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Der Welt-Detektiv Band 6

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Der Detektiv – Der Einsiedler vom Dschebel Schamschan – 1. Kapitel

Walter Kabel
Der Detektiv
Kriminalerzählungen, Verlag moderner Lektüre GmbH, Berlin, 1920
Harald Harst gegen Cecil Warbatty
Des berühmten Liebhaberdetektivs Abenteuer im Orient
Der Einsiedler vom Dschebel Schamschan

1. Kapitel

Hilde Helds Abenteuer

Wir waren nach Aden unterwegs. Harst hatte diesmal für meinen Geschmack die Vorsicht denn doch zu weit getrieben und auf einem deutschen Frachtdampfer statt auf einem der schwimmenden Luxushotels des Norddeutschen Lloyd für uns von Alexandria aus Plätze belegt. Meines Erachtens hätte es vollkommen genügt, nicht von Suez, wo wir uns zuletzt befunden hatten, sondern eben von dem für uns rückwärts gelegenen Hafen von Alexandria zu reisen.

Unser Frachtdampfer war neu und hatte im Mittelaufbau zwanzig Passagierkabinen. Die Verpflegung konnte nicht besser sein. Kapitän Störmer war der Typ des modernen Seefahrers — stets tadellos angezogen, sehr taktvolles Benehmen, vielseitig gebildet.

Bis Suez waren nur elf Kabinen besetzt. Hier kam eine deutsche Touristengesellschaft an Bord, im Ganzen vierzehn Personen, Männlein und Weiblein, alles solider, knapp begüterter Mittelstand. Die Leutchen hatten sämtlich lange für diese Reise nach Ceylon und Indien gespart und richteten sich alles so billig wie möglich ein.

Sie brachten Leben mit. Da so ziemlich alle Berufe unter ihnen vertreten waren, konnte man geradezu Studien machen. Der Anführer der Schar war ein Oberlehrer Doktor Schlicht, den die anderen stets nur mit Exzellenz titulierten, wie es einem Marschall gebührt, auch einen Reisemarschall. Das einzige Ehepaar, das die Junggesellen und Jungfrauen zu überwachen hatte, nannte sich Rentiers Krögel. Was er früher gewesen war, konnte man nur vermuten. Er aß nämlich keine Wurst. Auch seine dicke bessere Hälfte verschmähte gefüllte Därme in jeder Form. Also hatte er selbst wohl mal allerlei geheimnisvolle Dinge in die Wurstmaschine gestopft, das heißt, er war sicherlich Fleischermeister gewesen.

Harst hatte sich sehr bald an eine junge Lehrerin herangemacht, die für diesen jede Jugendlichkeit schnell ertötenden Beruf viel zu schade war. Hilde Held war für meinen Geschmack nur zu ernst. Ihre Gespräche mit Harst drehten sich stets um hochgelehrte Dinge.

Ich selbst hatte als begeisterte Skatratte insofern Glück, als ich in Benjamin Krögel und einem Zahnarzt namens Müller zwei Gesinnungsgenossen fand, mit denen ich die langweiligen Stunden während der Fahrt durch das Rote Meer durch einen nur durch die Mahlzeiten unterbrochenen Dauerskat verkürzte.

Krögel war ein Witzbold, und Karl Müller ein Spötter. Alles zog er durch die Zähne. An nichts ließ er ein gutes Haar. Ich hatte noch nie einen so dicken Menschen von so galligem Gemüt kennen gelernt. Er hatte in Kairo, wo die Touristengesellschaft fünf Tage gewesen war, das Pech gehabt, sich bei der Besteigung einer Tempelruine den Arm zu brechen, als er Hilde Held hinauf helfen wollte. Er trug noch den Gipsverband und außerdem trug er auch eine geradezu lächerliche Wut gegen die junge Lehrerin im Herzen, als ob diese dafür verantwortlich zu machen wäre, dass er damals ausgeglitten und abgestürzt war.

