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John Sinclair Classics Band 41

Jason Dark (Helmut Rellergerd)
John Sinclair Classics
Band 41
Der Albtraum-Friedhof

Grusel, Heftroman, Bastei, Köln, 26.03.2019, 66 Seiten, 1,90 Euro, Titelbild: Ballestar
Dieser Roman erschien erstmals am 25.01.1977 als Gespenster-Krimi Band 176.

Kurzinhalt:
Wenn die Lebenden nicht in der Lage sind, die Botschaft der Finsternis in diese Welt zu tragen, so müssen es die Toten tun.
Darum flieht, wenn die Gräber sich öffnen und die Leichname dem feuchten Erdreich entsteigen – flieht vor dem Zorn des großen Bakuur! Er hat die Saat der Rache gesät und harrt voller Ungeduld auf die Ernte des Bösen …

Leseprobe

Aufseufzend löschte die Küchenhilfe das Licht. Sie schob die Unterlippe vor und blies sich eine Strähne des dunkel­blonden Haares aus der Stirn.

Der Tag heute hatte ihr gereicht. Nicht eine Minute hatte sie sich ausru­hen können. Gegen Mittag waren noch zwei Busse angekommen, vollbesetzt mit holländischen Touristen. Sie hatten die Speisekarte dreimal rauf und runter gegessen und sich bis zum Abend auf­gehalten. Der Koch hatte gewirbelt bis zur Olympiareife, und sogar der Chef war mit eingesprungen.

Am Abend war es dann weitergegan­gen. Geschäftsleute kamen, ein Händler brachte Fleisch, es musste in die großen Kühlboxen geschafft werden, dann ka­men Getränke und so weiter.

Jetzt hatte Lisa die Nase gestrichen voll.

Im Dunkeln lehnte sie an der Wand. Sie war allein in der Küche. Noch im­mer hing der Geruch von gebratenem Fleisch und Pommes frites im Raum. Lisa konnte ihn einfach nicht mehr riechen.

Um die Flasche mit dem Obstwasser zu finden, brauchte sie kein Licht. Sie schloss die Tür eines Hängeschrankes auf, tastete nach der Flasche und nahm einen kräftigen Schluck.

Der scharfe Schnaps brannte in ihrem Magen, verbreitete aber dann eine wohltuende Wärme.

Lisa schloss die Augen. Zwei Minuten stand sie unbeweglich und genoss das Gefühl der Entspannung. Dann stellte sie die Flasche wieder weg und ging mit müden Schritten in Richtung Tür.

Das Bett in ihrer Dachkammer war­tete schon längst. Zufällig streifte ihr Blick das Fenster.

Im ersten Augenblick glaubte sie, einer Täuschung erlegen zu sein. Ver­schwommen erkannte sie ein Gesicht.

Ein Männergesicht. Es gehörte dem alten Leitner.

Lisas Gedanken stockten. Himmel, der alte Leitner! Nein, das war unmög­lich.

Der alte Leitner war schon seit drei Tagen tot …

 

 

Lisa schrie!

Der Schrei zerfetzte die Stille. Sie hatte die Arme halb erhoben und die Hände zu Fäusten geballt. Starr waren ihre weit aufgerissenen Augen auf das Gesicht gerichtet, das sich von außen gegen die Scheibe presste.

Lisa fühlte, wie ihr Herz rasend schnell schlug. Sie meinte, es müsste je­den Augenblick aus der Brust springen. Sie schrie immer noch, als die Tür auf­gerissen wurde und eine Männerhand die Frau hart an der Schulter herumriss.

»Was ist los, Lisa?«

Die Küchenhilfe gab keine Antwort.

Dann schlug der Mann zweimal zu. Sein Handrücken klatschte gegen Lisas Wangen.

Der Schrei erstickte, endete in einem Wimmern.

Der Mann zerrte Lisa zu einem Stuhl, drückte sie darauf nieder.

Lisas Kopf war nach vom gesunken, ihr Kinn berührte beinahe die Brust. Schluchzen schüttelte ihren Körper. Der Mann reichte ihr ein Glas mit Schnaps. Lisa nahm es mit zitternden Fingern entgegen, trank zum zweiten Mal an diesem Abend den scharfen Alkohol.

