, ich halte mich lieber an die Fakten und werde mal mit dieser Jane Collins reden. Bitten Sie die Lady doch herein.«

Wenig später nun betrat Jane Collins das Zimmer. Der Chiefinspektor bot ihr einen Platz an, und Tanner musste ste­hen bleiben.

»Darf ich rauchen?«, fragte Jane.

»Aber bitte.«

Tanner gab der Detektivin Feuer, was diese mit einem freundlichen Lächeln quittierte, sodass der junge Tanner rote Ohren bekam.

»Wir haben uns ja vorhin schon kurz kennen gelernt«, begann Sherman, »und ich habe mit Erstaunen registriert, dass Sie Detektivin sind. Eine Frage vorweg: Waren Sie beruflich hier?«

»Nein.«

»Bleibt nur noch privat übrig«, sagte Sherman mit einem angedeuteten Lä­cheln. Er sprach aber dann nicht weiter, sondern wartete auf eine Erklärung, die Jane ihm auch nicht länger vorenthalten wollte.

»Der Verstorbene war ein entfernter Verwandter von mir. Ein Onkel zwei­ten Grades. Er hat mir einmal während meines Studiums kräftig unter die Arme gegriffen, und er galt sogar als relativ vermögend.«

Sherman nickte. »Das habe ich auch gehört. Ihr Onkel hieß Graham Sounders. Hatte er weitere Verwandte?«

»Soviel ich weiß, war da noch ein Neffe«, erwiderte Jane.

»Der aber nicht zur Trauerfeier er­schienen ist«, bemerkte Chief Inspektor Sherman. »Hat es da wohl einen Grund gegeben?«

»Das kann ich Ihnen nicht sagen.«

Sherman lächelte hintergründig.

Personen

  • Chiefinspektor Sherman, Chef der Mordkommission
  • Arzt
  • Georg Tanner, Shermans Assistent
  • Tom und Wilma Chester, Wirtsleute
  • Phil Sanders, Neffe von Graham Sanders
  • John Sinclair, Oberinspektor bei Scotland Yard
  • Vampire
  • Sir James Powell, Superintendent
  • Suko, Johns Freund
  • Elisa, Vampir in der Mystery School
  • Lethian, Leiter der Mystery School
  • Belphégor

Orte:

  • Saxton, Dorf in der Nähe von Sheffield
  • London

Quellen:

  • Jason Dark: John Sinclair Classics. Geisterjäger John Sinclair. Band 44. Bastei Verlag. Köln. 07.05.2019
  • Thomas König: Geisterwaldkatalog. Band 1. BoD. Norderstedt. Mai 2000