Zahnärzte müssen eine große Fingerfertigkeit besitzen. Die des dicken Müller, der nun doch nur mit der Rechten die Karten ordnen, hochnehmen und ausspielen konnte, war staunenerregend. Genauso bewundernswert war sein Glück. Er gewann immer. Er beherrschte alle Feinheiten des Skates mit einer Gründlichkeit, dass er hätte Dozent für Skatkunst werden können.

Am zweiten Abend nach der Abreise von Suez hatte unser Dampfer Westerland Maschinenhavarie. Wir mussten mithilfe der Notsegel in eine Bucht der Westküste einlaufen, wo es ein kleines Negerdorf gab.

Die deutschen Touristen begrüßten diese Abwechselung mit Jubel. Nur Müller schimpfte, weil selbst Benjamin Krögel an Land ging und mit den anderen eine Fußwanderung ins Innere unternahm.

Dies geschah gleich nach dem ersten Frühstück. Auf der Westerland waren also außer der Besatzung nur noch Karl Müller, Harst, ich und eine englische Familie zurückgeblieben, ein Ingenieur Stalney Hasting nebst Erzieherin seiner zwei Kinder, die nach Aden unterwegs waren, wo der Ingenieur eine gute Anstellung bei einem neuen Minenunternehmen gefunden hatte.

Hasting war Engländer vom Scheitel bis zur Sohle. Er hielt sich ganz für sich. Bei Tisch an der gemeinsamen Tafel sprach er nur mit seiner Frau. Er war klein und mager, aber sehnig, und in seinem Gesicht lag stets ein Ausdruck von hochmütigem Selbstbewusstsein.

Ich wunderte mich, dass Harst sich nicht unseren Landsleuten angeschlossen hatte. Als wir beide nun in Liegestühlen unter dem Sonnensegel auf dem Achterdeck verdauten und Zigaretten rauchten, meinte ich ein wenig ironisch: »Ein Wunder! Du bist nicht, wo Hilde Held ist! Oh, sie wird dich für treulos halten, Harald!«

Er blickte mich merkwürdig ernst an.

»Ich bin hier nötiger, lieber Kerl. Wirklich! Ich muss Acht geben, dass dir nichts passiert und auch beobachten, was passiert!«

»Blech!« meinte ich gutgelaunt. »Willst du mir durch solche Unkenrufe die Freude an diesen köstlichen Erholungstagen verderben? Ich bin so froh, dass ich hier nicht jeden Moment zu fürchten brauche, du könntest mich wieder zu einer deiner berühmten, stets lebensgefährlichen Berufsunternehmungen als Begleitmann kommandieren. Hier ist die Luft rein. Hier treibt kein Cecil Warbatty sein Unwesen.«

»So?«

Ach, wie gedehnt, wie vielseitig war dieses eine Wörtchen!

Ich ruckte zusammen, und flüsterte: »Himmel, ist etwa gar unser Feind an Bord?«

Harst schaute auf einen Albatros, der soeben pfeilschnell aus dem Wasser einen handlangen Fisch herausgeholt hatte.

In diesem Augenblick ging James Hasting gemessenen Schrittes der Kommandobrücke zu, wo sich auch das Funkerhäuschen befand.

Harst blickte ihm nach. »Der große Seevogel hat soeben den Fisch verschluckt«, sagte er mit einer Betonung, die mich veranlasste, nochmals nachzufragen.

»Ist Warbatty wirklich auf unserer Westerland? Ich bitte dich, so rede doch! Zuweilen kannst du selbst mein dickes Geduldtau zum Reißen bringen!«

»Dann schaff dir nur ein noch dickeres neues an, lieber Schraut. Du hast selbst gewünscht, dass ich deinen Lehrer spiele. Du willst die Feinheiten meiner Kunst dir aneignen. Bisher steckst du noch immer in den Anfangsgründen. Hier bereitet sich etwas an Bord vor. Mehr sage ich nicht. Nun sperre selbst Augen und Ohren auf!«

Er erhob sich, schlenderte der Brücke zu und stieg die Treppe empor, entschwand so meinen Blicken.