Dankbar gab sie dem Mann das Glas zurück. Aus tränenfeuchten Augen sah sie ihn an.

Der Mann war kein geringerer als Harry König, Besitzer des Hotels und gleichzeitig ihr Chef.

»So«, sagte er, »und nun erzähl mal.«

Lisa musste zweimal schlucken, be­vor sie sprechen konnte.

»Ich – ich hatte das Licht schon ge­löscht und wollte nach oben in meine Kammer gehen. Da – da, o Gott, es war schrecklich!«

»Was war schrecklich, Lisa?«

»Das Gesicht.«

»Welches Gesicht?«

»Es war am Fenster. Ich habe es deutlich gesehen. Es gehörte dem alten Leitner!«

Königs Augen wurden groß. Tief atmete er ein. Dann zwang er sich zu einem Lächeln.

»Sag mal, Lisa, du bist doch nicht etwa betrunken? Der alte Leitner ist seit drei Tagen tot und soll morgen beerdigt werden.«

Lisa nickte heftig. »Ja, ja, ich weiß. Aber es war der alte Leitner. Er hat mich angestarrt aus seinen schreck­lichen Augen.«

Harry König legte seiner Angestell­ten die Hand auf die Schulter.

»Ist gut, Lisa, du hast also den alten Leitner gesehen.« Der Hotelbesitzer blickte zum Fenster. Dann sagte er: »Ich werde jetzt nachschauen, ob er noch da ist.« Er wartete Lisas Antwort gar nicht erst ab, sondern trat ans Fenster und öffnete es. Weit beugte er sich nach draußen, sah nach links und rechts.

»Nichts«, rief er ins Zimmer hinein. »Es ist eine wunderbar kühle Herbst­nacht, aber von deinem Geist ist keine Spur zu sehen. Du wirst geträumt ha­ben, Lisa. Wahrscheinlich war der Tag heute zu hektisch für dich. Am besten, du legst dich jetzt hin und schläfst erst einmal aus.« König hatte das Fenster wieder geschlossen und trank jetzt auch einen Schnaps. »Möchtest du noch?«, fragte er.

Lisa schüttelte den Kopf.

Der Hotelbesitzer verzog das Gesicht, weil der Schnaps in seinem Magen brannte.

Harry König hatte das Hotel im Schwarzwald erst vor einigen Mona­ten übernommen. Er hatte vorher ein Restaurant im Ruhrgebiet geleitet und sich dann im Schwarzwald einen alten Jugendtraum erfüllt.

Harry König war achtundvierzig Jahre alt, überdurchschnittlich groß und ziemlich schlank. Man sah ihm die Vorliebe für gutes Essen nicht an.

Die Einheimischen hatten den dun­kelhaarigen Mann mit den etwas zu vol­len Lippen und der leicht gekrümmten Nase schnell akzeptiert, was sich auch darin zeigte, dass in Königs Hotel die Honoratioren der umliegenden Orte verkehrten. Außerdem galt Königs Ho­tel als Geheimtipp für stressgeplagte Manager.

Harry König zündete sich eine Ziga­rette an. Während er den Rauch durch die Nase ausstieß, fragte er: »Warst du eigentlich schon in Urlaub, Lisa?«

»Nein.«

»Dann wird es wohl Zeit. Die Saison ist bald vorbei, danach kannst du drei Wochen ausspannen. Du hast mir doch erzählt, dass Verwandte von dir an der Nordsee wohnen. Ich kenne die See gut. Du solltest hinfahren und dich dort aus­ruhen.«

»Danke«, erwiderte Lisa leise. »Aber – ich habe den alten Leitner ge­sehen, Herr König.«

Der Hotelbesitzer seufzte. »Fall mir damit nicht wieder auf die Nerven, Lisa. Der alte Leitner ist tot!«

Lisa stand auf. »Entschuldigen Sie.«

»Wo willst du hin?«

»Auf mein Zimmer.« Lisa, die an der Tür stand, drehte sich noch einmal um.

König lächelte. »Gut, nimm aber noch eine Schlaftablette.«

»Ja, Herr König. Gute Nacht.«

Kopfschüttelnd sah der Hotelbe­sitzer seiner Angestellten nach. Lisas Verhalten passte ihm überhaupt nicht. Er war nur froh, dass die Gäste nicht gestört worden waren, schließlich galt das Hotel »Waldfrieden« als ein Hort der Ruhe und Erholung.