Ich war allein und grübelte über seine Worte nach. Ich ließ sämtliche Passagiere an meinem geistigen Auge langsam vorüberziehen und suchte in dieser Weise nach Cecil Warbatty.

Da, ich hatte gefunden: Nur James Hasting konnte Warbatty sein. Nur er! Er trug stets Handschuhe, selbst bei Tisch! Und unser Feind wollte natürlich durch diese Handschuhe den fehlenden linken Zeigefinger verdecken!

Also Hasting, dieser eingebildete Mensch, war unser Cecil! Dass er plötzlich hier mit einer Erzieherin und Kindern auftauchte, war bei ihm nicht weiter wunderbar. Er verfügte über alle Hilfsmittel, die es nur irgend geben konnte, seine wahre Persönlichkeit zu verschleiern.

Harst erschien nun wieder auf der Treppe. Ich eilte ihm entgegen.

»Du, ich weiß Bescheid!«, raunte ich ihm triumphierend zu. »Hasting ist unser Mann!«

Er nickte zerstreut und sagte: »Er hat soeben eine Funkendepesche nach Aden gesandt. Ganz sicher nach Aden. Ich muss doch mal versuchen, ob ich den Telegrafisten nicht etwas aushorchen kann.«

Da kam der gallige Müller auf uns zu.

»Wer will mit ins Negerdorf drüben? Vielleicht kann man da Reiseandenken kaufen. Na, halten Sie mit, Schreiner?«

Ich muss nachholen, dass Harst und ich als Kaufleute Heinrich Helmer und Martin Schreiner reisten und dass wir uns wieder nach Möglichkeit unkenntlich gemacht hatten. Wir spielten Zufallsbekannte, die nach Ceylon wollten, um dort größere Abschlüsse in Kaffee und Tee zu machen.

Ich erklärte, ich würde Müller gern begleiten.

Harst lehnte ab. »Was soll ich in den stinkenden Hütten?«, meinte er achselzuckend. »Man holt sich dort höchstens Ungeziefer.«

Müller und ich ruderten in dem kleinsten Rettungsboot des Dampfers allein an Land, zogen das Boot ein Stück auf das Ufer und wanderten dem in einem Tal gelegenen Negerdorf zu. Dieses bestand aus etwa fünfzig Bienenkorbhütten aus Schlammziegeln und Flechtwerk. Harst hatte sich geirrt: Es war hier im Ganzen recht reinlich. Die Neger gehörten zu einer Mischrasse, waren schon ein wenig von der Kultur gestreift, da die italienische Kolonie Eritrea und deren Haupthafen nicht weit ab lagen, nicht allzu weit von hier entfernt waren.

Müller stöberte bald einen Araber auf, der etwas Englisch sprach und im Dorf als Händler weilte. Dieser lange Araber hatte ein Paar so stechende Augen, dass ich dem Kerl alles Schlechte zutraute.

Während ich mit einem greisen Schwarzen um ein schön gewebtes Stück Stoff feilschte, wobei wir uns durch italienische Brocken zu verständigen versuchten, entfernte sich der dicke Zahnarzt mit dem Araber und erschien erst nach einer Stunde mit einem prachtvollen Dolch wieder, den er dem langen Muslim für ein Geringes abgehandelt hatte.

Erst abends um acht Uhr kehrten unsere Landsleute von ihrem Ausflug zurück. Nur Hilde Held und Oberlehrer Schlicht, der Reisemarschall, waren noch im Negerdorf zurückgeblieben, da dort gerade die Hochzeit eines schwarzen Jünglings mit einer schwarzen Jungfrau gefeiert wurde, wollten aber nach einer Viertelstunde an der Anlegestelle sein.