Harry König verließ die Küche. Auch er spürte jetzt die Müdigkeit. Es wurde Zeit, dass er ins Bett kam. Morgen, das heißt heute, begann wieder ein anstren­gender Tag für ihn.

 

 

Am Ende des Flures in der zweiten Etage begann eine schmale Stiege, die bis unter das Dach führte. Dort lagen die Zimmer des Hotelpersonals, und hier hatte auch Lisa ihre Kammer.

Im Dunkeln schloss sie die Tür auf und betrat den kleinen Raum mit den schrägen Wänden. Durch das schmale Fenster an der Stirnseite des Zimmers sickerte fahles Mondlicht und zeichnete einen verwaschenen Streifen auf den Holzfußboden.

Schrank und Bett standen sich ge­genüber. Neben dem Schrank war ein Waschbecken in die Wand eingelassen worden, darüber hing ein Spiegel. Die Wand über dem Bett zierte ein Kreuz. Es stammte noch von Lisas Eltern, und sie hielt es jetzt hoch in Ehren.

Die Kammer war klein, aber da Lisa eine bescheidene Person war, reichte sie ihr. Lisa war noch Single. Sie zählte fünfunddreißig Jahre, war eine dralle Person, mit hochgesteckten dunkel­blonden Haaren. Ihr Gesicht besaß eine frische Farbe, die Hände waren rissig und abgearbeitet. An eine Heirat hatte Lisa bisher noch nicht gedacht, aber wenn sie ehrlich war, es gab auch keine Bewerber, und so ging sie völlig in ihrer Aufgabe auf, was Harry König sehr zu schätzen wusste.

Es war ruhig hier oben unter dem Dach. Die anderen Angestellten schlie­fen schon längst, und der Kellner, der hier ebenfalls wohnte, hatte heute sei­nen freien Tag gehabt und war nicht da. Er würde erst morgen Mittag wieder erscheinen.

Lisa setzte sich auf ihr Bett. Verflo­gen war die Müdigkeit. Immer wieder musste sie an ihr schreckliches Erleb­nis denken. Sie glaubte an das, was sie gesehen hatte. Es war der alte Leitner gewesen, davon ließ sie sich nicht ab­bringen.

Wie viele Menschen in der Gegend war auch Lisa trotz ihrer Frömmigkeit abergläubisch. Sie glaubte an Gott, aber auch an den Teufel, und so war es nicht verwunderlich, dass sie dem Teufel die Schuld für das Auftauchen des alten Leitners gegeben hatte.

Lisa saß über zehn Minuten unbe­weglich und mit zusammengefalteten Händen auf dem Bettrand. Dann hatte sie einen Entschluss gefasst.

Noch heute wollte sie in der Leichen­halle nachsehen, ob sie sich wirklich getäuscht hatte.

Sie brauchte gar nicht weit zu gehen, denn der kleine Dorffriedhof grenzte mit seiner Mauer direkt an das Hotel­grundstück.

Lisa drehte sich um und nahm das Kreuz von der Wand. Sie umklammerte das Holz mit beiden Händen, es war ihr einziger Schutz.

Auf Zehenspitzen verließ Lisa das Zimmer. Jedes Knarren der Holzdielen hörte sich überlaut in der Stille an, doch ungesehen und ungehört erreichte sie die Rezeption des Hotels.

Die untere Etage lag in völliger Dun­kelheit. Der Besitzer wohnte in einem kleinen Anbau, genau entgegengesetzt. Lisa schlich an der gläsernen Eingangs­tür vorbei, drückte sich durch einen schmalen Gang, durchquerte die Kü­chenräume und gelangte zur Hintertür, für die sie einen Schlüssel besaß.

Lisa schloss auf und schlüpfte hinaus in die klare, kühle Herbstnacht. Die letzten Septembertage hatten noch einmal Sonnenschein gebracht, aber nachts wurde es doch schon empfind­lich kühl.