Wir, Harst, Müller, die Hastings und ich, hatten bereits die Abendmahlzeit hinter uns. Die anderen tafelten noch. Harst stand nun neben Kapitän Störmer auf der Brücke. Auch ich gesellte mich zu ihnen.

Störmer schaute sich vorsichtig um und sagte zu mir: »Herr Harst hat sich mir soeben zu erkennen gegeben. Er ist etwas in Sorge um Fräulein Held: Doktor Schlicht ist ein schlechter Schutz für eine junge Dame inmitten einer Bande halb trunkener Neger. Wir sollen daher auch sofort zum Dorf hinüber, aber auf Umwegen. Ihr Freund hält dies aus irgendeinem Grund für ratsam. Den Grund selbst verschweigt er leider.«

»Alles zu seiner Zeit«, meinte Harst ernst. »Vorwärts also. Wir rudern zum Schein tiefer in die Bucht hinein und nehmen ein kleines Schleppnetz mit. Den anderen sagen wir, wir wollten versuchen, ein paar der farbenprächtigen Paradiesfische zu fangen.«

So geschah es auch. Wir drei bestiegen ein größeres Boot. Harst und Störmer ruderten. Die Ufer bestanden stellenweise aus kahlen Felsen, die sich dann stets als kleine Landzungen in die Bucht hineinreckten.

Hinter einer dieser Felspartien, die uns dem Dampfer verbarg, landeten wir. Harst drängte zur Eile. Wir liefen dann im Bogen, stets uns in Tälern haltend, dem Negerdorf zu.

Als wir uns so etwa von Süden her ihm näherten – inzwischen war es recht dunkel geworden –, jagten in der Ferne vier Kamelreiter an uns vorüber.

Harst hatte ein Fernglas mit, nahm es an die Augen und murmelte dann nach scharfem Spähen zu den schnell verschwindenden Reitern: »Vielleicht kommen wir zu spät. Trab! Es gilt Hilde Helds Sicherheit!«

Wir, Störmer und ich, wussten noch immer nicht, was Harst eigentlich befürchtete. Wir liefen nun, dass uns der Schweiß aus allen Poren drang. Endlich die ersten Hütten. Harst rannte dem Beratungsplatz in der Mitte des kreisförmig angelegten Dorfes zu. Dort jedoch nur noch verglimmende Feuer. Kein Mensch mehr zu sehen. Das Hochzeitsfest schien vorüber zu sein.

Ich wusste, wo die Hütte des Dorfältesten stand. Wir trommelten den alten Mann heraus, der ganz den Eindruck des wandelnden schlechten Gewissens machte.

Der Neger radebrechte etwas Italienisch.

»Wo ist die weiße Dame?«, herrschte mein Freund den Schwarzen an und spielte mit seinem Revolver. »Heraus mit der Sprache! Keine Ausflüchte! Wo ist die Signora und der lange Signore mit der Brille?«

Der Neger beteuerte, die beiden seien schon vor einer halben Stunde zur Bucht gegangen. Und davon ließ er sich auch nicht abbringen.

Harst wurde nun ruhig. Ich kannte dieses Symptom an ihm. Wenn er so gelassen und gleichgültig schien, obwohl der Sachlage nach das Gegenteil zu erwarten war, dann bedeutete das stets den Auftakt zu bösen Ereignissen.

Harst nickte dem Neger freundlich zu. »Gut, die beiden werden also längst an Bord sein. Da, mein Alter, dies für die Störung deines Schlafes!« Er warf ihm eine Silbermünze zu.

Dann gingen wir davon.

Kaum hatten wir die Hütte des Dorfältesten außer Sicht, als Harst stehen blieb.

»Kapitän«, sagte er. Seine Backenknochen traten vor, so mühsam beherrschte er sich. »Hier ist eine furchtbare Schurkerei begangen worden. Schlicht ist vielleicht ermordet worden, und Fräulein Held wurde von Arabern entführt!«