Lisa hob fröstelnd die Schultern, überquerte den kleinen Platz, auf dem die Lieferwagen hielten, die immer die Waren brachten, und tauchte ein in einen Wald, der sich bis hinauf zu den Bergen zog und hinter dem Hotel seinen Anfang nahm.

Ein schmaler Pfad führte nach rechts, dem kleinen Friedhof entgegen.

Den Pfad kannten nur wenige. Er ringelte sich wie eine Schlange durch den Tannen- und Mischwald des Hochschwarzwaldes. Unter anderem berührte er auch den kleinen Dorf­friedhof, und schon bald sah Lisa die Umrisse der brusthohen Steinmauer.

Sie musste sich auf die Zehenspitzen stellen, um hinübersehen zu können.

Das Bild war gespenstisch. Offen fiel das Mondlicht auf die gepflegten Grabreihen. Gestochen scharf waren die Kreuze und Denkmäler zu erkennen. Lisa konnte auch das frisch ausgewor­fene Grab sehen, in dem der alte Leitner beerdigt werden sollte.

Lisa ging noch einen Meter weiter. Feuchte Blätter strichen wie Finger über ihr Gesicht oder raschelten ge­geneinander, vom kühlen Nachtwind bewegt.

Schließlich erreichte sie die Stelle, die sie gesucht hatte. Ein kleines hüfthohes Eisentor unterbrach die Fried­hofsmauer. Es wurde so gut wie nie als Eingang benutzt und hatte schon Rost angesetzt.

Das Tor war nicht verschlossen, Lisa wusste es. Sie drückte die gebogene Klinke und hielt den Atem an, als sie das Tor aufstieß und das Quietschen der Angeln ihr vorkam, als müsste man es meilenweit hören können.

Lisa schob das kleine Tor nur so weit auf, dass sie gerade hindurchschlüpfen konnte. Nach zwei Schritten blieb sie stehen und schloss das Tor auch nicht wieder, um sich so einen günstigen Fluchtweg offen zu lassen.

Kies knirschte unter Lisas derben Schuhsohlen. Die einzelnen Wege wa­ren sehr gepflegt und zogen sich schach­brettartig über den Totenacker.

Lisa hielt ihr Kreuz fest umklam­mert. Das dunkelbraune handwarme Holz strahlte eine gewisse Sicherheit aus. Noch nie war Lisa nachts allein auf dem Friedhof gewesen. Selbst die Gräber ihrer Eltern hatte sie nur am Tage besucht. Vater und Mutter waren im Nachbarort bestattet worden, aus dem Lisa auch stammte.

So leise wie möglich ging sie weiter. Der Geruch von verfaultem Laub und frisch aufgeworfener Erde drang in ihre Nase. Lisa musste den Kopf einziehen, um unter den Zweigen einer hohen Trauerweide hergehen zu können.

Die Weide verdeckte einen Teil der Leichenhalle an der Nordseite des Friedhofes. Die Halle war aus großen Steinquadern errichtet worden, die im Laufe der Zeit eine Haut aus Moos und Efeu bekommen hatten.

Vor dem zweiflügeligen Holztor blieb Lisa stehen. In das Holz waren lateini­sche Sprüche geschnitzt worden, deren Sinn die Frau nicht verstand.

Personen

  • Lisa, Hotelangestellte, Küchenhilfe
  • Harry König, Besitzer des Hotels Waldfrieden
  • der alte Leitner, ehemaliger Bürgermeister, Untoter
  • Will Mallmann, Kommissar von der Interpol-Zentrale Deutschland
  • Priester, zwei Messdiener, Trauergäste
  • Franz Torgau, Totengräber
  • John Sinclair, Oberinspektor bei Scotland Yard
  • Professor Jurc, Völkerkundler
  • Bakuur, der Schreckliche, Dämon
  • Dieter König, Sohn des Hoteliers Harry König
  • Hotelgäste
  • Richard Steiner, Elektriker
  • Karin Steiner, Richards Ehefrau
  • Hilde König, Harrys Mutter, Untote

Orte:

  • ein Dorf im Schwarzwald

Quellen:

  • Jason Dark: John Sinclair Classics. Geisterjäger John Sinclair. Band 41. Bastei Verlag. Köln. 26.03.2019
  • Thomas König: Geisterwaldkatalog. Band 1. BoD. Norderstedt. Mai 2000